9 Vom Motiv zur Fotografie Hervorgegangen aus der 1924 gegründeten Sächsischen Landesbildstelle, einer Institution zur Versorgung von Bildungseinrichtungen mit Lehrmitteln, seit 1956 den Namen »Deutsche Fotothek« führend, hat sich das ab 1983 zur heutigen Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) gehörende Bildarchiv von einem lokalen Präsenzarchiv zu einer der bedeutendsten Einrichtungen ihrer Art in Europa entwickelt.1 Im Portal www.deutschefotothek.de, das mittlerweile jährlich mehr als 500 000 Besucher:innen verzeichnen kann, sind heute rund 2,4 Millionen Aufnahmen aus dem eigenen Bestand sowie aus den Sammlungen zahlreicher Partnerinstitutionen online und frei zugänglich recherchierbar. Der Aufbau der Sammlung ist in den zurückliegenden Jahrzehnten konsequent vorangetrieben worden, die Art und Weise des Bestandsaufbaus jedoch war mehrfach grundlegenden Veränderungen unterworfen. Insbesondere das Verhältnis von eigener Aufnahmetätigkeit, die bis ins Jahr 1926 zurückreicht, zur vermehrten Übernahme externer Bestände ab den 1980er-Jahren hat eine starke Wandlung bis hin zur weitgehenden Einstellung der eigenen Dokumentationstätigkeit erlebt. Der rasante Wandel gerade der vergangenen Jahre ist das Ergebnis einer seit 2004 konsequent vorangetriebenen Bestandsdigitalisierung einerseits und einer veränderten Sammlungspolitik andererseits.2 Letztere fokussiert heute zum einen auf Archive von Akteur:innen der Fotografie, den eingangs benannten »Positionen«, wobei dieser Ansatz retrospektiv auch den Blick auf die historischen Sammlungsbestände verändert, wenn etwa der erste angestellte Fotograf der Fotothek, Walter Möbius, heute als Bildautor mit eigener Handschrift gilt und nicht mehr allein als Produzent von Bildmotiven. Vor allem aber ist das fotografische Bild, das vormals schlicht als visueller Beleg architektonischer, bildkünstlerischer oder technischer Artefakte und historischer Ereignisse befragt wurde, zum eigenständigen Gegenstand innerhalb eines interdisziplinär ausgerichteten Forschungsfelds geworden, das Methoden und Fragestellungen der Bildwissenschaft, Fototheorie, Kunstgeschichte, Geschichte, Soziologie und Ethnologie umfasst. Fotografien als eigenständige Objekte zu betrachten, ist nicht zuletzt auch eine Reaktion auf den grundlegenden Medienwandel, der die analoge Fotografie zu einem von Verlust bedrohten Kulturgut werden lässt: Negative, Diapositive und fotografische Abzüge haben vielerorts ihre Funktion verloren, Pressearchive und private Bildarchive werden aufgelöst; Festplatten, Datenbanken und Clouds sind die Speicher immaterieller, digitaler Bilder. An der Wende von der analogen zur digitalen Fotografie droht die Vernichtung bedeutender Zeugnisse der Eingang der SLUB Dresden mit Bannern zur Jubiläumsausstellung #MITTENDRIN, Januar 2024 (Foto: René Grodde)
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