Leseprobe

Christian von Alvensleben, geboren 1941 in München, und seine Frau Helga, geboren 1948 in Wedel, haben sich in perfekt eingespielter Zusammenarbeit als Allrounder erwiesen, die fließend zwischen Auftrag und freier Arbeit, zwischen Werbung und Mode, Reportage und Essay wechseln können. Sie haben es über Jahrzehnte verstanden, unabhängig von Erwartungen ihrer Auftraggeber:innen für jedes Projekt einen neuen Look zu entwickeln. Berühmtheit erlangte das Team durch weltweite Produktionen für Editorials und Werbung, vor allem in den Bereichen Architektur, Interieur, Mode, Beauty, Food, People, Stills und Transportation. Ihre Arbeiten erschienen u. a. in Architektur & Wohnen, Dance Magazine, Der Feinschmecker, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Geo, Max, Merian, Der Spiegel, Stern, Vanity Fair (USA), Vogue (Deutschland, Italien, Frankreich) oder Die Zeit. Seine ersten Fotos machte Christian von Alvensleben als Elfjähriger mit einer Kodak-Box aus einem US-Care-Paket. Als 18-jähriger Schüler traf er in den Sommerferien auf den jungen deutschen Schriftsteller Hubert Fichte, den er am 7. August 1960 in dessen Domizil in Montjustin fotografierte. Die Aufnahmen wurden 2005 in den Deichtorhallen Hamburg gezeigt und befinden sich heute in der Hubert-Fichte-Stiftung. Während eines längeren Aufenthalts in Mosambik auf den Besitzungen seines Onkels Werner von Alvensleben entstanden 1962 mit kritischem Blick beeindruckende Aufnahmen von der Großwildjagd, die 1993 auf der photokina unter dem Titel Die Spur des Leoparden / Kaliber .378 ausgestellt worden sind. Ab 1964 besuchte Alvensleben zunächst das Polytechnikum in London und wurde dann Assistent des Fotografen KarlHeinz von Ludwig (gen. Ali Khan/Khan von Ludwig) in München. Seit 1968 arbeitete er als selbstständiger Fotograf mit eigenem Studio in Hamburg-St. Georg. Zu seinen ersten großen Arbeiten gehörten 1969 die Bilder für die Printwerbung der SPD zur Bundestagswahl. Das bekannteste Motiv aus der Kampagne ist das Porträt eines weinenden Mädchens, Marianne ist sitzengeblieben, das die bessere Schulpolitik der SPD illustrieren sollte. Weltberühmt wurde 1972 sein Bild Der Sonnenschein einer nackten Vollschlanken mit Sonnenschirm am Strand für die Werbung des Filmherstellers Fuji. Im gleichen Jahr lernte Alvensleben Helga Rehberg, seine spätere Ehefrau, kennen, die nach einer Ausbildung im grafischen Gewerbe, die sie als Bundessiegerin abschloss, in der Brigitte-Redaktion bei Gruner & Jahr arbeitete. Die beiden wurden schnell privat und beruflich ein Paar. Sie verließ die Redaktion, um fortan gemeinsam mit Christian von Alvensleben zu arbeiten. Die Arbeitsabläufe wurden meist so eingerichtet, dass eine Woche Stills produziert und in der darauffolgenden Woche mit Models gearbeitet wurde, sodass Helga von Alvensleben genug Vorbereitungszeit hatte, um Styling und Setting zu entwickeln. Eines der bekanntesten Ergebnisse ihrer Arbeit ist der Camel-Mann: »Für die Zigarette Camel sollte eine Kleidung gefunden werden, die sich deutlich von der des Marlboro Cowboys unterscheidet, daraufhin habe ich khakifarbene Safari Kleidung vorgeschlagen, die dann jahrelang den Look bestimmte. Sogar Camel Kleidung gibt es seitdem (!) in speziellen Camel Shops« (Helga von Alvensleben, 2024). Neben Produktionen für Editorials und Werbung schufen Christian und Helga von Alvensleben zahlreiche Foto-Illustrationen für Bücher von Köch:innen und Genussmenschen wie Alfons Schuhbeck, Alfred Biolek, Christiane Herzog, Bruno Bruni und für Food in Vogue. Unter den zahlreichen Ausstellungs- und Buchprojekten sind das vielfach ausgezeichnete Werk Das Apokalyptische Menu, die zwischen 2000 und 2006 auf Rhodos fotografierten Götterbäume und die 2008/09 entstandene Serie ›all inclusive‹, die die Auswirkungen des Massentourismus auf Mensch und Natur kritisch reflektiert, hervorzuheben. Nicht zuletzt die 2003 begonnene Inszenierung von Zivilisationsmüll als MeeresFrüchte zeigt, wie sehr es Christian und Helga von Alvensleben gelingt, mit den Mitteln der Fotografie zugleich ästhetisch brillant und gesellschaftlich relevant zu beeindrucken. Regelmäßig waren beide auf Rhodos zu Gast, und bereits vor 20 Jahren begannen sie, an den einsamen Stränden der Insel die Reste angespülter Gebrauchsgegenstände aufzusammeln. Oft waren diese Objekte durch den Zersetzungsprozess des Salzwassers und die ständige Bewegung des Meeres zu bizarren Farb- und Formobjekten verfremdet. Wie kostbare Designerstücke im Studio inszeniert und mit modernster Technik analog fotografiert, verfehlen die Abfall- und Wegwerfprodukte einer übersättigten Konsumgesellschaft ihre Wirkung nicht: ein großer visueller Auftritt zwischen Faszination und Erschrecken. Schönheit wird bei Christian und Helga von Alvensleben zum Mittel der Aufklärung – was kann Fotografie Besseres leisten? Christian von Alvensleben wurde für sein Werk mit zahlreichen Preisen geehrt, allein vom deutschen Art Directors Club (ADC) erhielt er über 80 Auszeichnungen für Einzelarbeiten, darunter viele Goldmedaillen und sogar, für einen Fotografen ungewöhnlich, 1993 den Grand Prix. 2009 verlieh ihm der ADC die Auszeichnung für sein Lebenswerk. Christian und Helga von Alvensleben leben und arbeiten in Bad Oldesloe in der Nähe von Hamburg. JB 316 C. & H. VON ALVENSLEBEN Der Sonnenschein, 1972, Kunststoffdia, Mittelformat Cactus 01, 2011, Kunststoffnegativ, Großformat Feet Charles Schuhmann, 1996 Kunststoffnegativ, Großformat Modeaufnahme für Claudia Skoda, 1976, Kunststoffdia, Kleinbildformat Heinz Rudolf Kunze, 1983, Kunststoffdia, Mittelformat Shopping at Night, Los Angeles, 1985, Kunststoffdia, Mittelformat Flucht nach vorn, 1983, Kunststoffdia, Mittelformat

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