Leseprobe

94 1956 – 1989 Mehr als 80 Prozent der 1956 nach Bautzen II überstellten Häftlinge wurden nach 1953 verurteilt. Ihre Verhaftung und Inhaftierung standen damit in unmittelbarem Zusammenhang mit den Aktivitäten der Staatssicherheit in den zurückliegenden drei Jahren, die im Folgenden zunächst umrissen werden. STAATSSICHERHEITSAKTIONEN Als im August 1956 die ersten Gefangenen nach Bautzen II verlegt wurden, lag der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 gut drei Jahre zurück. Die Staatssicherheit sah sich seitdem von der Ostberliner Parteiführung dem Vorwurf ausgesetzt, den Aufstand nicht verhindert und seine vermeintlich vom Westen gesteuerten Drahtzieher nicht frühzeitig unschädlich gemacht zu haben. Im Kern war dieser Vorwurf abwegig: Der Volksaufstand war spontan ausgebrochen und der Einfluss westlicher Geheimdienste auf seine Dynamik nicht entscheidend. Gleichwohl zeigte der 17. Juni, dass es die SED mit einer Bevölkerung zu tun hatte, die mehrheitlich nicht hinter ihr stand, in ihrer Ablehnung durch den Westen bestärkt wurde und mit diesem kooperierte. Diese übergeordnete Problemwahrnehmung wurde auch in Moskau geteilt.7 Auf Anweisung und mit Unterstützung der sowjetischen Geheimpolizei begann die Staatssicherheit ab Oktober 1953 deshalb mit »konzentrierten Schlägen« gegen westliche Geheimdienste und mit ihnen kooperierende antikommunistische Organisationen.8 Die gemeinsamen Spionageabwehraktionen von Staatssicherheit und sowjetischer Geheimpolizei verfolgten drei Ziele: erstens die planvolle Zerschlagung erkannter Netzwerke westlicher Geheimdienste durch Verhaftungsaktionen, zweitens die Diskreditierung der westlichen Spionage sowie Abschreckung der eigenen Bevölkerung durch Schauprozesse und mediale Propagandakampagnen sowie drittens die Professionalisierung der Spionageabwehr der Staatssicherheit. Die Spionageabwehraktionen von MfS und MGB/KGB lassen sich in drei größere Kampagnen unterteilen, die sich überlappten und von weiteren, im Verborgenen durchgeführten Verhaftungswellen begleitet wurden. Der Auftakt erfolgte im November 1953 mit Verhaftungen von V-Leuten der Organisation Gehlen. Höhepunkt dieser »Aktion Feuerwerk« war im Dezember 1953 ein erster Schauprozess vor dem Obersten Gericht der DDR, in welchem sechs Spione sowie ein hauptamtlicher Mitarbeiter zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden. Im Sommer 1954 richtete sich die »Aktion Pfeil« auf Zuträger anderer westlicher, besonders alliierter Geheimdienste. Im Zentrum des folgenden zweiten Schauprozesses Ende November 1954 standen allerdings wiederum auch ehemalige Mitarbeiter der Organisation Gehlen, von denen zwei zum Tode verurteilt wurden. Die dritte große Welle (»Aktion Blitz«) richtete sich schwerpunktmäßig gegen in der DDR tätige antikommunistische Gruppierungen. Im Sommer 1955 wurden nunmehr zahlreiche Schauprozesse gegen beispielsweise die Ostbüros der Parteien, die Informationsabteilung des Rundfunks des amerikanischen Sektors (RIAS) oder die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU) durchgeführt.

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1