Vernehmbare Zeichen der ersten Mönche 45 q Die mittelalterlichen Autoren verwenden für ein abgesprochenes Zeichen mit der Hand meist die Begriffe signum oder nutus.123 Der angelsächsische Autor der Signa-Liste aus der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts verwendet ausschließlich indicia bzw. tacn im Altenglischen. Beim Studium einer Ordensregel spielt also die Lesart des Begriffs signum eine besonders wichtige Rolle, die entscheidet, ob ein Glockenlaut oder ein Kommunikationsmittel der Zeichensprache gemeint war. Ganz eindeutig ist hingegen die Bezeichnung signa loquendi – Sprachzeichen, wie die sogenannten Signa-Listen meist genannt werden. Die Verben, die am häufigsten für das Verwenden der Zeichen unter den Ordensbrüdern gebraucht werden, sind: significare, signo petere, signo facere, per signa insinuaria, indiciis indicare, nutibus ostendere. Vernehmbare Zeichen fanden vor allem im Refektorium Verwendung, wo die Einforderung von Stille wohl am häufigsten mit der Kommunikationsnotwendigkeit während der Essenausgabe kollidierte. Der ägyptische Mönch und Begründer des Koinobitentums Pachomius († um 347) verordnet in der ersten bekannten Ordensregel: »Wenn am Tisch etwas nötig ist, wagt niemand zu sprechen, aber man gibt den Ministranden durch einen Ton ein Zeichen.« (Si aliquid necessarium fuerit in mensa, nemo audebit loqui, sed ministrantibus signum sonitu dabit.)124 Solch ein vernehmbares Zeichen könnte zum Beispiel ein leises Klopfen auf eine Holzplatte sein, ein Zeichen, das bis heute noch in vielen Klöstern am Ende des gemeinsamen Essens oder des Chorgebets gebraucht wird. Doch was sich noch alles hinter dieser Regel verbirgt, ist schwer zu sagen. Pachomius’ Regel findet sich in fast unveränderter Form in vielen Klöstern wieder, vor allem in Gallien. Für Historiker sind Pachomius’ Praecepta (»Vorschriften«) die wichtigste Quelle, in der alle Bedeutungsvarianten der Begriffe »Zeichen« und »Laut« zu finden sind, die für die Geschichte des Mönchtums eine Rolle spielen und die man auseinanderhalten muss. Auch Pachomius erwähnt in einem weiteren Kapitel ein Zeichen, das zu Beginn der Arbeit gegeben wird; hier handelt es sich vermutlich um eine Glocke. Auch wer sich waschen wollte, sollte erst auf ein solches Zeichen warten.125 Der Abschnitt, der für die Anfänge der Zeichensprache am interessantesten ist, bezieht sich auf das Einhalten der Stille in der Mühle: »Wenn sie Mehl mit Wasser kneten und den Teig backen, soll niemand mit dem anderen sprechen. Auch morgens, wenn sie die Brote auf Brettern zum Backhaus oder zu den Backöfen bringen, sollen sie ebenfalls Stille wahren und nur etwas von den Psalmen und der Heiligen Schrift singen, bis die Arbeit vollendet ist. Wenn sie etwas Notwendiges brauchen, sollen sie nicht sprechen, sondern denjenigen zweimal ein Zeichen geben, die bringen können, was sie brauchen.«126 Das ist vermutlich der einzige Beleg dafür, dass die ägyptischen Mönche untereinander Zeichen verwendet haben. Inwiefern es sich um vereinbarte Zeichen handelte oder um solche, die 123 Eine sehr gute Übersicht über das Bedeutungsspektrum des Begriffs signum, signare bei: Du Cange 1886, 482– 486, signum im Sinne eines Zeichens der Zeichensprache der Mönche unter Punkt 9. Vgl. auch die Erklärung zu nota: ebd., Bd. 5, 609. 124 Pachomius: Praecepta 33 – PL 23, 71C. 125 Pachomius: Praecepta 58 – PL 23, 75A; 68 – PL 23, 66D 126 Pachomius: Praecepta 116 – PL 23, 79D–80A (Quando farinam conspergunt aqua, et massam subigunt, nemo loquatur alteri. Mane quoque quando tabulis ad furnum vel ad clibanos deportant panes, simile habebunt silentium, et tantum de Psalmis et de Scripturis aliquid decantabunt, donec opus impleatur. Si quid necessarium habuerint, non loquentur, sed signum dabunt bis qui possunt afferre, quibus indigent.).
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