Leseprobe

q 174 Anhang eine Vorstellung davon zu machen, wie das jeweilige Zeichen auszusehen hat. Barakat verfolgte mit seiner Arbeit drei Ziele. Zum einen wollte er für das Kloster, in dem zu der Zeit die Zeichensprache noch aktiv gebraucht wurde, ein illustriertes Wörterbuch erstellen, zum anderen wollte er Grundlagenarbeit für eine spätere Erforschung der Zeichensprache leisten und nicht zuletzt einen Beitrag zur Erforschung von Gesten im Allgemeinen. Das ist ihm ausnahmslos gelungen. Was die mittelalterliche Zeichensprache betrifft, lassen sich anhand der Quellen vor allem einzelne Zeichen analysieren. Wie jedoch aus diesen Sätzen gebildet wurden und wie diese Sätze wohl ausgesehen haben, wie man beispielsweise etwas Vergangenes ausdrückte, einen Befehl oder eine Vermutung, bleibt im Bereich der Spekulationen. Deswegen stütze ich mich auf das, was bekannt ist – die Zeichensprache der Trappisten, die noch bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil die Zeichensprache aktiv verwendet haben. Die wichtigste Quelle dafür ist Barakats Studie. Diese wird ergänzt um meine eigenen Erfahrungen im Schweizer Trappistinnenkloster de la Fille-Dieu.741 Vor allem diese direkte Erfahrung hat mir geholfen, die Struktur der Zeichen sowie deren Bildung besser zu verstehen, denn die Beschreibungen sind meist alles andere als eindeutig. Viele der dort verwendeten Zeichen sind identisch mit jenen, die auch die Zisterzienser im 15. Jahrhundert bzw. davor die Benediktiner im 11. Jahrhundert verwendet haben, und so scheint mir ein Vergleich auch über diese lange Zeitspanne sinnvoll. Einige Ordenstraditionen haben eben bis heute überlebt. Die nachfolgende Beschreibung der trappistischen Zeichen aus der Mitte des 20. Jahrhunderts soll dazu beitragen, sich ein besseres Bild von der mittelalterlichen Zeichensprache machen zu können. Struktur und Syntax Wie entstehen die Zeichen? Am einfachsten ist es, wenn ein Wort durch ein einziges Zeichen, das sogenannte Generalzeichen dargestellt wird. So wurde in den meisten mittelalterlichen Listen ein Becher oder ein ähnliches Gefäß mit drei nach oben gestreckten Fingern dargestellt, während der kleine Finger und der Ringfinger auf der Handfläche lagen. Das Zeichen ahmte so die Form eines einfachen Bechers nach. Weitere Zeichen sind durch Kombination mit den entsprechenden Zusatzzeichen entstanden, die die Bedeutung präzisieren. Wollte der Mönch einen Kelch darstellen, fügte er zum Zeichen für Becher noch das Zeichen für Kreuz hinzu.742 Auf diese Weise zusammengesetzte Zeichen kommen vor allem bei verschiedenen Arten von Büchern, Broten oder Fischen vor: Auch hier besteht das dargestellte Wort aus einem Generalzeichen (Buch, Brot, Fisch) und einem entsprechenden Zusatzzeichen. Für den Hecht kommt das Zeichen für Schnelligkeit hinzu, für ein Messbuch das Zeichen für Kreuz. Eine gewisse Logik, die die Beherrschung und Verwendung der Zeichen erleichtert, ist also erkennbar. 741 Ich bedanke mich an dieser Stelle bei allen Nonnen des Klosters für die Möglichkeit, das Klosterleben durch die Zeichen kennenzulernen, allen voran der Priorin S. Marie-Jeanne dafür, dass sie mir mit viel Geduld die Zeichensprache beigebracht und erklärt hat. Die Schwestern haben sich zu der Zeit (2015) entschieden, die Zeichensprache, die nur noch selten gebraucht wurde, wiederzubeleben, um die Tradition zu bewahren. Die trappistischen Listen bzw. Wörterbücher sind als Bestandteil der Consuetudines erschienen, so in der Liste von 1934 Us des Cisterciennes. Mehr zur Zeichensprache dieses Klosters: Lomičková 2008. 742 Siquis 22–23: »Calix: Erecti digiti tres cum cruce sit tibi calix. Cifum: Tolle crucem digiti tercius signat tibi cifum.«

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