Signa loquendi, wie die Listen meist bezeichnet werden, also Zeichen zum Sprechen, Sprachzeichen, sind Verzeichnisse der Zeichen mitsamt der Beschreibung, wie diese ausgeführt werden. Sie sind die wichtigste und zugleich meist benutzte Quelle zur Erforschung der Zeichensprache. Die Listen offenbaren eine ganze Palette von Wörtern, die einen Einblick in die Welt der Mönche gewähren. Ein Beispiel: »Butirum. Tacta manus intra binis dat scire butirum.« (Siquis 18) Oder: »pro signo alleluie leva manum et sumitates digitorum inflexas quasi ad volandum move propter angelos, quia ab angelis, ut creditus, cantatur in celo.« (Boh 59) Bei der relativ überschaubaren Quellenlage für das frühe Mittelalter ist es fast verwunderlich, wie lange die Signa-Listen nicht in die Forschung einbezogen wurden. Dabei bergen sie viele Informationen zum Transfer zwischen den jeweiligen Klöstern, aber auch zur Vorbereitung der Novizen auf das monastische Leben, zur Funktion der Stille sowie zur Wortbildung. Außerdem verrät die Ausführung der Zeichen einiges über das Verständnis der Wörter in der Denkweise der mittelalterlichen Mönche. Auf der anderen Seite kann man aber die Aussagekraft der Listen leicht überschätzen, weswegen es wichtig ist, die daraus gewonnenen Erkenntnisse mit anderen Erkenntnissen zu mittelalterlichen Klöstern zu kontextualisieren. Signa-Listen als Handreichungen für Novizen Bevor die Informationen aus den Listen verwendet werden, muss man sich fragen, für wen sie verfasst wurden. Zumindest bei den cluniazensischen Listen ist bekannt, dass sie für die Novizen verfasst wurden, damit diese die Grundlagen der Zeichensprache lernten.361 Das Noviziat bedeutete eine Vorbereitung auf das Leben als Mönch, ein intensives Kennenlernen der Ordensregel sowie das Verinnerlichen der Praxis. Benedikt schreibt in seiner Regel: »Danach kommt er in den Raum für die Novizen, wo sie studieren, essen und schlafen. Man weise ihnen einen älteren Bruder zu, der fähig ist, die Herzen zu gewinnen und der mit aller Sorgfalt auf sie aufpasst.« (RB 58,5–6) Während des Noviziats wurde den angehenden Mönchen auch mehrmals die Benediktsregel vorgetragen, wobei sie anschließend gefragt wurden, ob sie sich an diese halten wollten.362 Falls die Kandidaten bis zum Ende dabeiblieben, konnten sie das Mönchsgelübde ablegen. Da die cluniazensischen Klöster auch in der Organisation des Noviziats eine Vorbildfunktion für andere Klöster hatten, für Benediktiner wie Zisterzienser, wird das Noviziat hier anhand der Gewohnheitsbücher aus Cluny erläutert.363 Vor dem Eintritt ins Kloster wurden einige symbolische Akte durchgeführt. Dazu gehörte die Zustimmung zur Ordensregel, die Tonsur sowie das Anlegen der Tracht – alles eingerahmt von Stille. Das Entfernen der Haare symbolisierte den Verzicht auf den eigenen Willen, die neue Klei361 Darauf weist vor allem Scott Bruce hin. Zuvor wurden die Listen meist mit Mönchen in Verbindung gebracht und zwar aufgrund der gesonderten Untersuchung der Listen, bei der andere mit der Liste zusammenhängende Quellen nicht mit einbezogen wurden – die Consuetudines Bernhards und Ulrichs, deren Bestandteil die ersten Listen waren. Dies führte dann zu vielen falschen Schlussfolgerungen zur Funktion der Zeichensprache sowie der Listen selbst. Siehe: Bruce 2007a, 63. 362 Das Vortragen der Regel muss in diesem Fall laut Leclercq nicht nur ein einfaches Vorlesen bedeuten, sondern eher im Sinne von legere = Auslegung des Textes. Vgl.: Leclercq 1963, 23. 363 Die Aufmerksamkeit, die diesem Prozess in den Consuetudines eingeräumt wurde, könnte laut Bruce die Konsequenz aus der Krise sein, die durch das rasche Wachstum von monastischen Berufen in Cluny hervorgerufen worden war, infolgedessen die Zahl der Mönche von 100 auf 300 anstieg. Es ist kein Zufall, dass die Liste eben in dieser Zeit verfasst wurde. Vgl.: Bruce 2007a, 67–68. Ähnlich beschrieb auch Giles Constable den Eintritt in Cluny, siehe: Constable 2000, 335–354. Vgl. auch: Lutterbach 1995.
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