Leseprobe

179 Da der Staatsrat der DDR am 6. Dezember 1989 nur eine Teilamnestie einräumte, die in erster Linie die zwischen dem 4. und 10. Oktober 1989 Verhafteten betraf und Hafterleichterung zunächst nur für ehemalige »DDR-Eliten« vorsah,17 eskalierte der Hungerstreik in der StVE I noch am selben Tag. Auf Druck der Kirchenvertreter wurde es einer Streikabordnung von vier Häftlingen erlaubt, in Begleitung zweier Rechtsanwälte und des Anstaltsleiters Weithase am 7. Dezember 1989 nach Berlin zu reisen, um dem Ministerium des Innern der DDR die Belange der Bautzen-Häftlinge direkt vorzutragen.18 Die Verhandlungen in Berlin gingen zugunsten der Bautzener Häftlinge aus. Die Abordnung verhandelte erfolgreich erste Entlassungen am gleichen Tag. Des Weiteren versprach die Staatsanwaltschaft, Fälle, die von der Amnestieregelung vom 6. Dezember 1989 nicht erfasst waren, auf Aussetzungen der Strafe hin zu überprüfen.19 Damit wurde zumindest ein weiterer Teil der Häftlingsforderungen erfüllt. Mit der Überprüfung von Haftentlassungen in den StVE Bautzen I und II wurde sofort begonnen.20 Und noch im Laufe des Dezembers wurden rund 100 Häftlinge, also ein Großteil der politischen Gefangenen aus der StVE II entlassen.21 In der StVE I wurden schubweise 377 Häftlinge noch vor Ablauf des Jahres 1989, 973 Häftlinge im Laufe des Januars und fünf Häftlinge im Februar 1990 entlassen.22 Damit kamen in einem ersten Anlauf bereits über 70 Prozent der Häftlinge in der StVE I und nahezu 90 Prozent der Insassen in der StVE II frei. Für die verbleibenden rund etwa zwölf Häftlinge in der StVE II23 und 523 Häftlinge in der StVE I setzte der Gefangenenrat grundlegende Reformen für den Haftalltag durch. Die restriktiven Haftbedingungen endeten. Unter der Leitung des späteren Bürgermeisters der Stadt Bautzen, Christian Schramm, und legitimiert durch den Gefangenenrat der StVE II und durch das Streikkomitee der StVE I gründete sich innerhalb des Rates der Stadt Bautzen ein Arbeitsausschuss »Strafvollzug Bautzen«. Er beschäftigte sich mit der Zukunft der beiden Haftanstalten in Bautzen24 und schloss zunächst die Möglichkeit vollkommen aus, den Strafvollzug in der StVE II gänzlich einzustellen. Auch gab es keinerlei Gespür für die historische Bedeu11 Vgl. Uwe Hörenz, Neues Forum informiert zu den Besichtigungen im Strafvollzug 2, in: Sächsische Zeitung, 9./10. 12. 1989; vgl. Ulrich Schulze, Von jetzt an sind sie von der Bildfläche verschwunden, in: F.A.Z., 26. 1. 1990. 12 Streik in Bautzen, in: Sächsische Zeitung, 7.12.1989. 13 Andreas Richter, Im Schweigelager Bautzen II. Die Sonderhaftanstalt des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit und ihre Insassen, in: Die Union, 13. 12. 1989. 14 Fricke/Klewin, Bautzen II, S. 129. 15 Vgl. Richter, Schweigelager. 16 Ebd.; Hartmut Häckel, Gespräch im Schweigelager, in: Der Sonntag, 7.1.1990. 17 Ebd. 18 Chronik über den Arbeits- und Hungerstreik in der StVE Bautzen I, o.D., S. 7, JVA BZ. 19 Aussetzung von Strafen werden geprüft, in: Sächsische Zeitung, 9./10. 12. 1989; Hans Kubach, Bautzen und kein Ende, in: Sächsische Zeitung, 14. 12. 1989. 20 Richter, Schweigelager, S. 132. 21 Simultandom und Gelbes Elend. Herbst 1989 und Frühjahr 1990 in Bautzen, S. 17, JVA BZ; Kat. Stasi-Gefängnis, S. 108. 22 Die Zahlen basieren auf Aussagen des ehemaligen Leiters der JVA Bautzen, Burghart Jäckel. 23 Im Juni 1991 waren noch 16 Häftlinge in der ehemaligen StVE II, vgl. Schreiben des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz Minister Heitmann an den Sächsischen Landtag, o.D., Archiv des Bautzen-Komitees (ArBK). Ob es zwischen Februar 1990 und Juni 1991 vier »Zugänge« gegeben hat, ist fraglich. 24 Vgl. Christian Schramm, Information über die Arbeitsgruppe »Strafvollzug Bautzen« vom 14. 2. 1990, in: Gehrke/Wittich, Arbeitsmappe; Hans Wagner, Zur Auflösung des Strafvollzuges 2, in: Sächsische Zeitung, 2. 2. 1990.

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