Leseprobe

27 / 1 / Willi Baumeister Skizze zum Maiglöckchen-Bild (nach Otto Meyer-Amden), undatiert, Bauhaus-Archiv, Berlin Ida Kerkovius 1908 kam die 29-jährige Ida Kerkovius aus ihrer baltischen Heimat Riga nach Deutschland und ging zunächst nach Berlin, wo sie privaten Kunstunterricht im Akt- und Porträtzeichnen bei dem Künstler Adolph Meyer nahm. Sie war jedoch mit seiner akademischen Ausbildungsmethode unzufrieden und verließ noch im Herbst desselben Jahres die Stadt, um nach Stuttgart an die Königliche Akademie der Bildenden Künste zu Adolf Hölzel zu wechseln. Kerkovius kannte Hölzel schon aus ihrer Dachauer Zeit. Denn sie hatte als 23-Jährige im Sommer 1902 fünf Monate lang, von Mai bis September, bei Hölzel in Dachau privaten Malunterricht in seiner dortigen Malschule genommen. Auf der Rückfahrt von Italien mit ihrem Onkel Heinrich und ihrer Tante Minna über Rom, Venedig und Florenz trennte sie sich in Wien von den Verwandten und reiste allein weiter nach Dachau. Sie wurde eine der ersten Schülerinnen von Adolf Hölzel, der sie seinem Malerkollegen Ludwig Dill mit den Worten vorstellte: »Fräulein Kerkovius aus Riga über Rom – eine ganz moderne Malerin.«10 In Stuttgart fand sie Unterkunft im Haus des Württembergischen Malerinnenvereins in der Eugenstraße 17, einer der frühesten Institutionen emanzipierter Künstlerinnenbewegungen.11 Wie aus den Jahresberichten hervorgeht, muss sie bis 1913 in der Eugenstraße 17 gewohnt haben. Sie trat im selben Wintersemester 1910/11 in die Hölzel-Klasse ein, wie Willi Baumeister und Lily Hildebrandt. 1911 wurde Kerkovius Assistentin von Adolf Hölzel und unterrichtete neben anderen Schüler:innen auch den Schweizer Künstler Johannes Itten und die Frankfurter Künstlerin und spätere Galeristin Hanna vom Rath. Von 1913 bis 1915 konnte Kerkovius sehr wahrscheinlich eines der begehrten Meisterschüler-Ateliers in den Unteren Anlagen des Schlossgartens für sich in Anspruch nehmen, die 1901 von dem Architekten Albert Hangleiter erbaut und im Zweiten Weltkrieg durch Bombenangriffe zerstört wurden. Sie besaßen Zentralheizung, fließendes Wasser, elektrischen Strom und Telefon. Neben ihrem Lehrer Adolf Hölzel hatten auch Baumeister, Schlemmer, Stenner und Hildebrandt dort ihre Ateliers. Ab 1915 war Kerkovius in ihrer neuen Wohnung im obersten Stockwerk der Urbanstraße 53 gemeldet, in der sie bis zur Bombardierung im März 1944 arbeitete und lebte.12 Hermann Stenner Zum Sommersemester 1910 kam der in Bielefeld geborene Maler Hermann Stenner aus München nach Stuttgart. Er trat in die Malklasse von Christian Landenberger ein, in der zuvor auch Oskar Schlemmer studiert hatte. Im Wintersemester 1911/12 wechselte Stenner in die Klasse von Adolf Hölzel. Er war nun Komponierschüler und blieb sechs Semester lang bei Adolf Hölzel. Im März 1912 erhielt er eines der quadratischen und 49 Quadratmeter großen Meisterschüler-Ateliers. Es gab fünf Ateliers im Obergeschoss, die von den Malern belegt waren, und fünf Ateliers vorwiegend für Bildhauer im Erdgeschoss.13 Stenner fuhr auf alle Sommerexkursionen Hölzels mit, 1912 nach Montjoie (ab 1918 Monschau) im Kreis Aachen, 1913 nach Schleißheim bei München und 1914 nach Meersburg am Bodensee. 1913 stellten Baumeister, Schlemmer und Stenner gemeinsam im Neuen Kunstsalon am Neckartor, den Oskar Schlemmer zusammen mit seinem Bruder Karl leitete, aus. Der Ausstellung schlug ein Sturm der Entrüstung durch den Kritiker des Stuttgarter Neuen Tagblatts, Hermann Tafel, entgegen, der die ausstellenden Künstler als »arme verirrte Unglückliche« bezeichnete.14 Auch bei dem Wandbilderauftrag für die Deutsche Werkbund-Ausstellung in Köln 1914 arbeitete Stenner mit Oskar Schlemmer und Willi Baumeister zusammen an einem Zyklus zum Leben der Heiligen Ursula.

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