Leseprobe

25 / ← / V. l. n. r.: Alfred Wickenburg, Ida Kerkovius, Peter Eggers, Edmund Daniel Kinzinger, Hermann Stenner, Adolf Hölzel, Carry van Biema, Willi Baumeister, Oskar Schlemmer, Heinrich Eberhard, Degerloch, 1914 halb der Akademie versperrt war. Zudem sah ich mich der untilgbaren Blamage gegenüber, die Akademie verlassen zu müssen. In diesen, auf meiner siebzehnjährigen Jugend schwer lastenden Umstände [sic!] und auf der Suche nach irgendeiner Möglichkeit, erfuhr ich zufällig, dass einer der drei MalklassenProfessoren so veraltet sei, dass ihn kein Schüler mehr als Lehrer wählte und dass er zur Zeit überhaupt keinen Schüler hätte. Dieser Malklassen-Professor nahm mich gegen den eigentlichen Willen des Konvents auf. Ich hatte das Pensum, das die Zeichenklasse zum Aufstieg in die Malklasse setzte, nicht erfüllt, kaum angefangen.«2 Dieser »veraltete« Maler war Gustav Igler, der von 1888 bis 1914 Professor an der Königlichen Kunstschule und späteren Akademie war. Zu ihm wechselte Baumeister zu Beginn des Sommersemesters 1909 und blieb dort bis Ende des Sommersemesters 1910, also für drei Semester. Er begann in den Jahren bei Gustav Igler, neoimpressionistische Gemälde zu malen, und setzte sich mit Paul Cézannes Badenden auseinander. Sehr schnell wusste auch Igler nichts mehr mit seinem Schüler anzufangen und verweigerte ihm die weitere Unterstützung. Damit stand er im März 1910 zum zweiten Mal vor einem drohenden Rauswurf aus der Akademie. Igler gab ihm aber wenigstens noch einen Tipp. »›Wenn Sie so arbeiten wollen, so können Sie das bei einem gewissen Herrn Kollegen machen, aber nicht bei mir.‹ Wer damit gemeint war, wußte ich damals nicht. [...] Damit war zum zweitenmal [sic!] die Katastrophe der Entlassung umgangen und der Aufstieg in eine Komponierklasse gesichert, obschon auch dieser Übertritt in gewissem Sinne illegal war. Denn ich hatte auch das geforderte Pensum in der Malklasse nicht erfüllt.«3 Dieser »gewisse Herr Kollege« war der Maler Adolf Hölzel, der ihm schon zuvor über einen Schüler ausrichten ließ, dass er Baumeisters Malerei schätzte und er ihn doch mal besuchen solle.4 Hölzel wurde zum selben Zeitpunkt, als Baumeister sein Studium aufnahm, nämlich zum Wintersemester 1905/06, an die Königliche Württembergische Akademie berufen. Er hatte zuvor in Dachau bei München eine private Malschule geleitet, in der er vor allem Künstlerinnen wie Ida Kerkovius, Lily Hildebrandt, Martha Cunz, Bettina Feistel-Rohmeder, Emmy Louise Walther, aber auch Männer wie August von Brandis, Emil Nolde, Ernst Norlind und Rudolf Levy unterrichtete. Im Alter von 21 Jahren traf Willi Baumeister im Oktober 1910 in der Hölzel-Klasse auf eine hochinteressante und sehr internationale Mischung von Kunststudenten und -studentinnen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Holland (Abb. S. 22–23). Er begegnete dort unter anderem Paul Bollmann, Heinrich Eberhardt, Josef Eberz, Lily Hildebrandt, Johannes Itten, Ida Kerkovius, Otto Meyer, Alfred Heinrich Pellegrini, Oskar Schlemmer und Hermann Stenner. Ein erstes Atelier fand er im Hinterhaus der Friedensstraße 11 gegenüber der Friedenskirche, in dem auch andere Stuttgarter Künstler:innen wie Johannes Itten, Hanna vom Rath aus Frankfurt oder Lily Hildebrandt Nachdem Wilhelm Friedrich Baumeister 1905 erfolgreich die Reifeprüfung an der Königlichen Friedrich-Eugen-Realschule in Stuttgart absolviert hatte, begann er am 1. Juli 1905 zunächst eine Lehre als Dekorationsmaler im Malergeschäft seines Onkels Gustav Kämmerer. Ein paar Monate später, im Oktober 1905, wurde er an die Königliche Württembergische Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart zum Studium zugelassen. Er war zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz 17 Jahre alt. Nach der damaligen Studienordnung musste man zunächst zwei Jahre lang die Zeichenklasse besuchen, bevor man dann in die Malklasse und danach in eine der angesehenen Komponierklassen wechseln konnte. Die Zeichenklasse absolvierte er bei dem Landschafts- und Stilllebenmaler Robert Poetzelberger. Das Studium stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Und das gleich aus mehreren Gründen: Wegen seiner parallelen Malerlehre konnte Baumeister nur mit halber Kraft, nämlich nur in den Wintersemestern, an der Akademie studieren, sodass sich die zweijährige Grundausbildung in der Zeichenklasse über dreieinhalb Jahre, bis zum Ende des Wintersemesters 1908/09, hinzog. Baumeister befand sich erst im dritten Studiensemester. In den Sommermonaten war er mit seiner Malerlehre beschäftigt, die er im August 1907 endlich mit der Gesellenprüfung abschloss. Aber gleich danach wurde er vom 1. Oktober 1907 bis zum 30. September 1908 zum einjährigen Militärdienst bei der 2. Kompanie des 7. Württembergischen Infanterie-Regiments »Kaiser Friedrich, König von Preußen« eingezogen, wo er auch eine Art von Grundausbildung – aber ganz anderer Art – erhielt und im Rang eines Gefreiten entlassen wurde.1 Zusätzlich, als ob das alles immer noch nicht für einen angehenden Künstler genügen würde, nahm er zusammen mit seinem Schulfreund Gustav Schleicher, dem späteren Künstlerfreund und Stadtbaurat von Stuttgart, privaten Kunstunterricht bei dem Maler Josef Kerschensteiner, einem Tiermaler und Mitglied des Stuttgarter Künstlerbunds. Er lud sich ziemlich viel auf die Schippe. Eigentlich zu viel, muss man aus heutiger Sicht feststellen. Eine Lehre, privater Kunstunterricht, Akademiestudium, Militärdienst. Die Eltern müssen wahrlich stolz auf ihren Sohn gewesen sein. Er selbst schrieb in einem autobiografischen Rückblick: »Ich wurde im Jahr 1905 unter dem Prädikat ›bedingt‹ in die Zeichenklasse der Stuttgarter Kunst-Akademie für die folgenden Wintersemester aufgenommen (sommers Lehrling in einem Malergeschäft). [...] Nach 2 oder 3 Semestern, in denen ich kaum in der Klasse geduldet, mitgehinkt hatte und meist degradiert in der entsetzlichen Gipsklasse schwersten Zweifeln ausgesetzt war, wurde meine Bemühung vom Professor endgültig als unbegabt abgelehnt. Da ich jedoch eisern bestrebt war, trotz allem ein Maler zu werden, ergab sich ein unlösbares Problem, was ich jetzt zu tun hätte, da der normale Weg des Aufstiegs: Zeichenklasse, Malklasse, Komponierklasse inner­

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1