177 VOM HAFTORT ZUR GEDENKSTÄTTE (1989–1997) Das Ende politischer Haft in Bautzen II (November 1989–Januar 1990) Die letzte Einweisung von Häftlingen in Bautzen II erfolgte am 20. November 1989, also schon nachdem die DDR-Grenze bereits offen war und der Staat bröckelte.1 Wie an anderen Haftorten protestierten ab dem 27. November 1989 auch die Bautzener Häftlinge für bessere Haftbedingungen und eine grundlegende »Demokratisierung des Strafvollzugswesens«. Die Aufarbeitung der politischen Verfolgung in Bautzen spielte beim Ende des DDR-Strafvollzugs in Bautzen zunächst keinerlei Rolle. Vor allem die Insassen der Haftanstalt Bautzen I (»Gelbes Elend«) gingen in den Arbeits- und Hungerstreik, um im Zuge der DDR-weiten politischen Umwälzungen Hafterleichterung zu erhalten. Zu diesem Zeitpunkt saßen nicht weniger als 1 878 Häftlinge in der Strafvollzugseinrichtung (StVE) I und 122 Häftlinge in der StVE II bzw. Bautzen II ein. Hierzu gehörte auch ein Teil der 615 Inhaftierten,2 die im Zuge der Oktober-Demonstrationen in Dresden zwischen dem 4. und dem 10. Oktober 1989 aus politischen Gründen wegen »Zusammenrottung« und meist ohne Haftbefehl (nur gegen 262 lag ein solcher vor) von der Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei festgenommen worden waren.3 Nur ein Teil von ihnen war in einer ersten Amnestie vom 27. Oktober 1989 entlassen worden. Darunter waren 23 Verurteilte aus Bautzen II, die schwerpunktmäßig aufgrund von »Republikflucht« in den Bautzener Gefängnissen eingesessen hatten.4 Der Arbeits- und Hungerstreik begann zunächst in der StVE I.5 Den Streikenden ging es grundsätzlich um einen menschenwürdigen Strafvollzug und das Einführen rechtstaatlicher Prinzipien.6 Am 1. Dezember 1989 bildete sich aus ihren Reihen ein 35-köpfiges »Streikkomitee«, das entsprechende Forderungen vorbrachte.7 Zu diesem Zeitpunkt verweigerten schon rund 1 400 Häftlinge der StVE I Arbeit und Nahrung. Eine öffentliche Begehung der StVE I durch Kirchenvertreter und Vertreter der (West-)Presse8 führte kurzfristig zur sofortigen Schließung des Hafthauses 2, in dem besonders menschenunwürdige Haftbedingungen herrschten und das Bestrafungszellen beherbergte.9 Des Weiteren gab der Besuch Anlass für weitere Amnestieforderungen an den Justizminister.10 1 Stiftung Sächsische Gedenkstätten (Hrsg.), Stasi-Gefängnis Bautzen II. 1956–1989. Katalog zur Ausstellung, Dresden 2008, S. 31. 2 Ein Drittel (234 Personen) waren bis Ende November wieder entlassen worden. 23 waren in die Untersuchungshaftanstalt Dresden verlegt worden, vgl. Dieter Sternberg, Oktobertage im Bautzener Knast, in: Sächsische Nachrichten, 25./26.11.1989, Sammlung der Justizvollzugsanstalt Bautzen (JVA BZ); 16000 Menschen namenlos wie Hunde verscharrt, in: Die Union, 9.10.1990. 3 Ebd. 4 Vgl. Karl-Wilhelm Fricke/Silke Klewin, Bautzen II. Sonderhaftanstalt unter MfS-Kontrolle 1956–1989. Bericht und Dokumentation, Leipzig 2001, S. 127. 5 Vgl. Ronny Heidenreich, Aufruhr hinter Gittern. Das »Gelbe Elend« im Herbst 1989, Leipzig 2009; ders., Gesellschaftlicher Aufbruch und Gefangenenprotest. Das Gefängnis Bautzen I im Herbst 1989; in: Silke Klewin/Herbert Reinke/Gerhard Sälter (Hrsg.), Hinter Gittern. Zur Geschichte der Inhaftierung zwischen Bestrafung, Besserung und politischem Ausschluss vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Leipzig 2010, S. 269–280. 6 Vgl. Christian Geyer, Bautzen oder wenn im »gelben Elend« die Lichter angehen, in: Die Welt, 11.12.1989; Kurzbericht über meinen Besuch in der Strafvollzugsanstalt Bautzen I (sogen. »Gelbes Elend«) am 2. 12. 1989, in: Bernd Gehrke/Bernd Wittich, Arbeitsmappe. Bautzener Bürger 1989/1990 erklären sich zu den Bautzener Gefängnissen, o. D., JVA BZ. 7 Ebd. 8 Ebd. 9 Ebd. 10 Ebd.
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