Baumeisters Verwendung des Plateau-Begriffs Willi Baumeister hat den Begriff des Plateaus selbst einige Male in verschiedenen Zusammenhängen verwendet. So heißt es 1947 in Das Unbekannte in der Kunst: »Dagegen hat Cézanne das Studium zum Endstadium erhoben. Die weißen Stellen geben mit das Plateau zur Entwicklung des Kubismus.«7 Dies ist die früheste Verwendung, die wir gefunden haben. In einem 1949 verfassten Text über Fernand Léger heißt es: »Im Jahre 1913 veranstaltete die Galerie ›Sturm‹ den ›Ersten deutschen Herbstsalon‹. Sie war das Plateau einer Sturm-undDrang-Zeit, und alles Ungewöhnliche war hier zu sehen.«8 In einem anderen Text über sein Studium und sein Verhältnis zu Adolf Hölzel aus demselben Jahr heißt es: »allein adolf hölzel erkannte das plateau für einen künstlerischen humus.«9 In einem Brief an Ottomar Domnick vom 22. November 1954 taucht der Begriff schließlich noch einmal auf: »auch leihgaben sind ein fragliches plateau für mich.«10 Aus diesen Beispielen lässt sich erkennen, dass er den PlateauBegriff im Sinne von Plattform, Ebene oder Niveau verstanden haben muss. Dies ist im Prinzip ein ähnliches Verständnis, wie wir es hier der Visualisierung seiner Netzwerke zugrunde legen. Willi Baumeisters soziale Netzwerke Baumeister arbeitete zeit seines Lebens in den meisten Medien, die einem Künstler wie ihm zu seiner Zeit zur Verfügung standen. Er war ein Künstler, der außergewöhnlich gut in Deutschland, Frankreich, der Schweiz und den USA mit Ausstellungsbeteiligungen, Einzelausstellungen, Galerien, Sammler:innen, Künstlerkolleg:innen und Kunsthistoriker:innen vernetzt war. Willi Baumeister kann man als social hub, als gesellschaftlichen Mittelpunkt, bezeichnen. Er war sein ganzes Leben lang ein ausgezeichneter Netzwerker. Bereits sehr früh in seiner künstlerischen Laufbahn knüpfte er wichtige internationale Kontakte, die er später auch während der Diktatur der Nationalsozialisten mit Einschränkungen aufrechterhalten konnte.11 Er war unter anderem mit Hans Arp, Max Bill, Julius Bissier, Le Corbusier, Albert Gleizes, Ivan und Claire Goll, Alexej Jawlensky, Wassily Kandinsky, Ida Kerkovius, Oskar Kokoschka, Fernand Léger, El Lissitzky, Ludwig Mies van der Rohe, László Moholy-Nagy, Piet Mondrian, Ernst Wilhelm Nay, Oskar Schlemmer, Michel Seuphor, Władysław Strzemiński, Sophie Taeuber- Arp und Jan Tschichold befreundet und stand mit ihnen in engem Austausch. Mit vielen seiner Schüler:innen verband ihn bis zu seinem Tod ein freundschaftliches Verhältnis. Die Hauptthese unserer Ausstellung lautet, dass Künstler:innen nicht in einem luftleeren Raum arbeiten. Sie sind stets umgeben von anderen Akteur:innen, Institutionen, Ereignissen, Objekten oder Traditionen, die sie zu bestimmten Zeitpunkten in ihrem Leben und in ihrer künstlerischen Karriere kennenlernen und von denen sie unter Umständen beeinflusst werden. Willi Baumeister war von Beginn an bestens von einem sozialen Netzwerk aus gleichaltrigen Freund:innen wie zum Beispiel Gustav Schleicher, Oskar Schlemmer, Otto Meyer-Amden oder Ida Kerkovius umgeben. Dieses Netzwerk wurde bereits 1916 als »Hölzel-Kreis« bezeichnet.12 Sehr großzügig gefördert wurden sie dabei von ihrem Lehrer an der Königlich-Württembergischen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart, Adolf Hölzel. Hinzu kommen Institutionen, in die er aufgenommen wurde, an denen er teilnahm oder in denen er ausstellen konnte. Es kann sich dabei um Zeitschriften wie L’Esprit nouveau oder Das Neue Frankfurt handeln. Ausstellungsinstitutionen wie der von Karl und Oskar Schlemmer betriebene Neue Kunstsalon am Neckartor, das Stuttgarter Kunsthaus Schaller, Herwarth Waldens Berliner Galerie Der Sturm, verschiedene Künstlervereinigungen wie die Üecht-Gruppe, die Stuttgarter Sezession, der Deutsche Künstlerbund, der Ring »neue werbegrafiker«, die Künstlergruppen Cercle et Carré und abstractioncréation oder ZEN 49 weisen auf institutionalisierte, soziale Netzwerke hin, deren Mitglied oder Mitbegründer Baumeister war. Aber auch Kunsthochschulen wie das Bauhaus in Dessau, die Städtische Kunstgewerbeschule in Frankfurt am Main, die Staatliche Akademie für Kunst und Kunstgewerbe in Breslau, die Staatliche Hochschule für Werkkunst in Dresden und die Staatliche Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart interessierten sich für Willi Baumeister als gefragten Hochschullehrer. Die unverblümteste Beschreibung von Willi Baumeister, seiner Fähigkeit, Freundschaften zu bilden sowie die Charakterisierung seiner Person stammt wahrscheinlich von Will Grohmann, der ihn seit seiner Frankfurter Zeit kannte. »Als Schwabe fand er den Kontakt mit mir ziemlich rasch; er entschied sich auch später für oder gegen einen Menschen, immer sofort, so wie er zur Leistung eines anderen sehr rasch ja oder nein sagte. [...] Es war üblich geworden, neue ›Serien‹, die Baumeister malte, zum Anlass festlicher Atelierbesuche zu machen, zu schwätzen und im Bubenbad einen guten Wein zu trinken. Baumeister war auch in den schlechtesten Zeiten stets gut gelaunt und gastfrei, voller Witz und überraschender Einfälle. Es war jedesmal ein Vergnügen mit ihm zusammen zu sein. [...] Er schrieb immer, und wenn es eine Postkarte war, selbst dann, wenn es nichts zu berichten gab als den Besuch eines Kollegen in Stuttgart oder die Absicht, ein Buch zu schreiben, denn in den letzten Kriegsjahren fehlte es ihm an Material und sogar an einem Atelier. Und auch hier die immer wiederkehrende Frage: wann sehen wir uns?«13 19
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