10 über 180-jährigen Geschichte des Mediums. Angesichts dieser Gefahr zählen die Erhaltung, die fachgerechte Archivierung und die Präsentation der Lebenswerke deutscher Fotograf:innen derzeit zu den wichtigsten Aufgaben von Gedächtnisinstitutionen wie der Deutschen Fotothek. Bereits 2012 entwickelte die Deutsche Fotothek gemeinsam mit der Stiftung F. C. Gundlach in Hamburg mit dem Archiv der Fotografen eine Perspektive für eine verlässliche und dauerhafte Zukunft von Fotograf:innenarchiven jenseits einer damals noch in weiter Ferne scheinenden, auf Bundesebene angesiedelten Großinstitution, wie sie nun für Düsseldorf in Planung ist. Das Konzept umfasst nicht nur Beratung zu Erhalt, fachgerechter Archivierung und Präsentation fotografischer Werke und Nachlässe, sondern auch eine virtuelle Plattform auf der Website der Deutschen Fotothek, auf der über die eigene Sammlung hinaus auch Bestände zahlreicher Partnereinrichtungen präsentiert werden.3 Bewahren und Erschließen Vor allem aber ist das Archiv der Fotografen ein physischer, an der Deutschen Fotothek in Dresden angesiedelter Ort zur Bewahrung von bedeutenden Fotograf:innenarchiven. Die Akquise erfolgt gemäß definierter Erwerbungskriterien. Viele der einer Entscheidung für oder gegen die Übernahme eines fotografischen Nachlasses zugrunde liegenden Kriterien sind naturgemäß jedoch weich, und sie unterliegen stetiger Veränderung. Im Fokus stehen deutsche oder in Deutschland tätige Fotograf:innen von nationaler Bedeutung – aufgrund ihres individuellen künstlerischen oder fotografiegeschichtlichen Rangs, wegen des dokumentarischen Wertes ihres Œuvres oder infolge ihrer gattungs- oder genrespezifisch exemplarischen Bedeutung. Die Relevanz eines Nachlasses für künftige Forschung kann in Kenntnis oder Prognose kurz- oder mittelfristig wirksamer Trends beurteilt werden, doch objektivierbare Aussagen über den langfristigen Stellenwert fotografischer Konvolute sind vorab letztlich nicht zu leisten. Die Praxis zeigt, dass Archive mitunter erst Jahrzehnte nach ihrer Erwerbung in den Fokus wissenschaftlicher Aufmerksamkeit rücken. Beispielhaft genannt seien hier die in den 1980er-Jahren aufgrund politischer Vorgaben von der Deutschen Fotothek erworbenen, damals jedoch kaum erschlossenen Nachlässe von Arbeiterfotografen wie Kurt Beck, Hans Bresler und Erich Meinhold. Die in der KPD-nahen Vereinigung der Arbeiter-Fotografen Deutschlands aktiven Amateurfotograf:innen hielten im Aufbruch der Medienmoderne während der 1920er-Jahre erstmals ihr beengtes Lebensumfeld und den Kampf der Arbeiterbewegung fest. Erst im Rahmen des DFG-Projekts Das Auge des Arbeiters. Untersuchungen zur proletarischen Amateurfotografie der Weimarer Republik am Beispiel Sachsens des Instituts für Sächsische Geschichte und Volkskunde in Dresden wurden diese und weitere Bestände zur Arbeiterfotografie in Sachsen unter Beteiligung der Deutschen Fotothek von 2009 bis 2012 digitalisiert, erschlossen sowie unter fotohistorischen und sozialgeschichtlichen Leitfragen erforscht. Neben zwei Tagungen und zahlreichen Veröffentlichungen mündete das Projekt in die Wanderausstellung Das Auge des Arbeiters, die 2015 auch im Stadtmuseum Dresden zu sehen war.4 Resultierend aus dem Projekt waren die bis zu ihrer Digitalisierung vollkommen unbekannten Aufnahmen Hans Breslers aus der Deutschen Fotothek 2011 in einer großen Retrospektive zur Arbeiterfotografie in Madrid zu sehen sowie in der Ausstellung Subjective Objective. A Century of Social Photography in New Jersey. Inzwischen zählen sie zum Kanon der internationalen Arbeiterfotografie.5 Der ebenfalls in der Dresdner Ausstellung vertretene Fotograf und Bildjournalist Richard Peter sen. hatte seine fotografische Tätigkeit in den 1920er-Jahren auch als Arbeiterfotograf begonnen, gelangte dann aber vor allem durch seine Aufnahmen des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Dresden zu internationalem Ansehen. Im Rahmen eines Programms der Kulturstiftung des Bundes und der Kulturstiftung der Länder zur Konservierung und Restaurierung von gefährdetem mobilem Kulturgut (KUR) konnte der gesamte Nachlass digital gesichert und in der Bilddatenbank der Deutschen Fotothek publiziert werden. Seither wurden neben einer Dissertation zu seinem berühmtesten Bildband Dresden – eine Kamera klagt an zahlreiche Aufsätze und Beiträge zu unterschiedlichsten Aspekten seines fotografischen Schaffens sowie eine Monografie publiziert, außerdem eine umfangreiche Ausstellung mit Begleitpublikation erarbeitet.6 Auch die von der Zeit-Stiftung geförderte Erschließung des Nachlasses von Christian Borchert in den Jahren 2003 und 2004 veranschaulicht, dass die digitale Verfügbarkeit von Bildbeständen sowohl Grundvoraussetzung für Quellenarbeit als auch Motor für vielfältige Forschungsfragen ist. Mittlerweile hat die Deutsche Fotothek vier Monografien herausgegeben, seine Familienporträts wurden allein in den vergangenen 15 Jahren in zwölf Ausstellungen gezeigt, zudem war Borchert Gegenstand eines von der Volkswagen-Stiftung geförderten Forschungsprojekts, das 2020 schließlich in der großen Retrospektive Christian Borchert. Tektonik der Erinnerung mündete.7 Aktuell artikuliert sich ein steigendes, auch internationales Interesse am Werk von Wolfgang G. Schröter, Pionier der Farbfotografie in der DDR, der beruflich eng mit dem VEB Film- und Chemiefaserwerk Agfa Wolfen verbunden war. 2014 wurden Positivarchiv der Deutschen Fotothek, 2023 (Foto: Christian Schmidt)
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