Uwe Steinberg gehört zu den interessantesten Vertretern einer Fotograf:innengeneration, die ab den 1960er-Jahren eine eigenständige Bildsprache der Fotografie in der DDR geprägt hat. Seine Fotografien zeigen ihn als aufmerksamen Beobachter des Lebens, der das gesamte Spektrum des sozialen Daseins in den Blick genommen hat. Immer wieder vermochte er, den gewöhnlichen Alltag mit hoher Präzision ins Bild zu setzen und die im Medium Fotografie angelegte Distanz durch emotionale Nähe, durch tiefe menschliche Zuneigung zu überwinden. Das Œuvre Steinbergs unterstreicht eindrucksvoll, dass die Geschichte der Fotografie in der DDR ohne die Aufnahmen der Bildjournalist:innen nicht zu schreiben ist. Im Januar 1945 gelang der Familie des am 22. Oktober 1942 in Breslau (Wrocław) geborenen Fotografen die Flucht nach Westdeutschland. Aufgewachsen ist Steinberg im hessischen Jesberg, in Reutlingen und Düsseldorf. Nach dem Verbot der KPD, der Steinbergs Vater, der Journalist und Schriftsteller Werner Steinberg, bereits seit 1932 angehörte, folgte 1957 die Übersiedlung der Familie in die DDR, zunächst nach Leipzig. Nachdem Steinberg bereits in früheren Jahren erste fotografische Versuche mit einer Box-Kamera unternommen hatte, kaufte er sich eine EXA und begann, sich neben dem Selbststudium von Fachliteratur aktiv in Fotozirkeln zu betätigen. Nach einem weiteren Umzug 1959 nach Dessau wurde Steinberg um 1960 Mitglied der Fotoleistungsgruppe novum des Kulturbunds und Leiter eines Schul- und Betriebsfotozirkels. In ersten Ausstellungen und durch Veröffentlichungen, u. a. in Foto-Falter, erhielt er bald Anerkennung. Nach Abitur und Wehrdienst arbeitete Uwe Steinberg ab 1963 als Laborant bei ADN-Zentralbild in Berlin, in seiner Freizeit fotografierte er nach eigener Aussage »abgeblätterten Putz und einsam-vereinzelte Menschen«. Steinberg orientierte sich dabei vor allem an aktueller polnischer Fotografie, deren Subjektivität ihn reizte. Einige Kollegen waren ob dieser von ihm gemachten Bilder offenbar schockiert. Es grassierte die Auffassung, er sei mit seiner Haltung in einer sozialistischen Bildagentur fehl am Platz. Man spannte ihn jedoch mit Horst Sturm, dem zu dieser Zeit besten Fotografen bei ADN, zusammen, der eine Mentorschaft für ihn übernahm und ihm die Ausbildung zum Bildreporter ermöglichte. In dieser Zeit erlebte Steinberg die um 1963 einsetzende, endlose Diskussion um die Qualität von Nachrichtenfotos, die unter Beteiligung von Sturm 1965 zur Gründung der Fotografengruppe Signum führte, hautnah mit, ebenso den ständigen Zwiespalt zwischen künstlerischer Freiheit und den selten ideologiefreien Aufträgen. Sein Vorbild Horst Sturm, so Steinberg 1984, »lehnte es ab, den geforderten Optimismus vor der Kamera fürs Bild zu inszenieren, sondern beobachtete die Menschen, machte wahre Fotos«. Diesem Impetus folgte auch Steinberg – in ständigem Spagat zwischen Aufträgen des Bilderdiensts und Selbstauftrag. Jenseits von inszenierten Aufnahmen zeigen seine stilleren Bilder den Verfall des Sozialismus, die Tristesse hinter den Kulissen und zugleich eine unspektakuläre Schönheit. Der Ausbildung folgte 1966 ein nebenberufliches Fernstudium an der Leipziger Fachschule der Journalistik, gleichzeitig entwickelte sich Steinberg zu einem renommierten Bildjournalisten, der sich mit der Bildpraxis seiner Agentur auf längere Sicht allerdings nicht versöhnen mochte. Nach Abschluss des Studiums, 1969, im selben Jahr, in dem die zunehmend kritisch betrachtete Gruppe Signum aufgelöst wurde, fand sich unter aktiver Mitwirkung Steinbergs eine jüngere Generation von Fotograf:innen zusammen und gründete die Gruppe Jugendfoto Berlin, die einen »glaubwürdigen Bildjournalismus« anstrebte. Mitglieder der bis 1979 bestehenden Gruppe waren neben Uwe Steinberg u. a. Christian Borchert, Ulrich Burchert und Steinbergs jüngerer Bruder Detlev, der 2021 resümierte: »Wir haben immer wieder Dinge fotografiert, für die ein gesellschaftliches Interesse bestehen müsste, stellten aber oft das Gegenteil fest. Wir haben die Bilder trotzdem gemacht, um das wahre Leben zu reflektieren – wir haben die Menschen differenziert abgelichtet, jenseits der Jubelparaden« (Detlev Steinberg, o. J.). Weiterhin unzufrieden mit seiner Agenturtätigkeit wechselte Steinberg 1970 zur Neuen Berliner Illustrierten (NBI), doch auch dort konnten nicht alle Lebensbereiche aus dem DDRAlltag gezeigt werden. Aber er konnte nun reisen, im In- und Ausland, u. a. nach Kambodscha und Vietnam. Er wirkte als Ausbilder bei Fotolehrgängen des Verbands der Journalisten der DDR (VdJ) und gab 1972 und 1974 Kurse für ägyptische Journalist:innen in Kairo, außerdem begann er, freiberuflich als Bildreporter und an Buchprojekten zu arbeiten. 1974 nahm er ein Studium der Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig bei Horst Thorau auf. Die Abschlussarbeit entstand 1978 im Zusammenhang mit Auftritten der avantgardistisch geprägten Dresdner Liedertheatergruppe Schicht, die ähnlich wie der Fotograf versuchte, Loyalität zur marxistischen gesellschaftlichen Idee mit Kritik an den herrschenden Verhältnissen zu verbinden. Bereits seit Anfang der 1970er-Jahre war Steinberg in zentralen DDR-Ausstellungen präsent, u. a. in der 1. Porträtfotoschau der DDR in Berlin 1971 und der IX. Kunstaustellung der DDR 1982/83 sowie in der Ausstellung Fotografie in der Deutschen Demokratischen Republik, die 1979 im Kölner Gürzenich gezeigt wurde. Das seit 1982 zusammen mit Irina Liebmann geplante Buchprojekt Große Hamburger Straße konnte er nicht mehr realisieren. Steinberg starb am 8. April 1983 in Budapest an den Folgen eines Verkehrsunfalls. JB 548 UWE STEINBERG Jugendtreffen, Berlin, 1976, Silbergelatinepapier, 40 × 30 cm VEB Elektrokohle Lichtenberg, Berlin, 1968, Silbergelatinepapier, 30 × 40 cm VEB Elektrokohle Lichtenberg, Berlin, 1968, Silbergelatinepapier, 30 × 40 cm Junge Arbeiterinnen in der Pause, VEB Oberlausitzer Glaswerke Weißwasser, 1970, Silbergelatinepapier, 30 × 40 cm Zentralviehhof, Berlin, 1973, Silbergelatinepapier, 30 × 40 cm Schönhauser Allee, Berlin, um 1965, Silbergelatinepapier, 30 × 40 cm Mädchen an der Haltestelle, Berlin, 1963, Silbergelatinepapier, 30 × 40 cm
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