Leseprobe

GEFANGEN IN BAUTZEN Beiträge zur Gefängnisgeschichte und Erinnerungskultur

Ronny Heidenreich, Silke Klewin, Gerhard Sälter (Hrsg.) GEFANGEN IN BAUTZEN BEITRÄGE ZUR GEFÄNGNISGESCHICHTE UND ERINNERUNGSKULTUR SANDSTEIN VERLAG

INHALT 7 Einleitung Ronny Heidenreich, Silke Klewin und Gerhard Sälter 1933–1945 BAUTZEN I UND II IN DER ZEIT DES NATIONALSOZIALISMUS 16 Gefangenenzwangsarbeit im Nationalsozialismus – das Beispiel Bautzen Jan-Henrik Peters 1945–1956 BAUTZEN I SPEZIALLAGER UND FRÜHE DDR 36 Das Führungspersonal von Bautzen I nach der Übernahme des sowjetischen Speziallagers Jan-Henrik Peters 53 Der Kirchenchor von Bautzen I (1951–1956) Bedeutungsebenen von Musik im DDR-Strafvollzug der frühen 1950er-Jahre Cornelia Bruhn

1956–1989 SONDERHAFTANSTALT DES MFS BAUTZEN II 78 Brandenburg-Görden als Vorläufer von Bautzen II Zwei besondere Haftanstalten im politischen Strafvollzug der 1950er-Jahre Tobias Wunschik 92 Spione und Verräter Die ersten Häftlinge der MfS-Sonderhaftanstalt Bautzen II Ronny Heidenreich 128 »Vom bloßen Überleben der Zeit« Weibliche Strafgefangene in Bautzen II (1963–1989) Silke Klewin 156 Anpassung erzwingen und Autorität durchsetzen Zur Praxis der Arreststrafen in Bautzen II in den 1980er-Jahren Gerhard Sälter 1990–HEUTE DIE GEDENKSTÄTTE BAUTZEN 176 Debatten um den Haftort Bautzen und die Entstehung der Gedenkstätte seit 1990 Carola S. Rudnick 200 Historisch-politische Bildungsarbeit in Gedenkstätten mit »doppelter Vergangenheit« Sarah Bornhorst 212 Theater trifft auf Gedenkstätte Reflexionen zu dem künstlerischen Vermittlungsprojekt »Stage of Memory« Christian Schröter 243 Das vergessene Metier: Denkmal- und Brandschutz Ein Bericht aus der Gedenkstätte Bautzen Susanne Hattig ANHANG 260 Autorinnen und Autoren 263 Impressum

Ronny Heidenreich, Silke Klewin und Gerhard Sälter EINLEITUNG Die Stadt Bautzen ist außerhalb von Sachsen weniger für ihre geschlossene Spätmittelalter- und Renaissance-Altstadt berühmt, als für ihre beiden Gefängnisse berüchtigt. Eine Strafanstalt mit damals etwa 1 100 Haftplätzen wurde 1904 am Rand der Stadt als Königliche Landesgefangenenanstalt in Betrieb genommen. Die Stadtverwaltung Bautzen begrüßte den Bau, sah sie darin doch eine Entwicklungsmöglichkeit für die Stadt. Im Gegensatz zu vielen anderen Gefängnissen wurde kein bestehender Gebäudekomplex umgenutzt, sondern ein Neubau geplant. Er galt mit Zentralheizung, integrierter Krankenstation und einer parkähnlichen Außenanlage für seine Zeit als fortschrittlich. Spätestens seit der Weimarer Zeit diente das Gefängnis auch zur Inhaftierung von Personen, die wegen politischer Delikte verurteilt waren.1 Der Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 brachte zwei Veränderungen: Die seit der Jahrhundertwende einsetzenden Reformanstrengungen im Gefängniswesen wurden aufgegeben und die bereits eingeleiteten Veränderungen im Haftregime mehrheitlich wieder rückgängig gemacht. Außerdem wuchs, wie in anderen Gefängnissen und Zuchthäusern des »Dritten Reiches« auch, der Anteil von Häftlingen, die wegen politischer Delikte verurteilt worden waren. Die Strafanstalt Bautzen diente seit 1933 vorrangig dem Vollzug kurzer Haftstrafen an erstbestraften jungen Männern.2 1 Christa Kämpfe, Die Strafvollzugsanstalten in Bautzen – eine Baugeschichte; in: Justizgebäude in Sachsen gestern und heute, Dresden 1995, S. 127–182; siehe die Beiträge von André Thieme, Erich Viehhöfer, Peter Russig und Mike Schmeitzner in Karl W. Fricke (Hrsg.), Humaner Strafvollzug und politischer Mißbrauch. Zur Geschichte der Strafvollzugsanstalten in Bautzen 1904 bis 2000, Dresden 1999. Siehe Thomas Nutz, Strafanstalt als Besserungsmaschine. Reformdiskurs und Gefängniswissenschaft, 1775–1848, München 2001; Silke Klewin/Herbert Reinke/Gerhard Sälter (Hrsg.), Hinter Gittern. Zur Geschichte der Inhaftierung zwischen Bestrafung, Besserung und politischem Ausschluss vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Leipzig 2010. 2 Susanne Hattig/Silke Klewin et al., Haft unterm Hakenkreuz. Bautzen I und II. 1933–1945, Dresden 2018, S. 24; siehe Nikolaus Wachsmann, Gefangen unter Hitler. Justizterror und Strafvollzug im NS-Staat, München 2006, und Sylvia de Pasquale, Zwischen Resozialisierung und »Ausmerze«. Strafvollzug in Brandenburg an der Havel (1920–1945), Berlin 2013.

8 Nach der Kapitulation des »Dritten Reiches« gehörte Sachsen zur sowjetischen Besatzungszone. Die Besatzungsmacht wandelte das Gefängnis in ein sogenanntes Speziallager um. Zunächst trug es den Namen Speziallager Nr. 4, nach Auflösung der meisten anderen Lager dieser Art hieß es ab dem 1. Januar 1949 Speziallager Nr. 3. Bis zur Auflösung des Speziallagers im Frühjahr 1950 waren zeitweise über 7000 Häftlinge hier untergebracht. Diese setzten sich aus zwei verschiedenen Gruppen zusammen. Erstens wurden hier, wie in den westlichen drei Besatzungszonen auch, Frauen und Männer ohne Urteil interniert, die entweder als aktive Unterstützerinnen und Unterstützer der Nationalsozialisten oder als gefährlich für die Besatzungsmacht galten. Zweitens waren hier Personen inhaftiert, die von sowjetischen Militärtribunalen (SMT) verurteilt worden waren. Je länger das Lager bestand, desto mehr verschob sich das Häftlingsspektrum. Die Zahl der Lagerinsassinnen und -insassen, welche im Zusammenhang mit der Entnazifizierung und der Absicherung der Besatzungsherrschaft interniert waren, sank. Gleichzeitig stieg die Zahl der Personen, die aufgrund widerständigen Verhaltens gegen die neue gesellschaftliche und politische Ordnung inhaftiert wurden.3 Nach Gründung der DDR im Oktober 1949 übernahm deren Innenministerium die Gefängnisse, für deren Verwaltung die Deutsche Volkspolizei zuständig wurde. Nachdem die sowjetische Besatzungsmacht etwas über 1 100 Häftlinge entlassen hatte, übergab sie das Gefängnis mit 6200 Gefangenen an die Volkspolizei. Da sich die katastrophalen Haftbedingungen nicht verbesserten, erhielt es – offiziell Bautzen I – im Jargon der Häftlinge den Namen »Gelbes Elend«. Schon wenige Tage nach dem Wechsel in deutsche Verantwortung beendete die Volkspolizei im März 1950 einen Gefangenenprotest mit erheblicher Brutalität. Die unverhältnismäßig hohen Belegungszahlen sanken in den folgenden Jahren, vor allem nach Stalins Tod 1953, durch Entlassungen und Verlegungen langsam, bis die Häftlingszahl im Mai 1958 unter 1000 betrug. Auch seit den späten 1950er-Jahren bis zum Ende der DDR saß in Bautzen I, das für die Verbüßung von Strafen bis zu fünf Jahren ausgelegt war, immer ein bedeutender Anteil Häftlinge ein, die wegen politischer Delikte verurteilt waren.4 1989 erzwang eine neuerliche Häftlingsrevolte vorfristige Entlassungen, ein verändertes Haftregime und vor allem eine stärkere Beschäftigung der Zivilgesellschaft in Bautzen mit den Gefängnissen in ihrer Stadt.5 Seit 1990 steht der Komplex – nun als Justizvollzugsanstalt – unter Landesverantwortung. Das zweite der Bautzener Gefängnisse wurde in unmittelbarer Nachbarschaft des Gerichts unweit der Altstadt erbaut. Es diente seit 1906 als Gerichtsgefängnis und galt wegen seiner baulichen Struktur als modern. Mit 203 Haftplätzen wurde es als Untersuchungsgefängnis und Haftanstalt für Gefangene mit sehr kurzen Haftstrafen von teilweise nur wenigen Tagen genutzt. Im April 1923 wurde es der Landesstrafanstalt Bautzen unterstellt. Dieses Verhältnis blieb auch während des »Dritten Reiches« bestehen. Seit 1945 nutzte die sowjetische Besatzungsmacht das Gebäude weiterhin als Untersuchungsgefängnis. Sowjetische Militärgerichte traten im benachbarten Gerichtsgebäude zusammen. Im Juli 1949 wechselte Bautzen II zunächst in den Verantwortungsbereich der sächsischen Justizverwaltung und diente als Untersuchungs-, Durchgangs- und

9 Strafhaftanstalt für Männer und Frauen.6 Im Dezember 1950 wurde das Gefängnis mit 250 Gefangenen der Volkspolizei übergeben. Diese nutzte es fortan als Gefängnis für Strafgefangene. Das Haus war als Objekt II der Strafvollzugseinrichtung Bautzen zugeordnet und mit maximal 400 männlichen und weiblichen Gefangenen mit Kurzzeitstrafen bis zu zwei Jahren belegt. Beide Gefängnisse – Bautzen I und II – standen unter Kontrolle der Hauptabteilung Strafvollzug im Innenministerium und der Abteilung Strafvollzug in der Bezirksbehörde der Volkspolizei Dresden.7 1956 änderte sich der Charakter der Haftanstalt grundlegend. Es blieb formal dem Innenministerium unterstellt, aber tatsächlich erhielt das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) dort erhebliche Zugriffsrechte. Das MfS kontrollierte seitdem die Einweisungen, den Haftalltag und die Behandlung der Gefangenen. Bautzen II wurde damit de facto zu einer Sonderhaftanstalt des MfS. Das Gefängnis wies durchweg einen extrem hohen Anteil von Gefangenen auf, die in der DDR unter Beteiligung des MfS wegen politischer Delikte verurteilt worden waren. Diese Situation änderte sich erst mit der demokratischen Revolution in der DDR und der Entlassung der letzten politischen Gefangenen im Dezember 1989.8 Von 1990 bis 1992 wurde Bautzen II als Außenstelle der Justizvollzugsanstalt Bautzen geführt, bevor 1994 die Gedenkstätte Bautzen auf dem Gelände der ehemaligen Haftanstalt entstand. Der vorliegende Band verdankt seine Entstehung den noch immer erheblichen Forschungslücken zur Geschichte der beiden Gefängnisse. Insbesondere die Zeit des Nationalsozialismus wurde bisher nur rudimentär erforscht. Aber auch zahlreiche Fragen zum Speziallager Bautzen und zur MfS-Sonderhaftanstalt Bautzen II konnten bisher nicht ausreichend beantwortet werden. Für die Zeit nach 1945 ergab sich mitunter der Eindruck, dass die zur Erforschung notwendige Distanz zum Gegenstand nicht immer gewahrt wurde, die Richtung der Forschung wie die Ergebnisse stark von den moralisch determinierten Fragestellungen der Aufarbeitung geprägt waren. Wenngleich in der Gedenkstättenarbeit Empathie mit den Schicksalen der Gefangenen das oberste Gebot 3 Karl W. Fricke, Internierung und Strafvollzug in Bautzen unter sowjetischer Verantwortung (1945 bis 1950), in: Fricke, Strafvollzug, S. 101–117; Cornelia Liebold/Bert Pampel (Hrsg.), Hunger, Kälte, Isolation. Erlebnisberichte und Forschungsergebnisse zum sowjetischen Speziallager Bautzen, 1949–1950, Dresden 42002; Jörg Morré, Das Speziallager Bautzen als Instrument sowjetischer Herrschaftssicherung, in: Rainer Behring/Mike Schmeitzner (Hrsg.), Diktaturdurchsetzung in Sachsen. Studien zur Genese der kommunistischen Herrschaft 1945–1952, Köln 2003, S. 79–100; Cornelia Liebold/Jörg Morré/Gerhard Sälter (Hrsg.), Kassiber aus Bautzen. Heimliche Briefe von Gefangenen aus dem Speziallager 1945–1950, Dresden 2004. Siehe Sergej Mironenko/ Lutz Niethammer/Alexander von Plato (Hrsg.), Sowjetische Speziallager in Deutschland, 1945 bis 1950, Bd. 1, Berlin 1998; Andrew H. Beattie, Allied Internment Camps in Occupied Germany. Extrajudicial Detention in the Name of Denazification, 1945–1950, Cambridge 2020. 4 Fricke, Strafvollzug, S. 126–132. 5 Ronny Heidenreich, Aufruhr hinter Gittern. Das »Gelbe Elend« im Herbst 1989, Leipzig 2009. 6 Fricke, Internierung, S. 101– 102. 7 Bericht zur Übernahme der StVA Bautzen II, 18.12.1950, Bundesarchiv Lichterfelde, DO 1-11/1571– 75396, Bl. 7, Kopie der Historischen Sammlung der Gedenkstätte Bautzen (HSGB), BB-32. Das Übergabeprotokoll datiert vom 14.12.1950, ebd., Bl. 59–67. 8 Karl W. Fricke/Silke Klewin, Bautzen II. Sonderhaftanstalt unter MfS-Kontrolle. 1956 bis 1989. Bericht und Dokumentation, Dresden 32007.

16 1933 – 1945 VORBEMERKUNGEN Die systematische Ausbeutung von Arbeitskraft hatte für das NS-Regime eine herausragende Bedeutung. Sie diente den Nationalsozialisten zunächst als Mittel zur Bestrafung und Wiedergutmachung, zur Durchsetzung von Infrastruktur- und Prestigeobjekten und nach Ausbruch des Krieges war sie notwendig, um die Rüstungswirtschaft und Versorgung am Laufen zu halten. Es entwickelte sich ein weit verzweigtes und komplexes System an Lagern und Haftstätten. Die Gefängnisse gehörten dazu, waren integraler Bestandteil, sind aber bislang in der Forschung und öffentlichen Wahrnehmung des NS-Unrechtssystems nur am Rande wahrgenommen worden. Der vorliegende Beitrag widmet sich der Zwangsarbeit von Gefangenen in den Bautzener Haftanstalten. Auch hier ist kaum etwas bekannt, was zunächst an der Überlieferungslage liegt. Die im Männerstrafgefängnis Bautzen I geführten Gefangenenpersonal-, unteren Personal- und Verwaltungsakten sind zum allergrößten Teil während der Evakuierung der Bautzener Gefängnisse im Februar 1945 sowie bei der nachfolgenden Nutzung von Bautzen I als sowjetisches Speziallager vernichtet worden. Lediglich eine einstellige Anzahl Gefangenenpersonalakten in Bautzen I bzw. ca. 250 Gefangenenpersonalakten von aus Bautzen wegverlegten Gefangenen konnten bislang im Sächsischen Staatsarchiv aufgefunden werden. Zu dem vor allem als Untersuchungshaftanstalt genutzten Gefängnis Bautzen II existiert ein eigener Bestand im Hauptstaatsarchiv Dresden. Dort lagern auch einige wenige Personalakten von Gefängnisbediensteten und Bestände von Unternehmen, die Bautzener Häftlinge für sich arbeiten ließen. Einzelfälle wie Staatsanwaltschafts- oder Gerichtsakten von Gefangenen befinden sich zudem in einigen anderen Landesarchiven. Nicht nur die Überlieferung zu Insassen und Personal ist sehr spärlich. Auch was die Organisation von Haftarbeit und deren Bedeutung anbelangt, finden sich nur noch verstreute Hinweise. Zur vorgesetzten Behörde, dem sächsischen Ministerium der Justiz bzw. ab der Justizreform 1935 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts (OLG) Jan-Henrik Peters GEFANGENENZWANGSARBEIT IM NATIONALSOZIALISMUS – DAS BEISPIEL BAUTZEN

17 Dresden, befinden sich im Hauptstaatsarchiv Dresden Bestände, welche aber beinahe ausschließlich die vor Kriegsende an das Archiv abgegebenen Akten beinhalten. Das im OLG Dresden genutzte bzw. in dessen Registratur noch vorhandene Schriftgut wurde während des Krieges zu großen Teilen ausgelagert und wies nach Kriegsende einen nicht mehr archivierbaren Zustand auf. Daher wurde es nicht vom Sächsischen Staatsarchiv übernommen. Im Bundesarchivbestand Reichsjustizministerium finden sich zu den Bautzener Gefängnissen lediglich einige Quellen mit Übersichtscharakter wie Statistiken etc. Trotz dieser dünnen Quellenlage wird im Folgenden versucht, erste Konturen der Haftarbeit herauszuarbeiten. Zunächst geht es um die formalen Rahmenbedingungen für Gefangenenarbeit, deren Wurzeln vor 1933 liegen. Im Anschluss wird die Entwicklung der Häftlingsarbeit in Bautzen beschrieben. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf jenen Firmen und Produktionsbereichen, welche die Häftlingsarbeit ausbeuteten. Die administrative Spannbreite reichte von anstaltsinternen Produktionsbereichen über Außenkommandos bis hin zu Haftarbeitslagern. Abschließend werden im Licht der zur Verfügung stehenden Quellen die Arbeits- und Lebensbedingungen skizziert. Da die Forschungslage zur Haftarbeit in den Bautzener Gefängnissen ein Desiderat1 darstellt, wird der Skizzierung der konkreten lokalen Verhältnisse größerer Raum gegeben. Die Bautzener Gefängnisse wurden Anfang des 20. Jahrhunderts erbaut. Sie dienten zwischen 1933 und 1945 nach dem Vollstreckungsplan offiziell folgenden Zwecken: Die größere Haftanstalt am Stadtrand (Bautzen I, heute Justizvollzugsanstalt) war für die Inhaftierung von jungen und erstbestraften Männern eingerichtet, zeitweise befand sich hier zudem ein Jugendstrafvollzug. Die kleinere Haftanstalt auf der Rückseite des Amts- und Landgerichts (Bautzen II, heute Gedenkstätte) diente vor allem der Untersuchungshaft. Dort wurden aber auch regional für den Landgerichtsbezirk Bautzen kurze Freiheitsstrafen an Männern und an den aufgrund der deutlich geringeren Delinquenz sehr wenig vertretenen Frauen vollzogen.2 Die Bezeichnungen dieser beiden Gefängnisse wandelten sich entsprechend der Funktionszuweisung mehrfach. Bis Juli 1936 lautete 1 Vgl. Peter Russig, Der Strafvollzug in Bautzen während der nationalsozialistischen Diktatur (1933–1945), in: Karl-Wilhelm Fricke, Humaner Strafvollzug und politischer Mißbrauch. Zur Geschichte der Strafvollzugsanstalten in Bautzen 1904 bis 2000, Schriftenreihe des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz, Bd. 10, Dresden 1999, S. 85–86. Die Quellenstudien wurden vom Autor in Zusammenhang mit der Entwicklung der Dauerausstellung des Gedenkstätte Bautzen 2016/17 unternommen; deren Ergebnisse flossen aber nur teilweise in die Ausstellung und den Katalog ein. Vgl. Susanne Hattig/Silke Klewin/Jan-Henrik Peters/Ralf Marten/Sven Riesel/ Volker Strähle, Haft unterm Hakenkreuz. Bautzen I und II 1933–1945. Katalog zur Ausstellung, Schriftenreihe der Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft, Bd. 17, Dresden 2018, S. 90 ff. 2 Während für den Mai 1941 vom Reichsjustizministerium für das Gefängnis Bautzen I eine Belegfähigkeit von 1 077 Männern und für das Gefängnis Bautzen II von 167 Männern bestätigt wurde, konnte die Frauenabteilung in Bautzen II lediglich 42 Gefangene aufnehmen. Vgl. Bestätigungsschreiben des Reichsministeriums der Justiz über die Belegungsfähigkeit der selbständigen Vollzugsanstalten vom 17.5.1941, in: Sächsisches Staatsarchiv (Sächs. StA), Bestand 30067 Untersuchungsgefängnis Plauen/Strafvollzug im Allgemeinen, Nr. 82, Bl. 1r.

18 1933 – 1945 sie »Landesgefangenenanstalt Bautzen«,3 bis Oktober 1939 hieß sie »Straf-, Untersuchungs- und Jugendgefängnis Bautzen«, nach Auflösung des Jugendstrafvollzugs nur »Vollzugsanstalten Bautzen«.4 Ab März 1941 war ihr Name dann »Strafgefängnis und Untersuchungshaftanstalt Bautzen«.5 Ab 1. Mai 1944 lautete sie mit Wiederaufnahme des Jugendstrafvollzugs »Strafgefängnis, Jugendgefängnis und Untersuchungshaftanstalt Bautzen«.6 Geleitet wurden sie während der gesamten NS-Zeit von Rudolf Plischke. Der karriereorientierte Justizbeamte vertrat ursprünglich Reformideen für den Strafvollzug, wie den Stufenstrafvollzug. Kurz nachdem die Nationalsozialisten die Macht an sich gerissen hatten, wurde er auf den Direktorenposten in Bautzen berufen. Plischke setzte dann deren Vorstellungen für den Strafvollzug ohne Zögern um und trat 1937 der NSDAP bei. Kurz vor Kriegsende mit einem Teil der Häftlinge nach Leipzig evakuiert, wurde er im August 1945 von der sowjetischen Besatzungsmacht für Befragungen zu den Umständen des Todes von Ernst Thälmann nach Bautzen verbracht. Er starb dort in der ersten Nacht in einer Zelle (wohl in Bautzen II) nach offizieller Darstellung an einer »alten Erkrankung innerer Organe«7 bzw. an einer Überdosis unreifen Mohns, welcher auf die Gastritis von Plischke eingewirkt hatte.8 Ab 1933 vollzogen sich die Veränderungen im Strafvollzug schleichend: So blieb in Sachsen der dem Reformstrafvollzug zuzurechnende Stufenstrafvollzug, wo Häftlinge durch Wohlverhalten zu etwas angenehmeren Vollzugsformen aufsteigen konnten, noch einige Jahre erhalten. Allerdings wurden im Laufe der Zeit auch in allen sächsischen Gefängnissen militärische Umgangsformen eingeführt, während des Krieges Essensrationen gekürzt und die Anstalten mehr und mehr überbelegt. Abschreckung und Vergeltung galten nun als Hauptziele des Strafvollzugs. Die Häftlingsgesellschaft veränderte sich; zunehmend wurden Gegner des Nationalsozialismus eingesperrt. 9 GEFANGENENARBEIT IM NS-STAAT Die Arbeitspflicht für Gefangene war keine Erfindung der Nationalsozialisten. Neben Kosteneinsparungen bzw. der Erzielung von Erlösen für den Strafvollzug sollte die Haftarbeit vor 1933 auch der Disziplinierung und Besserung der Häftlinge dienen. Der Bau von Gefängnissen, ihr Betrieb und ihre Versorgung mit Lebensmitteln geschahen zu unterschiedlichen Anteilen durch die Arbeitsleistungen der Gefangenen. Darüber hinaus bemühten sich die Gefängnisverwaltungen um Auftragsfertigungen für Unternehmen. In der Zeit der zu Ende gehenden Weltwirtschaftskrise mit ihren hohen Arbeitslosenzahlen gestaltete es sich aber für die Haftanstalten in der Realität sehr schwierig, für genügend Arbeit zur Beschäftigung ihrer Gefangenen zu sorgen. So blieb Anfang der 1930er-Jahre eine große Anzahl auch der Bautzener Häftlinge ungeachtet der Arbeitspflicht unbeschäftigt. Doch die zunehmende Konjunktur ab der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre, die Aufrüstung und vor allem der Krieg veränderten die Situation grundlegend, denn Arbeitskräfte wurden zusehends knapper.

19 Unter den Nationalsozialisten kam vor allem ab 1942 mit dem nun stockenden Vormarsch der Wehrmacht ein weiterer Aspekt hinzu: Die Haftarbeit musste vor allem der Kriegswirtschaft dienen. Der erzieherische Gedanke trat in den Hintergrund, die Ausbeutung in den Vordergrund. Das schlug sich naturgemäß auch im normativen Rahmen für die Gefangenenarbeit nieder. Die Strafvollzugsbehörden konnten schon ab Kriegsbeginn nicht mehr allein über die Beschäftigung ihrer Gefangenen bestimmen, was sie noch im März 1937 angestrebt hatten.10 »Arbeit ist eines der wesentlichsten Hilfsmittel eines erfolgreichen Strafvollzuges. Die Arbeit gibt zugleich dem Verurteilten Gelegenheit, seinen Willen zur Besserung und inneren Umstellung durch andauernde besondere Leistungen zu beweisen«, hatte der damalige Staatssekretär und spätere Oberreichsanwalt Dr. Roland Freisler zwar noch 1938 an die Oberstaatsanwälte geschrieben.11 Ein Runderlass des Reichsjustizministeriums an die Generalstaatsanwälte vom Herbst 1939 – nach Kriegsausbruch – wies nun jedoch hinsichtlich der Arbeitsbedingungen an: »Jedem Strafgefangenen und Verwahrten ist ausschließlich volkswichtige Arbeit zuzuweisen. Selbstbeschäftigung ist nicht zu gestatten. Die tägliche Arbeitszeit wird [inklusive Pausen] bei Zuchthaus, schwerem Kerker von mehr als einem Jahr und Sicherungsverwahrung auf zwölf Stunden, im Übrigen auf elf Stunden erhöht. Jede Arbeitsverweigerung, Faulheit und schuld3 Rundschreiben des Generalstaatsanwalts beim Oberlandesgericht Dresden Dr. Jung über die Umbenennung der besonderen Vollzugsanstalten vom 17.7.1936 infolge der Verfügung des Reichsministers der Justiz vom 3.7.1936, in: Sächs. StA, Bestand 30067 Untersuchungsgefängnis Plauen, Nr. 83 Generalakten/Strafvollzug im Allgemeinen, Bl. 1. 4 Rundschreiben des Generalstaatsanwalts beim Oberlandesgericht Dresden an die Justizbehörden des Bezirks vom 9.10.1939 betr. künftige Bezeichnung der Vollzugsbehörden in Bautzen, Zwickau und Hoheneck, in: Sächs. StA, Bestand 30067 Untersuchungsgefängnis Plauen, Nr. 80 Generalakten/ Strafvollzug im Allgemeinen, Bl. 55. 5 Rundschreiben des Generalstaatsanwalts beim Oberlandesgericht Dresden an die Justizbehörden des Bezirks vom 19. 3. 1941 über die Rundverfügung des Reichsjustizministers vom 13. 2. 1941, in: ebd., Bl. 209. 6 Bericht des Strafgefängnisses, Jugendgefängnisses und der Untersuchungshaftanstalt Bautzen vom 9. 8. 1944 betr. Arbeitseinsatz bei den Elbtalwerken an den Generalstaatsanwalt bei dem Oberlandesgericht Dresden Dr. Jung, in: Bundesarchiv (BArch), Bestand 3001 Reichsjustizministerium, Nr. 21429 Generalakten Strafvollzug/Beschäftigung der Gefangenen im Allgemeinen, Bl. 7. 7 Information [Übersetzung aus dem Russischen] über eine Aussprache mit dem ehemaligen Mitarbeiter der Operativgruppe des NKWD der UdSSR in Bautzen Valentin Pawlowitsch Korolewitsch am 6. 2. 1975, in: Bundesarchiv Stasi Unterlagenarchiv (BArch, MfS), HA IX/11 RHE, Nr. V9/62, Bd. 88 (alt: Bd. 7), T. 2 von 2, Bl. 249. 8 Auskunftsbericht [Übersetzung aus dem Russischen] über die Ergebnisse der Sammlung von Materialien, die Bedeutung für die Klärung der Umstände der Ermordung Ernst Thälmanns durch die Nazis haben, in: BArch, MfS, HA IX/11 RHE, Nr. V9/62, Bd. 88 (alt: Bd. 7), T. 1 von 2, Bl. 97–98. 9 Vgl. Wachsmann, Gefangen unter Hitler, S. 422–423, sowie Russig, Strafvollzug. 10 Rundschreiben des Leiters der Strafabteilung des Reichsjustizministeriums Dr. Wilhelm Crohne an den Reichs- und preußischen Arbeitsminister Franz Seldte vom 19. 3. 1937 betr. Feststellungen über die Beschäftigung von Gefangenen. Crohne erteilte hierin Forderungen der dem Arbeitsministerium unterstehenden »Reichstreuhänder der Arbeit« nach »Erhebungen in den Vollzugsanstalten über die Beschäftigung von Gefangenen« eine Absage mit der Bemerkung, dass in einem Bericht des Treuhänders der Arbeit für das Rheinland die Gefangenenarbeit als »Schmutzkonkurrenz« bezeichnet worden war. Vgl. Sächs. StA, Bestand 30067 Untersuchungsgefängnis Plauen, Nr. 5 Generalakten/Verhältnis der Arbeitsbetriebe und Vollzugsanstalten zur freien Wirtschaft, Bl. 15. 11 Rundschreiben des Staatssekretärs im Reichsjustizministerium Dr. Roland Freisler an die Herren Oberstaatsanwälte vom 14. 4. 1938 betr. Berücksichtigung der Arbeitsleistung im Gnadenverfahren, in: Sächs. StA, Bestand 30067 Untersuchungsgefängnis Plauen, Nr. 84 Sondergebiete der Strafrechtspflege, Bl. 18.

22 1933 – 1945 HAFTARBEIT DIREKT IN DEN BAUTZENER GEFÄNGNISSEN Schon die anstaltseigenen Produktionsbereiche wie Schneiderei und Schuhmacherei wurden in die Kriegsproduktion einbezogen. Im März 1944 waren beispielsweise von 41 Schneidern 30 für die Wehrmacht tätig und von 35 Schuhmachern setzten 20 Schuhe fürs Militär instand. Auch die anstaltseigene Tischlerei produzierte fallweise für die Wehrmacht.18 Den Hauptteil der direkt im Gefängnis geleisteten Gefangenenarbeit machten aber Tätigkeiten für Fremdunternehmen aus: Die größte und kriegswichtigste Rüstungsproduktion im Gefängnis fand für das in Heidenau bei Dresden ansässige Unternehmen Elbtalwerk Elektrizitäts Aktien-Gesellschaft, ein Hersteller von Elektromaschinen, statt. Das Elbtalwerk verlagerte die Fertigung von sogenannten Funkumformern, welche für Militärflugzeuge19 benötigt wurden, in das Gefängnis Bautzen I. Ausschlaggebend war, dass keine freien Arbeitskräfte mehr aufzutreiben waren. »Die Aussichtslosigkeit nach den wiederholten Mitteilungen und vielen Hinweisen des Arbeitsamtes, auch nach persönlichen Rücksprachen zwischen Herrn Direktor Schauer und Oberregierungsrat Näbe als Leiter des Arbeitsamtes, auf den baldigen Zugang von Arbeitskräften, entsprechend unsere Anforderungen von rund 300 Männern und Frauen, allein für den hiesigen Betrieb, zwang uns, andere Mittel und Wege zu suchen, um unseren Lieferverpflichtungen seitens des R[eichs].L[uftfahrt]. M[inisteriums]. für den gesteigerten Bedarf von Adlergeräten [...] nachzukommen.«20 Diese rotierenden Elektromaschinen mit dem Tarnnamen »Adler« wandelten die Bordspannung der Flugzeuge in fünf für die Funkgeräte nötige Gleich- und Wechselspannungen um. Dementsprechend aufwendig und kompliziert waren der Aufbau der Geräte und ihre Herstellung. Die Einankerumformer U 10/S., so ihre offizielle Bezeichnung, bestanden im Grunde aus verschiedenen ineinander verschachtelten Elektromaschinen auf einer Welle. Der Großteil der Produktionsräume für den Funkumformer wurde direkt im Gefängnis Bautzen I eingerichtet. Den benötigten Raum konnte man im dortigen Haus 2 schaffen und prognostizierte für die Einrichtung der Produktionsstätte einen finanziellen Aufwand von 300 000 Reichsmark. Rund 200 Häftlinge sollten dann den kompletten Funkumformer herstellen.21 Das Haus 2 verwandelte sich in eine Elektromaschinenfabrik. Im Erdgeschoss gab es eine große und maschinell gut ausgestattete Metallbearbeitungsabteilung mit Schweißerei, Farbspritzkabinen und Prüftischen für die Umformer. Daneben existierten eine Abteilung für Spulenwicklerei und -tränkerei sowie für die Endmontage, ein Dauerlaufraum für Probeläufe der Umformer, eine Meisterstube und ein Büro. Im Hauptzellenbau gab es Vorrichtungen zum Spulenwickeln, Kollektorsägen und Löten.22 Am 1. Februar 1943 begann die Produktion. Bis Ende des Jahres wurden dort schon 180 000 Reichsmark Umsatz erzielt.23 Der Umformer musste, da für die Verwendung in einem Flugzeug vorgesehen, klein und leicht gehalten werden. Das bedingte, dass kleinteilige und exakte Spulenwickel- und Lötarbeiten auszuführen waren. Hierfür sahen die Elbtalwerke den Einsatz von Frauen vor, die für derartige Arbeiten als geeigneter angesehen wurden: »Nach Erörterung der

23 verschiedenen Möglichkeiten, insbesondere der Bedenken, dass für die Adlerfabrikation, insbesondere das Schalten der 3. und 4. Wicklung sehr feinfühlige Hände nötig sind und deren Arbeiten jetzt bei uns geübte Frauen erledigen, erscheint uns doch der Plan, Bautzen wählen zu sollen, für zweckmäßig.«24 »Die Frauenabteilung, die wir nach mühevollen Verhandlungen in Bautzen deshalb durchdrücken mussten, weil die Eigenart der dortigen Arbeiten Frauenhände verlangt, ist jetzt auf etwa 80 Personen angewachsen und zeitigt gute Früchte der Arbeit.«25 Da die Frauen nicht im Männergefängnis Bautzen I untergebracht werden sollten, ließ die Gefängnisverwaltung hierfür eine sogenannte Reeselit-Leichtbaustoff-Unterkunft26 (Baracke) auf dem Kupferhammergelände, einem aufgelassenen Walzwerk in der unmittelbaren Nähe des Gefängnisses Bautzen I, aufstellen. Hierbei kam der Reichsjustizverwaltung bzw. den Bautzener Gefängnissen zupass, dass sie schon Mitte Mai 1936 die Immobilie »Kupferhammer« käuflich erworben hatten, diese also zu den Bautzener Gefängnissen gehörte.27 18 Einrichtung von Rüstungsbetrieben [...]., Bl. 319r. 19 Vor allem für die Junkers Ju 88, eines der großen Luftrüstungsprojekte im Nationalsozialismus. Von diesem zweimotorigen Standardflugzeugtyp des Zweiten Weltkriegs wurden fast 15 000 Exemplare gefertigt. 20 Aktennotiz betr. Betrieb V, Bautzen, in: Sächs. StA, Bestand 11655 Elbtalwerk Elektrizitäts AG Heidenau/VEB Elbtalwerk Heidenau, Nr. 1279, darin Nr. 21. 21 Ebd. 22 Maschinen & Einrichtungen Fertigungsnebenstelle Bautzen Adlerbau, in: Sächs. StA, Bestand 11655 Elbtalwerk Elektrizitäts AG Heidenau/VEB Elbtalwerk Heidenau, Nr. 1158, o. Pag. 23 Umsatz-Spezifikation nach Betrieben im Jahresbericht 1943 für Elbtalwerkdienst, in Sächs. StA, Bestand 11655 Elbtalwerk, Nr. 1069, o. Pag. 24 Aktennotiz [...]., darin Nr. 20. 25 Auszug aus dem geheimen Vorstandsbericht vom 3. 12. 1944, in: Sächs. StA, Bestand 11655 Elbtalwerk Elektrizitäts AG Heidenau/VEB Elbtalwerk Heidenau, Nr. 1004, o.Pag. 26 Schreiben über Barackenlieferung der Firma Reeselit-Leichtbaustoffe Dr. Ing. Karl Reese an die Elbtalwerke Heidenau vom 24. 9. 1943, in: Sächs. StA, Bestand 11655 Elbtalwerk Elektrizitäts AG Heidenau/VEB Elbtalwerk Heidenau, Nr. 84, o. Pag. Funkumformer, U 10/S, 2017 StSG/Gedenkstätte Bautzen

36 1945 – 1956 Jan-Henrik Peters DAS FÜHRUNGSPERSONAL VON BAUTZEN I NACH DER ÜBERNAHME DES SOWJETISCHEN SPEZIALLAGERS Die Stadt Bautzen mit ihren Gefängnissen war nach Kriegsende ein berüchtigter Haftort. Die sowjetische Geheimpolizei richtete im Gefängnis Bautzen I ein Internierungslager ein, Bautzen II diente zeitweilig als Untersuchungsgefängnis der sowjetischen Geheimpolizei. Nach Gründung der DDR gab die sowjetische Besatzungsmacht ihre Lager in Ostdeutschland auf: Ein Teil der Gefangenen wurde entlassen, andere aber an die DDR-­ Behörden überstellt. Der junge SED-Staat sah sich damit vor die Aufgabe gestellt, diese Haftanstalten zu verwalten und für die sichere Verwahrung der verbliebenen Gefangenen zu sorgen, die zuvor unter der Kontrolle der sowjetischen Geheimpolizei gestanden hatten. Parallel zur Übergabe der Lagerinsassen wurde das Gefängniswesen von der Justizverwaltung an das Innenressort übergeben. Das Innenministerium brauchte also dringend Kader, um nun auch die Haftanstalten verwalten zu können. Insofern lohnt ein Blick auf das Führungspersonal des »Gelben Elends«, dem diese Aufgabe in den Bautzener Haftanstalten anvertraut wurde. Der folgende Artikel soll das Führungspersonal in der Zeit kurz nach Auflösung des sowjetischen Speziallagers in den Blick nehmen. Das betriff die Gefängnisleiter sowie deren Stellvertreter und unmittelbaren Vorgesetzten des Wachpersonals, den sogenannten Stellvertreter Operativ. Die Forschung zu diesen Akteuren ist ein Desiderat. Gefragt wird nach Gemeinsamkeiten biografischer Prägung und deren denkbare Rückwirkungen auf den Haftvollzug. ERICH RESCHKE Erich Reschke wurde am 14. März 1902 in Bochum geboren. Sein Vater war Schlosser, seine Mutter Hausfrau. In Hamburg besuchte er die Volksschule bis 1916 und begann eine Lehre zum Schiffbauer, die er aber aufgrund finanzieller Nöte – die Eltern hatten weitere sieben Geschwister zu versorgen – nicht beenden konnte. In Hamburg arbeitete er auf den Werften Blohm & Voss, Deutsche Werft und Vulcan Weft1 als Nieter und trat 1919 der Gewerkschaft Deutscher Metallarbeiterverein bei. Es folgten 1922 der Eintritt in die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) und 1925 in den Rotfrontkämpferbund

37 (RFB), dem paramilitärischen Kampfverband der KPD. Am 7. Februar 1924 verurteilte ihn das Amtsgericht in Leipzig zu einer Strafe von einem Jahr und acht Monaten Gefängnis wegen Diebstahls,2 ab 1930 war er arbeitslos. Wegen der Teilnahme am sogenannten Altonaer Blutsonntag – dem gewaltsamen Zusammenstoß einer großen Demonstration der gerade wieder erlaubten SA mit Kommunisten am 17. Juli 1932 – und einer weiteren Auseinandersetzung mit der SA am 6. März 1933 verhaftete man ihn im März 1933. Erich Reschke musste etwa ein Jahr in den Konzentrationslagern Hamburg-Fuhlsbüttel und Lichtenburg verbringen, bevor ihn das Sondergericht beim Landgericht Altona3 am 24. Juni 1934 zu zwei Jahren Zuchthaus wegen der Teilnahme am Blutsonntag verurteilte. Da er im März 1933 immer noch als Kurier des inzwischen verbotenen RFB des Bezirks Wasserkante der KPD fungiert hatte,4 wurde er vom Kammergericht in Berlin im November 1935 wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu weiteren drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Erich Reschke, 1960er-Jahre Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam, Rep. 401 RdB Pdm VdN-4752, o. Pag. 1 Lebenslauf von Erich Reschke in der VdN-Akte von Erich Reschke, in: Brandenburgisches Landeshauptarchiv (BLHA), VdN-Akte Erich Reschke im Bestand Rat des Bezirks Potsdam, Rep. 401 RdB Pdm VdN-4752, o.Pag. 2 Anklageschrift III des Generalstaatsanwalts beim Kammergericht Berlin u.a. gegen Erich Reschke vom 16.1.1935, in: BArch, Bestand R 3018 Nationalsozialistische Justiz, Nr. 10359, Bl. 106. Im Lebenslauf für die VdN-Akte gibt Reschke an, von 1920 bis 1930 Mitglied in diesem freigewerkschaftlichem Metallarbeiterverband gewesen zu sein, bis er wegen Verteilens von Flugblättern der kommunistischen Revolutionären Gewerkschafts-Organisation ausgeschlossen wurde. Vgl. ebd. 3 Anklageschrift vgl. Staatsarchiv Hamburg, Bestand NS-Archiv des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, 731-9, Nr. 252 (Sondergericht Altona, Strafsache gegen Mago, Johann wg. Vergehens gegen §§ 211, 115 und 113 StGB u. a., 1934). 4 Anklageschrift II des Generalstaatsanwalts beim Kammergericht Berlin u.a. gegen Erich Reschke vom 16.1.1935, in: BArch, R 3018, Nr. 10359, Bl. 114–115.

38 1945 – 1956 Die Freiheitsstrafe verbüßte er im Zuchthaus Rendsburg5 sowie in den Strafgefangenenlagern Aschendorfermoor und Esterwegen. Anschließend deportierte ihn die Gestapo im Juli 1938 in das Konzentrationslager (KZ) Buchenwald.6 In Buchenwald gehörte Erich Reschke zur sogenannten Lagerselbstverwaltung, zeitweise war er sogar Lagerältester und zählte damit zu den herausgehobenen und privilegierten Funktionshäftlingen.7 Ende 1944 wurde er über Weimar ins Gefängnis Ichtershausen überführt, wo er am 13. April 1945 während eines Gefangenentransports fliehen konnte. Am 3. Juni 1945 zunächst nach Buchenwald zurückgekehrt, um seine Papiere zu holen,8 berief man ihn kurze Zeit später zum Leiter des Wohnungsamts in Erfurt und am 26. September 1945 als Polizeipräsident für Thüringen. Ein weiterer Karrieresprung erfolgte im Juli 1946: Erich Reschke wurde zum Präsidenten der Deutschen Verwaltung des Innern der SBZ berufen,9 eine Funktion, die er bis Juli 1948 ausübte und welche ihm für damalige Verhältnisse sehr beachtliche 2 200 Reichsmark monatlich einbrachte.10 Er war damit Polizeichef in der SBZ. Am 11. Juli 1948 abberufen und durch Kurt Fischer ersetzt, war er von Juli 1948 an Mitglied der Zentralen Kontrollkommission bei der Wirtschaftskommission für die sowjetische Besatzungszone (ZKK), wo er Ende Juni 1949 von seiner Tätigkeit beurlaubt wurde.11 Bereits im April 1949 schrieb der Vorsitzende der ZKK Fritz Lange an Walter Ulbricht: »Bei der Zentralen Kontrollkommission ist Gen. Reschke völlig fehl am Platze, was er auch selbst ohne weiteres einsieht.«12 Zu diesem Zeitpunkt wollte der mittlerweile arbeitslose Reschke im Schiffbau eine leitende Funktion übernehmen, schreckte dann jedoch davor zurück, diese Rolle in einem Großbetrieb auszufüllen.13 Schließlich übernahm er vom 1. Oktober 1949 bis zum 31. Dezember gleichen Jahres14 für das Hauptamt Verwaltung die Hausleitung der Dienstgebäude Invaliden- und Scharnhorststraße.15 Danach wurde Reschke zum Leiter der Verschlusssachenabteilung im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten gemacht. In diesem Zusammenhang ist folgende Einschätzung Reschkes überliefert: »Aus dem Fragebogen ist ersichtlich, welche großen und verantwortungsvollen Funktionen Herrn Reschke in den zurückliegenden Jahren übertragen wurden. Es hat sich in der Zwischenzeit herausgestellt, dass er solchen Aufgaben auf die Dauer nicht gewachsen war. Wir sind aber der Meinung, dass Herr R. durchaus in der Lage ist, die Leitung der Abteilung Verschlusssachen zu übernehmen, da er die notwendigen Voraussetzungen für eine derartige Vertrauensstellung mitbringen dürfte.«16 Doch das Ministerium des Innern (MdI) hatte eigene Pläne mit ihm: Er sollte in der Hauptverwaltung Deutsche Volkspolizei und hier im Strafvollzug Verwendung finden, denn die sowjetische Besatzungsmacht hatte beschlossen, die Speziallager aufzulösen und deren Gefangene an die DDR zu übergeben. So schied er am 31. Januar 1950 beim Außenministerium aus.17 Am 24. Januar gleichen Jahres fuhr Reschke im offiziellen Auftrag der Verwaltung Strafvollzug nach Bautzen, um die Übernahme von Bautzen I, dem sogenannten »Gelben Elend«, in die Wege zu leiten. Doch schon am 24. März 1950 geriet seine Position als Gefängnisleiter ins Wanken, denn zwei Häftlingen war die Flucht gelungen. Eine Untersuchungskommission der Hauptverwaltung der Deutschen Volkspolizei sprach sich am 26. März 1950 zunächst für die Abberufung des Leiters, des Stellvertreters Polit-Kultur

39 (PK) und des Stellvertreters Operativ aus. Im Falle Reschkes aber wurde am 27. März 1950 dem Gefängnisleiter eine vierteljährige Bewährungsfrist zugestanden.18 Allerdings verhängten der Chef der Deutschen Volkspolizei (DVP) Kurt Fischer und sein Stellvertreter Heinrich Hoffmann am 29. März 1950 für ihn einen strengen Verweis.19 Unter diesen Vorzeichen wiederholten sich am 30. März 1950 die bereits zuvor am 13. März schon einmal ausgebrochenen Proteste der ehemaligen Speziallagerhäftlinge in heftigerer Form: Sie protestierten gegen eine gegenüber der sowjetischen Regie noch einmal schlechtere Ernährungssituation. Durch Schreien an den Fenstern und Zeigen von Transparenten versuchten tausende Gefangene, die Aufmerksamkeit der Bautzener Bevölkerung zu erlangen. Reschke gab Gustav Schulze, seinem Stellvertreter Operativ in Bautzen I, von dem noch ausführlich zu berichten sein wird, den Befehl, die Rebellion niederzuschlagen. Reschke schrieb in seinem Bericht über die Revolte: »Die Strafgefangenen ließen sich nicht belehren, sondern setzten ihre Demonstration in Sprechchören mit nachfolgenden Worten fort: ›Wir verlangen das Rote Kreuz, Hunger – Hunger, wir wollen nicht verrecken, lasst uns raus, ihr Verbrecher, Hilfe – Hilfe‹ usw. Da diese Demonstration [...] in allen Sälen der Anstalt stattfand, sah ich mich gezwungen, aus der Devensive [sic] herauszugehen. Durch Herbeifordern der Bereitschaft und Gebrauch der Gummiknüppel wurde die Ruhe wieder hergestellt.«20 5 Vgl. Strafhaft-Karteikarte von Erich Reschke, in: Staatsarchiv Hamburg, Bestand 242-1 II Gefängnisverwaltung II Ablieferung 13, jüngere Kartei Männer sowie U-Haftkarteikarte Erich Reschke, in: ebd., Karteikasten Nr. 30317. 6 Lebenslauf vom 6. 1. 1946 [sic., es muss mindestens das Jahr 1950 sein, da im Fließtext Ereignisse bis zum 31.12.1949 Erwähnung finden] in der MdI-Personalakte von Erich Reschke, in: BArch, Bestand DO 1 Ministerium des Innern, Nr. 100300, o.Pag. 7 Zu den Umständen von Reschkes Funktion im KZ Buchenwald und zu seiner Biografie allgemein: Lutz Niethammer (Hrsg.), Der »gesäuberte« Antifaschismus. Die SED und die roten Kapos von Buchenwald, Berlin 1994, insbesondere S. 108 ff. Auf allzu ausführliche Ausführungen soll hier verzichtet werden. 8 Lebenslauf Reschke. 9 Ebd. 10 Undatierter Personalbogen Erich Reschke, MdI-Personalakte, BArch, a. a. O. 11 Lebenslauf Reschke sowie Schreiben des stellvertretenden Vorsitzenden der ZKK vom 30. 6. 1949 an den Leiter der HA Personalfragen und Schulung, Arthur Pieck zu Reschke, MdI-Personalakte, a. a. O. 12 Schreiben Fritz Lange an Walter Ulbricht vom 8.4.1949. Vgl. Akte des ZK der SED über Erich Reschke, in: BArch, Bestand DY/30 Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, Nr. 90532, Bl. 51. Reschke war Kader des ZK der SED. Eine ähnliche Einschätzung findet sich bei Thomas Horstmann: »Erich Reschke wurde nach Meinung Fritz Langes ZKK-Mitglied, ›ohne die geringsten Qualitäten für eine solche Funktion‹ zu haben.«, Thomas Hostmann, Logik der Willkür. Die Zentrale Kommission für Staatliche Kontrolle in der SBZ/DDR von 1948 bis 1958, in: Bernhard Diestelkamp/Jörn Eckert/Philippo Raieri/Rainer Schröder (Hrsg.), Arbeiten zur Geschichte des Rechts in der DDR, Bd. 3, Köln/Weimar/Wien 2002, S. 73. 13 Undatierte Aktennotiz vom Rathmann betr. Gen. Reschke, in: Akte des ZK der SED, Bl. 49. 14 Lebenslauf Erich Reschkes vom 6.1.1946. 15 Schreiben des Hauptamtes Verwaltung und Personalabteilung des MdI [zu jener Zeit für alle Personalfragen höherer Staatsangestellter verantwortlich] vom 1. 11. 1949 an Erich Keney vom Dienstgebäude Invalidenstraße, MdI-Personalakte. 16 Schreiben des Personalleiters Rathmann des Außenministeriums an die HA Personal des MdI vom 12.1.1950 sowie undatierte Vorlage Rathmanns an die HA Personal des MdI zur Entscheidung eingegangen am 18.1.1950, MdI-Personalakte. 17 Schreiben Rathmanns an die HA Personal beim MdI zur Versetzung/Entlassung von Erich Reschke vom 6.2.1950, MdI-Personalakte. 18 Bericht vom 26.3.1950 von VP-Kommandeur Eichhorn, VP-Inspekteur Rothe und Chef-Inspekteur Strieder, in: BArch, DO 1 Ministerium des Innern, Nr. 28513 bzw. Film 75391, Bild 19ff. 19 Bundesministerium des Innern, Personalakte Erich Reschke Nr. 1228 (Angabe aus dem Jahr 1994), zitiert nach Niethammer, Antifaschismus, S. 111. 20 Bericht über die Vorfälle vom 13. 3. und 31. 3. 1950 von Anstaltsleiter Reschke an die HA Strafvollzug der Hauptverwaltung Deutsche Volkspolizei vom 11. 4. 1950, in: BArch, Bestand DO 1 MdI, Nr. 28559, Bl. 6–7 bzw. Film 75395.

78 1956 – 1989 EINLEITUNG Die Haftanstalt Brandenburg-Görden zählte zu den drei größten Gefängnissen in Ostdeutschland.1 Im Jahr 1931 von der reformorientierten Weimarer Justizverwaltung errichtet,2 gilt sie als unmittelbarer Vorläufer der Haftanstalt Bautzen II zu DDR-Zeiten. Denn im August 1956 wurden 124 politisch wichtige Gefangene von Haus 4 der Haftanstalt Brandenburg-Görden nach Bautzen II verlegt,3 womit das letztgenannte Gefängnis erst seinen besonderen Status als »Sonderhaftanstalt« unter der »Obhut« der Staatssicherheit erlangte. Ihre Funktion für die innere Repression wie auch die Art der Haftbedingungen verbinden die Haftanstalt nahe der Havel und Bautzen II. Doch obwohl beide Haftanstalten inzwischen teilweise erforscht sind, liegen aufschlussreiche Dokumente zu den Hintergründen der besagten Verlegung von Gefangenen und zur Neuprofilierung der beiden Haftorte bislang nicht vor. Trotz dieser unbefriedigenden Quellenlage werden nachfolgend verschiedene Aspekte diskutiert, die in den Überlegungen der Machthaber eine Rolle gespielt haben könnten. Von zentraler Bedeutung war wohl, dass im Sommer 1954 einem politischen Gefangenen der Ausbruch aus Brandenburg-Görden und die Flucht bis nach Westberlin glückte, wie weiter unten noch näher ausgeführt wird. Vermutlich galt die Haftanstalt ab diesem Zeitpunkt nicht mehr als sicher genug, während in Bautzen schon durch die abgeschiedene Lage Ähnliches nicht zu befürchten war. Das Gefängnis war zudem vergleichsweise klein und unbekannt, sodass sich die teils prominenten politischen Gefangenen dort besser vor der Weltöffentlichkeit verbergen ließen. Rätselhaft erschien auch den Betroffenen selbst ihre Verlegung im Sommer 1956. Mit bitterer Ironie bzw. Galgenhumor bezeichneten sie ihren bisherigen Haftort als »gläsernen Sarg«, was sich auf die erzwungene Stille im Inneren und die zahlreichen Insassen mit hohen Haftstrafen bezog.4 Deren Isolation voneinander und ihre hohen Strafmaße prägten ab dem Sommer 1956 dann ebenso Bautzen II. Tobias Wunschik BRANDENBURG-GÖRDEN ALS VORLÄUFER VON BAUTZEN II Zwei besondere Haftanstalten im politischen Strafvollzug der 1950er-Jahre

79 Bei den verlegten Häftlingen handelte es sich um politische Gefangene im engeren Sinne, um ehemalige Funktionäre von Staat und Partei (bzw. deren Familienangehörige) oder gar um vormalige Mitarbeiter der Repressionsapparate. Sie waren beispielsweise in Ungnade gefallen oder hatten sich Delikte der allgemeinen Kriminalität zuschulden kommen lassen – und ihre Verurteilung sollte meist geheim gehalten werden, weil diese für das SED-Regime politisch heikel war oder weil die Betroffenen ihr Herrschaftswissen (als vormalige »Geheimnisträger«) unbedingt für sich behalten sollten. Sie von der Welt abzuschotten, war wohl die wichtigste Funktion zunächst von Brandenburg-Görden und dann von Bautzen II. Eingang fanden in diesen Beitrag vor allem Unterlagen staatlicher Provenienz aus dem Bundesarchiv, dem Stasi-Unterlagen-Archiv sowie dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv. Dies schließt Berichte von Zuträgern des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR mit ein, die der üblichen Quellenkritik unterliegen. Hinzu kommen einige Aussagen von Zeitzeugen, teilweise niedergeschrieben nach Haftentlassung und Flucht in den Westen, als sie bei Gefangenenhilfsorganisationen vorsprachen, die sich der Delegitimierung des SED-Regimes verschrieben hatten, wie der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU) oder des Untersuchungsausschusses Freiheitlicher Juristen (UfJ). DIE HAFTANSTALTEN IN BRANDENBURG UND BAUTZEN 1950–1956 Nach Kriegsende hatte die sowjetische Besatzungsmacht Brandenburg-Görden zunächst selbst genutzt und hier das Lager Nr. 226 mit einer Kapazität für 500 Insassen eingerichtet, das größte Repatriierungslager seiner Art in der östlichen Besatzungszone.5 Interniert wurden hier beispielsweise Russen sowie Angehörige ethnischer Minderheiten der Sowjetunion, die an der Seite von Wehrmacht oder Polizeiverbänden für die deutschen Besatzer gekämpft hatten, also zum Beispiel Angehörige der sogenannten Wlassow-Armee.6 1 »Gefängnis« verstanden als »festes« Haftgebäude, im Gegensatz zum Haftarbeitslager. »Größe« wird dabei verstanden als die jeweils höchste Belegung, gleich zu welchem Zeitpunkt. Zu Brandenburg-Görden Tobias Wunschik, Honeckers Zuchthaus. Brandenburg-Görden und der politische Strafvollzug der DDR 1949–1989, Göttingen 2018; Leonore Ansorg, Politische Häftlinge im Strafvollzug der DDR. Die Strafvollzugsanstalt Brandenburg, Berlin 2005. 2 Sylvia de Pasquale, Der Bau der Strafanstalt Brandenburg-Görden 1927–1935, in: Silke Klewin/Herbert Reinke/Gerhard Sälter (Hrsg.), Hinter Gittern. Zur Geschichte der Inhaftierung zwischen Bestrafung, Besserung und politischem Ausschluss vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Leipzig 2010, S. 65–82. 3 Karl-Wilhelm Fricke/ Silke Klewin, Bautzen II. Sonderhaftanstalt unter MfS-Kontrolle. 1965–1989, Leipzig 2001, S. 71. 4 Teilweise wird der Spitzname auch auf das Glasdach der Haftgebäude zurückgeführt, welche aus der Vogelperspektive einem Sarg gleichen. Dietrich von Maltzahn, Mein erstes Leben oder Sehnsucht nach Freiheit, München 2009, S. 133. 5 Natalja Jeske, Die Repressionspraxis der sowjetischen Besatzungsmacht in Berlin-Brandenburg 1945–1949, in: Günter Morsch/Sylvia de Pasquale (Hrsg.), Perspektiven für die Dokumentationsstelle Brandenburg. Beiträge der Tagung in der Justizschule der Justizvollzugsanstalt Brandenburg am 29./30. 10. 2002, Münster 2004, S. 159–167. 6 Siehe auch Franziska Bruder, »Den ukrainischen Staat erkämpfen oder sterben!« Die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) 1929–1948, Berlin 2007; Leonid Rešin, Geheimdienstlich-politische Gefangenenorganisationen an der sowjetisch-deutschen Front 1941–1945: NKFD, BDO, Wlassow Bewegung, in: Klaus-Dieter Müller/Konstantin Nikischkin/Günther Wagenlehner (Hrsg.), Die Tragödie der Gefangenschaft in Deutschland und der Sowjetunion 1941–1956, Köln 1998, S. 161–173.

80 1956 – 1989 Durch individuelle Überprüfungen zu Entlassung, Repatriierung oder Verurteilung sowie die Verlegung anderer Insassen verlor das Lager 226 an Bedeutung. So konnte die sowjetische Seite am 27. Januar 1948 die Verwahrhäuser 1 und 2, das Verwaltungs- und das Wirtschaftsgebäude sowie die Arbeitshallen und Werkstätten dem brandenburgischen Innenministerium übertragen,7 während die Besatzungsmacht zunächst die Häuser 3 und 4 sowie das Krankenhaus mit zusammengerechnet etwa 25 Prozent der Gesamtkapazität behielt. In deutscher Hand waren nun 300 Einzelzellen, 360 Doppelzellen sowie 36 Zellen für sieben bis acht Häftlinge. Dies ergab eine Kapazität von rund 1 300 Plätzen,8 doch wollten die Verantwortlichen hier von vornherein bis zu 3 000 Personen unterbringen. Diese Überbelegung wurde wohl wegen des allgemeinen Mangels an Haftraum sowie der dann letztlich geringeren Personalkosten einkalkuliert, obwohl die so bewirkte drangvolle Enge für die Insassen menschenunwürdig war. Im April 1948 zeigte sich die Besatzungsmacht dann bereit, auch die restlichen Gebäude einschließlich Haus 4 zu übergeben, was wenig später umgesetzt wurde.9 Die seinerzeit insgesamt 2080 nach Befehl 201 Verurteilten in Ostdeutschland sollten nun hierhin eingeliefert werden;10 dieser Befehl der Sowjetischen Militäradministration diente formal der Entnazifizierung. Möglicherweise lag es in der Logik der Machthaber, diese Häftlingsgruppe vermeintlicher oder (meist »kleiner«) echter NS-Täter in einem Zuchthaus unterzubringen, das schon den Nationalsozialisten zur Inhaftierung ihrer Gegner gedient hatte und das noch dazu als besonders sicher galt. Die zehn Prozent Frauen unter den nach Befehl 201 Verurteilten sollten in das Haus 4 eingewiesen werden, weil das Gebäude durch zusätzliche Zäune vom übrigen Anstaltskomplex abgetrennt war.11 Tatsächlich wurden hier dann jedoch in Einzelzellen 119 Untersuchungshäftlinge inhaftiert und von der Kriminalpolizei oder Staatssicherheit ständig verhört. Unter ihnen waren auch in Ungnade gefallene Abgeordnete von CDU und LDP.12 Die nach Befehl 201 verurteilten Frauen wurden schließlich in der Haftanstalt Luckau konzentriert.13 Im Februar 1950 saßen dann 1508 Häftlinge in Brandenburg-Görden ein, die alle nach Befehl 201 (meist zu Strafmaßen von unter fünf Jahren) verurteilt waren.14 Im Juli 1950 wurden zudem die in den Waldheimer Prozessen besonders streng bestraften Gefangenen von Waldheim nach Brandenburg-Görden verlegt, wohl weil diese Haftanstalt als besonders sicher galt. Die Häftlingszahlen weiter ansteigen ließen auch Gefangene aus Bautzen I, die im März 1950 an der dortigen Hungerrevolte teilgenommen hatten und im August nach Brandenburg-Görden kamen.15 Anfang Dezember 1951 wurden zudem rund 400 Personen, die zuvor von Sowjetischen Militärtribunalen (SMT) verurteilt worden waren, aus der (nahe der Grenze gelegenen) Haftanstalt Untermaßfeld nach Brandenburg-Görden verlegt.16 Bereits im Herbst 1951 wurden dort so 2945 Insassen gezählt, unter denen sich nun etwa zehn Prozent Kriminelle befanden.17 Zu Beginn der 1950er-Jahre lag die Zuständigkeit für den Strafvollzug in Ostdeutschland noch überwiegend bei der Justiz, wie es in der Weimarer Republik der Fall gewesen war. Die neue ostdeutsche Justizverwaltung favorisierte indes relativ moderne Konzepte mit einer Gefangenenselbstverwaltung und parlamentarischen Kontrollgremien, auch wenn nachkriegsbedingt Nahrung und Heizmaterial für die Gefangenen oft nicht ausreichten.

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