Leseprobe

Gesten und Zeichen außerhalb der monastischen Welt 43 q Zeichen, die Zahlenwerte bis zu einer Million darstellen. Mit der linken Hand wurden Zahlen von 1 bis 99 dargestellt, mit der rechten die von 100 bis 9 999. Höhere Zahlenwerte wurden durch Kombination beider Hände bzw. durch verschiedene Handhaltungen angezeigt, indem zum Beispiel auf verschiedene Körperteile wie Brust, Magen oder Oberschenkel gezeigt wurde. Diese anonyme Abhandlung hat später der angelsächsische Geschichtsschreiber und Theologe Beda Venerabilis († 735) in seinem Werk »Büchlein über das Sprechen mit Zifferngesten und die Berechnung der Zeiten« (De loquela per gestum digitorum et temporum ratione libellus) verwendet.113 Dank Bedas Popularität verbreitete sich die Methode durch das damalige Europa. Beda sah die Vorteile dieser Methode in zweierlei Hinsicht: zum Errechnen des Ostertermins und als gute Merkhilfe beim Kopfrechnen. Beda schlägt das Zahlzeichensystem auch als Kommunikationsmittel vor, indem man die Zahlen durch aufeinanderfolgende Buchstaben des Alphabets ersetzt. So war das Zeichen für »A« identisch mit dem für »eins« etc. Doch solche Zeichen wären für die alltägliche Kommunikation der Mönche kaum zu gebrauchen gewesen. Beda Venerabilis verstand sie auch vielmehr als eine Übung für den Geist und nicht als Ersatz für die gesprochene Sprache.114 Die Zahlendarstellung mithilfe von Zeichen war sehr verbreitet. In einer seiner Predigten gibt der hl. Hieronymus († 420) ein Beispiel für die Verwendung solcher Zeichen, in seiner Erläuterung des Gleichnisses vom Sämann (Mt 13,3–9). Für die Zahlen 30, 60 und 100 verwendete er die Handzeichen, wie sie aus der römischen Antike überliefert worden waren.115 Ältere Beschreibungen von Fingerzahlsystemen sind nicht überliefert, dennoch lässt sich behaupten, dass das System auch in der Spätantike bekannt war.116 Nachgewiesen ist das Fingerrechnen für Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division sowohl bei den Griechen als auch bei den Römern.117 Eine letzte wichtige Beschreibung von Fingerzahlen findet sich bei Hrabanus Maurus († 856) in seinem De computo (»Über das Rechnen«), vor allem im Kapitel sechs »Wie Ziffern mit Fingern bezeichnet werden« (Quomodo numeri digitis significentur).118 Der Abt des Klosters Fulda und Erzbischof von Mainz beschreibt eine Unterhaltung zwischen einem Meister und seinem Schüler darüber, wie man die Zahlen von eins bis eintausend mithilfe der Finger darstellen kann. Es wird erwähnt, dass man diese Methode zum Errechnen des Ostertermins sowie anderer beweglicher Feiertage benutzte. Erst mit der Verbreitung von Rechentafeln waren die Fingerzahlsysteme überholt. Erste Belege der Verwendung eines Fingeralphabets für die stille Kommunikation, wie sie Beda Venerabilis vorgeschlagen hatte, finden sich erst in der Frühen Neuzeit bei Melchior de Yebra (1526–1586). Dieser Franziskanermönch hinterließ das Handbuch Refugium infirmorum (»Zufluchtsort der Kranken«) mit einer alphabetisch geordneten Beschreibung der Buchstaben A bis Z mitsamt den Holzschnitten der jeweiligen Handzeichen. Dieses Alphabet war einerseits an Kranke gerich113 Beda Venerabilis: De loquela per gestum digitorum et temporum ratione libellus – PL 90, 685–698. Eine vereinfachte Beschreibung der Zahlbezeichnungen siehe: Groß 1996, 916; neuerdings dann: Bruce 2007 a, 57–58. 114 Vgl.: Bruce 2007 a, 58–60. 115 Hieronymus: Epistola 48,2 – PL 22, 495AB. Auf diese Überlieferung machte bereits Bruce aufmerksam. 116 Vgl.: Williams/Williams 1995, 587–608. 117 Nelson 1935, 26sq. Er beruft sich auf Herodot, Plautus, Ovid oder Seneca. 118 Hrabanus Maurus: De computo – PL 107, 728, bes. 675.

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