Leseprobe

92 1956 – 1989 Ronny Heidenreich SPIONE UND VERRÄTER Die ersten Häftlinge der MfS-Sonderhaftanstalt Bautzen II EINLEITUNG Versteckt auf der Rückseite des Justizkomplexes in Bautzen lag das Gerichtsgefängnis der Stadt, das seit 1950 als Außenstelle der größeren Strafanstalt Bautzen I genutzt wurde. In den Sommermonaten des Jahres 1956 war es eilig leergezogen und notdürftig renoviert worden, bevor in der Nacht vom 9. auf den 10. August 124 Gefangene dorthin verbracht wurden. Die Verlegung der Häftlinge gilt als Geburtsstunde der Sonderhaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) Bautzen II, in der die Geheimpolizei im Unterschied zu den übrigen DDR-Gefängnissen besondere Vorrechte bei der Einweisung, Überwachung und Unterbringung der Häftlinge besaß.1 Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Perspektive der Staatssicherheit auf die ersten Häftlinge der Sonderhaftanstalt Bautzen II. Es geht im Lichte der Urteilsbegründungen und Untersuchungsvorgänge zum einen um die konkreten Tatvorwürfe und ihren Zusammenhang mit den Schwerpunktsetzungen der ostdeutschen Geheimpolizei. Zum anderen wird die Wahrnehmung der Gefangenen durch das MfS in den Kontext des frühen Kalten Krieges gestellt, was Aufschluss über Bedrohungsvorstellungen und Handlungslogiken der Staatssicherheit erlaubt. Die Beschäftigung mit diesen Fragen lässt nicht zuletzt Rückschlüsse dazu erwarten, was die Staatssicherheit 1956 dazu bewegte, das Sondergefängnis einzurichten.2 Grundlage für die Untersuchung ist eine Gruppe von 139 Häftlingen, die zwischen dem 9. August und dem 31. Dezember 1956 nach Bautzen II eingewiesen wurden. Sie sind mit knappen Angaben zu Namen3, Geburtsdaten, Nationalität, Urteilsgründen und Strafmaßen sowie Verlegungen im Zugangsbuch erfasst, das in der Gedenkstätte Bautzen vorliegt. Da das Gefängnis in der Frühzeit wahrscheinlich rund 135 Insassen Platz bot und mit dem ersten Transport nur 124 Gefangene überstellt wurden, wurden spätere Einweisungen einbezogen, um die anzunehmende Maximalbelegung abzubilden.4 Die knappen Eintragungen im Zugangsbuch wurden durch weitere Recherchen im Stasi-Unterlagen-Archiv und im Bundesarchiv ergänzt. Insbesondere hinsichtlich der vermerkten Straftatbestände waren zusätzliche Informationen notwendig, um den konkreten Vorwurf näher beschreiben zu können. Dies gilt vor allem für jene 104 Insassen und damit

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