203 und Sichtbarmachung. Es ging um die Neuausrichtung von bereits in der DDR als Mahn- und Gedenkstätten genutzten Orten mit mehreren Vergangenheitsschichten oder die erstmalige Musealisierung von Repressionsorten mit mehreren Vergangenheitsschichten als Gedenkstätten. Überlebende und Opferverbände der NS-Repression befürchteten, am Ort ihres Leidens solle auch der einstigen Täter:innen gedacht werden. Denn inhaftiert in den Speziallagern waren ebenso Menschen, die am Funktionieren der NS-Diktatur beteiligt waren. Die Nutzung der Speziallager changierte im weiten Feld von Entnazifizierung und Herrschaftssicherung seitens der stalinistischen Besatzungsmacht UdSSR. Andererseits befürchteten Überlebende der Speziallager und Opferverbände der ehemaligen Speziallagerhäftlinge, dass ihr Leid angesichts der NS-Geschichte erneut – wie in der DDR – unter den Tisch gekehrt würde. Dieses Kapitel der Historiografiegeschichte nach Ende des Kalten Krieges ist inzwischen selbst intensiv analysiert worden.13 Mittlerweile sind diese Konflikte abgekühlt und tragfähige Kompromisse gefunden worden, gleichwohl flammen ähnlich gelagerte Debatten gelegentlich auf. Jüngst kritisierte die Fraktion Die Andere im Potsdamer Stadtrat die Darstellung der Zeit nach 1945 in der Gedenkstätte Lindenstraße. Es werde nicht ausreichend dargelegt, dass unmittelbar 9 Alle diese Orte sind lexikalisch dargestellt in Anna Kaminsky (Hrsg.), Orte des Erinnerns. Gedenkzeichen, Gedenkstätten und Museen zur Diktatur in SBZ und DDR, Berlin 32016. Da der Fokus allerdings auf der Zeit nach 1945 liegt, wird der NS-Aspekt der »doppelten« und »dreifachen« Vergangenheit je nur kurz behandelt. 10 Vgl. zur Beschäftigung mit dem Umgang mit mehreren historischen Zeitschichten in der Gedenkstättenarbeit die 1996 stattfindende Tagung »Doppelte Last – doppelte Herausforderung. Gedenkstättenarbeit und Diktaturenvergleich an Orten doppelter Vergangenheit«, Tagungsband: Norbert Haase/Bert Pampel (Hrsg.), Doppelte Last, doppelte Herausforderung. Gedenkstättenarbeit und Diktaturvergleich an Orten mit doppelter Vergangenheit, Frankfurt am Main u. a. 1998. 11 »Die NS-Verbrechen dürfen durch die Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Stalinismus nicht relativiert werden. Die stalinistischen Verbrechen dürfen durch den Hinweis auf die NS-Verbrechen nicht bagatellisiert werden.«, Deutscher Bundestag (Hrsg.), Schlußbericht der Enquete-Kommission »Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit«, Bonn 1998, S. 240. 12 Erstmals ausführlich dazu Nikolaus Wachsmann, Gefangen unter Hitler. Justizterror und Strafvollzug im NS-Staat, München 2006. 13 Vgl. u. a Andrew H. Beattie, Gedenkstätten als Katalysatoren geschichtspolitischer Konflikte. Umstrittene Erinnerung und Konkurrenz der Oper, in: Enrico Heitzer/Günter Morsch/ Robert Traba/Katarzyna Woniak (Hrsg.), Von Mahnstätten über zeithistorische Museen zu Orten des Massentourismus? Gedenkstätten an Orten von NS-Verbrechen in Polen und Deutschland (Forschungsbeiträge und Materialien der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Bd. 18), Berlin 2016, S. 84–94; Bernd Faulenbach, Die neue geschichtspolitische Konstellation der neunziger Jahre und ihre Auswirkungen auf Museen und Gedenkstätten, in: Volkhard Knigge/Ulrich Mählert (Hrsg.), Der Kommunismus im Museum. Formen der Auseinandersetzung in Deutschland und Ostmitteleuropa (Europäische Diktaturen und ihre Überwindung. Schriften der Stiftung Ettersberg), Köln/Weimar/Wien 2005, S. 55–69; Petra Haustein, Geschichte im Dissens. Die Auseinandersetzung um die Gedenkstätte Sachsenhausen nach dem Ende der DDR, Leipzig 2006; Bettina Greiner, Verdrängter Terror. Geschichte und Wahrnehmung sowjetischer Speziallager in Deutschland, Hamburg 2010; Carola S. Rudnick, Die andere Hälfte der Erinnerung. Die DDR in der deutschen Geschichtspolitik nach 1989, Bielefeld 2011; dies., Erinnerungskultur und Geschichtspolitik: Zur Historisierung der DDR, in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Ein Kampf um Deutungshoheit. Politik, Opferinteressen und historische Forschung. Die Auseinandersetzung um die Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße Potsdam, Berlin 2013, S. 64–83.
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