8 Jens Bove | Agnes Matthias 100 Jahre Deutsche Fotothek sind 100 Jahre Entwicklung und Veränderung: 1924 als Sächsische Landesbildstelle gegründet, haben Namen und Standorte gewechselt, Erwerbungs- und Sammlungsprofile wurden geschärft, Funktionen und Aufgaben haben sich mit neuen inhaltlichen und technischen Anforderungen gewandelt. Heute steht die Deutsche Fotothek mit dem Archiv der Fotografen für die Sicherung und Aktivierung von bedeutenden Zeugnissen der analogen und digitalen Fotografie durch Online-Präsentation, Ausstellungen und Publikationen. Sie versteht sich als Ort für die Bewahrung, Erforschung und Vermittlung des fotografischen Erbes in Deutschland. Das Jubiläum wird 2024 mit zahlreichen Ausstellungen und Veranstaltungen gefeiert; der Wunsch, etwas zu schaffen, das über das Jahr hinaus Bestand hat, ist Motivation für diese Publikation. 100 Jahre – 100 Positionen bietet einen reich illustrierten Zugang zur Sammlung der Deutschen Fotothek mit Fokus auf dem Archiv der Fotografen. 100 fotografische Handschriften werden mit Texten und Bildstrecken ausführlich vorgestellt, um Einblick in das Werk von Fotograf:innnen zu geben, deren Archive sich als Vor- und Nachlässe in Dresden befinden. Die Auswahl zeigt das breite Spektrum dessen, was Fotografie ist: Dokumentation, Kunst, Reportage, Werbung, Forschung oder Experiment. Zugleich veranschaulicht sie die bewegte Sammlungsgeschichte. Die Positionen werden, 1926 beginnend, nach Zugangsjahr präsentiert, sodass sich die Entwicklung der Sammlung und die Herausbildung inhaltlicher Schwerpunkte zu bestimmten Zeiten und nicht zuletzt ein Ausblick auf Zukünftiges darin widerspiegeln. Langfristige erwerbungsstrategische Überlegungen werden ebenso ablesbar wie das zufallsbedingte glückliche Momentum. Diese Systematik wider die Chronologie der Entstehung der Fotografien ermöglicht überraschende und assoziationsreiche Bildbegegnungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Ost und West, zwischen Nah und Fern, zwischen den fotografischen Genres, zwischen professioneller Fotografie und dem Amateurbereich, zwischen bekannten Namen und lohnenden Entdeckungen. Ein Dresdner Fotograf des späten 19. Jahrhunderts wie Freimund Edlich trifft unmittelbar auf Matthias Blumhagen, Jahrgang 1951, der augenzwinkernd als »letzter Fotograf des 18. Jahrhunderts« beschrieben wurde. Erasmus Schröters gesellschaftskritische Beobachtungen des DDR-Alltags stoßen direkt auf Rudi Meisels zeitgleich entstandene Momentaufnahmen aus dem Ruhrgebiet; die kühle, neusachlich inszenierte Produktwelt der 1930er-Jahre eines Hein Gorny auf Barbara Metselaar Bertholds Bilder der 1980er-Jahre voll emotionaler Intensität. Die verschiedenen fotografischen Genres fügen sich zu einem abwechslungsreichen Bildparcours durch 150 Jahre Fotografiegeschichte: Klassiker der Dresdner Fotografie wie Walter Hahn oder Richard Peter sen. treffen auf Modefotografinnen wie Evelyn Krull und Susan Lamèr oder auf Werbeaufnahmen von Christian von Alvensleben und Jacques Schumacher. Engagierte Bildjournalist:innen wie Fritz Eschen, Martin Langer und Gaby Sommer begegnen Jazzporträts von Matthias Creutziger oder Architekturfotografien von Reinhart Wolf, die Bordfotografien von Oswald Lübeck und Franz Grasser kontrastieren mit Tierfotografien von Käthe Hecht und Rudolf Zimmermann oder Bühnenfotos von Abraham Pisarek und Ursula Richter. Den Werken berühmter Exponenten ost- und westdeutscher Autorenfotografie wie Christian Borchert, Norbert Vogel, Jürgen Matschie, Burkhard Jüttner und Dirk Reinartz werden bewusst Neuentdeckungen wie Michael Tank, die radikal subjektive Fotokunst von Peter Ursinus oder das jüngst wiederentdeckte Œuvre von Ingolf Thiel an die Seite gestellt. Ergänzt um eine umfassende Chronologie, um Informationen zu Art und Umfang der Archive der ausgewählten 100 Fotograf:innen sowie zu Ausstellungs- und Publikationsaktivitäten der Deutschen Fotothek will diese Publikation dazu beitragen, eines der größten deutschen Bildarchive, einen gewaltigen, stetig anwachsenden Bildspeicher für bereits mehr als sieben Millionen Fotografien, pars pro toto als essenziellen Bestandteil des kollektiven visuellen Gedächtnisses erlebbar zu machen. Die Deutsche Fotothek als Archiv der Fotografen 1 Vgl. den Text von Simone Fleischer in diesem Band, S. 20–30. Wolfgang Hesse: Kontinuitäten und Brüche in den Sammlungen der Deutschen Fotothek, in: Bibliotheken, Bücher und andere Medien in der Zeit des Kalten Krieges (Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens, Bd. 40), hg. von Peter Vodosek/Wolfgang Schmitz, Wiesbaden 2005, S. 173–196. 2 Eine detaillierte Darstellung findet sich in: Karolin Schmahl: Bildpolitik. Erwerbungs- und Erschließungsstrategien der Deutschen Fotothek, in: Arbeiter | Kultur | Geschichte. Arbeiterfotografie der Weimarer Republik im Museum (Bausteine aus dem Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde, Bd. 37), hg. von Wolfgang Hesse/Holger Starke, Leipzig 2017, S. 411–436.
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