Leseprobe

16 Die Mutter des Bräutigams legte ihrem Sohn nahe, sich in Köln in der Nähe seines älteren Bruders Leopold, genannt Lutek, niederzulassen.6 Er folgte diesem Rat und das junge Ehepaar bezog eine Wohnung in der Glasstraße 16 in Köln-Ehrenfeld. Dort kam Irena Rabinowicz am 22. September 1900 zur Welt. Bis zu ihrem zweiten Schuljahr wuchs sie in Köln auf. Sie war die Älteste von drei Geschwistern. Ihr Bruder Georg wurde am 21. Oktober 1901 geboren, ihre Schwester Helena, genannt Lilly, am 4. Dezember 1905. Am 27. September 1905 wurde Irena in der evangelischen Kirchen- und Pfarrgemeinde Cöln getauft.7 Vater und Mutter gehörten von Geburt dem mosaischen Glauben an, konvertierten jedoch zum Protestantismus und ließen auch Irenas jüngere Geschwister evangelisch taufen.8 Das genaue Jahr lässt sich nicht mehr feststellen. Da die Wohnung in der Glasstraße für fünf Personen zu klein wurde, bezog die Familie 1906 eine etwas größere und ruhiger gelegene Wohnung in der Franziskastraße 3 in Köln-Nippes. Irenas Mutter war sehr musikalisch, sie liebte das Klavierspiel und die zeitgenössische Literatur überaus. Berichtet wird auch, dass sie ihre drei Kinder mit Liebe und Strenge erzog9 und den täglichen Haushalt der Familie führte. Sabina Rabinowicz hatte noch drei Geschwister, von denen ein Bruder und eine Schwester jung verstarben.10 Ihrem vier Jahre älteren Bruder Stefan, hebräisch Samuel genannt, der am 31. Januar 1876 in Warschau geboren worden war11, gelang eine außergewöhnliche berufliche Karriere. Schon im Alter von 24 Jahren wurde er stellvertretender Vorstand der Azov-Donski Bank Warschau, 1910 Direktor und 1922 Präsident der Warschauer Bank für Handel. Stefan Benzef saß im Vorstand der Lechia-Rückversicherungsbank und im Aufsichtsrat des polnischen Elektroverbands. Darüber hinaus hatte er eine ganze Reihe von Funktionen in wirtschaftlichen, politischen und gemeinnützigen Organisationen inne. 1924 wurde ihm das Kommandantenkreuz des Ordens von Polonia Restituta verliehen. Er verstarb am 8. Juni 1951 in Warschau und wurde neben seiner Ehefrau, der Pianistin Róża Benzefowa, auf dem Powązki-Friedhof beigesetzt.12 Im Juni 1908 zogen Heinrich und Sabina mit ihren heranwachsenden Kindern nach Helbersdorf, einer kleinen Ortschaft am Rande von Chemnitz, die erst im Oktober 1909 zur Stadt eingemeindet werden sollte.13 Sie bezogen zunächst eine Mietwohnung in der Helbersdorfer Straße 22, einem um 1905 gebauten villenartigen Gebäude, nur wenige hundert Meter von der Villa Esche entfernt. Voraussetzung für den Umzug war ein berufliches Angebot an Heinrich Rabinowicz gewesen, der in der sächsischen Industriemetropole eine Anstellung als Oberingenieur übernehmen sollte. Sein Arbeitgeber war vermutlich die Fabrik für Präzisionsmechanik und Elektrotechnik Max Kohl. Dort hatten Restrukturierungsmaßnahmen nach dem Tode des Firmeninhabers dazu geführt, dass eine Stelle entsprechend den beruflichen Fähigkeiten von Heinrich Rabinowicz vakant wurde.14 Aufschlussreich für diese Details wäre möglicherweise seine polizeiliche Führungsakte gewesen, die jedoch im März 1945 in Chemnitz verbrannt ist.15 2 Irena mit ihren Eltern und ihrem Bruder Georg in Köln, um 1902/03 1 Die Eltern Heinrich und Sabina Rabinowicz, um 1900

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