Leseprobe

VINCENT HOYER UND MAREN RÖGER (HG.) Völker verkaufen Politik und Ökonomie der Postkartenproduktion im östlichen Europa um 1900 22 Visuelle Geschichtskultur

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2023, Sandstein Verlag, Goetheallee 6, 01309 Dresden Umschlagabbildung: Vincent Hoyer Redaktion: Vincent Hoyer Einbandgestaltung: Sandstein Verlag Gestaltung, Satz, Repro: Sandstein Verlag Druck: FINIDR, s.r.o., Český Těšín www.sandstein-verlag.de ISBN 978-3-95498-765-8 Gedruckt mit Unterstützung des Leibniz-Instituts für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO) e.V. in Leipzig. Diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes. Gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien Der Titel ist als Open-Access-Publikation verfügbar über www.sandstein-verlag.de, DOI: 10.25621/sv-gwzo/VG-22 Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution – Non Commercial 4.0 Lizenz (BY-NC). Diese Lizenz erlaubt unter Voraussetzung der Namensnennung des Urhebers die Bearbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung des Materials in jedem Format oder Medium für nicht kommerzielle Zwecke (Lizenztext: https://creativecommons.org/ licenses/by-nc/4.0/deed.de). Die Bedingungen der Creative-Commons-Lizenz gelten nur für Originalmaterial. Die Wiederverwendung von Material aus anderen Quellen (gekennzeichnet mit Quellenangabe) wie z. B. Schaubilder, Abbildungen, Fotos und Textauszüge erfordert ggf. weitere Nutzungsgenehmigungen durch den jeweiligen Rechteinhaber. Die Herausgeber*innen haben sich intensiv darum bemüht, alle Rechteinhaber ausfindig zu machen und zu kontaktieren. Sollte uns das im einen oder anderen Fall nicht möglich gewesen sein, bitten wir etwaige Rechteinhaber, sich mit uns in Verbindung zu setzen. The editors have made every effort to identify and contact all rights holders. In the event of any errors or omissions, the rights holder is kindly requested to notify us.

22 Völker verkaufen Politik und Ökonomie der Postkartenproduktion im östlichen Europa um 1900 VINCENT HOYER UND MAREN RÖGER (HG.) SANDSTEIN

Inhalt Vincent Hoyer und Maren Röger 6 Einleitung 1 Habsburgerreich Julia Richers 17 Visualisierung und Vermarktung des Königreichs Ungarn Bildpostkarten zwischen ethnischer Vielfalt und Magyarisierung (1900–1920) Rudolf Jaworski 35 Trachten als Werbeträger auf tschechischen Bildpostkarten vor dem Ersten Weltkrieg Maren Röger 46 Regionalismus, Nationalismus, Antisemitismus Visuelle Erzählungen der Kronländer Galizien-Lodomerien und Bukowina Karin Almasy 62 Bilder einer national polarisierten Steiermark auf Postkarten (1890–1918) Theodor Domej 74 Die (fast) unsichtbare ethnische und sprachliche Zweiheit Kärntens Karl Kaser † 87 Bosnien-Herzegowina und Dalmatien Visuelles Oszillieren zwischen »Orient« und »Zivilisation« 2 Deutsches Kaiserreich Ryszard Kaczmarek und Remigiusz Lis 99 An der Grenze zwischen »West« und »Ost« Die oberschlesische Bevölkerung auf Postkarten Vincent Hoyer 113 Die Bamberka zwischen Posen und Poznań Die Postkartenproduktion in der Provinz Posen im Spannungsfeld nationaler und ökonomischer Interessen

Jakub Knyżewski und Jacek Friedrich 130 Inszenierung von idyllischer Exotik im Zeitalter der Modernisierung Ethnische und berufliche Typen in Ostpreußen und Westpreußen Nijolė Strakauskaitė 140 Die Sichtbarmachung einer Region Volkstypen-Postkarten in Preußisch-Litauen 3 Russländisches Reich Malgorzata Stolarska-Fronia und Vincent Hoyer 151 Warszawa und Łódź Die jüdische Bevölkerung als Inszenierungselement der multiethnischen Großstädte im Königreich Polen Ruth Leiserowitz 167 Litauische Postkartenproduktion um die Jahrhundertwende Das Phänomen der nationalen Bildungspostkarte Vita Zelče 181 Russification, Nationalism and Revolution Postcards of the Baltic Provinces during the Late Russian Empire Anna Larina 199 Völkervielfalt ohne Konflikte? Postkarten im Russländischen Imperium der Jahrhundertwende Tobias Weger 215 Rumänischer Orient, russländische Peripherie? Ethnische Ansichtskarten aus der Dobrudscha und aus Bessarabien um 1900 Anhang 231 Autor*innenverzeichnis 235 Abbildungsnachweis

Einleitung Bebilderte Postkarten wurden Ende des 19. Jahrhunderts zu einem zentralen Massenmedium, das Ansichten von fernen und nahen Landschaften, Dörfern und Städten sowie Darstellungen von Personen bereithielt. Käufer*innen und Absender*innen sowie Empfänger*innen und Sammler*innen nutzten die beliebten Karten, um sich ein Bild von der Welt und ihren Bevölkerungsgruppen zu machen. Eine nicht weiter bekannte Frau sendete 1899 eine Karte aus der Bukowina an ihren Sohn Friedrich Wilhelm in Wien, auf die sie schrieb: »Die [...] Gesellschaft auf dem Bild macht mir hier in natura viel Vergnügen«.1 Die kolorierte Zeichnung zeigte Personen in unterschiedlicher Kleidung, die durch Untertitel als »Rumänen«, »Israelit«, »Huzulen«, »Lipowaner« und »Ruthenen« markiert wurden (Abb. 1). Jene durchaus stereotypen Darstellungen von ethnisierten Gruppen waren damals nachgefragt. »Hier etwas für Deine Typensammlung«, begründete ein weiterer Postkartenschreiber die Wahl eines Motivs, das die Fotoaufnahme einer »Ruthenin« zeigte (Abb. 2).2 »Damit Sie einen Begriff haben, wie die Bauern in der Bukowina an Sonntagen gekleidet sind, habe ich diese Ansichtskarte gewählt«, kommentierte ein anderer Schreiber eine Bildpostkarte, auf der eine »ruthenische Bäuerin« dargestellt war.3 Beispiele solcher Bildpostkarten mit sogenannten Volkstypen lassen sich um 1900 nicht nur für die Bukowina – eines der östlichen Kronländer der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie –, sondern für weite Teile des östlichen Europa und darüber hinaus vielfach finden.4 Wie lässt sich die Faszination für die auf Postkarten verkauften »Völker« erklären, wer brachte sie auf den Markt und welche Rolle nahmen sie bei der Konstruktion des Eigenen und Fremden ein? Als Teil der »Bildkultur für die Massen des Volkes«5 formten die kleinformatigen Medien Vorstellungen einer nach Völkern geordneten Welt. Sie hatten dabei – so ein erster Ausgangspunkt des vorliegenden Bandes – eine politisch wichtige Bedeutung im Zuge des aufkommenden Nationalismus, der in den multiethnischen Regionen des Habsburgerreichs, des Deutschen Kaiserreichs und des Russländischen Reichs zeitgleich an Relevanz gewann. Darüber hinaus – so ein zweiter Ausgangspunkt – muss jedoch die Bildpostkarte als Geschäftsfeld im östlichen Europa berücksichtigt werden. Denn zum einen war sie ein (Kommunikations-)Medium, das Kategorien und Wertigkeiten konstruierte, zum anderen aber vor allem ein Produkt, um das mit dem Beginn des »visuellen Zeitalters«6 auch im östlichen Europa neue Geschäftsfelder und Erwerbsmöglichkeiten entstanden.7 Fotoateliers, Buch- und Papierhandlungen, Verlage und Druckereien verdienten ihr Geld mit gedruckten Bildern, um 1900 insbesondere in Form von Bildpostkarten. Die Produktion, Distribution und Vermarktung der Bildpostkarten bedingten die Semantiken der Bilderwelten um Ethnizität beziehungsweise Multiethnizität mit. An dieser Schnittstelle von Politik und Ökonomie widmet sich der vorliegende Band der Geschichte der Postkartenproduktion des östlichen Europa.8 Mit unserem Fokus auf Bildpostkarten mit Darstellungen von Personengruppen werden Ansätze aus der neueren Forschung zu Nationalisierungs- und Ethnisierungsprozessen aufgegriffen.9 Diese betonen für das östliche Europa, dass Ethnizität sich gerade nicht in feststehenden ethnischen Gruppen gezeigt habe, sondern vielmehr in dem Bestreben politischer Akteur*innen, diese herzustellen. Jener Prozess war jedoch vielschichtig und brachte Phänomene wechselnder Loyalitäten sowie nationaler Indifferenz hervor. Nationalisierungsprozesse lassen sich demnach nicht über eine essenzialistisch verstandene, von der historischen Forschung identifizierbare Ethnizität der Bevölkerungen erklären.10 Um 1900 auf Postkarten zirkulierende Fotografien bildeten ethnische Gruppen folglich nicht unmittelbar ab, sondern sie waren ein zentrales Medium ihrer Herstellung. Dies gilt ebenso für Bildpostkarten, die Gemälde oder Zeichnungen reproduzierten. Während Propagandapostkarten, Darstellungen von Gebäuden und Infrastruktur sowie jüngst die sprachlichen Setzungen der Karten in der Forschung bereits untersucht wurden,11 stellte die ethnische Inszenierung von Personen auf Postkarten für das östliche Europa bisher weitgehend ein Desiderat dar.12 Visuelle Typisierungen von Personengruppen sind zwar bereits aus früheren Jahrhunderten bekannt,13 doch gaben die Etablierung der Volks- und Völkerkunde und die damit verbundene ethnografische Fotografie der visuellen Kategorisierung von Menschen in »Volksgruppen« und »Volkstypen« neuen Schub.14 Über die relativ niedrigpreisigen Bildpostkarten wurden jene ethnografischen Fotografien massenhaft verfügbar, in ebenso großem Umfang gelangten reproduzierte Zeichnungen von ethnisch, religiös oder anderweitig markierten Personengruppen auf den Markt. In der Konstruktion des Eigenen und Fremden kommt visuellen Medien eine besondere Rolle zu, was nochmals gesteigert für die Phase des Nationalismus gilt.15 Zentral für

Einleitung 7 q das Erkenntnisinteresse des vorliegenden Bandes ist dabei die Frage, welche Personen und Personengruppen auf Bildpostkarten zu sehen waren, und wie Personen über Bild, Text beziehungsweise Bild-Text-Kombination ethnisch codiert wurden. Wer wurde wie gezeigt, und wer blieb unsichtbar? Damit gehen Fragen nach der ethnischen und nationalen Markierung von Räumen auf Postkarten einher. Wie wurden Regionen und Städte über die Personendarstellungen auf Postkarten erzählt? Welche Narrative ließen sich verkaufen? Mit den Produzent*innen der Bilder richten wir den Blick auf eine Akteur*innengruppe, die in den ersten Jahrzehnten der Visual History eine untergeordnete Rolle spielte.16 In jüngerer Zeit hat sich die historische Forschung zwar verstärkt Bildmedien und im Speziellen auch Postkarten zugewandt. Insbesondere die visuelle Konstruktion von Alterität durch Fotografien und Postkarten – sei es im kolonialen oder nationalen Kontext – aus Perspektive der Gesellschaften des Deutschen Reichs wie der Habsburgermonarchie ist dabei beforscht worden.17 Wie Malte Zierenberg jedoch bereits 2010 kritisierte, blieb dabei die materielle Dimension der Bildmedienproduktion weitgehend unberücksichtigt.18 Dieses Desiderat hängt mit der eher dürftigen Quellenlage zusammen. Als privatwirtschaftliche Unternehmen mussten die Verlage keine Materialien archivieren, sodass Einblicke in interne Überlegungen und Bilanzen der Klein- und Kleinstbetriebe kaum möglich sind.19 Bislang fehlt es an grundlegenden Studien über die Akteur*innen der Bildmedienproduktion, also etwa zum Druck- und Verlagswesen. Wer waren die Bildmedienproduzent*innen in den verschiedenen Städten und Regionen des östlichen Europa? Wo verorteten diese sich politisch und innerhalb welcher ökonomischer Netzwerke agierten sie? Wie hing ihre sozioökonomische und (ethno-)politische Position mit den produzierten Bilderwelten zusammen? Diesen Fragen geht der Band zeitlich ab den 1890er Jahren nach, in denen die Bildpostkartenproduktion an Fahrt gewann, zugleich eine Phase, in der politische Ideen des Nationalismus stärker propagiert wurden. Das Ende des Ersten Weltkriegs ist – mit Ausnahmen – der Abb. 1 Bildpostkarten mit sogenannten Volkstypen formten Vorstellungen einer nach Völkern geordneten Welt – Gruss aus der Bukowina. Czernowitz: Leon König, 1899. Frau Röllig an Herrn Friedrich Wilh. Röllig in Wien, 1899.

q 8  Endpunkt der meisten Beiträge. Dann zerfielen die Imperien, Nationalstaaten traten an ihre Stelle. Auch nach 1918 wurden weiterhin politische Ideen über Bildpostkarten verkauft, Deutungen der Nation und ihrer Bevölkerungen über die kleinen Karten präsentiert. Jedoch sank deren Gebrauch. Vereinte die Bildpostkarte in den Jahrzehnten um 1900 Qualitäten mehrerer (noch nicht massenhaft verbreiteter) Medien in sich, etwa die visuelle Prägnanz eines Plakats und die Geschwindigkeit des Telefons, setzten Letztere sich in der Zwischenkriegszeit durch. Der geografische Fokus des Bandes liegt auf den östlichen und südöstlichen Kronländern des Habsburgerreichs, den östlichen Provinzen des Deutschen Kaiserreichs sowie den westlichen Gouvernements des Russländischen Reichs. Die einzelnen Beiträge untersuchen teilweise einzelne, teilweise mehrere dieser Verwaltungseinheiten. Im Fall Preußisch-Litauens steht eine historische Region im Fokus, die nur Teile der administrativen Provinzen umfasste. Der Beitrag zu Bessarabien und der Dobrudscha löst sich zudem in Teilen von den drei Imperien und bietet einen Einblick in das Postkartenschaffen im Königreich Rumänien. Diese Unterschiede hängen mit den Forschungsschwerpunkten der Autor*innen zusammen. Während wir für manche Gebiete Beiträger*innen fanden, war dies für andere trotz intensiver Bemühungen nicht möglich, sodass in unserem Band deutliche geografische Leerstellen bleiben, die von zukünftiger Forschung gefüllt werden müssen. Die verwendeten Ortsbezeichnungen orientieren sich grundsätzlich an den damals verwendeten offiziellen Verwaltungsbegriffen in den jeweiligen Amtssprachen, außer es existieren im Deutschen gebräuchliche Namen.20 Dieses Vorgehen ist in historiografischen Texten verbreitet, allerdings hallt die imperiale Überformung der Region darin auf mehrfache Weise nach. Die Autor*innen sind deshalb mitunter von der Regel abgewichen. Bei der Zitation der Postkarten werden die von den jeweiligen Verlagen gewählten Bezeichnungen der Erscheinungsorte angegeben. Akteur*innen: Wer produzierte Bilder von »Völkern« und warum? Als erste von sieben zentralen Erkenntnissen des vorliegenden Bandes hinsichtlich der Akteur*innen lässt sich festhalten, dass regionale Produzent*innen die Postkartenproduktion in den und über die jeweiligen Regionen dominierten. Nachdem zwischen etwa 1895 und 1900 zunächst überregionale Verlagshäuser die meisten Ansichten von Regionen und ihren Personen prägten, veränderte sich das Verhältnis anschließend. Die wenigsten Autor*innen beobachten im Zuge dieser Regionalisierung der Produktionsstrukturen jedoch markante Unterschiede hinsichtlich der Postkarteninhalte. Der Markt lebte insgesamt vom schnellen Abkupfern anderer Ideen. Trotz Urheberrechtsschutz wanderten Motive und Arrangements zwischen Firmen in den Regionen und über deren Grenzen hinweg. Bei der Produktion haben wir es – zweitens – mit einer Vielzahl von unternehmerischen Modellen zu tun. Diese reichten von Einzelunternehmen, die von Buchhändler*innen oder Fotograf*innen betrieben wurden, bis zu als »Ansichtskartenfabriken«21 bezeichneten KleinAbb. 2 Ruthenisches Bauernmädchen. Ruska Dziewczyna. Czernowitz: E. v. Schiller, 1899.

Einleitung 9 q unternehmen mit mehreren Dutzend Mitarbeiter*innen. Auch Zeitungen, Vereine oder staatliche Institutionen traten als Verleger in Erscheinung. Teilweise basierten Unternehmen ihr Geschäft hauptsächlich auf dem Postkartengewerbe, für andere wiederum war die Postkartenproduktion eines von mehreren Standbeinen. Zeitungen, Vereine und staatliche Institutionen nutzten Postkarten überwiegend für Öffentlichkeitsarbeit – von Werbung bis zu Propaganda. Aber auch die eine oder andere Vereinskasse, so Rudolf Jaworski, Karin Almasy und Theodor Domej in ihren Beiträgen, wurde über den Verkauf von Postkarten aufgebessert. Um dieser Vielfalt an Geschäftsmodellen und Beweggründen gerecht zu werden, findet abgeleitet von einer Formulierung Timm Starls der Begriff der editorischen Institutionen Verwendung.22 In der Regel – so ein drittes Ergebnis – scheinen Männer die editorischen Institutionen in den Regionen geführt zu haben, die in diesem Sammelband im Fokus stehen. Ihre Namen standen im Großteil aller Fälle auf den Karten und in den Geschäftsunterlagen. Von Abraham Ostrowski in Łódź bis Zacharij Vinogradov in Moskau – auf dem Papier war es eine Männerwelt. Das bedeutet allerdings nicht, dass Frauen nicht auch im Postkartengeschäft tätig waren. In einigen dokumentierten Fällen führten sie über Jahre die Unternehmen ihrer verstorbenen Ehemänner oder besetzten andere wichtige Positionen in Familienbetrieben.23 Frauen leiteten zudem Geschäftsräume und kümmerten sich maßgeblich um den Verkauf der Postkarten.24 Die überlieferten Quellen, die zu den Personen hinter den Postkarten generell wenig sagen, erlauben uns nur begrenzte Einblicke in die arbeitsteilige Welt. Um die Rollen von Frauen in der Branche, die aus Überlieferungssplittern hervorgehen, dennoch sichtbar zu machen, haben wir uns im Band für die Nutzung der gendersensiblen Schreibweise entschieden. Zur Belegschaft der editorischen Institutionen konnten außerdem Schreiber*innen, Drucker*innen oder Lithograf*innen zählen. Die Beschäftigung Minderjähriger war in einigen Betrieben der Normalfall.25 Künstler*innen waren ebenfalls mit den editorischen Institutionen verbunden. Teilweise gehörten sie fest zu den Betrieben, teilweise kooperierten sie mit einem oder mehreren Verlagen. In manchen Fällen waren auf lokaler Ebene ganze Künstler*innengruppen mit bestimmten Postkartenproduzent*innen assoziiert. Zentral zu nennen ist hier der Salon Malarzy Polskich (Salon polnischer Maler), ein in Krakau ansässiger Verlag, der mit der lokalen Kunstszene zusammenarbeitete. Die editorischen Institutionen bildeten – so ein vierter Befund – Knotenpunkte in einer Reihe von Netzwerken. So kooperierten sie nicht nur mit Künstler*innen, sondern auch mit anderen Verlagen über Städte, Regionen und Staatsgrenzen hinweg. Diese Verbindungen wurden von gemeinsamen politischen, aber auch ökonomischen Interessen getragen. Das Spannungsfeld ideologischer und wirtschaftlicher Interessen hilft als Analysewerkzeug dabei, die an der Bildmedienproduktion beteiligten Akteur*innen differenzierter zu verorten. Die Beiträge des vorliegenden Sammelbands eröffnen ein breites Spektrum an Positionierungen. Es reicht von Verlagsinhaber*innen, die je nach Marktlage Bildmotive im Widerspruch zu ihrem eigenen politischen Engagement veröffentlichten, bis hin zu Akteur*innen, die ihre politischen Überzeugungen zum Geschäftsmodell machten. Nicht selten gerieten die Verlage – fünftens – ins Visier der Zensurbehörden, die in den untersuchten Regionen unter jeweils unterschiedlichen Bedingungen agierten. In den Gouvernements des Russländischen Reichs – so Anna Larina, Ruth Leiserowitz und Vita Zelče in ihren Essays – standen Druckerzeugnisse mit nationalen Inhalten, die von russischnationalen Narrativen abwichen, unter strenger Beobachtung. Aber auch in der Provinz Posen im Deutschen Kaiserreich verurteilten die Gerichte Verleger*innen von polnischnationalen Inhalten zu hohen Geldstrafen. Im Habsburgerreich gab es keine Vorzensur, aber offen nationalistische und hetzerische Agitation, so Theodor Domej in seinem Beitrag zu Kärnten, stand unter Strafandrohung. Insgesamt ging das Handeln der Bildmedienproduzent*innen – so eine sechste Erkenntnis – kaum in einem strikten Wirtschaftsnationalismus auf, also der »Unterordnung des wirtschaftlichen Interesses unter das nationale«,26 und auch nicht in seiner abgeleiteten Form, einer »ethnischen Ökonomie«.27 Allerdings kam es vor, dass Staaten eine Art Wirtschaftsprotektionismus zugunsten der heimischen Postkartenhersteller*innen betrieben. Julia Richers zeichnet diese Nationalisierung des Postkartenmarkts in ihrem Beitrag zum Königreich Ungarn nach. Daneben gab es Verlagsinhaber*innen, die sich öffentlich kaum politisch positionierten, mit ihren Produkten jedoch ein breites politisches Spektrum bedienten. Die editorischen Institutionen nutzten – siebtens – eine Reihe von Ansätzen, um öffentliche Aufmerksamkeit für die Unternehmen und ihre Produkte zu generieren. Werbeanzeigen in lokalen Tages- und Wochenzeitungen zählten bei vielen Unternehmen zum Kern der

1 Habsburgerreich

Visualisierung und Vermarktung des Königreichs Ungarn Bildpostkarten zwischen ethnischer Vielfalt und Magyarisierung (1900–1920) Julia Richers »Die österreichisch-ungarische Monarchie entbehrt [...] noch immer eines ethnographischen Werkes, welches [...] ein umfassendes Gesammtbild unseres Vaterlandes und seiner Volksstämme bietet. Das Studium der innerhalb der Grenzen dieser Monarchie lebenden Völker ist nicht nur für den Gelehrten ein hochwichtiges Feld der Thätigkeit, sondern auch von praktischem Werthe für die Hebung der allgemeinen Vaterlandsliebe.«1 Mit diesen Worten begründete Kronprinz Erzherzog Rudolf 1887 in seiner Einleitung den Sinn und Zweck des auf 24 Bände ausgerichteten Publikationsprojekts Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild. Beweggrund für dieses ethnografische Monumentalwerk war folglich eine doppelte Lücke: eine substanzielle Wissenslücke über die vielfältigen Bevölkerungsgruppen der großflächigen Monarchie und ein Fehlen respektive ein potenzieller Mangel an kohäsivem Bindemittel und »allgemeiner Vaterlandsliebe«, die die Vielfältigkeit im Innern zusammenhielten.2 Augenfällig ist, dass der ungarische Teil der Monarchie in diesem Publikationsprojekt gleich mit sieben umfangreichen Bänden vertreten war, während andere Regionen der Doppelmonarchie meist nur in einem einzigen Band abgehandelt wurden. Dies schien nicht nur mit dem österreichisch-ungarischen Ausgleich und dem Wunsch nach einer gewissen Parität zu tun zu haben, sondern auch mit der besonders großen Wissenslücke, die in Bezug auf die in Ungarn vorzufindenden Regionen und ethnischen Gruppen zu bestehen schien. Im ersten der zu Ungarn erschienenen Bände hielt Erzherzog Rudolf einleitend fest: »[N]icht nur der Naturforscher findet in den so abwechslungsreichen Gegenden Ungarns stets neues Material für seine Studien, auch der Ethnograph, der das Studium des Volkslebens, der Volksentwicklung und der Völkereigenthümlichkeiten zu seiner Lebensaufgabe macht. Die letzten Wogen der Völkerwanderung haben hier höchst interessante Gruppirungen verschiedener Nationalitäten geschaffen; hart an der Sprachgrenze des germanischen Stammes wohnen Nord- und Südslaven, theils in den Gebirgen, theils in den Ebenen, im Osten Rumänen, und im Herzen des Landes haben die Magyaren sich fast ausschließlich in den Ebenen niedergelassen [...]. Deutsche wohnen in den Gebirgsgegenden und zerstreut auch auf den Ebenen. Außer diesen Hauptstämmen kommen noch Ruthenen, Armenier, Bulgaren und allenthalben Zigeuner vor. Wir wollen alle diese Völker kennen lernen in ihren Wohngebieten, in ihren Sitten, Gebräuchen und Trachten.«3 Wort und Bild des landläufig als Kronprinzenwerk bezeichneten Publikationsprojekts können demzufolge als Vorläufer der später produzierten ethnisch codierten Bildpostkarten gelten. Als der erste hier zitierte Band zu Ungarn 1888 erschien, stand man mit der visuellen Kartierung des polyethnischen Königreichs noch am Anfang.4 Die erst in der zweiten Hälfte der 1890er Jahre aufkommenden Bildpostkarten sprangen in die klaffende Lücke ein, indem sie dem In- und Ausland die Vielfalt der Regionen und ethnischen Gruppen der Monarchie wortwörtlich vor Augen führten. Diese Funktion war vor allem deshalb von Relevanz, da bis ins 20. Jahrhundert im Königreich Ungarn nur eine kleine privilegierte Elite das eigene Land bereisen konnte. Kaum jemand hatte eine Vorstellung von den diversen Landschaften und Bevölkerungsgruppen, die zwischen Fiume (heute kroat. Rijeka) an der Adria und der mythischen Theißquelle in den östlichen Waldkarpaten oder im siebenbürgischen Brassó (dt. Kronstadt, heute rum. Braşov), zwischen der Hohen Tatra im Norden und den bosnisch-serbischen Grenzgebieten im Süden des Königreichs anzutreffen waren. Hier übernahmen die neuen Bildpostkarten über die vielfältigen Regionen und Bevölkerungsgruppen Ungarns eine wichtige kohäsive und edukative Informationsfunk­

q 18 Habsburgerreich tion.5 Die bereits erwähnte ethnische Zusammensetzung des Königreichs Ungarn war nicht nur wegen seiner Vielfältigkeit beeindruckend. Bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass die Magyar*innen, die sich stets als hegemoniale Kultur in Transleithanien sahen, bis zur Festsetzung der Trianon-Grenzen im Jahr 1920 nie die Mehrheit im eigenen Land stellten.6 Hier sollte eine forcierte Magyarisierung Abhilfe schaffen. Diese Haltung lässt sich auch eindrücklich an der frühen Geschichte und gesamten Entwicklung der ungarischen Bildpostkarten ablesen. Auf Ungarisch sind drei Bezeichnungen für die Post- und Ansichtskarte geläufig: während levelezőlap, auf alten Postkarten auch Levelező-Lap geschrieben, die klassische Postkarte meint, wird die bebilderte Variante entweder als Képeslap (Ansichtskarte) oder Képes levelezőlap (Bildpostkarte) bezeichnet. Umgangssprachlich findet sich in zeitgenössischen Zeitungsartikeln zudem gelegentlich das Wort anziksz/anzikszok. Heute ist die mit Abstand größte Sammlung an ungarischen Postkarten im Zempléni Múzeum in Szerencs zu finden. Umfangreiche Sammlungen existieren zudem in der Ungarischen Nationalbibliothek sowie im Ethnografischen Museum in Budapest. Verschiedene ungarische Autorinnen und Autoren haben sich, insbesondere seit den 1980er Jahren, intensiv mit der Geschichte der ungarischen Postkarten beschäftigt.7 Dabei galt die Aufmerksamkeit zum einen der Entstehungsgeschichte und zum anderen den Motiven auf der Bildseite, wobei die ethnisch codierten Bildpostkarten oft lediglich zu illustrativen Zwecken und weniger als Forschungsgegenstand verwendet wurden. Eine große Ausnahme sind die Studien von Zsuzsanna Tasnádi zu Trachten und Volksleben auf Postkarten der Monarchie.8 Der vorliegende Beitrag erweitert und vertieft die bisherigen Forschungsarbeiten, indem er die zeitgenössischen wirtschaftsnationalistischen Debatten um die Einführung einer eigenständigen ungarischen Postkartenindustrie detailliert nachzeichnet und genauer untersucht, was als typisch für die Vermarktung der ungarischen Regionen und ihrer Bevölkerungsgruppen galt. Aufgrund der Größe und ethnischen Vielfalt des Königreichs Ungarn muss sich der Beitrag auf eine Auswahl von Regionen und Gruppen beschränken. In Anlehnung an die im ersten Ungarn-Band des Kronprinzenwerks als charakteristisch für das Königreich definierten Gebiete wurden die Puszta als die wohl bekannteste ungarische Kulturlandschaft, die östlichen Waldkarpaten mit ihrer großen ruthenischen und jüdischen Bevölkerung sowie das für Ungarn historisch bedeutsame Siebenbürgen ausgewählt, das auch angesichts seiner intensiven Postkartenproduktion forschungsrelevant auffällt. Das Millenniumsjahr 1896 als Geburtsstunde eines ungarischen Bildprogramms Das Jahr 1896 kann als Gründungsjahr der ungarischen Postkartenproduktion gelten: In diesem Jahr feierte Ungarn im ganzen Land pompös sein 1000-jähriges Bestehen, und es war in direktem Zusammenhang mit diesen Millenniumsfeierlichkeiten, dass erstmals eine 32 Stück umfassende Serie an Ansichtskarten herausgegeben wurde. Hergestellt worden waren die Bildpostkarten von drei renommierten Budapester Druckereien: Posner és Fia, Pesti Könyvnyomda Rt. und Morelli budapesti nyomda in Budapest.9 Dieses erste von ungarischer Seite produzierte Postkartenset war in gewissem Sinne bereits ganz der Thematik »Ethnizität verkaufen« gewidmet. Denn ein Teil der 32 Ansichtskarten galt den in der Landesausstellung in einer Art Freilichtmuseum errichteten Musterhäusern aus den unterschiedlichen Regionen des ungarischen Königreichs und der dort anzutreffenden Lokalbevölkerung in ihren »volkstypischen« Trachten. Zu sehen waren etwa ein typisch rumänisches Haus aus Siebenbürgen, ein typisches Wohnhaus der Schokatzen aus Südungarn oder eine ruthenische Hütte der östlichen Waldkarpaten.10 Theodor Herzl, der sich zur Zeit der Millenniumsfeierlichkeiten in seiner Heimatstadt Budapest aufhielt, schilderte seinen Besuch der Landesausstellung voller Erstaunen in einem Zeitungsartikel mit den Worten: »[G]anz Ungarn wird den Sommer lang durch diese eigenthümliche Dorfstraße ziehen, die aus vielen verschiedenen Bauernhäusern zusammengesetzt ist. [...] Und das Merkwürdigste ist, daß es Niemandem einfällt, das für eine Mummerei zu halten. [...] Die Nation ist wie das ideale Dorf der Ausstellung, das aus den vornehmsten Häusern unzähliger Ortschaften gebildet ist. Die Häuschen stehen über das Land verstreut, jedes ist vermuthlich vom Alltag beschmutzt, es gibt darin Lärm und Jammer. Hier sind sie feierlich vereinigt, und sie sind rein.«11

Visualisierung und Vermarktung des Königreichs Ungarn 19 q Und auch der zeitgenössische ungarische Schriftsteller Lajos Havany bemerkte zur Millenniumsausstellung kritisch: »Im Jahr 1896 ist das Reich tausend Jahre alt. Das Millennium wird mit einer Ausstellung gefeiert. [...] Tafeln, deren statistisch-anschauliches Zickzack über die Nationalitäten, über die Sterblichkeitsziffern, über Schulen und Spitäler spricht, und was derlei Wunder noch mehr sind. Der herrlichste Rausch der Selbstlüge wird aus selbstvorgetäuschten Pokalen getrunken und dazu werden Liebe und Brüderlichkeit beteuernde Reden geschwungen.«12 Die in der Millenniumsausstellung zelebrierte Diversität und brüderliche Einigkeit des Königreichs konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die gesellschaftliche und politische Elite des Landes damals weniger die ethnisch-kulturelle Vielfalt als vielmehr das Ungarische und die Früchte ihrer vermeintlich erfolgreichen Magyarisierungspolitik feierte.13 In diesem Zusammenhang spielte gerade die Stadt Budapest eine zentrale Rolle. Sie war nicht nur Zentrum der Feierlichkeiten und Ort der Landesausstellung, sondern die Stadt selbst sollte in ihrer Größe und Pracht als Schaufenster Ungarns zelebriert werden. Man konnte mit Recht auf eine beeindruckend rasante Stadtentwicklung zurückblicken. Erst 1873 waren die drei separaten Teilstädte Pest, Buda und Óbuda zur Stadt Budapest vereinigt worden. Und erst 1892 konnte sich Budapest auch offiziell mit dem Titel »Haupt- und Residenzstadt« schmücken. Die junge Metropole sollte nicht nur Hauptstadt Ungarns, sondern vor allem ungarische Hauptstadt sein. Seit den 1830er Jahren waren viele nationale Prunkbauten auf der Pester Seite errichtet worden, die den neuen ungarischen Charakter der Stadt zum Ausdruck bringen sollten.14 Diese regen Bautätigkeiten machten Budapest um 1900 zur am schnellsten wachsenden Metropole Europas.15 Über das Medium der Bildpostkarte wurden die neuen Sehenswürdigkeiten als nationale Symbole der ungarischen Reichshälfte tausendfach verbreitet. Auch Besucher*innen der Millenniumsausstellung fiel damals das ungarischnationale Sendungsbewusstsein der jungen Hauptstadt auf, die unverblümt auch mal als »Sitz des überspannten Magyarismus«16 bezeichnet wurde. Obschon man 1896 mit der im Budapester Freilichtdorf präsentierten ethnischen Vielfalt versuchte, den Völkerfrieden in der ungarischen Reichshälfte zu beteuern, wurden die in Ungarn lebenden Nationalitäten bei der Konzeption der Millenniumsausstellung weitestgehend übergangen. Die glanzvollen Feierlichkeiten dienten in erster Linie der eigenen Selbstvergewisserung, aber ebenso der »Vertuschung der Probleme«.17 Diese Vermutung hatten auch die Vertreter*innen der betroffenen Nationalitäten auf ihrem ein Jahr zuvor, 1895, in Budapest abgehaltenen Nationalitätenkongress. Kurz vor der pompösen Eröffnung der Millenniumsausstellung verfasste eine Exekutivkommission des Kongresses am 30. April 1896 ein Protestschreiben, das dem großen Unmut in überaus deutlichen Worten Luft machte. Darin hieß es: »Europa muß gezeigt werden, daß sich die nichtungarischen Nationen Ungarns mit den Ungarn dermaßen assimiliert haben, daß sie ihre Unterjochung vor 1 000 Jahren als ein Fest der Freude begehen. Europa muß gezeigt werden, daß [...] überall Wohlstand und Reichtum vorherrschen, obzwar in Wirklichkeit gerade das Gegenteil zutrifft.«18 Aus der publizierten Liste der Beteiligten ist ersichtlich, dass an der Landesausstellung von allen in Ungarn lebenden Ethnien – gewollt oder ungewollt – nur die Vertreter*innen Bosniens und Herzegowinas teilnahmen. Beide Gruppen wollten jedoch explizit nicht im ungarischen Teil der historischen Ausstellung erwähnt werden, sondern entschieden sich, stattdessen ihren eigenen Ausstellungspavillon zu errichten.19 Auch die jüdische Bevölkerung, die im gesamten Königreich Ungarn rund fünf Prozent und in Budapest immerhin 25 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachte – womit die ungarische Hauptstadt nach Warschau die zweitgrößte jüdische Gemeinde Europas besaß –, war bei den Millenniumsfeierlichkeiten und der historischen Ausstellung untervertreten. Ursprünglich hätten an der großen »Huldigungskundgebung« auch die zahlreichen erfolgreichen jüdischen Unternehmer beim Festzug der Vertreter des Bürgertums dabei sein sollen, aber dieser fiel kurzfristig mangels finanzieller Unterstützung aus. Somit war nur der ungarische Adel mit einem Festzug vertreten. Den jüdischen Unternehmern blieb lediglich die Beteiligung an den einzelnen Ausstellungspavillons im Stadtwäldchen übrig.20 Vertreter dieses bislang weitgehend visuell unsichtbaren jüdischen Großbürgertums ließen sich im Rahmen der Millenniumsfeierlichkeiten dennoch unbeirrt als Zeichen ihrer Assimilierung und Magyarisierung erstmals gehäuft in der ungarischen Magnatentracht (Díszmagyar) ablichten, um damit ihre Zugehörigkeit zur Elite Ungarns zu demonstrieren.21

q 20 Habsburgerreich Mit der Millenniumsausstellung und den ersten publizierten ungarischen Bildpostkarten zur ethnischen Vielfalt des Königreichs wurden die bereits seit 1848 schwelenden ethnischen Konflikte vollständig ausgeblendet. Schon damals hatten die Nationalitäten die Anerkennung einer kulturellen Autonomie sowie das Recht auf die Verwendung der eigenen Muttersprache gefordert. Die politische Gesamtkonstellation der Länder der Stephanskrone stellten sie hingegen 1848 noch nicht infrage. Ungeachtet dessen standen für die ungarischen Revolutionäre die Betonung der magyarischen Interessen und das Ziel, Ungarn innerhalb der Monarchie eine führende Position zu sichern, im Vordergrund, weshalb die Belange der anderen Nationalitäten kaum Gehör fanden. Mit dem österreichisch-­ ungarischen Ausgleich von 1867 wurde in der Habsburgermonarchie schließlich eine klare Hierarchie der Nationen geschaffen: »An erster Stelle standen die beiden herrschenden Nationen, nämlich die Deutsch-Österreicher und die Magyaren. An zweiter Stelle folgten die Nationen, die eine begrenzte Autonomie aufwiesen oder über einen stärkeren wirtschaftlichen beziehungsweise kulturellen Einfluß verfügten; hierzu zählten die Kroaten, die Polen und die Tschechen. An dritter Stelle schließlich standen die anderen Nationen wie die Rumänen, Slowaken, Ruthenen etc.«22 Diese Hierarchie der Nationen fand ihren ersten juristischen Niederschlag im ungarischen Nationalitätengesetz von 1868, das Ungarisch zur Staatssprache erhob und den anderen Nationalitäten »die Anerkennung als gleichberechtigte Nationen sowie korporative Rechte« versagte und sie stattdessen »als Mitglieder der unteilbaren, einheitlichen ungarischen Nation« verstand. Die Verfasser des Nationalitätengesetzes gingen davon aus, dass sich die Nationalitäten »auf Grund der höheren Bildungs- und Kulturstufe des Magyarentums« irgendwann »freiwillig assimilieren würden«.23 Ein kritischer Zeitungsschreiber bezeichnete dieses magyarische Suprematiestreben 1896 als blanken »Chauvinismus«, der »die Nationalitäten an sein Herz drückt, bis ihnen der Atem ausgeht«.24 Das Ignorieren der schwelenden Konflikte sollte sich für Ungarn und für die gesamte Doppelmonarchie noch als fatal herausstellen. Vorerst wurde jedoch das friedliche, bunte, sogenannte Völkergemisch auf dem neuen Medium der Bildpostkarte rege kommerzialisiert.25 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es vorrangiges Ziel der Millenniumsfeierlichkeiten von 1896 und des damaligen Bildprogramms war, (a) die Größe und Vielfalt des multiethnischen Königreichs Ungarn visuell zu dokumentieren und dabei (b) das Magyarische als unmissverständliche Titularnation zu bestätigen sowie die flächendeckende Magyarisierung des Landes zu rechtfertigen. Die visuelle Rundschau des Imperiums hatte neben dem kommerziellen Nutzen auch eine edukative und eine kohäsive Funktion im polyethnischen Königreich Ungarn. Die edukative Funktion der Bildpostkarten wurde spätestens 1899 vom ungarischen Bildungsministerium selbst öffentlich betont. So zitierte die Zeitung Kárpáti Lapok den zuständigen Minister wie folgt: »Bildpostkarten sind nicht nur lustig, sondern auch ein Mittel der öffentlichen Bildung und Wissensverbreitung, und sie leisten einen guten Dienst in den Schulen, so Gyula Wlassics, Minister für öffentliche Bildung.«26 Die Postkarten sollten das harmonische und friedliche Nebeneinander der vielfältigen Ethnien des Königreichs zeigen. Das sterile Idyll, das im Freilichtdorf und später gerade in den Fotoateliers mit arbiträren Requisiten konstruiert wurde, blendete Armut, Schmutz und Alltagssorgen sui generis aus. Protektionismus und Wirtschaftsnationalismus Auch wenn die Millenniumsfeier von 1896 als Geburtsstunde einer eigenständigen ungarischen Postkartenindustrie bezeichnet werden kann, kam die ungarische Postkartenproduktion anfangs nur schwerfällig in die Gänge. Der ungarische Markt war bis 1896 fast ausschließlich von deutschen und österreichischen Verlegern beliefert worden und daran änderte sich auch so schnell nicht viel. Doch die Schwemme an Postkarten aus dem deutschsprachigen Raum sorgte zunehmend für Unmut. Ein Blick in die damalige ungarische Tagespresse fördert eine langanhaltende Debatte hierzu zutage. So schrieb im August 1898 das vielgelesene Budapester Abendblatt Vasárnapi Ujság: »Zu den neuesten Moden gehören Ansichtskarten, insbesondere solche mit Landschaften [...]. Ungarn wurde durch den Handel mit deutschen Landschaftspostkarten regelrecht überschwemmt.«27 Nicht nur der deutsche Ursprung der Postkarten stieß auf Kritik, sondern gleichermaßen auch die deutschsprachigen Aufschriften. So kommentierte

Visualisierung und Vermarktung des Königreichs Ungarn 21 q die Budapester Zeitung Pesti Napló eine neue Serie von Ansichtskarten über Budapests Sehenswürdigkeiten: »Wir konnten einfach nicht verstehen, warum der Text, der die Ansicht erklärt, zweisprachig ist, also warum der deutschsprachigen Text neben dem ungarischen Text steht. Schließlich ist Budapest keine ungarisch-deutsche Stadt. Wenn der Text für einen Ausländer, der kein Ungarisch spricht, informativ sein soll, wäre die französische Sprache dafür viel besser geeignet.«28 Tatsächlich lässt sich in der darauffolgenden Zeit ein Rückgang der deutschen Bildunterschriften in Ungarn beobachten.29 In Einklang mit der forschen Magyarisierungspolitik des Königreichs scheinen es ungarische Postkartenproduzenten insgesamt darauf angelegt zu haben, die anderen Sprachen Transleithaniens »in die Unsichtbarkeit abzudrängen«, um eine »Homogenisierung zugunsten des Ungarischen« zu erreichen.30 Doch die einheimische Postkartenproduktion blieb ein Sorgenkind. Ganze drei Jahre später konnte man über die ungarische Postkartenindustrie nach wie vor lesen: »Die Entwicklung der ungarischen Bildpostkarten ist weit entfernt von der ähnlicher Produkte im Ausland, die mit ihrem Massenzustrom bereits den ungarischen Markt überschwemmt und unsere heimische Ansichtskartenindustrie fast zum Erliegen gebracht haben.«31 Die anhaltende Kritik blieb nicht ungehört; ein Jahr später sollte sich mit einem ungarischen Pionier der Postkartenproduktion eine Wende abzeichnen. So schrieb die führende Zeitschrift zur heimischen Industrie Honi Ipar im Jahr 1902: »Auf dem Gebiet [der Postkartenproduktion, Anm. J. R.] sind ausländische Unternehmen, insbesondere aus Deutschland, sehr konkurrenzfähig, zu Lasten unserer heimischen Industrie. Ihre Agenten überschwemmen das Land mit ihren Produkten, obwohl wir bereits Institute auf diesem Gebiet haben, die nicht nur zu ähnlichen Preisen produzieren können, sondern auch in Sachen Perfektion. Wir freuen uns, unseren Lesern eine solche ungarische Kunstanstalt vorzustellen: Károly Divalds Kunstanstalt für Lichtbild und Graphik [Divald Károly fényképező és grafikai műintézete].«32 Károly Divald sen. (1830–1897) war ein Pionier der ungarischen Fotografie gewesen. Schon 1863 hatte er ein kleines Atelier in Eperjes (heute slowak. Prešov) eröffnet. 1878 gründete er die erste ungarische Kunstanstalt für Fotodruck, mit seinen Söhnen baute er das Familienunternehmen mit einer Zweigstelle in Budapest rasch weiter aus.33 In einem Bericht zum »Pavillon der Vervielfältigenden Künste« der Millenniumsausstellung wurden »Divald und Sohn« als eine der »wenigen hervorragenden Landschaftsphotographen Ungarns« besonders gelobt, die sich insbesondere mit Aufnahmen aus Oberungarn und den Karpaten einen Namen gemacht hatten.34 Divalds erste Bildpostkarten zeigten zuerst jedoch hauptsächlich Ansichten der jungen ungarischen Hauptstadt. Nach einer anfänglichen Doppelsprachigkeit wechselten die Divalds kurz darauf konsequent auf eine ausschließlich ungarische Beschriftung der Ansichtskarten. Eine anti-österreichische Haltung lässt sich bei den Divalds später auch an der Herausgabe von Bildpostkarten zum tabuisierten ungarischen Unabhängigkeitskampf von 1848/49 ablesen. Relativ rasch erweiterten die Divalds ihren Fokus und nahmen neben den urbanen Zentren vor allem auch die ländlichen Gegenden Ungarns und ihre ethnisch gemischte Bevölkerung in den Blick.35 Nach den intensiven Debatten um 1900 nahm die Postkartenproduktion in Ungarn Fahrt auf. Für das Jahr 1899 waren bereits 1 800 Postkarten aus Budapest und 2 500 aus anderen ländlichen Gebieten dokumentiert.36 Unter den in der Pionierzeit in Budapest tätigen Unternehmen ragen neben Posner und Divald die Kosmos Kunstanstalt (Kosmos Műintézet), später Glóbus, die György Klösz-Kunstanstalt für Fotografie, Kartografie und Lithografie (Klösz György fényképészeti, térképészeti és kőnyomdai intézete) und die Lipót Lengyel Kunstanstalt (Lengyel Lipót műintézete) heraus. Zu dieser Zeit waren deutlich weniger Menschen außerhalb Budapests auf die Postkartenproduktion spezialisiert, dennoch gab es durchaus aktive Protagonisten in kleineren urbanen Zentren. Zu ihnen gehörten etwa Ignác Strompf in Esztergom oder Péter Klökner in Székesfehérvár.37 Letzterer hatte per 1. März 1899 die Zeitschrift Képes LevelezőLap (Bildpostkarte) ins Leben gerufen, die zum Ziel hatte, auch in Ungarn »Sammler einander näher zu bringen, die Austauschbeziehung zu fördern, neu erschienene Postkarten aufzulisten und Sammlern in allem zu helfen«.38 Kurz zuvor hatte sein Bruder József Klökner, Mitinhaber des gemeinsamen Geschäfts in Székesfehérvár, unter dem kernigen Motto »Wir unterstützen die heimische Industrie« den patriotischen Ansichtskarten-Sammelverein Hungária (Hungária Képeslap Gyűjtő-Egyesületet) gegründet.39 Nach Schätzungen sollen allein in den 1890er Jahren zwischen 20 und 25 Millionen Ansichtskarten in Ungarn zirkuliert sein, von denen aber noch immer weit

Regionalismus, Nationalismus, Antisemitismus Visuelle Erzählungen der Kronländer Galizien-Lodomerien und Bukowina Maren Röger Die zisleithanischen Kronländer Galizien-Lodomerien und Bukowina lagen im Osten des Habsburger Imperiums. Dort grenzte der österreichische Teil der Doppelmonarchie an das Russländische Imperium (darin das sogenannte Weichselland, Kongresspolen) sowie an Rumänien im Süden an. Ursprünglich als territoriale Einheit konzipiert und verwaltet, wurde die ungleich kleinere und deutlich spärlicher besiedelte Region Bukowina (Galizien erstreckte sich auf 78 497 km², die Bukowina jedoch nur auf 10 441 km²; 8,1 Mio. Einwohner*innen standen in diesem Vergleich 0,8 Mio. Einwohner*innen gegenüber)1 Mitte des 19. Jahrhunderts in den Status eines eigenen Kronlands erhoben. Beide Regionen teilten zu einem gewissen Ausmaß strukturelle Herausforderungen: Sie galten – stets im Vergleich zu anderen Kronländern Zisleithaniens – als das Armenhaus der Monarchie, denn die wirtschaftlichen Entwicklungen hinkten denen anderer Regionen hinterher. Jedes Jahr wanderten daher zahlreiche Menschen aus Galizien-Lodomerien und der Bukowina aus. Die Alphabetisierungsquoten lagen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts auf einem deutlich niedrigeren Niveau als in anderen Teilen des Habsburger Imperiums. Bis zum Niedergang der Habsburgermonarchie änderte sich daran wenig. In beiden Kronländern bildete sich dennoch ein ausdifferenziertes Verlags- und Druckwesen, welches sich überwiegend auf einige städtische Zentren konzentrierte und die politischen Öffentlichkeiten der ethnisch und sozial unterschiedlich strukturierten Gesellschaften der beiden Kronländer mit Gedrucktem versorgte. In diesem Aufsatz werde ich vorstellen, welche editorischen Institutionen in Galizien-Lodomerien und in der Bukowina für die über Bildpostkarten transportierten visuellen Erzählungen prägend waren und welches Bildprogramm sie verbreiteten. Der Fokus liegt auf den visuellen Deutungsangeboten der multiethnischen Gesellschaften, die jeweils anders strukturiert waren.2 Editorische Institutionen Bildpostkarten waren um die Jahrhundertwende Massenware, die in Einzelmotiven in hoher Auflage erscheinen konnten, vor allem aber in der Summe die zentralen visuellen Wahrnehmungsquellen der Zeit waren. Zeitgenössisch sammelten zahlreiche Einzelpersonen sie als kostengünstige Aneignung der Welt, was ihren ideellen Wert zeigt.3 Insgesamt jedoch galten sie als Gebrauchswaren und nicht als wertvolle Objekte, sodass die Produktionen der zahlreichen verlegerischen Editionen nur über private Sammlungen und spätere Abgaben an beziehungsweise Ankäufe durch Archive überdauerten. Aufgrund der Geschichte territorialer Verschiebungen und ethnisch induzierter Zwangsmigrationen sind Sammlungen zu den früheren Habsburger Kronländern Galizien und Bukowina heute sowohl in den Archiven der Nachfolgestaaten zu finden (Polen, Ukraine, Rumänien) als auch in den Ländern der Emigration der früheren Bevölkerungsgruppen (Deutschland, Österreich, USA) sowie in thematisch organisierten Museen und Archiven, insbesondere zur jüdischen Geschichte, da beide Kronländer einen entsprechenden signifikanten Bevölkerungsanteil aufwiesen. Erst aus der Sichtung unterschiedlicher Überlieferungen lässt sich ein einigermaßen zuverlässiges, wenngleich nie vollständiges Bild ableiten.4 Für beide Regionen zeigt sich, dass ihre Bildwelten überwiegend aus der Region selbst heraus geprägt wurden. Während die bukowinischen Verleger*innen zu Beginn des Postkartenfiebers, also zur Wende des 19. zum 20. Jahrhundert, noch Kooperationen mit Leipzig und Wien pflegten, begrenzte sich später die Zusammenarbeit weitgehend auf Verlagshäuser beziehungsweise Druckereien im imperialen Zentrum Wien und dem benachbarten Galizien. Aus Galizien heraus gab es vor allem Kooperationsbeziehungen nach Warschau. Insgesamt dominierte auch hier die Zusammenarbeit

Regionalismus, Nationalismus, Antisemitismus 47 q auf mittlerer Distanz, während kaum Gemeinschaftsproduktionen mit Druckereien im Deutschen Kaiserreich zu finden waren. In beiden Regionen existierten zahlreiche Verlage, wobei manche nur in geringer Auflage produziert haben dürften, weshalb ich abgeleitet von einer Formulierung Timm Starls den Begriff »editorische Institutionen« verfolgen werde.5 Zweischneidig gestaltete sich insgesamt das Postkartengewerbe: Auf der einen Seite florierte das Geschäft, sodass etwa die Bukowinaer Rundschau im Jahr 1900 konstatierte: »Wer dem Postkartenhandel nähersteht, wird bestätigen müssen, dass die illustrierte Postkarte stetig an Umfang zunimmt [. . .].«6 Zum anderen blieben für viele Händler*innen Profite aus. Das Zentralorgan der Ansichtskartenhändler, die Internationale Postkartenzeitung, beobachtete im Jahr 1903, dass gerade Klein- und Einzelhändler*innen oft mit leichtsinnig wenig Betriebskapital in das Gewerbe einstiegen.7 Die Qualitätsunterschiede der Produktionen lassen sich bis heute erkennen, an der Optik und an der Haptik. Trotz der generellen Vielfalt kristallisieren sich sowohl für Galizien-Lodomerien als auch die Bukowina mehrere einflussreiche Postkartenverleger*innen – Frauen waren insgesamt wenige darunter – heraus. Dabei fällt ins Auge, dass bestimmte ethnisch-religiösesprachliche Gruppen unter den Produzent*innen der Bildmedien kaum vertreten waren, während andere große Präsenz in diesem Geschäftszweig hatten, der sich auf visuelle Erzählungen auswirkte. Auf das kleine Kronland Bukowina kamen über 50 Institutionen, die verlegerisch tätig wurden. Von manchen ist nur eine Postkarte dokumentiert, andere waren durchaus prägend für die Bildwelten. Es zeigt sich deutlich, dass der Großteil der Produzent*innen der Selbstbilder mit großem Abstand zur bürgerlichen Schicht und deutschsprachigen Elite des Kronlands gehörten, die sich in jeweiligen deutsch-christlichen und jüdischen Nationalvereinen engagierten, während es kaum ruthenische und wenig rumänische Verlage gab, die Selbstbilder prägten. Da die jüdische Bevölkerung in der Bukowina – wie andernorts auch – im Buchhandel und Verlagswesen stark vertreten war,8 hatten auch viele Postkartenverleger*innen einen jüdischen Hintergrund. Zahlreiche Verleger*innen engagierten sich in der jüdischen Kultusgemeinde oder dem Jüdischen Nationalverein. Jener vertrat den Diaspora-Nationalismus, erhielt aber in der Bukowina zumindest bis 1904 Unterstützung von der zionistischen Bewegung. Im Kern sprach sich der Nationalverein, später verstärkt die jüdische Nationalpartei von Benno Straucher, für eine selbstbewusste Integration der Jüdinnen und Juden in die österreichisch-habsburgische Kultur ein. Von den Czernowitzer Ansichtskartenproduzent*innen gehörten die Herren Josef Horowitz, Moritz Gottlieb, Norbert Gottlieb, Josef Gottlieb, A. Katz und Leon König dem Verein an, was Rückschlüsse auf ihre Stellung zum Habsburger Herrscherhaus zulässt.9 In jüdischen Alternativen, wie dem 1907 gegründeten Jüdisch-politischen Verein, der sich zionistischen und radikaldemokratischen und sozialen Grundsätzen verschrieben hatte, war keiner der erwähnten Verleger engagiert.10 Zum redensartlichen König im regionalen Business entwickelte sich Leon König. Am 3. Januar 1869 wurde er als Lewi König in Czernowitz/Czerniwci/Cernăuţ (heute ukr. Černivci) in die Familie des Gemischtwarenhändlers und Fotoatelierbetreibers Adolf König geboren. König hatte drei Geschwister, wobei die Brüder Max und Adolf mit ihm beruflich verbunden blieben, übernahmen sie doch das Fotoatelier des Vaters. Ihr Atelier hatten die Gebrüder König »unterhalb der Paraskiewakirche im eigenen Hause«, wie ihr Stempel auf den Fotografien lautete.11 Den ersten Geschäftszweig eröffnete Leon König als gerade 18-Jähriger, als 19-Jähriger stieg er in das Postkartengewerbe ein.12 Er begann mit einer Papierhandlung – der klassische Einstieg.13 In der Folge erweiterte er sein Sortiment ständig: Notenbücher, Konzertkarten, Lotterielose und später Angelzubehör kamen hinzu. Doch erst die Zusammenarbeit mit seinen Brüdern brachte den Durchbruch.14 König engagierte sich in der Stadtgesellschaft, ebenso wie bereits sein Vater, der mehreren Vereinen, darunter für den Commis- und Buchhalter-Unterstützungsverein und den Kaiserin-Elisabeth-Verein zur Speisung von Kindern, Schülern und Studenten spendete. Leon König unterstützte von der Mensa Academica, über den kaufmännischen Bethausverein, den Frauen-Hilfsverein, den Blinden- und TaubstummenFürsorgeverein bis zum jüdischen Schülerheim – »also beinahe alle privat getragenen jüdischen sozialen Einrichtungen in der Stadt.«15 Einige andere Verleger engagierten sich deutschnational. So war Romuald Schally – Besitzer einer Czernowitzer Buchhandlung – im Deutschen Schulverein aktiv.16 Emil Kanarski und Eduard von Schiller – weitere Verleger aus der bukowinischen Hauptstadt – engagierten sich im Verein der christlichen Deutschen.17 Schiller hatte ein breites Spektrum an Postkarten im Angebot. Am Bei-

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