Leseprobe

133 Die Rekonstruktion historischer Maltechniken Vom 1. Januar 1940 bis 1944 erhielt Baumeister offenbar eine Festanstellung bei der Lackfabrik Dr. Kurt Herberts7 und arbeitete zusammen mit Oskar Schlemmer, Franz Krause und gelegentlich auch mit Georg Muche an historischen Wandtechniken und experimentellen Farbaufträgen. Hier kam ihm seine Lehre als Dekorationsmaler bei seinem Onkel Gustav Kämmerer sehr zugute. Herberts erinnert sich 1979: »Hier muss man wissen, dass Baumeister, der bei Beginn seiner beruflichen Laufbahn durch handwerkliche Lehre und Schulung gegangen war, eine fast unvorstellbare Universalität in der Beherrschung aller denkbaren Maltechniken besaß. Jeden BildVorwurf konnte er sofort umsetzen in konkrete Vorstellungen, wie man Vorwurf, Stilform und Maltechnik gestalten könne. [...] Insgesamt besaß Baumeister nicht nur eine umfassende äußere Kenntnis der Maltechnik, er hatte eben auch, wie angedeutet, ein sicheres intuitives Gefühl, wo die Grenzen eines Materials und seiner Verwendungsmöglichkeiten liegen.«8 Auch der Stuttgarter Kunsthistoriker Hans Hildebrandt, der Ehemann von Lily Hildebrandt, wurde in einige dieser kollektiven Projekte, vor allem für die kunsthistorischen Teile, eingebunden. Seine Art und Weise, Texte zu schreiben und zu korrigieren, war jedoch weder bei Heinz Rasch noch bei Willi Baumeister besonders beliebt. In der Zeit von 1938 bis 1942 wurden sieben verschiedene Bücher unter dem Namen von Dr. Kurt Herberts publiziert, bei denen Willi Baumeister entweder grafische Gestaltungsaufgaben, bestimmte Abbildungen, Teile der Texte oder die praktische Ausführung der verschiedenen maltechnischen Experimente übernommen hatte. Es handelt sich um folgende Bücher: 10 000 Jahre Malerei und ihre Werkstoffe (1938), Geschichtliches vom Malwerkstoff (1939), Dokumente zur Malstoffgeschichte (1940), Untersuchungen über die Anwendbarkeit historischer Malverfahren (1941), Anfänge der Malerei. Die Fragen ihrer Maltechniken und das Rätsel der Erhaltung (1941) und Aus der Maltechnik geboren. Eine Studie (1942). Drei weitere, umfangreiche Typoskripte, die 1942 offenbar bereits druckfertig waren, konnten wegen der letzten Kriegsjahre erst nach 1945 erscheinen. Unter der Mitarbeit bzw. Autorschaft von Willi Baumeister entstanden die Manuskripte Die Wandbildtechniken und ihre baulichen und sonstigen Voraussetzungen, Die Maltechniken. Mittler zwischen Idee und Gestaltung und Modulation und Patina, von Baumeister salopp mod & pat genannt. Sie blieben jedoch aufgrund des Krieges unvollendet und wurden 1947 von dem Züricher Verlag, der die beiden Bücher herausbringen sollte, an Kurt Herberts zurückgegeben. Letztendlich erschienen sie erst 1953, 1957 und 1989.9 Wände und Wandbild Das erste dieser beiden Typoskripte mit dem Arbeitstitel Die Wandbildtechniken und ihre baulichen und sonstigen Voraussetzungen ist 1940/41 unter der Mitarbeit von Willi Baumeister, Heinz Rasch, Prof. Dr. Hans Hildebrandt und Prof. Hugo Keuerleber entstanden.10 Erste Ideen von Heinz Rasch, der sehr bald die Publikation der in Zusammenhang mit der Herstellung des Wandbilderzyklus entstandenen Textfragmente und Briefe anregte, stammen bereits vom August 1940. Sie stehen unter dem unmittelbaren Eindruck der vollendeten Wandmalereien von Willi Baumeister.11 Unter dem Titel Wände und Wandbild. Die Wandbildtechniken, ihre baulichen Voraussetzungen und geschichtlichen Zusammenhänge erschien es schließlich zehn Jahre später 1953 in Stuttgart. Immerhin wird Baumeister im Vorwort kurz namentlich erwähnt. Aber weder taucht sein Name im Personenregister noch bei den Bildnachweisen auf. Die Arbeiten lassen sich aber aufgrund einer stilistischen Einordnung eindeutig als Werke von seiner Hand bestimmen. Bei vielen Fotografien der verschiedenen Arbeitsprozesse sind außerdem seine markanten und kräftigen Hände deutlich zu erkennen. Es erscheint aus heutiger Sicht immer noch unverständlich, warum Baumeister nicht wenigstens in den drei Büchern, die nach 1945 erschienen und in denen seine Mitarbeit einen signifikanten Anteil hatte, korrekt als Mit-Autor dieser Werke genannt wurde.12 Das Buch Wände und Wandbild ist auch heute noch ein echter Geheimtipp für Baumeister-Fans. Man kann dem Künstler praktisch über die Schulter blicken und ihm beim Anfertigen der unterschiedlichsten Werke in den verschiedensten Techniken zuschauen. In vielen Abbildungen erkennt man seine markanten Hände während der einzelnen Herstellungsphasen. Aber auch seinen typischen Strich, seine sehr persönliche Farb- und Formgebung und seine Schrift registriert man sofort. Dieses Buch hat bisher kaum eine ausreichende Würdigung erfahren. Es ist wirklich verblüffend, wie vielfältig und technisch versiert Baumeister war. Doch ebenso sind einige Arbeiten von Oskar Schlemmer in diesem Buch zu finden. Auch sie erkennt man sofort an ihrem besonderen Malstil. Die kunsthistorischen Teile stammen von dem Stuttgarter Kunsthistoriker Hans Hildebrandt. Es erstaunt, dass selbst acht Jahre nach dem Zusammenbruch der Nazi-Diktatur dieses Buch immer noch ohne jeglichen Hinweis auf eine Autorschaft oder Mitarbeit von Willi Baumeister erscheinen konnte. In seinem Schreiben an Adolf Schneck merkt er an, dass es diese Bände noch gäbe und sie in Zürich gedruckt liegen würden. Aber sie erschienen wie erwähnt erst 1953 in Stuttgart im Stähle & Friedel Verlag.

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