Leseprobe

99 Die Porträtmalerei von Irena Rüther-Rabinowicz Das Frühwerk bis 1944 Mit dem Ende der sächsischen Monarchie ging auch ein kunsthistorisches Kapitel zu Ende. Die Rede ist von der repräsentativen Bildnismalerei, die in Dresden vor dem Ersten Weltkrieg ähnlich wie in anderen kulturellen Zentren Deutschlands noch eine durchaus gewichtige Rolle gespielt hatte. So war beispielsweise noch 1911 zur Einweihung des Dresdner Neuen Rathauses eine Ausstattung mit großformatigen Prunkbildnissen sächsischer Könige in Szene gesetzt worden. Personen des öffentlichen Lebens, wie Graf Vitzthum von Eckstädt oder der Industrielle August Lingner, lancierten ihre Bildnisse in museale Sammlungen und in die von ihnen geleiteten oder initiierten Institutionen. Solche Konventionen erlebten mit den gesellschaftlichen Veränderungen nach 1918 zwar keinen vollständigen Abbruch, doch aber einen gravierenden Bedeutungsverlust. Dass die Porträtmalerei sich im veränderten gesellschaftlichen Umfeld neu ausrichtete und wenigstens teilweise neu behaupten konnte, ist in Dresden einer Handvoll Künstlern zu verdanken, die diese Aufgabe in die nächste Generation weitergereicht hat. Allen voran ist hier Robert Sterl zu nennen, der als versierter Porträtist in seinen offiziellen Bildnissen eine recht moderne Kombination aus Realismus auf Kundenwunsch mit impressionistisch-malerischer Finesse im Detail und kalkulierter Ökonomie der künstlerischen Mittel gefunden hatte. Otto Gussmann, neben Sterl der wohl einflussreichste Malereiprofessor der 1920er Jahre an der Dresdner Kunstakademie und nur zwei Jahre jünger als dieser, nahm bereits eine modernere Haltung zur Porträtmalerei ein. Er war weniger als Porträtist in öffentlichem oder offiziellem Auftrag gefragt, denn als virtuoser Schöpfer von modernen privaten Bildnissen auf der Höhe des Zeitgeistes. Für Sterl stand das Bildnis als offizielle Pflichtaufgabe neben seinem künstlerischen Interesse an Darstellungen des Menschen in dynamischen Bewegungsprozessen und im Zusammenwirken mit ihrer Umgebung. Lediglich in seinen Dirigentenbildnissen fanden beide Bereiche seines Schaffens effektvoll zueinander. Gussmann, Professor für dekorative Malerei und Schöpfer malerischer Gebäudeausstattungen wie etwa im erwähnten Dresdner Rathausbau der Zeit vor dem Weltkrieg, lebte sich in einfühlsamen Bildnissen attraktiver Damen der Gesellschaft in lockerer Modernität künstlerisch aus. Auch der Vergleich der Bildformate von Porträts beider Künstler – Sterls Darstellungen ernster Männlichkeit in repräsentativen Großformaten und Gussmanns intime Salonbilder – verdeutlicht die wichtigsten beiden Auffassungen zur Bildnismalerei in Dresden um 1920. Zwischen diesen zwei gegensätzlichen Positionen der älteren Künstlergeneration stand die Porträtkunst in Dresden, als Irena Rabinowicz 1919 ihr Akademiestudium begann. Von Beginn an war ihr künstlerisches Werk bestimmt vom Bildnis als Thema. Leider fehlen Aussagen der Künstlerin, die Aufschluss darüber geben könnten, Johannes Schmidt

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1