Leseprobe

79 Bei den verlegten Häftlingen handelte es sich um politische Gefangene im engeren Sinne, um ehemalige Funktionäre von Staat und Partei (bzw. deren Familienangehörige) oder gar um vormalige Mitarbeiter der Repressionsapparate. Sie waren beispielsweise in Ungnade gefallen oder hatten sich Delikte der allgemeinen Kriminalität zuschulden kommen lassen – und ihre Verurteilung sollte meist geheim gehalten werden, weil diese für das SED-Regime politisch heikel war oder weil die Betroffenen ihr Herrschaftswissen (als vormalige »Geheimnisträger«) unbedingt für sich behalten sollten. Sie von der Welt abzuschotten, war wohl die wichtigste Funktion zunächst von Brandenburg-Görden und dann von Bautzen II. Eingang fanden in diesen Beitrag vor allem Unterlagen staatlicher Provenienz aus dem Bundesarchiv, dem Stasi-Unterlagen-Archiv sowie dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv. Dies schließt Berichte von Zuträgern des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR mit ein, die der üblichen Quellenkritik unterliegen. Hinzu kommen einige Aussagen von Zeitzeugen, teilweise niedergeschrieben nach Haftentlassung und Flucht in den Westen, als sie bei Gefangenenhilfsorganisationen vorsprachen, die sich der Delegitimierung des SED-Regimes verschrieben hatten, wie der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU) oder des Untersuchungsausschusses Freiheitlicher Juristen (UfJ). DIE HAFTANSTALTEN IN BRANDENBURG UND BAUTZEN 1950–1956 Nach Kriegsende hatte die sowjetische Besatzungsmacht Brandenburg-Görden zunächst selbst genutzt und hier das Lager Nr. 226 mit einer Kapazität für 500 Insassen eingerichtet, das größte Repatriierungslager seiner Art in der östlichen Besatzungszone.5 Interniert wurden hier beispielsweise Russen sowie Angehörige ethnischer Minderheiten der Sowjetunion, die an der Seite von Wehrmacht oder Polizeiverbänden für die deutschen Besatzer gekämpft hatten, also zum Beispiel Angehörige der sogenannten Wlassow-Armee.6 1 »Gefängnis« verstanden als »festes« Haftgebäude, im Gegensatz zum Haftarbeitslager. »Größe« wird dabei verstanden als die jeweils höchste Belegung, gleich zu welchem Zeitpunkt. Zu Brandenburg-Görden Tobias Wunschik, Honeckers Zuchthaus. Brandenburg-Görden und der politische Strafvollzug der DDR 1949–1989, Göttingen 2018; Leonore Ansorg, Politische Häftlinge im Strafvollzug der DDR. Die Strafvollzugsanstalt Brandenburg, Berlin 2005. 2 Sylvia de Pasquale, Der Bau der Strafanstalt Brandenburg-Görden 1927–1935, in: Silke Klewin/Herbert Reinke/Gerhard Sälter (Hrsg.), Hinter Gittern. Zur Geschichte der Inhaftierung zwischen Bestrafung, Besserung und politischem Ausschluss vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Leipzig 2010, S. 65–82. 3 Karl-Wilhelm Fricke/ Silke Klewin, Bautzen II. Sonderhaftanstalt unter MfS-Kontrolle. 1965–1989, Leipzig 2001, S. 71. 4 Teilweise wird der Spitzname auch auf das Glasdach der Haftgebäude zurückgeführt, welche aus der Vogelperspektive einem Sarg gleichen. Dietrich von Maltzahn, Mein erstes Leben oder Sehnsucht nach Freiheit, München 2009, S. 133. 5 Natalja Jeske, Die Repressionspraxis der sowjetischen Besatzungsmacht in Berlin-Brandenburg 1945–1949, in: Günter Morsch/Sylvia de Pasquale (Hrsg.), Perspektiven für die Dokumentationsstelle Brandenburg. Beiträge der Tagung in der Justizschule der Justizvollzugsanstalt Brandenburg am 29./30. 10. 2002, Münster 2004, S. 159–167. 6 Siehe auch Franziska Bruder, »Den ukrainischen Staat erkämpfen oder sterben!« Die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) 1929–1948, Berlin 2007; Leonid Rešin, Geheimdienstlich-politische Gefangenenorganisationen an der sowjetisch-deutschen Front 1941–1945: NKFD, BDO, Wlassow Bewegung, in: Klaus-Dieter Müller/Konstantin Nikischkin/Günther Wagenlehner (Hrsg.), Die Tragödie der Gefangenschaft in Deutschland und der Sowjetunion 1941–1956, Köln 1998, S. 161–173.

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