Leseprobe

Die Zeichensprache der Klöster ist unter Historikern keine Unbekannte: Schon mindestens seit dem 17. Jahrhundert weiß man um ihre Existenz. In dieser Zeit wurden im Rahmen von Editionsarbeiten auch einige Signa-Listen publiziert, die ersten Quellen zur Erforschung der Zeichensprache. Später kamen zu den Signa-Listen weitere Hinweise in normativen und erzählenden Quellen hinzu, in denen die Zeichensprache Erwähnung fand. Es gibt eine ganze Reihe von Studien, die sich mit diesem Thema befassen und auf die sich aufbauen lässt. Am wichtigsten sind die folgenden fünf, durch deren Lektüre man einen hervorragenden Überblick über die Materie sowie Hinweise auf weiterführende Literatur bekommt. Als die »Bibel der Zeichensprache« kann man die Dissertation von Walter Jerecki von 1979 bezeichnen, die er unter der Betreuung von Prof. Paul Gerhard Schmidt an der Universität Göttingen2 vorlegte. Die Arbeit wurde zwei Jahre später unter dem Titel Signa loquendi: die cluniacensischen Signa-Listen publiziert.3 Jarecki konzentrierte sich auf die auf Latein verfassten Signa-Listen aus Cluny. Er trug eine beeindruckende Sammlung von Manuskripten zusammen, die er nach gründlicher Analyse in sechs Gruppen einteilte. Diese machte er durch eine kritische Edition mit einem umfangreichen Anmerkungsapparat und Kommentaren für die weitere Forschung zugänglich. Bei der Edition konnte er sich auf einige bereits publizierte Arbeiten stützen, viele Manuskripte wurden jedoch dank ihm zum allerersten Mal veröffentlicht. Sein Ziel war dabei, die Zeichen aus Cluny für die weitere, vor allem kulturhistorische Forschung komplett zugänglich zu machen.4 Auf die Erforschung der Listen aus Cluny knüpfte Scott Gorden Bruce mit seiner Dissertation Uttering No Human Sound: Silence and Sign Language in Western Medieval Monasticism (Princeton 2000) an, die später unter dem Titel Silence and Sign Language in Medieval Monasticism: The Cluniac Tradition, c. 900–1200 publiziert wurde.5 Da er sich zwei Jahrzehnte nach Jarecki mit dem Thema befasste, war sein Zugang um einiges komplexer. Außerdem konnte er nicht nur auf Jareckis Edition zurückgreifen, sondern auch auf die Bücher der Klosterbräuche (vor allem auf die Consuetudines aus Cluny).6 Dank dieser Umstände und der hingebungsvollen Arbeit des Autors ist eine qualitativ hochwertige Synthese zum Thema der monastischen Stille und Zeichensprache entstanden. Bruce wollte das eigentliche Wesen der Zeichen ergründen, mit deren Hilfe sich die Mönche in Cluny verständigten. Detailliert zeigt er auf, wie die Sehnsucht der cluniazensischen Mönche nach der Erfüllung des Lebensideals der vita angelica zur Entwicklung der Zeichen führte. Bruce beschäftigte sich mit der Verbreitung der cluniazensischen Listen auch außerhalb der burgundischen Klostermauern sowie mit der Frage des Austauschs von Gebräuchen unter den jeweiligen Klöstern. Da er sich in seiner Arbeit nicht auf die lateinischen Listen beschränkt, bezog 2 Schmidt 1981 hat selbst eine kurze Studie über die Verwendung der Zeichensprache im Mittelalter verfasst. 3 Jarecki 1981. 4 Bis dahin galten die Consuetudines, in denen sich die Signa-Listen meist befinden, unter Historikern als wenig interessant. Viele wurden erst gar nicht herausgegeben, manche zuletzt im 17. oder 18. Jahrhundert. Erst mit dem Projekt Corpus consuetudinum monasticarum (seit 1963) veränderten sich die kritischen Editionen der legislativen Quellen aus dem Mittelalter (vgl.: Engelbert 1991). Walter Jarecki konnte die Früchte dieses Editionsprojekts noch nicht ernten. Er selbst erforschte viele Archivmaterialien, auf denen die Projektarbeit basiert. Später veröffentlichte er noch einige Studien zu den Zeichen, vgl.: Jarecki 1981 (hier ist vor allem die Edition der Zeichenliste Ars und ihr gründlicher Vergleich mit anderen zisterziensischen Listen von enormer Bedeutung); Jarecki 1990 a, Jarecki 1990 b. 5 Bruce 2007a. Diese inhaltlich hervorragende Arbeit ist zudem außerordentlich gut und lebhaft geschrieben und verkörpert ein weit überdurchschnittliches Niveau. 6 ConsUlr; ConsBern. Beide beschreiben und vergleichen Hallinger 1959 und später Wollasch 1993. Nach Joachim Wollasch ist Bernhards Werk ins Jahr 1078 zu datieren, kurz vor der Entstehung von Ulrichs Werk 1079–1084.

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