Leseprobe

Sandstein Verlag Herausgegeben von Jens Bove, Simone Fleischer und Agnes Matthias

1 D E U T S C H E F O T O T H E K

INHALTSVERZEICHNIS 6 Grußwort Katrin Stump 7 Grußwort Anna Gripp 8 100 Jahre – 100 Positionen Die Deutsche Fotothek als Archiv der Fotografen Jens Bove Agnes Matthias 20 Alles fürs Auge! Zur Geschichte der Deutschen Fotothek Simone Fleischer 32 100 POSI TIONEN 573 Bestandsinformation 592 Publikationen 598 Ausstellungen 600 Impressum

8 Jens Bove | Agnes Matthias 100 Jahre Deutsche Fotothek sind 100 Jahre Entwicklung und Veränderung: 1924 als Sächsische Landesbildstelle gegründet, haben Namen und Standorte gewechselt, Erwerbungs- und Sammlungsprofile wurden geschärft, Funktionen und Aufgaben haben sich mit neuen inhaltlichen und technischen Anforderungen gewandelt. Heute steht die Deutsche Fotothek mit dem Archiv der Fotografen für die Sicherung und Aktivierung von bedeutenden Zeugnissen der analogen und digitalen Fotografie durch Online-Präsentation, Ausstellungen und Publikationen. Sie versteht sich als Ort für die Bewahrung, Erforschung und Vermittlung des fotografischen Erbes in Deutschland. Das Jubiläum wird 2024 mit zahlreichen Ausstellungen und Veranstaltungen gefeiert; der Wunsch, etwas zu schaffen, das über das Jahr hinaus Bestand hat, ist Motivation für diese Publikation. 100 Jahre – 100 Positionen bietet einen reich illustrierten Zugang zur Sammlung der Deutschen Fotothek mit Fokus auf dem Archiv der Fotografen. 100 fotografische Handschriften werden mit Texten und Bildstrecken ausführlich vorgestellt, um Einblick in das Werk von Fotograf:innnen zu geben, deren Archive sich als Vor- und Nachlässe in Dresden befinden. Die Auswahl zeigt das breite Spektrum dessen, was Fotografie ist: Dokumentation, Kunst, Reportage, Werbung, Forschung oder Experiment. Zugleich veranschaulicht sie die bewegte Sammlungsgeschichte. Die Positionen werden, 1926 beginnend, nach Zugangsjahr präsentiert, sodass sich die Entwicklung der Sammlung und die Herausbildung inhaltlicher Schwerpunkte zu bestimmten Zeiten und nicht zuletzt ein Ausblick auf Zukünftiges darin widerspiegeln. Langfristige erwerbungsstrategische Überlegungen werden ebenso ablesbar wie das zufallsbedingte glückliche Momentum. Diese Systematik wider die Chronologie der Entstehung der Fotografien ermöglicht überraschende und assoziationsreiche Bildbegegnungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Ost und West, zwischen Nah und Fern, zwischen den fotografischen Genres, zwischen professioneller Fotografie und dem Amateurbereich, zwischen bekannten Namen und lohnenden Entdeckungen. Ein Dresdner Fotograf des späten 19. Jahrhunderts wie Freimund Edlich trifft unmittelbar auf Matthias Blumhagen, Jahrgang 1951, der augenzwinkernd als »letzter Fotograf des 18. Jahrhunderts« beschrieben wurde. Erasmus Schröters gesellschaftskritische Beobachtungen des DDR-Alltags stoßen direkt auf Rudi Meisels zeitgleich entstandene Momentaufnahmen aus dem Ruhrgebiet; die kühle, neusachlich inszenierte Produktwelt der 1930er-Jahre eines Hein Gorny auf Barbara Metselaar Bertholds Bilder der 1980er-Jahre voll emotionaler Intensität. Die verschiedenen fotografischen Genres fügen sich zu einem abwechslungsreichen Bildparcours durch 150 Jahre Fotografiegeschichte: Klassiker der Dresdner Fotografie wie Walter Hahn oder Richard Peter sen. treffen auf Modefotografinnen wie Evelyn Krull und Susan Lamèr oder auf Werbeaufnahmen von Christian von Alvensleben und Jacques Schumacher. Engagierte Bildjournalist:innen wie Fritz Eschen, Martin Langer und Gaby Sommer begegnen Jazzporträts von Matthias Creutziger oder Architekturfotografien von Reinhart Wolf, die Bordfotografien von Oswald Lübeck und Franz Grasser kontrastieren mit Tierfotografien von Käthe Hecht und Rudolf Zimmermann oder Bühnenfotos von Abraham Pisarek und Ursula Richter. Den Werken berühmter Exponenten ost- und westdeutscher Autorenfotografie wie Christian Borchert, Norbert Vogel, Jürgen Matschie, Burkhard Jüttner und Dirk Reinartz werden bewusst Neuentdeckungen wie Michael Tank, die radikal subjektive Fotokunst von Peter Ursinus oder das jüngst wiederentdeckte Œuvre von Ingolf Thiel an die Seite gestellt. Ergänzt um eine umfassende Chronologie, um Informationen zu Art und Umfang der Archive der ausgewählten 100 Fotograf:innen sowie zu Ausstellungs- und Publikationsaktivitäten der Deutschen Fotothek will diese Publikation dazu beitragen, eines der größten deutschen Bildarchive, einen gewaltigen, stetig anwachsenden Bildspeicher für bereits mehr als sieben Millionen Fotografien, pars pro toto als essenziellen Bestandteil des kollektiven visuellen Gedächtnisses erlebbar zu machen. Die Deutsche Fotothek als Archiv der Fotografen 1 Vgl. den Text von Simone Fleischer in diesem Band, S. 20–30. Wolfgang Hesse: Kontinuitäten und Brüche in den Sammlungen der Deutschen Fotothek, in: Bibliotheken, Bücher und andere Medien in der Zeit des Kalten Krieges (Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens, Bd. 40), hg. von Peter Vodosek/Wolfgang Schmitz, Wiesbaden 2005, S. 173–196. 2 Eine detaillierte Darstellung findet sich in: Karolin Schmahl: Bildpolitik. Erwerbungs- und Erschließungsstrategien der Deutschen Fotothek, in: Arbeiter | Kultur | Geschichte. Arbeiterfotografie der Weimarer Republik im Museum (Bausteine aus dem Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde, Bd. 37), hg. von Wolfgang Hesse/Holger Starke, Leipzig 2017, S. 411–436.

9 Vom Motiv zur Fotografie Hervorgegangen aus der 1924 gegründeten Sächsischen Landesbildstelle, einer Institution zur Versorgung von Bildungseinrichtungen mit Lehrmitteln, seit 1956 den Namen »Deutsche Fotothek« führend, hat sich das ab 1983 zur heutigen Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) gehörende Bildarchiv von einem lokalen Präsenzarchiv zu einer der bedeutendsten Einrichtungen ihrer Art in Europa entwickelt.1 Im Portal www.deutschefotothek.de, das mittlerweile jährlich mehr als 500 000 Besucher:innen verzeichnen kann, sind heute rund 2,4 Millionen Aufnahmen aus dem eigenen Bestand sowie aus den Sammlungen zahlreicher Partnerinstitutionen online und frei zugänglich recherchierbar. Der Aufbau der Sammlung ist in den zurückliegenden Jahrzehnten konsequent vorangetrieben worden, die Art und Weise des Bestandsaufbaus jedoch war mehrfach grundlegenden Veränderungen unterworfen. Insbesondere das Verhältnis von eigener Aufnahmetätigkeit, die bis ins Jahr 1926 zurückreicht, zur vermehrten Übernahme externer Bestände ab den 1980er-Jahren hat eine starke Wandlung bis hin zur weitgehenden Einstellung der eigenen Dokumentationstätigkeit erlebt. Der rasante Wandel gerade der vergangenen Jahre ist das Ergebnis einer seit 2004 konsequent vorangetriebenen Bestandsdigitalisierung einerseits und einer veränderten Sammlungspolitik andererseits.2 Letztere fokussiert heute zum einen auf Archive von Akteur:innen der Fotografie, den eingangs benannten »Positionen«, wobei dieser Ansatz retrospektiv auch den Blick auf die historischen Sammlungsbestände verändert, wenn etwa der erste angestellte Fotograf der Fotothek, Walter Möbius, heute als Bildautor mit eigener Handschrift gilt und nicht mehr allein als Produzent von Bildmotiven. Vor allem aber ist das fotografische Bild, das vormals schlicht als visueller Beleg architektonischer, bildkünstlerischer oder technischer Artefakte und historischer Ereignisse befragt wurde, zum eigenständigen Gegenstand innerhalb eines interdisziplinär ausgerichteten Forschungsfelds geworden, das Methoden und Fragestellungen der Bildwissenschaft, Fototheorie, Kunstgeschichte, Geschichte, Soziologie und Ethnologie umfasst. Fotografien als eigenständige Objekte zu betrachten, ist nicht zuletzt auch eine Reaktion auf den grundlegenden Medienwandel, der die analoge Fotografie zu einem von Verlust bedrohten Kulturgut werden lässt: Negative, Diapositive und fotografische Abzüge haben vielerorts ihre Funktion verloren, Pressearchive und private Bildarchive werden aufgelöst; Festplatten, Datenbanken und Clouds sind die Speicher immaterieller, digitaler Bilder. An der Wende von der analogen zur digitalen Fotografie droht die Vernichtung bedeutender Zeugnisse der Eingang der SLUB Dresden mit Bannern zur Jubiläumsausstellung #MITTENDRIN, Januar 2024 (Foto: René Grodde)

10 über 180-jährigen Geschichte des Mediums. Angesichts dieser Gefahr zählen die Erhaltung, die fachgerechte Archivierung und die Präsentation der Lebenswerke deutscher Fotograf:innen derzeit zu den wichtigsten Aufgaben von Gedächtnisinstitutionen wie der Deutschen Fotothek. Bereits 2012 entwickelte die Deutsche Fotothek gemeinsam mit der Stiftung F. C. Gundlach in Hamburg mit dem Archiv der Fotografen eine Perspektive für eine verlässliche und dauerhafte Zukunft von Fotograf:innenarchiven jenseits einer damals noch in weiter Ferne scheinenden, auf Bundesebene angesiedelten Großinstitution, wie sie nun für Düsseldorf in Planung ist. Das Konzept umfasst nicht nur Beratung zu Erhalt, fachgerechter Archivierung und Präsentation fotografischer Werke und Nachlässe, sondern auch eine virtuelle Plattform auf der Website der Deutschen Fotothek, auf der über die eigene Sammlung hinaus auch Bestände zahlreicher Partnereinrichtungen präsentiert werden.3 Bewahren und Erschließen Vor allem aber ist das Archiv der Fotografen ein physischer, an der Deutschen Fotothek in Dresden angesiedelter Ort zur Bewahrung von bedeutenden Fotograf:innenarchiven. Die Akquise erfolgt gemäß definierter Erwerbungskriterien. Viele der einer Entscheidung für oder gegen die Übernahme eines fotografischen Nachlasses zugrunde liegenden Kriterien sind naturgemäß jedoch weich, und sie unterliegen stetiger Veränderung. Im Fokus stehen deutsche oder in Deutschland tätige Fotograf:innen von nationaler Bedeutung – aufgrund ihres individuellen künstlerischen oder fotografiegeschichtlichen Rangs, wegen des dokumentarischen Wertes ihres Œuvres oder infolge ihrer gattungs- oder genrespezifisch exemplarischen Bedeutung. Die Relevanz eines Nachlasses für künftige Forschung kann in Kenntnis oder Prognose kurz- oder mittelfristig wirksamer Trends beurteilt werden, doch objektivierbare Aussagen über den langfristigen Stellenwert fotografischer Konvolute sind vorab letztlich nicht zu leisten. Die Praxis zeigt, dass Archive mitunter erst Jahrzehnte nach ihrer Erwerbung in den Fokus wissenschaftlicher Aufmerksamkeit rücken. Beispielhaft genannt seien hier die in den 1980er-Jahren aufgrund politischer Vorgaben von der Deutschen Fotothek erworbenen, damals jedoch kaum erschlossenen Nachlässe von Arbeiterfotografen wie Kurt Beck, Hans Bresler und Erich Meinhold. Die in der KPD-nahen Vereinigung der Arbeiter-Fotografen Deutschlands aktiven Amateurfotograf:innen hielten im Aufbruch der Medienmoderne während der 1920er-Jahre erstmals ihr beengtes Lebensumfeld und den Kampf der Arbeiterbewegung fest. Erst im Rahmen des DFG-Projekts Das Auge des Arbeiters. Untersuchungen zur proletarischen Amateurfotografie der Weimarer Republik am Beispiel Sachsens des Instituts für Sächsische Geschichte und Volkskunde in Dresden wurden diese und weitere Bestände zur Arbeiterfotografie in Sachsen unter Beteiligung der Deutschen Fotothek von 2009 bis 2012 digitalisiert, erschlossen sowie unter fotohistorischen und sozialgeschichtlichen Leitfragen erforscht. Neben zwei Tagungen und zahlreichen Veröffentlichungen mündete das Projekt in die Wanderausstellung Das Auge des Arbeiters, die 2015 auch im Stadtmuseum Dresden zu sehen war.4 Resultierend aus dem Projekt waren die bis zu ihrer Digitalisierung vollkommen unbekannten Aufnahmen Hans Breslers aus der Deutschen Fotothek 2011 in einer großen Retrospektive zur Arbeiterfotografie in Madrid zu sehen sowie in der Ausstellung Subjective Objective. A Century of Social Photography in New Jersey. Inzwischen zählen sie zum Kanon der internationalen Arbeiterfotografie.5 Der ebenfalls in der Dresdner Ausstellung vertretene Fotograf und Bildjournalist Richard Peter sen. hatte seine fotografische Tätigkeit in den 1920er-Jahren auch als Arbeiterfotograf begonnen, gelangte dann aber vor allem durch seine Aufnahmen des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Dresden zu internationalem Ansehen. Im Rahmen eines Programms der Kulturstiftung des Bundes und der Kulturstiftung der Länder zur Konservierung und Restaurierung von gefährdetem mobilem Kulturgut (KUR) konnte der gesamte Nachlass digital gesichert und in der Bilddatenbank der Deutschen Fotothek publiziert werden. Seither wurden neben einer Dissertation zu seinem berühmtesten Bildband Dresden – eine Kamera klagt an zahlreiche Aufsätze und Beiträge zu unterschiedlichsten Aspekten seines fotografischen Schaffens sowie eine Monografie publiziert, außerdem eine umfangreiche Ausstellung mit Begleitpublikation erarbeitet.6 Auch die von der Zeit-Stiftung geförderte Erschließung des Nachlasses von Christian Borchert in den Jahren 2003 und 2004 veranschaulicht, dass die digitale Verfügbarkeit von Bildbeständen sowohl Grundvoraussetzung für Quellenarbeit als auch Motor für vielfältige Forschungsfragen ist. Mittlerweile hat die Deutsche Fotothek vier Monografien herausgegeben, seine Familienporträts wurden allein in den vergangenen 15 Jahren in zwölf Ausstellungen gezeigt, zudem war Borchert Gegenstand eines von der Volkswagen-Stiftung geförderten Forschungsprojekts, das 2020 schließlich in der großen Retrospektive Christian Borchert. Tektonik der Erinnerung mündete.7 Aktuell artikuliert sich ein steigendes, auch internationales Interesse am Werk von Wolfgang G. Schröter, Pionier der Farbfotografie in der DDR, der beruflich eng mit dem VEB Film- und Chemiefaserwerk Agfa Wolfen verbunden war. 2014 wurden Positivarchiv der Deutschen Fotothek, 2023 (Foto: Christian Schmidt)

11 rund 50 000 Negative und Diapositive zusammen mit zahlreichen Arbeitsabzügen, Belegexemplaren, der Handbibliothek und biografischen Dokumenten von der Deutschen Fotothek übernommen. Insbesondere Schröters Aufnahmen für die Industrie gewinnen heute im Kontext wirtschaftlicher Transformation und Umweltfragen an Relevanz und werden neu befragt.8 Sein Beitrag zur Etablierung der Farbfotografie zwischen angewandter und avantgardistisch-experimenteller Fotografie wurde jüngst im Rahmen des Ausstellungsprogramms zum 100-jährigen Jubiläum der Fotothek in der Präsentation #BUNT gewürdigt.9 Bereits seit 2005 befindet sich das Negativarchiv des Meißner Postkartenverlags Brück & Sohn mit digital erschlossenen 26 000 Glasplatten und Planfilmen im Bestand. Knapp 20 Jahre später entdeckte die Redaktion des ungarischen Bildarchivs Fortepan auf der Fotothekswebsite rund 500 Motive mit Ansichten von Budapest um 1900 als bis dato unbekannte Bildquelle zur Stadtgeschichte. 2023/24 wurde eine umfangreiche Auswahl anlässlich des 150. Stadtjubiläums in einer großen Ausstellung in der ungarischen Nationalgalerie gezeigt.10 An Beispielen wie diesen lässt sich ablesen, dass die Rezeption fotografischer Nachlässe und Archive nicht nur von sich verändernden Forschungsfragen abhängig ist, sondern wesentlich auch von deren Sichtbarkeit, Zugänglichkeit und Benutzbarkeit. Diese basieren seit Anfang der 2000er-Jahre auf der forcierten Digitalisierung, die unabdingbare Voraussetzung für standortunabhängige Recherchen und Zugriffe ist. Neben einer quantitativen Steigerung der bearbeiteten Mengen haben sich seither vor allem die Parameter der inhaltlichen Erschließung und Katalogisierung verändert, um dem vollzogenen Wandel im Selbstverständnis der Fotothek von einer MotivAusstellungsansicht Budapest. The First Golden Age, Ungarische Nationalgalerie Budapest, 2023/24 (Foto: Ungarische Nationalgalerie Budapest) 3 Zu Strategien und Zielen vgl. auch: Jens Bove/Karolin Schmahl: Fotografische Nachlässe. Sammlungs- und Aktivierungsstrategien am Beispiel des Archivs der Fotografen in der Deutschen Fotothek, in: Zeithistorische Forschungen (2015), Nr. 2, S. 336–334 [OnlineAusgabe]. Zu Konzept und Gründung des Archivs der Fotografen vgl. auch: Jens Bove/Sebastian Lux: Zukunft für Fotografenarchive. Das Archiv der Fotografen in der Deutschen Fotothek, in: Der Gang der Dinge. Welche Zukunft haben photographische Archive und Nachlässe?, hg. von Christiane E. Fricke für die Deutsche Gesellschaft für Photographie (DGPh), Oldenburg 2014, S. 15–23. 4 Vgl. Die Eroberung der beobachtenden Maschinen. Erforschung, Erschließung und Erhaltung sozialdokumentarischer Fotografie zwischen 1920 und 1960, Tagungsband, hg. von Wolfgang Hesse, Leipzig 2012; Das Auge des Arbeiters. Arbeiterfotografie und Kunst um 1930, Ausst.-Kat. Kunstsammlungen Zwickau/Käthe Kollwitz Museum, Köln/Stadtmuseum Dresden, hg. von Wolfgang Hesse, Leipzig 2014. 5 A Hard, Merciless Light. The Worker Photography Movement, 1926–1939, Ausst.-Kat. Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid 2011; Subjective Objective. A Century of Social Photography, Ausst.-Kat. Zimmerli Art Museum at Rutgers University, New Jersey 2018. 6 1945 – Köln und Dresden. Fotografien von Hermann Claasen und Richard Peter sen., Ausst.-Kat. LVRLandesMuseum Bonn/Stadtmuseum Dresden, hg. von LVR-LandesMuseum Bonn/Deutsche Fotothek/Stadtmuseum Dresden, Bonn 2015. 7 Vgl. das Ausstellungsverzeichnis in diesem Band, S. 598–599. 8 Vgl. z. B. die Ausstellung Fortschritt als Versprechen. Industriefotografie im geteilten Deutschland im Deutschen Historischen Museum Berlin, 2023. 9 Vgl. Ausstellungsverzeichnis (wie Anm. 7). 10 Vgl. Budapest. The First Golden Age. Stereograms and Postcard Images from the Collections of Fortepan and Deutsche Fotothek, Ausst.-Kat. Ungarische Nationalgalerie, Budapest 2023.

20 Simone Fleischer 18.März 1924 Gründung des Sächsischen Landesverbands zur Förderung des Bild- und Filmwesens e.V. in Chemnitz 8.Oktober 1924 Verordnung zur Errichtung einer Sächsischen Landesbildstelle 6.November 1924 Unterzeichnung einer Vereinbarung zwischen dem Sächsischen Ministerium für Volksbildung und dem Landesverband 7.Juni 1925 Umzug nach Dresden in die Große Meißner Straße 15 1926 Umzug in die ehemalige Tierärztliche Hochschule Dresden, Zirkusstraße 38 1. April 1926 Einstellung von Walter Möbius als Fotograf der Sächsischen Landesbildstelle 31.März 1931 Auflösung des Vereins 1.April 1931 Überführung der Sächsischen Landesbildstelle in eine rechtsfähige Stiftung Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sich die Fotografie zu einem Medium entwickelt, das im Alltag, in der Unterhaltungskultur, in Magazinen und im Publikationswesen längst angekommen war. In den 1920er-Jahren entdeckten, nach anfänglicher Skepsis, auch engagierte Pädagog:innen das Potenzial der Fotografie für schulische und bildungspolitische Zwecke. Die Einrichtung von Bildstellen als Vermittler geeigneter und geprüfter Aufnahmen für den schulischen Unterricht war die logische Konsequenz, so auch in Sachsen, wo sich eine Gruppe von Lehrer:innen zusammenfand, die, den Zielen der Lichtbildbewegung verpflichtet, am 18. Mai 1924 in Chemnitz den Sächsischen Landesverband zur Förderung des Bild- und Filmwesens e. V. gründete. Die anfänglichen Ziele des Verbands lassen sich, wenngleich nicht ganz ohne Vorarbeit anderer Initiativen, dennoch wohl am treffendsten als Grundlagenarbeit auf dem noch jungen Gebiet des Einsatzes fotografischer Projektionsmedien im schulischen Kontext bezeichnen.1 So war die »Einführung seiner Mitglieder in das Wesen von Bild und Film sowie in den Gebrauch der zu ihrer Anwendung nötigen technischen Hilfsmittel« ebenso Arbeitsziel des Vereins wie die Gründung affiliierter Bildstellen in Städten und Gemeinden, mit deren Leitern »allgemeine methodische und organisatorische Grundsätze« erarbeitet werden sollten. Darüber hinaus war das »Hinwirken auf die Errichtung einer staatlichen Landesbildstelle« zentrales Anliegen des Vereins.2 Vom Freistaat getragen, sollte sie als vermittelnde Stelle aller, auch gesetzlich zu regelnder Belange der schulischen Lichtbildarbeit in Sachsen fungieren. Der aus heutiger Sicht sicher wichtigste und weitsichtigste in der Satzung verankerte Punkt aber war das »Einrichten und Unterhalten eines Bildarchives (Landesbildstelle) mit Bildern und Filmen«, in dem in Zusammenarbeit mit Einrichtungen der Denkmalpflege, Museen sowie mit »Berufs- und Liebhaberphotographen« Lichtbilder und Abzüge von »im Land vorhandenen Negativen« zusammengeführt werden sollten. Ergänzt werden sollte dieser Bestand durch einen »Verleihstock von Bildern und Filmen im Dienste der Schulen und volksbildenden Einrichtungen«.3 Es ist stark zu vermuten, dass der Vorschlag zur Einrichtung eines fotografischen Bildarchivs nicht unwesentlich auf Idee und Initiative des Gründungsmitglieds und Vorstandsvorsitzenden Fritz Schimmer (1882–1967) zurückging. Der promovierte Zoologe und passionierte Hobbyfotograf sollte in den folgenden Jahren zum treibenden Motor des Bildstellenwesens in Sachsen und darüber hinaus werden. Schon im ersten halben Jahr nach Gründung gelang ihm ein erster entscheidender Schritt zur Erfüllung der Vereinsziele. Mit der Anordnung der Einrichtung einer Geschäftsstelle des Landesverbands unter dem Namen Sächsische Landesbildstelle durch das Volksbildungsministerium am 8. Oktober 1924 wurden für ein dauerhaftes staatliches Engagement erste entscheidende Weichen gestellt.4 Einen Monat später, am 6. November 1924, wurde ein Vertrag unterzeichnet, in dem sich die schon in der Vereinssatzung formulierten Aufgaben wiederfanden: Beratung in »allen Fragen der Verwendung des stehenden und laufenden Lichtbildes« für Ministerium und Bildungseinrichtungen, Einrichtung von Bezirksbildstellen sowie Sammlung von »Bildern und Filmen, namentlich solcher, die die Kenntnis der Heimat vermitteln«.5 Der Landesverein fungierte fortan als rechtlicher Träger der Sächsischen Landesbildstelle, die das operative Geschäft übernahm, während er selbst beratende Funktion hatte und Netzwerkarbeit in der sächsischen Lehrerschaft betrieb.6 Die Geschäftsstelle unterstand dem Volksbildungsministerium, das für den Unterhalt finanzielle Beihilfen bereitstellte.7 Anfänglich in Schimmers Privatwohnung in Chemnitz, »in einem 12 Quadratmeter großen Abstellraum«,8 untergebracht, zog die Bildstelle im Juni 1925 nach Dresden,9 zunächst in die Große Meißner Straße, binnen Jahresfrist in angemessene Räumlichkeiten in der Zirkusstraße.10 Nicht ohne Stolz schrieb Schimmer im Bildwart, Zur Geschichte der Deutschen Fotothek

21 dem Publikationsmedium der Lichtbildbewegung: »Wir atmeten, als wir aus unseren kleinen drei Räumen in Dresden-Neustadt in dieses helle, uns froh und arbeitsfreudig stimmende Heim einzogen, wirklich auf [...].«11 Wesentlicher Bestandteil der nun im Auftrag des Ministeriums gestalteten und zentral koordinierten schulischen Lichtbildarbeit im Freistaat war die Arbeit am Bild, sollten die Schulen doch mit geeignetem und geprüftem Bildmaterial versorgt werden. Der Aufbau einer Sammlung, aus der heraus Bildreihen zusammengestellt und verliehen, aber auch einzelnen Anfragen Genüge getan werden konnte, war Grundlage aller Aktivitäten. Schon früh dachte Schimmer in diesem Punkt im großen Maßstab. Allein auf das Angebot von Lichtbildverlagen, deren Motivspektrum den allgemeinen Bedarf zwar hätte abdecken können, das ästhetisch und technisch aber nicht selten unbefriedigend war, konnte und wollte er sich nicht verlassen.12 Seine Vorstellung einer adäquaten Sammlung formulierte er 1927 als ein »Deutsche[s] Bildmuseum[], das nach dem Vorbild der deutschen Bibliothek nichts zutun hätte, als das ungeheure photographische Urkundenmaterial Deutschlands [gemeint sind Negative, A. d. V.] wissenschaftlich zu sammeln und systematisch zu katalogisieren«.13 Wohl wissend, dass diese Vision nur schwer zu verwirklichen wäre, hielt er dennoch an der Idee einer systematischen Bildersammlung fest und suchte sie in der Landesbildstelle mit den zur Verfügung stehenden Mitteln umzusetzen. Es wurde ein Negativarchiv eingerichtet, in dem aktiv fotografische Bildzeugnisse gesammelt wurden. Einerseits diente dieses Archiv ganz praktisch als ergänzendes Motivreservoire für die Lichtbildsammlung, aus der heraus Diareihen zusammengestellt wurden, die von Schulen und Bezirksbildstellen angekauft oder ausgeliehen werden konnten. Andererseits ging der Ausbau des Archivs in seiner systematischen landeskundlichen Anlage weit über die Bedürfnisse pädagogischer Lichtbildarbeit hinaus. In den ersten zweieinhalb Jahren wuchs die Sammlung, vorrangig durch Ankauf und durch im Auftrag der Bildstelle entstandene Fotografien, auf »über 6 000 eigene, wertvolle Aufnahmen der besten Photographen des Landes«14 an. Darüber hinaus versprach die Einrichtung einer eigenen fotografischen Werkstatt noch mehr Flexibilität sowohl im Produzieren geeigneter Motive als auch für die weitere Auswertung der Aufnahmen. Nach eigener Aussage wartete Schimmer »zwei volle Jahre«, bevor ihm ein geeigneter Kandidat für den Posten eines Hausfotografen empfohlen wurde:15 Walter Möbius (1900–1959), gelernter Fotograf und Xylograf, gerade 26 Jahre alt, wurde am 1. April 1926 eingestellt. In den folgenden 33 Jahren prägte er den Sammlungsbestand mit rund 100 000 eigenen Aufnahmen wie kaum ein Zweiter. Seine Einstellung markierte den Beginn einer professionellen Fotowerkstatt, mit der die Landesbildstelle über den Bestandsaufbau hinaus mit ihrem Archiv aktiv arbeiten und die gesammelten Aufnahmen für eigene Zwecke und die der Kundschaft dienstbar machen konnte. Ende des Jahrzehnts war die Belegschaft auf rund 20 Personen angewachsen und die Landesbildstelle zu einer höchst erfolgreichen Einrichtung geworden.16 Die Mitgliederzahl des Vereins stieg ebenso stetig wie der Leihbetrieb für Dias und Filme. Durch Beratung und Lehrgänge wurden immer mehr Schulen in die Lage versetzt, das Lichtbild gewinnbringend in den Unterricht einzubinden. In erfolgreicher Zusammenarbeit Fritz Schimmer, Gründungsdirektor der Sächsischen Landesbildstelle, um 1930 (Foto: Sächsische Landesbildstelle) Das Hofgebäude der Tierärztlichen Hochschule Dresden in der Zirkusstraße 38, von 1926 bis 1939 Sitz der Sächsischen Landesbildstelle, 1927 (Foto: Walter Möbius) Der vorliegende Text basiert auf Vorarbeiten von Marc Rohrmüller, dem ich an dieser Stelle dafür danke. 1 Vgl. Fritz Schimmer: Die sächsischen Bildstellen, in: Der Bildwart 5 (1927), Nr. 4/5, April/Mai, S. 211–229, hier S. 212. 2 Alle Zitate aus: Satzung des Sächsischen Landesverbandes zur Förderung des Bild- und Filmwesens e. V., hier zit. nach: Fritz Schimmer: Der Sächsische Landesverband, in: Der Bildwart 2 (1924), Nr. 12, Oktober, S. 532–533, hier S. 532. 3 Alle Zitate ebd. 4 Verordnung über die Errichtung einer Sächsischen Landesbildstelle vom 8. 10. 1924, Verordnungsblatt des Sächsischen Ministeriums für Volksbildung, Nr. 20, Ausgabetag: 16. 10. 1924, Dresden 1924, S. 92. 5 Alle Zitate ebd. 6 Schimmer hebt als nicht unwesentlichen Vorteil dieser Konstellation hervor, dass die Trägerschaft der Geschäftsstelle durch den Verein den direkten Kontakt zur sächsischen Lehrerschaft sicherstellte. So konnten deren Bedürfnisse und Vorschläge unmittelbar Berücksichtigung finden; vgl. Schimmer, Bildwart 1927 (wie Anm. 1), S. 213. 7 Vgl. Vereinbarung mit dem Ministerium für Volksbildung, 6. 11. 1924, zit. in: Fritz Schimmer: Denkschrift über die Verstaatlichung der Sächsischen Landesbildstelle, [Dresden] [1928], S. 1–2, Archiv Deutsche Fotothek. 8 Zit. nach: [st.]: Sachsens »Bibliothek der Bilder«. Die Landesbildstelle besteht am 8. Oktober 25 Jahre, Sächsisches Tageblatt, Oktober 1949, Archiv Deutsche Fotothek. 9 Vgl. Schimmer, Denkschrift 1928 (wie Anm. 7), S. 3. 10 Vgl. [N. N]: Aus Sachsen. Von der Sächsischen Landesbildstelle, in: Sächsische Staatszeitung, 7. 10. 1926, S. 4. 11 Zit. nach: Schimmer, Bildwart 1927 (wie Anm. 1), S. 226. 12 Vgl. Schreiben Fritz Schimmer an die Landesverwaltung Sachsen, Inneres und Volksbildung, Zentralverwaltung Bildung und Schule, 13. 11. 1945, Hauptstaatsarchiv Dresden (HStA), 11401 Landesregierung Sachsen, Ministerium für Volksbildung, Nr. 243, o. Bl.-Nr. 13 Zit. nach: Schimmer, Bildwart 1927 (wie Anm. 1), S. 223. 14 Zit. nach: ebd. S. 224. 15 Vgl. Schreiben Schimmer, 13. 11. 1945 (wie Anm. 12), Zitat ebd. 16 Vgl. 24. Mitteilungsblatt des Sächsischen Landesverbandes zur Förderung des Bild- und Filmwesens e. V. und der Sächsischen Landesbildstelle, April– Juni 1929, S. 6–7, HStA, 11150 Bezirksschulamt Pirna, Nr. 375, o. Bl.-Nr.

22 mit dem Ministerium konnten einheitliche Richtlinien für die Bildstellenarbeit im Land entwickelt und umgesetzt werden. Nicht zuletzt wuchsen die Sammlungen der Bildstelle stetig an: 1928 umfasste das Negativarchiv rund 12 000 Aufnahmen, die Lichtbildsammlung über 25 000 Dias in 1 300 Lichtbildreihen, darüber hinaus standen 120 Filme mit einer Gesamtlänge von über 90 000 Metern aus den unterschiedlichsten Wissensgebieten zur Verfügung.17 Neben der ursprünglichen Klientel der Pädagog:innen hatte sich die Kundschaft längst um Wissenschaftler:innen, Behörden, interessierte Laien und neuerdings auch Verlage erweitert, sodass die Aufnahmen der Landesbildstelle nun zunehmend auch für Publikationen angefragt wurden.18 Mit der Erweiterung der Räumlichkeiten in der Zirkusstraße ging 1929 auch die Einrichtung eines Vortrags- und Vorführsaals einher, der regelmäßige Veranstaltungen erlaubte.19 Zudem trat sie mit Ausstellungen und eigenen Buchprojekten an die Öffentlichkeit.20 1929 war sie Gastgeberin und Mitorganisatorin der 10. Deutschen Bildwoche, dem maßgeblichen landesweiten Kongress der Lichtbildbewegung, mit der auch die Ausstellung Fotografie der Gegenwart, eine Zusammenstellung des Museum Folkwang Essen zu aktuellen fotografischen Entwicklungen, im Lichthof des Dresdner Rathauses verbunden war.21 Die äußerst öffentlichkeitswirksame Durchführung der Bildwoche zählte sicher zu den bedeutendsten Ereignissen der ersten Jahre. Trotz dieses Erfolgs gestalteten sich die Rahmenbedingungen infolge der Weltwirtschaftskrise seit Anfang der 1930erJahre zunehmend schwieriger. Die staatliche finanzielle Unterstützung geriet immer mehr ins Wanken, zudem zwang der jederzeit kündbare Vertrag zwischen Landesverband und Ministerium in dieser Lage zum Handeln.22 Fritz Schimmer trieb daher vehement Gespräche mit den Entscheidungsträgern voran. Die von ihm und dem Verein ins Auge gefasste endgültige Verstaatlichung konnte jedoch nicht erreicht werden. Vielmehr wurden diverse Optionen diskutiert, von Gründung einer GmbH bis hin zur Anbindung der Landesbildstelle an die Stadt Dresden. Schließlich kristallisierte sich die Gründung einer Stiftung durch das Ministerium »als zweckmäßige, den ursprünglichen Absichten des Staates [...] und des Verbandes (Ziel der Verstaatlichung 1924) nahekommende Organisationsform«23 heraus. Zum 1. April 1931 wurde der Verein aufgelöst und »das bewegliche, aus Sammlungen, Ausstattungsstücken, Maschinen, Geräten usw. bestehende Eigentum [...] der rechtsfähigen Stiftung ›Sächsische Landesbildstelle‹« übergeben.24 Ihre Satzung regelte in Anlehnung an die früheren Regelungen die Aufgaben der Landesbildstelle und verankerte in Paragraf 3 die für das weitere Bestehen zentrale Verpflichtung des Ministeriums zur BereitBlick in die von der Sächsischen Landesbildstelle organisierte Ausstellung Fotografie der Gegenwart im Lichthof des Neuen Rathauses, Dresden, 1929 (Foto: Sächsische Landesbildstelle)

23 stellung der notwendigen finanziellen Mittel im Rahmen des Staatshaushalts.25 Mit dieser Neuorganisation gelang der Landesbildstelle eine, wenn auch nur vorübergehende, Konsolidierung nach »einem der schwersten [Geschäftsjahre] seit Begründung«.26 1935 Umbenennung in Landesbildstelle Sachsen 1936 Überprüfung aller Mitarbeiter:innen für die Eignung zur Anstellung im Öffentlichen Dienst; politisch motivierte Entlassung von mindestens drei Mitarbeiter:innen November 1936 Entlassung von Fritz Schimmer, Übernahme der Leitung durch Willy Passig 1937 Einrichtung einer Zentralbildstelle des Heimatwerks Sachsen in den Räumen der Landesbildstelle Sachsen 1939 Umzug in die Pillnitzer Straße 1944 Auslagerung von Beständen nach Dippoldiswalde und Gaußig Februar 1945 Zerstörung der Geschäftsräume in der Pillnitzer Straße In den nächsten Jahren blieb die finanzielle Situation, verstärkt durch die sich zusehends ändernden gesellschaftlichpolitischen Verhältnisse, weiterhin angespannt. Skeptische Stimmen, vor allem aus dem Finanzministerium, stellten die finanzielle Unterstützung der Landesbildstelle zunehmend infrage. Von »Bildungsluxus«27 war nun die Rede, die Forderung nach Streichung aller Beihilfen, was einer Schließung gleichgekommen wäre, wurde spätestens ab 1932 offen diskutiert. Durch Zugeständnisse, äußerste Einschränkung und Entlassungen konnte das ebenso erfolgreich abgewendet werden wie die vom Finanzministerium erhobene Forderung, Fritz Schimmer als Leiter durch einen deutlich günstigeren Studienassessor zu ersetzen.28 Hilfreich war in dieser Situation die ungebrochene Unterstützung aus dem Volksbildungsministerium und der nicht zu leugnende Erfolg der Einrichtung, die eine wachsende Zahl an Ausleihen und damit verbunden erhebliche Einnahmen zu verzeichnen hatte.29 Eine neue Situation trat 1934 mit der Gründung der Reichsstelle für den Unterrichtsfilm (RfdU, ab 1940 Reichsanstalt für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht, RWU) ein. In der damit verbundenen Neuordnung des Bildstellenwesens in Deutschland übernahm sie die zentrale Koordination schulischer Lichtbildarbeit. In den Bildstellen erfolgten in ihrem Auftrag Produktion und Vertrieb der Lehrmittel, wofür diese im Gegenzug finanzielle Beihilfen erhielten. Die RfdU war trotz ihres für die Volksbildung zentralen Aufgabengebiets und des propagandistischen Potenzials, das in ihrer Tätigkeit steckte, nicht dem Propagandaministerium unterstellt. Dank des zuständigen Ministerialrats im Reichserziehungsministerium Kurt Zierold, der die RfdU als zuständige Stelle für Unterrichts- und Lehrmittel ganz bewusst unabhängig von Goebbels’ Propagandaministerium und mit klarer Ausrichtung auf schulische Belange einrichtete, gelang eine erstaunliche Unabhängigkeit von politisch-propagandistischen Einflussnahmen.30 Für die Bildstellen war dies ein Glücksfall, wenngleich es sie nicht völlig vor Eingriffen des Staates schützte. Für die Sächsische Landesbildstelle, 1935 in Landesbildstelle Sachsen (LBS) umbenannt, bedeutete dies wiederholte Versuche ministerieller Einflussnahme auf die Einrichtung, die 1936 mit einer Überprüfung aller Mitarbeiter:innen auf »nationalsozialistische Zuverlässigkeit« begann.31 In der Folge kam es zu politisch motivierten Entlassungen: Die Sammlungsverwalterin Jaroslava Oberhel (1899–1987) wurde im Juni 1937 entlassen, da sie »nicht die Gewähr bietet, im Sinne des Nationalsozialismus zu wirken«.32 Paul Kubot (1883–1969), seit 1935 Packer und Bote der Landesbildstelle, musste seinen Posten aufgrund kommunistischer Einstellung im selben Jahr räumen. Sein Sohn Hans (1911–1944), Filmpfleger in der LBS, stand unter Beobachtung, wurde jedoch nicht entlassen. Armin Schulze (Lebensdaten unbekannt), Bearbeiter des Kunstkatalogs, musste 1938 wegen weltanschaulicher Bedenken gehen.33 Die jedoch einschneidendste Entlassung erfolgte bereits Ende 1936. Fritz Schimmer wurde wegen »politischer Unzuverlässigkeit« des Amtes enthoben und in den SchulFotografische Werkstatt der Sächsischen Landesbildstelle Dresden, 1927 (Foto: Walter Möbius) 17 Vgl. [Fritz Schimmer]: Die Sächsische Landesbildstelle, in: Sächsische Staatszeitung, 12. 12. 1928, S. 2. 18 Vgl. Bericht über die Tätigkeit der Stiftung »Sächsische Landesbildstelle« im Geschäftsjahr 1931/32 (8. Geschäftsjahr seit Begründung der Sächsischen Landesbildstelle), S. 10, HStA, 11125 Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts, Nr. 14557/3, Bl. 215. 19 Vgl. 26. Mitteilungsblatt, September – November 1929, S. 1, HStA, 11150, Nr. 375, o. Bl.-Nr. 20 Vgl. das Literaturverzeichnis in diesem Band, S. 592– 597. 21 Vgl. Jahresbericht 1928/29, in: 24. Mitteilungsblatt (wie Anm. 16), S. 1–12. 22 Vgl. Abschrift des Vertrags in: Schimmer, Denkschrift 1928 (wie Anm. 7), S. 2. 23 Zit. nach: 30. Mitteilungsblatt, Juni – August 1930, S. 1, HStA, 11150, Nr. 375, o. Bl.-Nr. 24 Vgl. 34. Mitteilungsblatt, April – Mai 1931, S. 1, HStA 11150, Nr. 375, o. Bl.-Nr. sowie Bericht für Geschäftsjahr 1931/32 (wie Anm. 18), S. 3, Bl. 208. 25 Vgl. Satzung der Stiftung »Sächsische Landesbildstelle« (Abschrift), HStA, 11125, Nr. 14557/3, Bl. 56–61. Im Übrigen regelte die Satzung die Berufung des Vorstandsvorsitzenden und seines Stellvertreters, die dem Ministerium oblag. Über die Anstellung von Personal, abgesehen von Wissenschaftler:innen, konnte die Landesbildstelle im Rahmen des Haushaltsplans selbst verfügen. 26 Zit. nach: Bericht für Geschäftsjahr 1931/32 (wie Anm. 18), S. 1, Bl. 206. 27 Vgl. Entschließung der sächsischen Bezirksstellenleiter, wohl Anfang 1933, HStA, 11125, Nr. 14557/3, Bl. 290. 28 Vgl. Protokoll einer Sitzung in der Staatskanzlei, 3. 11. 1932, HStA, 11125, Nr. 14557/3, Bl. 278–280 sowie Schreiben des Sächsischen Finanzministeriums bzgl. Planentwurf zu Kap. 61/1933, 5. 1. 1933, HStA, 11125, Nr. 14557/3, Bl. 296–304. 29 Vgl. z. B. Niederschrift über die 2. Sitzung des Verwaltungsrats der Stiftung »Sächsische Landesbildstelle«, 30. 5. 1932, HStA, 11125, Nr. 14557/3, Bl. 234–237 sowie den Haushaltsplan für 1932, ebd., Bl. 238–239. Im Jahresbericht stellte Schimmer zudem heraus, dass insbesondere die verlegerische Tätigkeit, sprich die Bereitstellung von Aufnahmen für Publikationszwecke, einen nicht unerheblichen Betrag von 8 000 RM erwirtschaftete: »Hier habe sich der Wert der [. . .] Sammlung von Aufnahmen der Landesbildstelle gezeigt.« (vgl. Niederschrift über die 2. Sitzung des Verwaltungsrats, S. 2). 30 Vgl. zur RfdU/RWU Malte Ewert: Die Reichsanstalt für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht (1934–1945), Hildesheim 1997, hier bes. S. 63–80. 31 Vgl. Schreiben des komm. Leiters des Volksbildungsministeriums an die Kreisleitung der NSDAP, 21. 8. 1936, HStA, 11125, Nr. 14557/4, Bl. 18. 32 Zit. nach: Schreiben Lohde, Ministerium für Volksbildung, an LBS. 22. 12. 1936, HStA, 11125, Nr. 14557/4, Bl. 111. 33 Vgl. Personalunterlagen der Landesbildstelle Sachsen, HStA, 11125, Nr. 14557/4.

32 Die folgende Bildauswahl spiegelt die Vielfalt der Sammlung der Deutschen Fotothek auch hinsichtlich fotografischer Verfahren und Materialien wider. Träger von Negativen sind Glas und Kunststoff, Letzterer als Roll- oder Planfilm in unterschiedlichen Formaten. Diese werden nicht mit einzelnen Maßen ausgewiesen, sondern unter die drei Aufnahmeformate Kleinbild-, Mittel- und Großformat gefasst. Das Kleinbildformat misst 3,6×2,4 cm, unter Mittelformat fallen alle Träger bis zu einer Größe von 6×9 cm, alle größeren Abmessungen zählen zum Großformat. Bei den Fotopapieren reicht das Spektrum von Albuminpapier über Kollodiumpapier, Silbergelatinepapier, C-Prints bis hin zu Inkjetprints. Bei den Abzügen ist jeweils das Blattmaß angegeben. Als Positive sind Auskopierverfahren, Vergrößerungen, das Autochromverfahren und Polaroid vertreten. Montagen von Negativen oder Abzügen sind kenntlich gemacht. Gehen Inkjetprints auf digitalisiertes analoges Filmmaterial zurück, wird dies ausgewiesen, ebenso, wenn es sich um einen Neuabzug handelt. Fotografien der jüngeren Zeit liegen unter Umständen nur als Digitalaufnahmen vor. Kursiv gesetzte Titel sind von den Fotograf:innen vergebene Titel. Heutige Ortsnamen sind in Klammern hinter die historischen Bezeichnungen gesetzt. Ausführliche Informationen zu den Biografien der Fotograf:innen finden sich auf der Website der Deutschen Fotothek. Literatur wird in Kurzform nachgewiesen. Sofern diese nicht im Anhang aufgeführt ist, finden sich die kompletten Angaben ebenfalls auf der Website. AUTOR:INNEN AK Adelheid Komenda AM Agnes Matthias AS Anne Spitzer AVW Annika-Valeska Walzel GF Georg Fricke IW Irina Williams JB Jens Bove JW Johannes Wolff KA Katharina Arlt KB Karolin Bove KD Kerstin Delang KDA Katja Dannowski MR Marc Rohrmüller MW Matthias Wenzel SF Simone Fleischer SL Sebastian Lux

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Mehr als 30 Jahre war Walter Möbius »Erster Fotograf« der Sächsischen Landesbildstelle und späteren Deutschen Fotothek. Zwischen 1926 und 1959 fertigte er rund 100 000 Aufnahmen; sie allein bildeten fast zwei Drittel des damaligen Negativarchivs. Seinen Fotografien verdankte die Landesbildstelle schon damals einen wesentlichen Teil ihres Ansehens, bis heute prägen sie den historischen Bestand aus der Frühzeit der Deutschen Fotothek. Seine Ausbildung zum Xylografen und Fotografen erfuhr Walter Möbius, am 29. Januar 1900 in Leuben bei Dresden geboren, bis 1918 zunächst in der Graphischen Kunstanstalt Gustav Bauer, dann bei Schönwolf und Plieninger. Anschließend war er als Betriebsfotograf beim Fotopapierhersteller MIMOSA in Dresden tätig. Am 1. April 1926 schließlich übernahm er die Stelle als Fotograf der Bildstelle, der er bis zu seinem frühen Tod am 9. März 1959 treu blieb. Für Fritz Schimmer, Direktor der Landesbildstelle, war die Anstellung eines versierten Fotografen von essenzieller Bedeutung für die Arbeit der Institution – in Walter Möbius, Berufsfotograf aus Leidenschaft, fand er denjenigen, mit dem er seine Vorstellung von »schönen wie sachlich treffenden photographischen Aufnahmen« (Fritz Schimmer, 1946) umsetzen konnte. Möbius entwickelte sich schnell zum Spezialisten für die sogenannte Landesaufnahme zur systematischen Erfassung von Kunst- und Kulturdenkmälern und geografisch bedeutsamer Landschaften. 1933 trat Möbius, seit 1927 Mitglied der SPD, wohl dem politischen Druck, der auch auf die Landesbildstelle ausgeübt wurde, nachgebend, der NSDAP bei. 1939 wurde er zur Wehrmacht eingezogen. Nach seiner Rückkehr im August 1945 ist ihm aufgrund seiner Parteizugehörigkeit die Rückkehr zur Landesbildstelle zunächst verwehrt worden. Stattdessen wurde er vom Rat der Stadt Dresden als Bauhilfsarbeiter eingesetzt. Zwar gelang es Fritz Schimmer, der Möbius als unersetzlich für den Wiederaufbau der Landesbildstelle ansah, ihn dafür freistellen zu lassen, doch zog sich eine endgültige Wiedereinstellung des Fotografen bis 1952, obwohl Schimmer und frühere SPD-Parteigenossen nicht müde wurden, Möbius’ politische Unbedenklichkeit zu bestätigen. Doch war es nicht nur die Parteimitgliedschaft, die der Anstellung entgegenstand, sondern wesentlich auch die institutionell unsichere Zukunft der Landesbildstelle, die sich erst mit der Einrichtung der Landesfotothek Dresden 1951 löste. Zur Überbrückung erhielt Möbius wie andere Mitarbeiter:innen Werkverträge, sodass er in der unmittelbaren Nachkriegszeit federführend die Rückführung der ausgelagerten Bestände und die Neueinrichtung der Fotowerkstatt übernehmen konnte. Schon bald fotografierte Möbius auch wieder. Die Landesaufnahme wurde erneut zu seinem zentralen Betätigungsfeld. Während umfangreicher Reisen dokumentierte er historische und zeitgenössische Architektur, aber auch die Auswirkungen des Krieges. Der Schwerpunkt lag dabei vorrangig auf Sachsen, doch führten ihn seine Reisen nicht selten weit über die Landesgrenzen hinaus. Schon in den 1930er-Jahren gelangten Aufnahmen aus Frankreich, Italien und den Karpaten, teils auf privaten Reisen entstanden, in den Bestand. Spätestens ab 1956, mit der Umbenennung und Neuorientierung als Deutsche Fotothek, hatte sich der Fokus auch innerhalb der dienstlichen Tätigkeit auf das gesamte deutsche Gebiet verschoben. Dies umfasste, vor dem Mauerbau, ebenso Reisen nach Westdeutschland, wie etwa 1957, als Möbius mit dem Auftrag der Dokumentation zeitgenössischer Architektur zwischen Düsseldorf und Stuttgart unterwegs war. Einen zweiten Schwerpunkt seiner Tätigkeit bildete die fotografische Aufnahme von Gemälden. Schon vor dem Krieg hatte Möbius die Kunstwerke vor allem der Gemäldegalerie Dresden, aber auch in der Ausstellung Entartete Kunst 1937 im Dresdner Rathaus fotografiert. In den 1950er-Jahren begann eine erneute intensive Zusammenarbeit mit den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. So war Möbius u. a. an der fotografischen Neuaufnahme der aus Russland zurückgekehrten Gemälde der Dresdner Galerie 1955 in Berlin maßgeblich beteiligt. Mit der mehrere Jahrzehnte andauernden, systematischen und ungewöhnlich vollständigen fotografischen Inventarisation vor allem seiner Heimatstadt Dresden hat Möbius einen wesentlichen Bildkorpus in der Sammlung der Deutschen Fotothek geschaffen, der mit seinen reichhaltigen, kulturhistorisch bedeutsamen Motiven zu einer unverzichtbaren Quelle für Historiker:innen, Restaurator:innen und Kunsthistoriker:innen wurde. Dabei sind es nicht nur die Motive, sondern auch und vor allem die ästhetische Qualität seiner Aufnahmen, die weit über die reine Dokumentation hinausweisen. KD/SF 34 WALTER MÖBIUS Feuerwerk am Neustädter Ufer, Dresden, 1937, Glasnegativ, Großformat Salzgasse mit Frauenkirche im Hintergrund, Dresden, 1928, Glasnegativ, Großformat Ernemann-Werke bei Nacht, Dresden, 1930, Glasnegativ, Großformat Ruine der Dresdner Frauenkirche mit Schafherde, 1957, Glasnegativ, Großformat Tagblatt-Turm, Stuttgart, 1957, Glasnegativ, Großformat Polizeipräsidium am Waidmarkt, Köln, 1957, Glasnegativ, Großformat

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Er gilt als Meister der Naturbetrachtung, der es vermochte, mit geringem technischen Aufwand die Atmosphäre eines Ortes einzufangen: die Nuancen einer Landschaft, den Reiz eines Feldes, die Stille von Wald und Flur, aber ebenso die Einzigartigkeit einer Pflanze, eines Tieres, die Besonderheit eines Baumes oder einer Gruppe von Felsen. Die stimmungsvollen Aufnahmen des Natur- und Landschaftsfotografen Max Nowak bebilderten über zwei Jahrzehnte die Mitteilungen des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz, illustrierten zahlreiche Publikationen des Sachsenverlags, waren als Postkartenmotive beliebt und dienten Generationen von Schüler:innen als Unterrichtsmittel. Obwohl seine Aufnahmen auch heute noch gefragt sind und weiterhin rege publiziert werden, ist der Fotograf selbst vielen unbekannt. Max Franz P. Nowak wurde am 21. Mai 1881 in Liegnitz (Legnica) im heutigen Polen geboren. Nach der Schulausbildung absolvierte er eine Steindruckerlehre in Dresden und arbeitete später bei der Firma Meinhold und Söhne. Obwohl das Fotografieren zunächst nur ein Hobby war, machte Nowak es – vom Erfolg seiner Aufnahmen ermutigt – schließlich zu seinem Beruf und wurde 1925 hauptamtlicher Fotograf beim Landesverein Sächsischer Heimatschutz. Nachdem schon vor dem Ersten Weltkrieg einige seiner Motive in der Postkartenherstellung Verwendung fanden, erschienen 1920 erstmals Fotografien unter seinem Namen in den Mitteilungen des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz. Rund 180 der berühmten grünen Hefte enthalten seine Aufnahmen, bis die Reihe 1941 kriegsbedingt eingestellt werden musste. Darüber hinaus wurden sie in zahlreichen Sonderpublikationen des vereinseigenen Verlags veröffentlicht. Bemerkenswert sind Aufnahmen geologischer Phänomene zur Illustration von Paul Wagners Sonderband Erdgeschichtliche Natururkunden aus dem Sachsenlande aus dem Jahr 1930. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Enteignung des Landesvereins durch die Sowjetische Militäradministration 1949 wirkte Nowak als freischaffender Fotograf für verschiedene Auftraggeber. Nachweisbar sind Engagements für zahlreiche Publikationen des Sachsenverlags sowie für das Lehrmittelunternehmen Schulmann, das Nowaks Fotografien als kolorierte Wandbilder vertrieb. Zudem hielt er Lichtbildervorträge, für die er die 13×18-Glasplatten seiner Plattenkamera handkolorierte und auf das Format 6 × 6 umkopierte. Max Nowak hatte drei Söhne und wohnte mit seiner Familie zunächst in Dresden-Tolkewitz. Später folgte der Umzug nach Dresden-Strehlen, wo er am 25. November 1956 starb. Aufgrund seines dokumentarischen Charakters hat sich Nowaks fotografisches Werk als wertvolle Quelle für die Kunstgeschichte und die Heimatkunde erwiesen. Neben Natur- und Landschaftsaufnahmen erfasste er im Auftrag des Landesvereins bekannte Bau- und Kunstdenkmale teils mit Innenausstattung, aber auch ländliche Bauten wie Bauernhäuser, Windmühlen und Steinkreuze, technische Bauten der Montanindustrie oder Gedenkorte wie Friedhöfe. Als Teil des Negativarchivs des Landesvereins, das in den Kellerräumen des Kurländer Palais in der Schießgasse untergebracht war, wurde ein Großteil seiner Fotografien bei der Bombardierung Dresdens am 13. Februar 1945 zerstört. Etwa 10 000 ausgelagerte Aufnahmen von Nowak und anderen Fotografen des Landesvereins überstanden den Krieg und gelangten nach der Enteignung des Vereins in den Bestand der Deutschen Fotothek. JW 68 Reklame für das Haus der Hüte am Brühl, Leipzig, 1925–1930, Glasnegativ, Großformat Blick über die Neustädter Elbwiesen mit Wäschebleiche, Dresden, um 1930, Glasnegativ, Großformat Pieschener Elbhafen im Winter, Dresden, 1925–1945, Glasnegativ, Großformat Durch Hochwasser zerstörtes Wohnhaus im Müglitztal, 8./9. Juli 1927, Glasnegativ, Großformat

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In über 50 Schaffensjahren entstanden, ist Abraham Pisareks Werk eine Bilderchronik zu allen Facetten des politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Lebens im Berlin vor und nach 1945. Er wurde am 24. Dezember 1901 in RussischPolen (Przedbórz) als Sohn des jüdischen Kaufmanns Berek Pisarek und dessen Ehefrau Sura geboren. Nach dem Besuch der Religions- und Mittelschule in Łódź ging er berufssuchend 1918 illegal nach Leipzig, arbeitete in Herne und in Berlin. Nebenbei belegte er Kurse in Illustrationsfotografie, der er sich später in Berlin beruflich ganz zuwandte. 1924 reiste er nach Palästina und lebte dort als Pionier (hebr. Chaluz). Es folgte ein kurzer Aufenthalt in Frankreich, bevor sich Pisarek 1928 in Berlin freischaffend tätig niederließ. 1929 trat er dem Reichsverband der deutschen Presse bei. Seine Verbindungen zur KPD führten zur Zusammenarbeit mit John Heartfield sowie mit der Arbeiterfotografengruppe BerlinNord. Pressereportagen, Arbeiten für Bildverlage wie Mauritius, der ihn für Prominentenporträts nach Italien, West- und Osteuropa schickte, und für die Berliner Bühnen bestimmten nun sein Schaffen. Pisareks Fotografien wurden in der Arbeiter-Illustrierten-Zeitung und in der jüdischen Presse veröffentlicht. Durch einen Porträtauftrag mit Max Liebermann bekannt, traf er in dessen Umkreis bedeutende Künstler und Literaten der Weimarer Republik. Pisarek sind die einzigen, heimlich aufgenommenen Bilder vom Begräbnis des Malers zu verdanken. Unter dem Naziregime durfte er ausschließlich im Bereich der Berliner jüdischen Gemeinde arbeiten und war als einziger Fotograf für die jüdische Presse und den Kulturbund Deutscher Juden – einer Alibi-Einrichtung der Nationalsozialisten – zugelassen. Er beteiligte sich an illegaler antifaschistischer Arbeit, wurde mehrmals verhaftet und von der Gestapo vorgeladen. Nach Auflösung der jüdischen Organisationen arbeitslos, folgte der Zwangsarbeitseinsatz, u. a. als Dolmetscher für polnische und sowjetische Zwangsarbeiter. Durch seine sogenannte »Mischehe« mit der aus Leningrad stammenden Nichtjüdin Berta Isigkeit, die er 1928 geheiratet hatte, blieb er von der Deportation verschont und entging dem Holocaust. Als »Bildberichter« mit Zonenpass einer der ersten zugelassenen Presse- und Theaterfotografen in der sowjetischen Besatzungszone, dokumentierte Pisarek nach 1945 den Wiederaufbau und das Kulturleben Berlins. Der bedeutende Dokumentarist des Berliner Theaterlebens wurde nach der Ära der Piscator-Bühne auch Bertolt Brechts Bühnenfotograf. Mit seiner in Illustrierten publizierten Reportagefotografie von Heimkehrern in Ruinenlandschaften, ersten Aufbauarbeiten, politischen und kulturellen Veranstaltungen der Umbruchszeit konnte er ein Massenpublikum erreichen. Bildergeschichten wie Frau Gundermanns Sorge um das tägliche Brot trafen das Lebensgefühl einfacher Menschen in Entbehrung und Not. Den Neubeginn in der DDR mit der Kamera begleitend und vom demokratischen Aufbruch begeistert, trugen Pisareks Bilder gleichzeitig zur Inszenierung des »besseren Deutschlands« bei, dessen antizionistische Tendenzen ihm nicht verborgen blieben. Teils arbeitete er mit gestellten, an »lebende Bilder« erinnernden Szenerien: Arrangements von Pionieren mit drapierten Fahnen, einen Tusch im Pionierlager blasend oder eng um den sitzenden Wilhelm Pieck gruppiert, waren geforderte pathetische Stereotype. Andererseits gelangen Pisarek ungekünstelte, berührende Momentaufnahmen aus dem Alltag, die Optimismus und Lebensfreude in einer schweren Zeit vermitteln sollten. Zuletzt widmete er sich fast ausschließlich der Theater- und Porträtfotografie. Seine umfangreiche Bühnendokumentation reflektiert die Repertoirevielfalt dieser Epoche mit zahlreichen Ur- und Erstaufführungen. Abraham Pisarek starb 82-jährig am 24. April 1983 in Westberlin. KD 114 ABRAHAM PISAREK Filmteam am 1. Mai auf dem eingemauerten Reiterstandbild Friedrichs II., Berlin, 1946, Kunststoffnegativ, Kleinbildformat Berliner Ensemble, Szene aus Die Mutter, 1967, Kunststoffnegativ, Mittelformat Zeltlager auf Hiddensee, 1950, Kunststoffnegativ, Kleinbildformat Berliner Kreiskonferenz zur Vereinigung von KPD und SPD zur SED am 13./14. April 1946, Silbergelatinepapier, 18 × 24,2 cm Ankunft des Berliner Ensembles in Paris, 1954, Kunststoffnegativ, Mittelformat

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