Leseprobe

176 1990 – heute Carola S. Rudnick DEBATTEN UM DEN HAFTORT BAUTZEN UND DIE ENTSTEHUNG DER GEDENKSTÄTTE SEIT 1990 EINLEITUNG Die Aufarbeitung der Verbrechen, die in Speziallagern, in Untersuchungshaftanstalten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) und in Strafvollzugseinrichtungen begangen wurden, war von heftigen Auseinandersetzungen zwischen ehemaligen Häftlingen untereinander, zwischen ehemaligen Häftlingen und Gedenkstättenmitarbeitern sowie zwischen Häftlingen, Wissenschaftlern und politischen Akteuren geprägt. Ein Blick zurück und die Rekonstruktion der Genese der Gedenkstätten und einzelner Geschichtsdebatten offenbaren, dass diese Konflikte mit Häftlingen von diametralen Wertesystemen und Leiderfahrungen geprägt waren, die aufeinander prallten. So warfen ehemalige Verfolgte und Angehörige von Ermordeten des Naziregimes den ehemaligen Speziallageropfern vor, sie würden durch platte Gleichmacherei von Stalinismus und Nationalsozialismus die Singularität des Holocaust infrage stellen. Auf der anderen Seite kritisierten Speziallager-Opfer und MfS-Opfer an den Opfern des Naziregimes, sie würden stalinistische Verbrechen und den totalitären Charakter von SBZ und DDR verharmlosen. Sie forderten, dass stalinistische Verbrechen denen des NS-Regimes nicht nachstehen dürften. Nur in zwei Punkten herrschte bei den Opfern nach 1945 Übereinkunft: Erstens, sie definierten sich gemeinsam als »Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft« und zweitens, sie lehnten den in der DDR praktizierten »Antifaschismus« ab. Anhand der Entwicklungsgeschichte der Gedenkstätte Bautzen lassen sich diese knapp skizzierten, für Außenstehende kaum nachzuvollziehenden Konfliktlinien im Folgenden näher veranschaulichen. Hierbei wird zugleich der Versuch unternommen, die Gründungsgeschichte der Gedenkstätte Bautzen in groben Zügen nachzuzeichnen.

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