MARKUS A. DENZEL (HG.) unter Mitarbeit von ANAHIT AVAGYAN, GRIGOR GRIGORYAN, HAKOB MATEVOSYAN UND ARMINE MELKONYAN Das Armenische Kaufmannshandbuch des Łukas Vanandec‘i (1699) 7 Armenier im östlichen Europa | Armenians in Eastern Europe
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Das Armenische Kaufmannshandbuch des Łukas Vanandecʻi (1699) MARKUS A. DENZEL (HG.) unter Mitarbeit von ANAHIT AVAGYAN, GRIGOR GRIGORYAN, HAKOB MATEVOSYAN und ARMINE MELKONYAN 7 SANDSTEIN
Bálint Kovács und Stefan Troebst 6 Vorwort Markus A. Denzel 8 Das armenische Kaufmannshandbuch des Łukas Vanandec‘i (Lukas von Vanand) von 1699 Einleitung Łukas Vanandec‘i 68 Faksimile Ausgabe Ein Schatz des Maßes, des Gewichts, der Zahl und der Währungseinheiten der ganzen Welt, welcher die Kenntnis von aller Art von Gewichts-, Maß- und Währungseinheiten ist, womit der Handel der ganzen Welt geführt wird Grigor Grigoryan und Markus A. Denzel 150 Edition Anahit Avagyan, Armine Melkonyan und Erna Shirinian 212 Lukas von Vanand und die armenische Druckerei der Vanandec‘is in Amsterdam Sargis Baldaryan 230 Lukas von Vanand und Kostand von Julfa Zwei armenische Autoren von Kaufmannshandbüchern der Frühen Neuzeit Anhang 241 Bibliographie 258 Register Inhalt
Das armenische Kaufmannshandbuch des Łukas Vanandec‘i (Lukas von Vanand) von 1699 Einleitung MARKUS A. DENZEL
Das armenische Kaufmannshandbuch des Łukas Vanandec‘i (Lukas von Vanand) von 1699 9 q Im Jahre 1699 veröffentlichte die Amsterdamer Druckerei der Familie Vanandec‘i ein von einem ihrer Mitglieder, von Ghukas Vanandec‘i (Łukas Vanandec‘i) oder Lukas von Vanand, unter dem Titel Ein Schatz des Maßes, des Gewichts, der Zahl und der Währungseinheiten der ganzen Welt, welcher die Kenntnis von aller Art von Gewichts-, Maß- und Währungseinheiten ist, womit der Handel der ganzen Welt geführt wird, zusammengestelltes Kaufmannshandbuch.1 Dieses Buch, das auf ein älteres Manual des Constant von Julfa aus den 1680er Jahren zurückgeht und »auf den Erfahrungen der Armenier im damaligen Welthandel [beruht]«,2 bietet einen einzigartigen Ein- und Überblick in die Handelswelt der armenischen, genauer: der Neu-Julfaner Kaufleute in der Zeit um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert. Deren über weite Teile Asiens und Europas gespanntes, in der Isfahaner Vorstadt Neu-Julfa zentriertes Handelsnetzwerk ist seit mehreren Jahrzehnten Gegenstand umfangreicher Forschungen, unter denen die Monographien von Edmund Herzig, Vahan Baibourtian, Ina Baghdiantz-MacCabe und Sebouh David Aslanian zusammen mit der Studie von Rudolph P. Matthee über die Handelspolitik des persischen Safawiden-Reiches am breitesten angelegt und damit in der jüngeren Forschung maßgeblich sind.3 Die einzelnen Knotenpunkte dieses Handelsnetzwerkes bildeten im 17. und in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts eine Art frühneuzeitlicher ›Seidenstraße‹ zwischen Westeuropa und Ostasien – und dies im wahrsten Sinne des Wortes, war doch persische Rohseide das Haupthandelsprodukt der Neu-Julfaner Familien-Handelsgesellschaften. Diese armenische Seidenstraße ließ das Safawiden-Reich für diese knapp eineinhalb Jahrhunderte Teil einer frühmodernen »Weltwirtschaft«4 (auch wenn dieser Begriff hier freilich anachronistisch gebraucht ist) bzw. eines frühneuzeitlichen »Welthandelssystems« sein: »Iranian silk ... remained a fundamental luxury Asian product that affected the trading relations between Asia and Europe as a whole: key players in this trade were the Armenians and the city of New Julfa, created by the Safavids during the seventeenth century, with the express purpose of facilitating the increase of silk exports from Iran to expanding European markets.«5 Auf dieses Handelsnetzwerk wirft das Kaufmannshandbuch des Lukas von Vanand ein besonderes Licht: Wie in einem Brennglas erscheint der Neu-Julfaer Fernhandel fokussiert, wobei mehrfach eine speziell Amsterdamer Perspektive deutlich, d. h. das Gesamtsystem des armenischen internationalen Handels aus seiner westlichen ›Peripherie‹ – gleichwohl aus dem ›Welthandelszentrum‹ der Zeit – beleuchtet wird. Diese Besonderheit und nicht zuletzt die Tatsache, dass bislang keine vergleichbare Edition eines armenischen Kaufmannshandbuches vorliegt, machen die Kompilation von Lukas von Vanand zu einer einzigartigen Quelle, die wie kaum ein anderes Dokument Einblick in die Details des Neu-Julfaer Fernhandels in der – wie noch darzulegen sein wird – Zeit seines Höhepunktes gibt. 1 Als erste größere Vorstudie hierzu siehe Kévonian, Marchands arméniens. Baghdiantz-MacCabe, The Shah’s Silk, nimmt an einzelnen Stellen (S. 218, 279 f.) ebenfalls Bezug auf dieses Kaufmannshandbuch. 2 Sartor, Die Wolga, S. 64. 3 Herzig, Armenian Merchants; Baibourtian, International Trade; Baghdiantz-MacCabe, The Shah’s Silk; Aslanian, Indian Ocean; Matthee, Safavid Iran. Vgl. hierzu zusammenfassend Harris, Going the Distance, S. 209–218. 4 So ders., Safavid Economy. – Oder in einer anderen Diktion, aber mit ähnlicher Intention: Foran, The Making of an External Arena. 5 Vgl. dazu beispielsweise Ciriacono, The Early Modern »Silk Road«, S. 125. Vgl. Sen/Smith, Trans-Eurasian Routes.
q 10 Markus A. Denzel Das Kaufmannshandbuch wurde am 21. März (julianisch) bzw. 2. April (gregorianisch) 1699 abgeschlossen und in armenischer Sprache – genauer im Dialekt der Armenier Persiens bzw. NeuJulfas – veröffentlicht.6 Es ist somit für Kaufleute aus dem Inneren dieses Handelsnetzwerkes, Nachwuchskräfte und an den Handelsverhältnissen in fremden Städten Interessierte, verfasst worden, nicht für Außenstehende. Es wurde gedruckt, um nach Neu-Julfa geschickt zu werden, und sicherlich für in Amsterdam ansässige Armenier, wahrscheinlich auch für solche in Italien und vielleicht sogar für die an anderen Orten in Europa oder Asien – doch letzteres bleibt Spekulation, weil eine entsprechende Überlieferung bislang nicht nachgewiesen ist. Im Folgenden wird eine Einführung in die wesentlichen Themenfelder des Kaufmannshandbuches von Lukas von Vanand gegeben, dieses in die (europäische) Tradition der Erstellung von Kaufmannshandbüchern eingebunden und versucht, seine Bedeutung als Spiegel des Neu-Julfaer Handelsnetzwerkes um 1700 in einem internationalen Kontext zu umreißen. 1. Von Neu-Julfa nach Amsterdam: Das internationale Handelsnetz der armenischen Kaufleute 1.1. Neu-Julfa/Isfahan – Zentrum des armenischen Handelsnetzwerks Das Zentrum des armenischen Handelsnetzes, wie es sich im 17. und 18. Jahrhundert von Amsterdam und London im Westen bis nach Java und Manila im Osten erstreckte, war Neu-Julfa (Nor Djougha), ein Vorort oder eine ›Beistadt‹ von Isfahan, der seit 1598 neuen Hauptstadt des Safawiden-Reiches. Im Rahmen des seit Jahrzehnten andauernden Krieges zwischen dem Osmanischen und dem Safawiden-Reich wurden 1604 auf Befehl des persischen Schahs Schah ‘Abbās I. des Großen (1587–1629) hunderttausende Armenier und somit auch Einwohner des armenischen Handelszentrums (Alt-)Julfa7 nach Persien deportiert.8 In Isfahan wurden nach gesellschaftlichem Rang, Wohlstand und regionaler Herkunft vor der Deportation deutlich unterschiedliche Gruppen von Armeniern angesiedelt: Zum einen Handwerker, die sich im alten Isfahan niederließen; zum anderen kaukasische, vielfach zum Islam konvertierte Kriegsgefangene oder ›königliche Sklaven‹, die sogenannten Ghulams;9 und zum dritten – als wichtigste aus der hier gewählten Perspektive – 6 Kévonian, Marchands arméniens, S. 204; Baghdiantz-MacCabe, The Shah’s Silk, S. 280. – Nach Aussage des Kaufmannshandbuches (S. 2; siehe die Edition in diesem Band) erteilte der Onkel des Verfassers, Bischof Thomas von Vanand, am 16. Januar 1619 die Publikationsgenehmigung. 7 (Alt-)Julfa erscheint im ältesten europäischen Atlas als Chinla; Ortelius, Theatrum orbis terrarum, Karte 49; Theatrum Orbis Terrarum. Vgl. auch van den Broecke, Abraham Ortelius. – Zum Aufstieg der armenischen Kaufleute in (Alt-)Julfa Herzig, The Rise of the Julfa Merchants. 8 Bournoutian, The Armenian Community of Isfahan, part I, S. 30–34; Ganjalyan, Diaspora und Imperium, S. 61; Troebst, Isfahan – Moskau – Amsterdam, S. 182; Gregorian, Minorities of Isfahan, S. 665–668; Baghdiantz-McCabe, Opportunity and Legislation, S. 63. Nach Baghdiantz-MacCabe, The Shah’s Silk, S. 35–66, soll dahinter eine Art ›Masterplan‹ ‘Abbās I. gesteckt haben, um seine Machtposition als Schah politisch und wirtschaftlich abzusichern. Dem widersprechen zahlreiche andere, zuletzt Aslanian, Indian Ocean. – Zu Schah ‘Abbās I. vgl. auch die Biographie von Quinn, Shah ‘Abbas; zu seinen Beziehungen zur armenischen Kaufmannschaft ebd., S. 54–57, 71–73, 76. – Zur Frage der armenischen Diaspora ausführlich Baghdiantz-MacCabe, La diaspora marchande arménienne. 9 Zu den Ghulams ausführlich Baghdiantz-MacCabe, Global Trading Ambitions in Diaspora, S. 36 f. Vgl. auch Ganjalyan, Diaspora und Imperium, S. 61.
Das armenische Kaufmannshandbuch des Łukas Vanandec‘i (Lukas von Vanand) von 1699 11 q die Seidenkaufleute, die jenseits des Zayandeh-Flusses in der neuen Vorstadt Neu-Julfa ein wirtschaftlich und rechtlich herausgehobenes, städtisches Quartier bekamen.10 Zu ihren vom Schah gewährten Privilegien gehörten unter anderem die Erlaubnis zum Immobilienkauf und -verkauf (was allen übrigen Christen im Reich verwehrt war), die Wahl eines Kalantar11 – einer Art ›Bürgermeister‹ –, ein eigenständiges Gericht, dem auch die Aufsicht über alle Armenier von Isfahan zukam, sowie bedeutende religiöse, anderen Minderheiten nicht gewährte Freiheiten. Auch trugen die Einwohner von Neu-Julfa keine Verantwortung für die Ausgaben der eigentlichen Stadt Isfahan, womit eine verwaltungsmäßige Unabhängigkeit Neu-Julfas von Isfahan einherging.12 Die außergewöhnliche Bevorzugung der Armenier in Neu-Julfa lag in ihrer Tätigkeit im internationalen Rohseidenhandel begründet, mit welcher sie eine Mittler- und Intermediärstellung zwischen dem islamischen Mittleren Osten und dem christlichen Europa13 sowie zwischen den schiitischen Safawiden und dem sunnitischen Osmanischen Reich einzunehmen vermochten.14 Als solche erschienen sie Schah ‘Abbās I. und dem und der politischen Elite Persiens eine geradezu unersetzliche »service gentry« zu sein, eine »alien community with no power interests in Iran and no national state of their own.«15 Da die gesamte politische Ökonomie des Safawiden-Reiches auf der Rohseide als dem bedeutendsten Außenhandelsprodukt basierte und die Neu-Julfa-Armenier in jedem Bereich dieses zentralen Wirtschaftszweiges – von der Produktion bis zum Export – beteiligt waren, ja ihn vielfach dominierten, vermochten sie diese Ausnahmestellung gegenüber den übrigen Armeniern wie gegenüber allen übrigen Untertanen des Schahs einzunehmen.16 Nicht zuletzt war der Rohseidenhandel in dem seit 1501 bestehenden Dauerkonflikt zwischen dem Safawiden- und dem Osmanischen Reich gerade in den Jahrzehnten zwischen 1589 und 1639 »an important weapon«,17 so dass den Neu-Julfaner Seidenhändlern auch eine eminent politische Bedeutung zukam. Diese Position als die bevorzugten Handelsagenten des Schahs wurde zunächst ab 1592 offensichtlich, als ‘Abbās I. der wichtigsten seidenproduzierenden Provinz Gilan am Kaspischen Meer die letzten Reste ihrer Eigenständigkeit nahm und sie einige Jahre später dem persischen ›Kronland‹ (mulk-i khās.s.a) zuschlug:18 Der Seidenhandel gelangte mehr und mehr in die Hände der zu dieser Zeit noch in (Alt-)Julfa lebenden armenischen Kaufleute, die zugleich auch als Zwischen10 »[M]ost Armenians deported to the Isfahan area were working and living in the city, and the suburb of New Julfa was a quarter reserved exclusively for the wealthy silk merchants. No other Armenians were allowed to live in New Julfa«; Baghdiantz-MacCabe, Princely Suburb, S. 431. Als ausführliche Darstellung dieser gesellschaftlichen und urbanen Verhältnisse siehe ebd., S. 417–429; Karapetian, Is. fahān. 11 Zur Bedeutung der Person des Kalantars Aslanian, Social Capital, S. 393–396. 12 Bournoutian, The Armenian Community of Isfahan, part I, S. 35; Baghdiantz-MacCabe, Princely Suburb, S. 429 f.; Aslanian, Indian Ocean, S. 185–188. 13 Persische Rohseide war im 17. Jahrhundert das zweitwichtigste Importprodukt für Europa aus Asien; Floor, Silk Trade, S. 323. 14 Herzig, Venice and the Julfa Armenian Merchants, S. 151 f. 15 Aslanian, Indian Ocean, S. 38, 41 f. Vgl. auch Ganjalyan, Diaspora und Imperium, S. 62; Chaudhuri, Trade and Civilisation in the Indian Ocean, S. 224. 16 Baghdiantz-MacCabe, Global Trading Ambitions, S. 28. 17 Floor, Silk Trade, S. 323 f. (Zitat: S. 324). 18 Herzig, The Iranian Raw Silk Trade, S. 82; Goto, Die südkaspischen Provinzen, S. 171–177; wenig aussagekräftig hingegen Rabino, Les provindes caspiennes. – Gilan wurde seither aus Isfahan zentral verwaltet.
q 12 Markus A. Denzel händler zu den im Safawiden-Reich tätigen europäischen Ostindiengesellschaften bzw. deren Repräsentanten am Hofe von Schah ‘Abbās I. in Isfahan fungierten.19 Ihre schon im 16. Jahrhundert nicht unbeträchtliche Bedeutung im innerpersischen und internationalen Rohseiden-Geschäft vermochten die Neu-Julfaner Kaufleute dadurch und dann nochmals ab 1618/19 auszubauen, als der gesamte persische Rohseidenexport zum ›Kronmonopol‹ des Schahs erklärt (wenn auch nie vollständig durchgesetzt) wurde und sie dieses ›Monopol‹ gleichsam in Regie übernahmen. Sie hatten sich hierfür bei einer Auktion gegen die konkurrierende englische East India Company durchsetzen können, für die zu dieser Zeit »der Handel mit persischer Rohseide eine der tragenden Säulen des Asienhandels«20 war. Obwohl nach ‘Abbās I. Tod 1629 dieses ›Kronmonopol‹ wieder aufgegeben wurde, behielten die Krone und mit ihr die Neu-Julfaner Seidenhändler trotzdem weiterhin große Anteile am Rohseidenhandel, und dies bis in die Zeit der politischen Wirren der 1740er Jahre.21 Die Seidenkaufleute in Neu-Julfa waren – wie auch zuvor in (Alt-)Julfa – in zahlreichen Familien-Handelsgesellschaften22 organisiert, die jeweils vom ältesten männlichen Familienmitglied (Khodjah23) der patriarchalischen, bis zu mehreren hundert Personen umfassenden Großfamilie geleitet wurden. Der hohe Grad an sozialer Kontrolle, das wechselseitige Vertrauen und die Konzentration des Kapitals innerhalb einer Großfamilie sowie die Reduktion der Transaktionskosten und des hohen Risikos im Fernhandel durch ein innerfamiliäres Agentensystem (s. u.) sicherte den Bestand die Familienunternehmen oft über Jahrhunderte.24 Die armenische ›Gemeinde‹ von NeuJulfa war und blieb dabei sehr eigenständig, so dass es auch für andere Armenier kaum möglich war, dort vollwertiges Mitglied zu werden: »Their letters, books of advice for merchants and the comments of European travellers, all testify to the closed and tight-knit character of Julfan society.«25 – Im 17. und 18. Jahrhundert lebten in Neu-Julfa zwischen 10 und 30 000 Personen, von 19 Van Rooy, Armenian Merchant Habits, S. 347; Troebst, Isfahan – Moskau – Amsterdam, S. 183. 20 Weindl, Wer kleidet die Welt?, S. 109. 21 Herzig, The Iranian Raw Silk Trade, S. 82–84; Floor, Silk Trade, S. 324; Ganjalyan, Diaspora und Imperium, S. 62; Aghassian/Kévonian, The Armenian Merchant Network, S. 87. 22 Die in der älteren Literatur und noch von Baghdiantz-MacCabe, The Shah’s Silk, S. 10, 204, 241–261, sowie von Baibourtian, International Trade, S. 152, 160, 163 f., 167 f., 177 f., 180, 183, 187, vertretene Ansicht, die armenischen Seidenkaufleute seien in einer den westeuropäischen Ostindiengesellschaften vergleichbaren gemeinsamen Handelsgesellschaft organisiert gewesen, kann inzwischen als widerlegt gelten. Bekius, The Armenian Colony, S. 280, »found no evidence supporting McCabe’s hypothesis of the existence of a centrally-led Armenian trading company, based in Julfa in the Safavid period, directed by a board of directors comparable to western trading companies«. Diese überholte Forschungsmeinung beruhte auf einem Übersetzungsfehler aus dem Armenischen ins Russische im Handelsvertrag zwischen Zar Alexei Michailowitsch und armenischen Handelsgesellschaften von 1667 (s. u.); Khatschikjan, Der armenisch-russische Handelsvertrag, S. 154 f.; ders., Typology of the Trading Companies, S. 4; Ganjalyan, Diaspora und Imperium, S. 65. Vgl. Aslanian, The Circulation of Men and Credit, S. 146 f. 23 Khodjah (oder Chodjah) ist eine Art Ehrentitel für einen wohlhabenden, (erfolg)reichen Handelsherrn, in der Anrede vergleichbar mit dem englischen »Sir«, der hier aber nicht als Adelstitel verstanden werden darf (dies wäre dann Aga); Bournoutian, The Armenian Community, Part I, S. 30. Vgl. auch Korsch, The Sceriman between Venice and New Julfa, S. 365. 24 Ganjalyan, Diaspora und Imperium, S. 63 f.; Aslanian, Indian Ocean, S. 166–185. Auch nach Mauro, Merchant Communities, S. 273, waren Hauptgründe für den Erfolg der Armenier: »a great sense of solidarity based on kinship ties or marriage and on contractual relations, especially relations of trust, which did not exclude recourse in case of disputes to an informal system of arbitration and, more rarely, to systems of local justice«. Vgl. Troebst, Mittelmeer und Ostsee. 25 Herzig, Borrowed Terminology and Shared Techniques, S. 448.
Das armenische Kaufmannshandbuch des Łukas Vanandec‘i (Lukas von Vanand) von 1699 13 q denen nach Aslanian etwa 1 000 bis 1 500 im Neu-Julfaer Fernhandelsnetzwerk aktiv waren.26 Nach Bhattacharya waren es im 18. Jahrhundert nur 300 bis 400,27 doch findet sich hier keine Angabe, ob der Westen mit inbegriffen war oder nicht (dies scheint nicht der Fall zu sein). Auf diesen Grundlagen gelang es den Seidenkaufleuten von Neu-Julfa, ihr bestehendes Netzwerk zwischen Aleppo und dem nördlichen Indien mit immer mehr Knotenpunkten in Asien auszubauen, wobei seit dem Wendepunkt 1604/05 Neu-Julfa das mit Abstand wichtigste Zentrum des Netzwerks war und blieb, die übrigen Städte hingegen gleichsam Relais-Stationen von durchaus sich verändernder Relevanz bildeten.28 Diese »organized group of merchant families who ran this worldwide commercial network of Iranian silk exchanged for silver and European manufactured goods«29 wurde somit »the most prominent international merchants of Safavid Iran and one of the most conspicuously successful trading communities of early modern Asia«.30 Steensgard galten sie sogar als Archetyp des »Asian peddler«,31 zumal dieser Handel von Hafen zu Hafen gerade in der Zeit seit dem späten 17. Jahrhundert im Indischen-Ozean-Raum blühte.32 1.2. Der Handel nach Osten: Über Indien nach Manila33 Sind armenische Kaufleute im Landhandel von Persien nach (Nord-)Indien schon im 16. Jahrhundert nachgewiesen, so begannen sie in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, sich zunehmend in den Seehandel zwischen Indien, Südostasien und den Persischen Golf einzuschalten, zumal das Indien der Mogul-Zeit Ende des 17. Jahrhunderts stärker prosperierte als das Safawiden-Reich. Armenier waren in nahezu allen textilproduzierenden Zentren in Indien zu finden und banden sich – neben ihrem Hauptgeschäftsfeld, dem Handel mit Rohseide – zunehmend auch in die Produktion von und den Handel mit Indigo ein.34 Ihre Handelsgesellschaften wurden zur Konkurrenz selbst für die niederländische Vereenigde Oostindische Compagnie (VOC) und die englische East India Company (E. I. C.).35 Auf der Seeroute gelangten die armenischen Händler von Hormus bzw. dem 1623 gegründeten safawidischen Haupthafen Bandar ‘Abbās (vormals Gamron) am Persischen Golf nach Surat in Gujarat.36 Surat konnte ab dem 16. Jahrhundert als eine wichtige Hafenstadt des Mogul-Reiches und als internationales Handelszentrum insbesondere für Edelmetall gelten, wo die East India Company (ab 26 Aslanian, Indian Ocean, S. 179, 240 f. Anm. 54. Vgl. Ganjalyan, Diaspora und Imperium, S. 63. 27 Bhattacharya, Making Money, S. 17 f. 28 Mauro, Merchant Communities, S. 272 f.; Aghassian/Kévonian, The Armenian Merchant Network, S. 75. 29 Baghdiantz-MacCabe, Global Trading Ambitions in Diaspora, S. 28. Vgl. auch Bournoutian, The Armenian Community, part I, S. 34: »The reason for this favoritism was that the Julfans possessed wealth and talents which effected a considerable change in Persian economy.« 30 Herzig, The Family Firm in the Commercial Organisation, S. 288. 31 Steensgaard, The Asian Trade Revolution, S. 23–28. 32 Bhattacharya, Making Money, S. 3. 33 Vgl. hierzu die ausführliche Darstellung bei Aslanian, Indian Ocean, S. 44–65; Aghassian/Kévonian, Le commerce arménien. 34 Chaudhuri, Trade and Civilisation, S. 105; Baghdiantz-MacCabe, The Shah’s Silk, S. 289–291. 35 Ganjalyan, Diaspora und Imperium, S. 67; Bhattacharya, Making Money, S. 3. 36 Zum Aufstieg von Bandar ‘Abbās Steensgaard, The Asian Trade Revolution, S. 398–405.
q 40 Markus A. Denzel Der weitgespannte Fernhandel und das auf Vertrauen und Reputation basierende commendaSystem199 bedurfte – geradezu selbstverständlich – einer exakten Buchführung, auf deren Grundlage am Ende einer Geschäftsreise eines Agenten dieser mit dem Khodja abrechnen konnte.200 Diese Buchführung erfolgte in Form einer Papierrolle (griech. thomar), die als eine Art Kurzversion eines Journals in dualer Buchführung (kata ruznama)201 alle Transaktionen nach Debit und Credit auflistete, beginnend mit den Vereinbarungen des jeweiligen commenda-Vertrages und geordnet nach den jeweiligen Orten bzw. Ländern, in denen der Agent seinen Handel betrieb. Nach erfolgter Abrechnung stellte der Khodja dem Agenten einen ghatilayagir aus, ein Schreiben, mit dem die commenda regelgerecht aufgelöst und der Agent gleichsam ›freigesprochen‹ wurde. War die Buchführung hingegen fehlerhaft oder gar mit Fälschungen in betrügerischer Absicht versehen, drohten dem Agenten Strafen von bis zu einem Jahr Gefängnis oder wiederholter Auspeitschung.202 In Amsterdam gaben die armenischen Kaufleute die Buchhaltung in der Regel an professionelle Buchhalter ab, die für einige Jahre engagiert wurden und die die Bücher in armenischer Sprache zu führen hatten.203 In Neu-Julfa schlichtete eine Versammlung gewählter Gemeindevorsteher (Vacharakanats zhoghov) nach mündlich tradierten Regeln des armenischen Handelsrechts kommerzielle Konflikte; ähnliche Kaufmannsgerichte in anderen armenischen Gemeinden standen mit dem Gremium in Neu-Julfa in Verbindung und tauschten untereinander Informationen aus.204 Die für diese Geschäftstätigkeit erforderliche Ausbildung der Agenten erfolgte zunächst informell innerhalb der Großfamilien bei älteren Familienmitgliedern: »The family firm trained the younger merchants in calligraphy, accountancy, and the use of foreign languages. When they were old enough to accept financial responsibility, a trial sum would be assigned to them to manage on their own and they would graduate to positions as the firm’s factors in provincial branches. From that point onward inborn talent alone determined how high the youthful merchant would climb.«205 Ergänzend konnte der Besuch einer ›Handelsschule‹ beim Erlöserkloster in Neu-Julfa hinzukommen, die unter Leitung von Constant von Julfa stand und an der in den 1680er Jahren etwa 300 Nachwuchskräfte ausgebildet wurden. Das Lehrbuch war bemerkenswerterweise ein handschriftliches Handelskompendium von Constant aus ebendiesem Jahrzehnt, das folgende Themen behandelte:206 199 Aslanian, »The Salt in a Merchant’s Letter«, S. 150. Vgl. auch ebd., S. 187, und sehr ausführlich ders., Social Capital, S. 384–386, 390–393. 200 Zum Beispiel: Khachikyan, Sarhad’s Account-Book. Sarhad diente 1713 als commenda-Agent in Holland und Russland. 201 Herzig, The Armenian Merchants, S. 435–437, und Aslanian, Indian Ocean, S. 126, sprechen von einer doppelten Buchführung, wobei dieser Begriff für die armenische Form eher unpassend erscheint. Zur armenischen Art der Buchführung vgl. auch Baghdiantz-MacCabe, The Shah’s Silk, S. 219–223. 202 Ganjalyan, Diaspora und Imperium, S. 64 und S. 66 mit Anm. 285; vgl. Aslanian, Indian Ocean, S. 198; ders., The Circulation of Men and Credit, S. 135 f.; ders., Indian Ocean, S. 197–200; Khachikian, Typology, S. 2 f. – Als Fallbeispiel siehe etwa Aghassian/Kévonian, The Armenian Merchant Network, S. 78–81. 203 Bekius, The Armenian Colony, S. 272. 204 Ebd., 166–201. 205 Chaudhuri, Trade and Civilisation, S. 211. 206 Ganjalyan, Diaspora und Imperium, S. 64 f. mit Anm. 277; Aslanian, The Circulation of Men and Credit, S. 136– 138 mit Anm. 39; ders., «The Salt in a Merchant’s Letter”, S. 15; Curtin, Cross-Cultural Trade, S. 193.
Das armenische Kaufmannshandbuch des Łukas Vanandec‘i (Lukas von Vanand) von 1699 41 q q die Bedeutung und den Nutzen des Handels – in Frage und Antwort-Passagen – sowie kaufmännische Ehre und Vertrauen; q die wichtigsten Handelsrouten von Manila im Osten bis Cádiz und Amsterdam im Westen und dem ostafrikanischen Königreich von Monomotapa (s. u.) im Süden; q Währungen und Gewichte der einzelnen Plätze, aktuelle Preise sowie Hinweise, welche Güter gehandelt werden sollten und welche eher nicht; q ethnographische Hinweise; q Geldkurse zwischen verschiedenen Währungen; sowie q Rechenweise207 und Buchführung. Dieses Kompendium von Constant diente zugleich auch als Handbuch für die reisenden Agenten, die während ihrer Ausbildung in Neu-Julfa die für sie relevanten Passagen daraus abgeschrieben haben. Nicht zuletzt diente es als Grundlage für das Handbuch von Lukas von Vanand von 1699.208 3. Das Kaufmannshandbuch von Lukas von Vanand 3.1. Handelspraktiken – Kaufmannshand- und -notizbücher im kommerziellen Schrifttum Europas209 Das Kaufmannshandbuch von Lukas von Vanand steht – mindestens aus europäischer Perspektive – in einer jahrhundertelangen Tradition: Seit dem hohen bzw. späten Mittelalter setzte im westlichen Mittelmeerraum und insbesondere in den italienischen Handelszentren die schriftliche Fixierung grundlegender Informationen über kaufmännisches Handeln in Buchform ein. Dabei können im Wesentlichen vier grundlegende Wissensfelder unterschieden werden: q die ›Verwaltung‹ der Geschäfte, d. h. die Buchhaltung zur Aufzeichnung der einzelnen Geschäftsoperationen und die mit den jeweiligen Vorgängen im Zusammenhang stehende Korrespondenz; q die Kunde von den gehandelten Gütern (Warenkunde); q das Wissen um die konkrete Handelspraxis, wie sie an einem Ort, in einer Region oder einem Land gebräuchlich war; und q schließlich – wenn auch in ihren Inhalten vielfach nicht allein auf kaufmännische Geschäftstätigkeit beschränkt – die angewandte Rechenkunst. Diese Bücher konnten einerseits der kaufmännischen Ausbildung dienen, andererseits es dem ausgebildeten und erfahrenen Kaufmann – wenn er dies wollte und für notwendig erachtete – gestatten, sich eine Art Handapparat für sein Kontor und/oder seine Reisen aus denjenigen Werken zusammenzustellen, die er für seine tagtägliche Arbeit und wohl auch Weiterbildung benötigte. 207 Zur Rechenweise: Constant verwendete in traditioneller Weise die damals gebräuchlichen 36 Buchstaben des armenischen Alphabets, eingeteilt in vier Neuner-Gruppen, als Zahlschrift, nicht aber die Null; Aslanian, The Circulation of Men and Credit, S. 137 f.; Aghassian/Kévonian, The Armenian Merchant Network, S. 83 f. 208 Ganjalyan, Diaspora und Imperium, S. 64f. mit Anm. 277; Aslanian, The Circulation of Men and Credit, S. 138 mit Anm. 41; ders., »The Salt in a Merchant’s Letter«, S. 155 mit Anm. 78; Curtin, Cross-Cultural Trade, S. 193. Vgl. auch Aghassian/Kévonian, The Armenian Merchant Network, S. 83 mit Anm. 22. 209 Die folgenden Ausführungen im Wesentlichen und zum Teil wortwörtlich nach Denzel, Handelspraktiken; ders., »Wissensmanagement«.
q 42 Markus A. Denzel Dabei nahmen die Schriften über die Buchführung einerseits und die über die kaufmännische Praxis andererseits Schlüsselstellungen ein, während Ausführungen zur Warenkunde vor dem 18. Jahrhundert in der Regel in letztere integriert wurden und sich in beiden Hauptgattungen vielfach auch Ausführungen zur Arithmetik fanden. Jedoch stehen im Folgenden die Schriften zur Handelspraxis im Mittelpunkt der Ausführungen: Gerade aufgrund ihres – in der Regel weit überwiegend – handelspraktischen Inhalts werden sie als ›Handelspraktiken‹ bezeichnet.210 Der Begriff der ›Handelspraktik‹ geht dabei auf das wohl berühmteste spätmittelalterlichen Werk dieser Art zurück, das seinen Titel erst im 18. Jahrhundert von seinem damaligen Herausgeber Gian Francesco Pagnini della Ventura (1766)211 erhalten hatte: Francesco Balducci Pegolottis Pratica della Mercatura (um 1340),212 mit dem die Technik der Anlage derartiger kaufmännischer Notizbücher ihren ersten Höhepunkt erreichte. Auch die etwa ein Jahrhundert jüngere, ähnliche Schrift von Uzzano (um 1442),213 welche die umfassendste, wenn auch bereits zur Zeit ihrer Abfassung zumindest teilweise veraltete214 Handelspraktik des 15. Jahrhunderts darstellt, wurde von Pagnini unter diesem Titel herausgegeben. Die Handelspraktiken umfassen dabei die für den Kaufmann einer Epoche, einer Region oder einer bestimmten Spezialisierung – etwa auf eine einzelne Warengattung oder das Wechselgeschäft – in der Regel (relativ) systematisch wiedergegebenen Informationen über Münzen, Maße und Gewichte an verschiedenen Handelsplätzen. Darüber hinaus werden die an verschiedenen Handelsplätzen gebräuchlichen Usancen (»Platzgebräuche«) des Handels, allgemein oder speziell für einzelne Waren(gruppen) – unter anderem Fracht, Maklergebühren, Zölle und Zollbestimmungen, Niederlagevorschriften usw. – und des Zahlungsverkehrs berücksichtigt. Mit der Ausbreitung des bargeldlosen Wechselverkehrs seit dem 14. Jahrhundert wurde gerade dessen Abwicklung, seine Usancen und Wechselkurse ein, vielfach auch der zentrale Gegenstand der Ausführungen. Auch die Institutionen des Handels und Zahlungsverkehrs können in Handelspraktiken Beachtung finden, so vor allem die großen internationalen Messen. »Nicht das abstrakte Wissen der Scholastik, das dem Alltagsleben mit Verachtung gegenüberstand, sondern Mitteilungen über das Konkrete, Gegenständliche und Faßbare bildeten das, was sich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Verfasser dieser kaufmännischen und unternehmerischen Handbücher befand«.215 Der jeweilige Verfasser strebte dabei zu allen Zeiten insoweit nach weitgehender Vollständigkeit an Information, als dies für seinen avisierten Adressatenkreis relevant war. Die Gesamtheit spätmittelalterlicher Handelspraktiken gliedert Peter Spufford in Zibaldoni (in der Übersetzung von Michael North: »Kaufmannsnotizbücher«) und Manuali (»Kaufmannshand210 Johannes Burkhardt bevorzugt den Begriff »Tractatus de Mercatura, das Handelsbuch und Kaufmannshandbuch, in dem das professionelle Wissen des Berufsstandes zusammengefaßt wird«; er schließt hierbei aber auch Warenkunde, Handelsrecht und Handelskorrespondenzlehre mit ein, nicht jedoch Buchführung und angewandte Rechenkunst; Burkhardt, Die Entdeckung des Handels, S. 18. 211 Pagnini della Ventura, Della decima. 212 Pegolotti, La Pratica della Mercatura. 213 Pagnini della Ventura, Delle decima, Bd. IV (1766): La Pratica della mercatura. 214 Spufford, Handbook, S. XLIX, 191. 215 Gurjewitsch, Der Kaufmann, S. 294.
Das armenische Kaufmannshandbuch des Łukas Vanandec‘i (Lukas von Vanand) von 1699 43 q bücher«).216 Zibaldoni sind dabei die ursprüngliche Form handschriftlicher Bücher über die Handelspraxis an den Orten, an denen der jeweilige Kaufmann, der das Notizbuch niederschrieb, oder seine Unternehmung Handelsgeschäfte tätigte, die er selbst bereist hatte, oder wo er interessiert war, Geschäfte neu aufzunehmen. Das einzelne Notizbuch führte ein Kaufmann somit selbst, um Informationen für sich in kompakter Form vorliegen zu haben und nachschlagen zu können, oder für seinen Sohn, Nachfolger, Geschäftspartner usw., um ihm diese Informationen zur Verfügung zu stellen. Sein vorrangiger Quellenwert liegt somit in der individuellen Wissensvermittlung, d. h. im Transfer von kaufmännischem Spezialwissen, das für eine Veröffentlichung aus Gründen der firmeninternen Geheimhaltung nicht in Frage gekommen wäre. Damit spiegeln sich in den Zibaldoni die im Laufe eines Kaufmannslebens gesammelten mehr oder minder individuellen Erfahrungen wider, die auf diese Weise späteren Generationen bewusst überliefert und als Basiswissen für künftige Geschäfte zur Verfügung gestellt werden. Ein Zibaldone wurde daher häufig auch nicht in einem kurzen Zeitraum abgefasst, sondern zum Teil über mehrere Jahrzehnte geführt. Aufgrund seines individuellen Charakters kann es nicht durchgängig als allgemein gültig oder repräsentativ für die Handelspraxis einer Epoche gelten. Demgegenüber können unter Manuali alle Standardtexte verstanden werden, die den einzelnen Kaufleuten zur Zusammenstellung individueller Zibaldoni als Basis dienten. Im Italien des 15. Jahrhunderts war die Kompilation oder mindestens das Kopieren eines Notizbuches zu einem regulären Teil der Kaufmannsausbildung geworden.217 Diese Handbücher der Handelspraxis besitzen gegenüber den Notizbüchern als zu analysierende Quelle den Vorteil, dass sie in der Regel das Wissen ihrer Zeit auf dem Handelssektor repräsentieren. Als das älteste Manuale im Vollsinn des Wortes ist nach Spufford El Libro di Mercatantie et Usanze de’ Paesi218 anzusehen, das er als »das Standardhandbuch für junge Geschäftsleute im 15. Jahrhundert« bezeichnet: »Der Inhalt war sicher umfassender als in jedem anderen erhaltenen Notizbuch; als ob er als Handbuch konzipiert worden wäre.«219 Dieser Standardtext diente in der kaufmännischen Ausbildung zum Studieren und Abschreiben, letztlich damit auch als Grundlage für die Kompilation neuer, individueller Zibaldoni, vielleicht sogar für die oben erwähnte Handelspraktik von Uzzano, die ja – wie im übrigen auch Pegolottis Werk – noch als Zibaldone zu gelten hat.220 Allerdings ist Uzzanos Handelspraktik unter den Kaufmannsnotizbüchern des 15. Jahrhunderts wohl das umfassendste gewesen. Dass es bereits zur Zeit seiner Abfassung zumindest teilweise veraltet war, war keineswegs ein Einzelfall.221 Mit dem Libro di Mercatantie war damit im Italien des 15. Jahrhunderts ein Standardtext vorhanden, der eine deutlich höhere Verbreitung erzielen konnte als alle Handelspraktiken vor ihm; denn mit der revolutionierenden technischen Innovation im Bereich des Buchdrucks durch den 216 Zum Folgenden Spufford, Spätmittelalterliche Kaufmannsnotizbücher. 217 Ebd., S. 110. 218 Borlandi, El Libro di Mercatantie. Nach Kellenbenz war sein Verfasser Giovanni Chiarini; dies ist aber ungesichert; Kellenbenz (Hrsg.), Handelsbräuche, S. 6. 219 Spufford, Kaufmannsnotizbücher, S. 110. 220 Ebd., S. 113. 221 Ebd., S. 109; ders., Handbook, S. XLIX, 191.
q 44 Markus A. Denzel Druck mit beweglichen Lettern222 hatte sich die Möglichkeit eröffnet, auch kaufmännische Werke aller Art leichter, schneller, weiter und kostengünstiger zu diffundieren als jemals zuvor:223 Noch im ausgehenden 15. Jahrhundert wurde der Libro di Mercatantie dreimal gedruckt (Florenz 1481, Florenz etwa 1490, Parma 1498).224 Diese Entwicklung war dabei nicht nur für die italienischen Kaufleute von herausragender Bedeutung, sondern vielleicht sogar in noch größerem Maße für wissbegierige junge Kaufleute von jenseits der Alpen, die seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert zunehmend mindestens einen Teil ihrer Ausbildung in Italien absolvierten, so beispielsweise Anton Fugger oder sein Hauptbuchhalter Matthäus Schwarz: Der Libro di Mercatantie konnte ihnen als Grundlage für die Erstellung einer eigenen, individuellen Handelspraktik dienen, die sie entweder gleich als Ertrag ihrer Lehr- und Studienjahre in Italien mit nach Hause brachten oder die sie erst in ihrem späteren Wirkungskreis anlegten.225 Auf diese Weise fand das italienische Vorbild – oder um mit Fernand Braudel zu sprechen: das »Modell Italien«226 – wie in vielfältigen Bereichen des Geistes-, Kultur- und Wirtschaftslebens auch im Bereich der Handelspraktiken seine Nachahmer in weiten Teilen West- und Mitteleuropas. In größerer Zahl finden sich solche aber erst seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert, als sich im Gefolge der Europäischen Expansion nach Übersee der Schwerpunkt der europäischen Wirtschaft aus dem Mittelmeerraum an die Atlantikküste zu verlagern und Nordwesteuropa zur ökonomisch führenden Region Europas aufzusteigen begann. Aus Rücksicht auf ihre Adressaten unterschieden sich die neuen nicht-italienischen Handelspraktiken von ihren italienischen Vorbildern dabei naturgemäß nicht nur in der Sprache, sondern vor allem im geographischen Rayon abgehandelter Handelsplätze. Neben Italienisch wurden Deutsch, Niederländisch, Französisch und Englisch die wichtigsten Sprachen der Handelspraktiken; als zentrale Druckorte erscheinen neben Venedig Amsterdam, Antwerpen, Augsburg, Nürnberg, Frankfurt am Main, Lyon und London.227 Gerade Amsterdam entwickelte sich im 17. Jahrhundert – ähnlich wie Nürnberg und Antwerpen im 16. Jahrhundert – zu einem Zentrum der Veröffentlichung von Kaufmannshandbüchern, die ja anders als die nur unternehmensintern gebrauchten Notizbücher bewusst für eine Veröffentlichung verfasst wurden.228 Dabei wurden in Amsterdam auch auf bestimmte Bereiche der kaufmännischen Praxis spezialisierte Handbücher erarbeitet und gedruckt, so etwa 1629 die wohl älteste Spezialpraktik für den Wechselverkehr, Martin van Veldens Fondament van de Wisselhan222 Vgl. Weyrauch, Kommunikationsrevolution; Schmidtchen, Technik. 223 Vgl. Hoock/Pierre, La contribution de l’imprimé. 224 Nach Spufford, Kaufmannsnotizbücher, S. 111. 225 Im Fall von Matthäus Schwarz ist sein Kaufmannsmannnotizbuch überliefert: Westermann/Denzel, Kaufmannsnotizbuch. 226 Vgl. Braudel, Modell Italien. 227 Arnold, Kaufmannsbücher, S. 4. 228 Im oberdeutschen Sprachraum wurde als erstes das Handelsbuch des Nürnberger Rechenmeisters Lorenz Meder († 1561) als eine Art Standardwerk für Kaufleute konzipiert und für die Drucklegung zusammengestellt. Mit dieser Veröffentlichung der bislang »verborgenen Künste« der Kaufleute in seinem Buch 1558 beging er bewusst einen Tabubruch, nämlich die Offenlegung bislang streng gehüteter kaufmännischer Geheimnisse; Kellenbenz (Hrsg.), Handelsbräuche, S. 125 sowie S. 72.
Das armenische Kaufmannshandbuch des Łukas Vanandec‘i (Lukas von Vanand) von 1699 45 q deling.229 Überhaupt war Amsterdam im 17. Jahrhundert ein Zentrum der Druckerei, und dies nicht nur für kommerzielles Schrifttum, sondern auch für den armenischen Buchdruck. In armenischer Sprache und Schrift entstanden hier die erste gedruckte Bibel sowie mehr als 80 Bücher – zum Teil in Auflagen von bis zu 3 000 Exemplaren – und Karten,230 darunter eben auch Kaufmannshandbücher wie das von Lukas von Vanand. Das Kompendium von Lukas von Vanand ist nach der hier gewählten Begrifflichkeit ein typisches Kaufmannshandbuch dieser Zeit, das weder von der Qualität und der Quantität der Informationen noch von der geographischen Reichweite zeitgenössischen westeuropäischen Kaufmannshandbüchern nachsteht. Im Gegenteil: Anders als die westeuropäischen Handbücher, die bis in das ausgehende 18. Jahrhundert außereuropäische Länder und Städte so gut wie nicht verzeichneten,231 bezieht Lukas von Vanand zahlreiche asiatische und – in geringerem Umfang – afrikanische Länder und Städte mit ein. Nichtsdestoweniger ist das Buch hinreichend allgemein, um der armenischen Kaufmannschaft in Neu-Julfa, Amsterdam und darüber hinaus in ganz West- und Südeuropa als Informationsgrundlage zu dienen, und geht weit über ein Notizbuch einer einzelnen Unternehmung hinaus: Lukas von Vanands Kompendium kann als das Kaufmannshandbuch der international agierenden armenischen Kaufmannschaft der Zeit um 1700 gelten. 3.2. Aufbau und Inhalt des Handbuchs des Lukas von Vanand Das Handbuch des Lukas von Vanand wurde erstmals 1975 von Kéram Kévonian 1975 näher analysiert, wenn freilich auch nur in Auszügen.232 Kévonians Beschreibung des Aufbaus des Buches kann auch für die folgenden Ausführungen noch in weiten Teilen herangezogen werden, doch können die einzelnen Abschnitte schärfer konturiert werden, als dies Kévonian – vielleicht auch aus einer gewissen Unkenntnis vergleichbarer europäischer Kaufmannshandbücher heraus – vorgenommen hat. Zunächst unterteilt der Verfasser selbst sein Werk in drei große Kapitel, die allerdings keine Überschriften enthalten und deren Komplexität sich aus den darin abgehandelten Inhalten ergibt. Folgende Kapitelüberschriften lägen nahe: q Gewichte, Münzen und Ellenmaß in den wichtigen Ländern und Handelsplätzen Europas und Asiens q Handelsusancen in Asien, Europa und Afrika q Handelsgeographie und Rechenkunst Diese drei Kapitel decken die wesentlichen Wissensbereiche ab, in denen sich ein armenischer und speziell ein Neu-Julfaer Fernhandelskaufmann um 1700 auskennen musste. Ihr geographischer Einzugsbereich war dabei deutlich weiter gefasst als in zeitgenössischen europäischen Kaufmanns229 V[an] Velden, Fondament van de Wisselhandeling; nach von Stromer, Die oberdeutschen Geld- und Wechselmärkte, S. 28 f., das »Standardwerk über die Usancen aller Bankzentren Europas«; und nach Jeannin, La diffusion de l’information, S. 258, »[le] premier manuel offrant un panorama réellement européen des changes«. Vgl. auch Denzel, »La Practica della Cambiatura«, S. 397–482. 230 Khatschikjan, Der armenisch-russische Handelsvertrag, S. 138 f.; van Rooy, Armenian Merchant Habits, S. 354 f.; Bekius, The Armenian Colony, S. 262 f. – Das auf Bestellung des Armenisch-Apostolischen Katholikats gedruckte und von wohlhabenden Kaufleuten aus dem Safawiden-Reich finanzierte theologisch-religiöse Schrifttum wurde vornehmlich über Smyrna und Anatolien nach Persien transportiert, um dort als Lehrmaterial zu dienen. 231 Vgl. Denzel, Quellengattung, S. 123. 232 Kévonian, Marchands arméniens.
Titel AUTORFaksimile Ausgabe Łukas Vanandec‘i: Ein Schatz des Maßes, des Gewichts, der Zahl und der Währungseinheiten der ganzen Welt, welcher die Kenntnis von aller Art von Gewichts-, Maß- und Währungseinheiten ist, womit der Handel der ganzen Welt geführt wird
q 70 Łukas Vanandec‘i
Ein Schatz des Maßes, des Gewichts, der Zahl ... 71 q
q 72 Łukas Vanandec‘i
Ein Schatz des Maßes, des Gewichts, der Zahl ... 73 q
q 156 Grigor Grigoryan und Markus A. Denzel 2. Edition S. 2 Ein Schatz des Maßes, des Gewichts, der Zahl und der Währungseinheiten der ganzen Welt, welcher die Kenntnis von aller Art von Gewichts-, Maß- und Währungs einheiten ist, womit der Handel der ganzen Welt geführt wird. Gesammelt und zusammengetragen von Lukas, dem unbegabten Akolythen aus Vanand. Auf Kosten und Bitten hin von Paron1 Petros, Sohn des Khatchatour aus Julfa. Gesiegelt und gebilligt von Seiner Dreimal Höchsten Eminenz,2 dem hochwürdigsten, gelehrten3 und heiligen Herrn Thomas, Bischof von Vanand aus dem Haus von Goghthn Im Jahr des Herrn 1699 16. Januar In Amsterdam S. 3 An die armenisch-stämmigen, handelsliebenden Brüder An den Haupthandelsorten, die es in der Welt gibt, werden diese Wörter gebraucht: »Zahl«, »Gewicht« und »Maß«. So sagt der Armenier: t‘iw, kši˙r und č‘ap‘.4 Der Italiener sagt: numero, peso, misura.5 Der Holländer sagt: getal, gewicht, maat.6 Der Türke sagt: sayı, terazi, ölçü‘.7 Der Perser sagt: shomāreh, mīzān, peymāneh.8 Es ist eine schwierige, mühsame und unmöglich zu leistende Arbeit, der Reihe nach aufzuschreiben, wie die Zahl, das Maß und die Währung jedes Handelsortes heißt. 1 Ehrentitel eines Notablen, vergleichbar im Englischen »Sir«; vgl. Kévonian, Marchands arméniens, S. 208 (»khodja ou baron«), 224, Anm. 2. 2 Protokollarische Anrede der Kardinäle der römisch-katholischen Kirche und der altorientalischen Bischöfe, zu denen auch die der Armenisch-Apostolischen Kirche zählen. 3 Im armen. Text: wardapet; ein höherer klerikaler Titel in der armenisch-apostolischen Kirche (»Meister«, »Lehrer« oder »Lehrmeister«), der einen nach eigenem Ritus geweihten Priestermönch bezeichnet, der nach theologischen Studien Predigt, Lehre in einer Diözese und Diözesanverwaltung übernehmen und durch Delegation an der bischöflichen Jurisdiktion teilhaben kann. Der Titel ›Wardapet‹ impliziert jedoch keinen universitären Doktortitel, sondern bezeichnet allgemein einen Gelehrten; vgl. Amadouni, Le rôle historique; Thomson, Vardapet. 4 Übersetzt: Zahl – Gewicht – Maß. 5 Im armen. Text: numero, pēzo, mizur, d. h. ebenfalls Zahl – Gewicht – Maß. 6 Im armen. Text: xƏt‘al, vixt, mat‘, d. h. wiederum (An-)Zahl – Gewicht – Maß. 7 Im armen. Text: sayi, t‘ērazi, ōlč‘i, d. h. Länge – Gewicht (»Waage«) – Maß. 8 Im armen. Text: šmar, mizan, p‘ēymana, d. h. Zahl – Gewicht – Maß.
Edition 157 q Aber nach unserem Können und wie wir es in authentischen9 Büchern geschrieben fanden, werden wir ihnen folgen, und das gleiche werden wir auch zum Nutzen unserer Brüder, die unsere Landsleute sind und sich gerne mit Handel beschäftigen, aufschreiben. Insbesondere auf die Bitte des frommen Paron Petros aus Julfa hin sind wir gehalten[, das zu tun]. Deshalb flehen wir Euch, handelsfreudige Brüder, an, in Euren Gebeten der Vorfahren des oben erwähnten Paron Petros zu gedenken: des Sahak und der T‘lamp‘ašay, S. 4 seiner Eltern: des Xač‘atur und der Vařvařeay, sowie des Suk‘iał, des Hovhannēs, des Woskan und des Sinap‘ašay, und des Paron Petros und des Harut‘yun und des T‘lik, auch der Kinder des Petros: des Xač‘atur, der Magdalinē und der Katarinē, und der anderen Blutsverwandten, der Verstorbenen und der Lebenden, wie auch Eurer durch Jesus Christus, unsere Hoffnung, am Tag seines Kommens gedacht werden wird. Amen. S. 5 Selig ist von jeder Nation jener Mensch, der immer und überall nachdenkt und jene Regel anwendet, die von der Natur gegeben ist und von jeder Religion akzeptiert wird: »Das, was du nicht willst, dass man dir antut, tu es keinem anderen an. Und das, was du willst, dass dir geschieht, tu es den anderen auch.«10 Denn wenn wir diese Regel in Bezug auf alle Menschen anwenden, werden wir von Gott geliebt und von allen Menschen geehrt. Durch diese Regel erfüllen wir alle Gesetze aller Völker, seien es die göttlichen Gesetze, die kirchlichen, die königlichen oder die staatlichen. Das bestätigt auch die Wahrheit11 selbst, indem sie sagt: »Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen! Darin besteht das Gesetz und die Propheten«12 (Matthäus 7,12; Lukas 6,3113). S. 6 O du aus dem Geschlecht Nuri˘ȷan,14 Sei immer umsichtig und sprich die Wahrheit, So wirst du den Kranz der Tugend empfangen. [Die Abbildung auf Seite 6 stellt eine Gravur der drei Tugenden Tapferkeit, Gerechtigkeit und Besonnenheit mit den entsprechenden Beschriftungen dar.] 9 D. h. in vertrauenswürdigen Quellenwerken zur den jeweiligen Handelsusancen. 10 Bekannt als ›Goldene Regel‹ (lat.: regula aurea). Die Goldene Regel wird hier als Naturgesetz dargestellt. Vgl. Philippidis, Die ›Goldene Regel‹. 11 D. h. Jesus Christus. 12 Diese Übersetzung von Mt 7,12 ist entnommen aus: Neue Jerusalemer Bibel. Einheitsübersetzung, S. 1388. 13 Lk 6,31: »Was ihr von anderen erwartet, das tut ebenso auch ihnen«; ebd., S. 1470. 14 Im armen. Text: Nuriȷ˘anean; bezeichnet das Geschlecht, d. h. die Großfamilie, des Lukas von Vanand (vgl. hierzu die Einführung von A. Avagyan, A. Melkonyan und M. E. Shirinian im vorliegenden Band). Es handelt sich damit um eine Aufforderung des Verfassers an sich selbst.
q 158 Grigor Grigoryan und Markus A. Denzel S. 7 Kapitel 1 Über die antiken Gewichte, Maße und Münzen Lepton,15 Bnion,16 Quadrans,17 Kupfer18 und Gerstenkorn19 sind dasselbe und der kleinste Teil des Gewichts. 3 Lepta waren ein Dāng. 6 Dāng waren ein Dirhām.20 8 Dirhām [waren] eine Unze. 12 Unzen [waren] ein Rat. l. 7 Dināre oder 7 Dahekan21 [waren] eine Unze. Eine ptolemäische Mine22 war 18 Unzen, 144 Dirhām, 864 Dāng. Eine Mine der Alexandriner wog 20 Unzen [oder] 160 Dirhām. S. 8 Eine Mine der Griechen wog 12 ½ Unzen, 100 Drachmen,23 1 800 Karat. Ein Rat. l Arabiens wog 12 Unzen, 84 Dinār, 96 Dirhām, 864 Dāng.24 60 Dirhām sind gleich einem Nügi. 12 Nügi sind gleich einem Pfund.25 2 Pfund sind gleich einem Xestes.26 50 Xestai sind gleich einem Mar.27 72 Xestai sind gleich einem Ardu.28 80 Xestai sind gleich einem Kor.29 180 Dirhām sind gleich einem Cabus.30 4 Cabus sind gleich einem Modius.31 15 Im armen. Text: lomay (Nebenform von lumay, syr. lūmā) = kleinstes Geld bzw. ein halber nak‘arakit, entspricht ⅛ Dinār; Nachweis: NBHL. 16 Nebenform: bniovn = das kleinste unter den Geldern, synonym zu lumay; Nachweis: NBHL. 17 Im armen. Text: nak‘arakit = der vierte Teil des as, synonym zu bnion oder 2 lumay bzw. zu Dāng; Nachweis: NBHL. 18 Im armen. Text: płinj = Kupfer(geld); Nachweis: NBHL. 19 Im armen. Text: garehat (auch garēhat bzw. gari) = Gewicht eines Gersten- oder Weizenkorns; Nachweis: NBHL. 20 Hier Gewichts- und Währungseinheit von 2 Unzen, ½ Schekel oder Sater, wovon auch der Silber- oder Gold-Dinār mit demselben Gewicht abzuleiten ist; Nachweis: NBHL. 21 Dinār (lat. denarius) und Dahekan bezeichneten beide den zehnten Teil eines kleinen oder großen Maßes bzw. in Geld eine Zehner-Einheit in Gold oder Silber; Nachweis: NBHL. 22 Im armen. Text: mnas = kleine oder große Maßeinheit, Schüssel, Gewichts- und Währungseinheit; Nachweis: NBHL. 23 Im armen. Text: drham; hier mit der griechischen Drachme gleichgesetzt. 24 Nach dem Verständnis des Dāng als einem Sechstel dürften es nur 576 Dāng sein. 25 Nügi (im armen. Text: nuki, nügiē, nuk, nowki; syr. nūqiā) ist die Bezeichnung für eine Gewichtseinheit mittlerer Größe zwischen 320 g und 1 282 g (Malxaseanc‘, Wörterbuch, Bd. III, S. 484) und wird im hier gegebenen Zusammenhang im Sinne von ›Unze‹ als dem 12. Teil des Pfundes oder Łitr gebraucht. 26 Im armen. Text: k‘sest (griech. ξέστης, ξεστίον) = tiefes Gefäß, hier: Volumeneinheit; Nachweis: NBHL. 27 Im armen. Text: mar (griech. μάρις) = Maß(-Gefäß) meist von Getränken, hier: Volumeneinheit; Nachweis: NBHL. 28 Im armen. Text: ardu (griech. ἀρτάβη) = Getreidemaß; Nachweis: NBHL. 29 Im armen. Text: k‘or˙ (griech. κόρος) = Maßeinheit für Getreide und Hülsenfrüchte (vielfach zu 10 Ardu); Nachweis: NBHL. 30 Im armen. Text: kapič (griech. κάβος) = Getreide- oder Weinmaß (vielfach 1/10 Griw); Nachweis: NBHL. 31 Im armen. Text: mot‘ (Nebenform von mod; griech. μόδιος) = Volumeneinheit zu 3 Griw oder 4 Ardu; Nachweis: NBHL.
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