Leseprobe

q 176 Wie die Zeichen gebildet werden finger und Ringfinger an die Stirn gelegt. Die Erklärung der Mönche bzw. Nonnen dafür ist: Der Abt sei der Kopf der Gemeinschaft. Nach ähnlichem Muster wird auch das Zeichen für Kapitelsaal gebildet: Es wird eine Gruppe Mönche dargestellt, die sich unter einem Dach versammeln. Dabei werden die Fingerspitzen der linken Hand zusammengebracht und die rechte, flache Hand wird darübergelegt als Symbol für ein Flachdach. Gesang wird mit dem um die Lippen kreisenden Zeigefinger dargestellt, denn beim Singen wirbelt die Luft im Mund. Die dritte Kategorie bilden die sogenannten qualitativen Zeichen, also solche, die von einem Merkmal des Dargestellten ausgehen. Es existiert demnach eine inhaltliche Verbindung. Hier gibt es zum Teil Überschneidungen mit den Zeichen der pantomimischen Gruppe. In diese Kategorie gehören die meisten zusammengesetzten Zeichen, denn die Zusatzzeichen greifen meist ein charakteristisches Merkmal des näher zu spezifizierenden Begriffs auf – so wie wir es bereits bei dem Zeichen Hecht oder Messbuch gesehen haben. Ähnlich wird vorgegangen beim Zeichen Bier, welches sich aus den Zeichen Wasser und Korn oder aber Sommer (heiß + Zeit) zusammensetzt. Andere Beispiele sind: Weihnachten (Kind + Gott + Tag), Teich (Fisch + Wasser), Zisterzienser (Mönch + weiß oder grau) etc. Zum Verständnis mancher Begriffe war es notwendig, den jeweiligen Kulturkreis zu kennen. Barakat beschreibt etliche komplizierte Zeichen, zum Beispiel solche, die biblische Orte oder Personen beschreiben, die nicht einfach zu begreifen sind. Das Zeichen Sodom setzt sich beispielsweise aus den Zeichen schlecht + weltlich + Hof + sich wenden + Zeit + Frau + sich verwandeln + zwei + Salz zusammen.747 Batseba, die Ehefrau des Königs David, wurde wie folgt dargestellt: schön + Frau + heiraten + Psalm + König. Es konnten also auch mehrere zusammengesetzte Zeichen kombiniert werden, wie man am Zeichen für David sieht: Psalm + König. Solche komplizierten Zeichen konnten nur dort entwickelt werden, wo man für die Zeichensprache viel Zeit und Muße hatte. Im Kloster de la Fille-Dieu ist die vorherrschende Tendenz hingegen, zu komplizierte Zeichen eher zu vereinfachen und – statt mehrere Zeichen zu kombinieren – ein neues zu entwickeln.748 Allerdings gibt es zusammengesetzte Zeichen fast in jeder Gruppe, es ist kein Alleinstellungsmerkmal dieser Kategorie. Die vierte und fünfte Gruppe, zum Teil oder ganz von der Sprache abhängige Zeichen, gibt es bei den Trappistinnen von de la Fille-Dieu nicht. Die US-amerikanische Tradition scheint hier eine etwas andere zu sein. Auch in den mittelalterlichen oder frühneuzeitlichen Listen gibt es diese beiden Gruppen nicht, also werden sie hier auch nur kurz erwähnt. Barakat nennt sie das Entwicklungsstadium der Zeichensprache, in dem das Zeichensystem mit der gesprochenen Sprache verbunden wird und einige ihrer Charakteristika übernimmt. Welchen Grund es für diese Entwick747 Barakat 1975 a, 106. Die Zahl »2« steht hier vermutlich aufgrund der phonetischen Ähnlichkeit mit dem englischen »to«. 748 Das Zeichen für Osterkerze (Cereus paschalis) wird in der Liste als Kombination der Zeichen Wachs und Licht aufgeführt. Doch diese beiden Zeichen sind bereits zusammengesetzte Zeichen: Wachs (Biene + Licht), Licht (Feuer + leicht erhobener Finger), und auch das Zeichen Biene ist eine Kombination (Flügel + süß). Das endgültige Zeichen für die Osterkerze ergibt also folgende Kombination: Flügel + süß + Feuer (und gehobener Finger) + Feuer (und gehobener Finger). Es kommt hier also zu einer Dopplung der Zeichens für Licht. Deswegen wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dieses Zeichen durch ein neues für Kerze ersetzt (ein im Ellenbogen gebeugter Arm, nach vorne ausgestreckter Zeigefinger), dazu kam noch das Zeichen für hoch. Denn solch komplizierte, lange Zeichen führten oft zu Missverständnissen – es war nur schwer zu erkennen, welche Teile zu dem darzustellenden Wort gehörten. Vgl.: Barakat 1975 a, 111–112.

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