Leseprobe

Ein Sprachzeichen ist eine einfache, mit den Händen ausgeführte Geste. Auch andere Körperteile kommen dabei ins Spiel, indem diese berührt werden oder auf sie gezeigt wird. Von der Gebärdensprache unterscheidet sich die Zeichensprache der Mönche schon durch das Grundprinzip: Sie überträgt die gesprochene Sprache, wenn auch verknappt, in Zeichen. Die Gebärdensprache hingegen ist ein eigenständiges Sprachsystem, unabhängig von der gesprochenen Sprache, das mittels Zeichen nur einen Teil der Informationen übermittelt: Zur Verständigung werden außerdem noch andere Ebenen gebraucht, wie zum Beispiel die Mimik oder die sehr genaue Position der Hände, auf die man sich gleichzeitig konzentrieren muss. Über diese Ebenen verfügt die mönchische Zeichensprache nicht. Hier entspricht ein Zeichen einem aus der gesprochenen Sprache bekannten Wort oder Ausdruck. Auch wurden die Zeichen in der Regel in der Reihenfolge aneinandergereiht, in der man sie als Worte gesprochen hätte. Dahingegen hat die Gebärdensprache eine eigene Syntax und Gedanken werden anderes ausgedrückt als in der gesprochenen Sprache. In der Zeichensprache der Mönche gab es nicht für jedes Wort der gesprochenen Sprache ein Zeichen, sondern es stand ein Set an Zeichen zur Verfügung, mit denen man verknappt allerlei ausdrücken konnte, jedoch viel mehr als nur einfache Botschaften. Es wurde schon oft betont, dass die Signa-Listen, aus denen wir die meisten Informationen über die mönchische Zeichensprache haben, als Lehrmittel dienten vor allem beim Wiederholen des Gelernten. Die Beschreibungen der Zeichen wirken auf den Leser, der sie nicht schon während des Noviziats gelernt hat, etwas unbeholfen, doch es lässt sich erkennen, dass es sich meist um einfache Zeichen handelt, die das Dargestellte in der Form oft nachahmen. Dadurch konnte man sie sich besser merken. Bei manchen Zeichen wurde explizit notiert, warum diese oder jene Form gewählt worden war, zum Beispiel: »Pro signo lucii iterum generali signo premisso hoc adde, ut cum manu facias signum celeritatis, quia lucius celerius alio pisce natat.« (Boh 14) Die cluniazensische Liste des Petrus Boherius beinhaltet viele solcher Erklärungen, in den zisterziensischen Listen wiederum gibt es sie kaum. Doch wenn ein Zeichen aus den cluniazensischen Listen übernommen wurde, lässt sich daraus schließen, dass der Grund für seine Verwendung derselbe geblieben war. Es ist aber auch durchaus vorstellbar, dass dieses Wissen mit der Zeit einfach verloren ging und nur das Zeichen als solches weitergegeben wurde. Doch wenn es darum geht, wie die Zeichen gebildet wurden, kann man sich nach wie vor lediglich auf die Informationen aus den Listen stützen; andere Quellen gibt es nicht. Selbst in den trappistischen Listen aus dem 20. Jahrhundert sind keine detaillierten Informationen zu finden, denn die Zeichensprache wurde (und wird) hauptsächlich vis-à-vis vermittelt. Als ungeschriebene Regel galt lediglich, dass, wenn nicht anders notiert, das Wort Finger in den Listen immer Zeigefinger bedeutet.739 Aber es gibt keinerlei Hinweise, wie aus einzelnen Zeichen Sätze gebildet werden. Einen wesentlichen Beitrag zur Erschließung dieser Forschungslücke leistete in den 1970er Jahren Robert A. Barakat mit seiner umfangreichen Studie zur Zeichensprache der Zisterzienser der strengeren Observanz (Trappisten) der St. Joseph’s Abbey in Spencer, Massachusetts.740 Neben einer linguistischen Analyse ist auch ein Bildwörterbuch der einzelnen Zeichen inklusive einer kurzen Beschreibung derselben Teil seiner Studie. Obwohl bei der Ausführung vieler Zeichen eine bestimmte Bewegung eine Rolle spielt, sind seine Fotografien der Grundstellungen der Hände sehr hilfreich, um sich 739 Erst in den letzten Jahrhunderten der Zeichensprache wurde diese Regel auch verschriftlicht, und so ist sie zum Beispiel in den trappistischen Consuetudines enthalten, siehe: Us des Cisterciennes. 740 Barakat 1975 a.

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