Leseprobe

 1848–2023 LindenauMuseum Altenburg Sandstein Verlag

Grußworte Claudia Roth, MdB, Staatsministerin für Kultur und Medien — 7 Bodo Ramelow, Ministerpräsident des Freistaats Thüringen — 8 Uwe Melzer, Landrat des Landkreises Altenburger Land und Vorsitzender der Kommunalen Arbeitsgemeinschaft Altenburger Museen — 9 Zum Geleit Roland Krischke — 10 Das Museum auf dem Pohlhof Ronny Teuscher — 14 Drei Sammler – drei Motivationen – drei Museen. Museumsgründungen des 19. Jahrhunderts aus dem Geiste bürgerlichen Gemeinsinns Anne Viola Siebert — 20 Aufbruch in Altenburg. Der Einfluss von Lindenaus Kunstschule und Stipendienprogramm auf die wirtschaftliche Entwicklung in Altenburg Sabine Hofmann — 32 Johann Gottlob von Quandt und die Einrichtung des Museums auf dem Pohlhof Andreas Rüfenacht — 42 Die mit der Lindenau-Zach’schen Stiftung verbundene Lehranstalt Ronny Teuscher — 52 Bildstrecke — 56 Ansuino da Forlì, Heilige Familie mit Stifterin Neville Rowley — 64 Rotfiguriger, etruskischer Stamnos Dennis Graen — 68 Gipsabguss der Laokoon-Gruppe Arnold Nesselrath — 72 Louis Castelli, Sixtinische Madonna nach Raffael Ilka Voermann — 78 Luigi Carotti, Korkmodell des Kolosseums Marius Winzeler — 82 Heinrich August Ottokar Reichard, Der Passagier auf der Reise [...] Kathrin Paasch — 86 Bernhard August von Lindenau. Worte und Bekenntnisse Ingeborg Titz-Matuszak — 90 1848 – 1876 1876 – 1918 1918 – 1933 1933 – 1945 Das Herzogliche Museum in der Kaiserzeit Karoline Schmidt — 102 Das Lindenau-Museum als Landesmuseum. Zur Funktion, Sammlungspräsentation und -vermittlung Marina Beck — 108 Zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Szenarien aus der Gründungsphase des Altenburger Kunstvereins und dessen Bemühungen um das Lindenau-Museum Jenny Mues — 122 Bildstrecke — 134 Christian Rohlfs, Ilmbrücke in Weimar Gert-Dieter Ulferts — 144 Das Staatliche Lindenau-Museum in der Weimarer Republik Steven Ritter — 150 Das Lindenau-Museum vor dem Hintergrund der finanziellen und politischen Entwicklung Thüringens nach 1920 Timo Leimbach — 156 »Menschen in Glück und Leid«. Ernst Müller-Gräfes Wandbilder im Treppenhaus des Lindenau- Museums Altenburg Conny Dietrich — 164 Albrecht von der Gabelentz (1873–1933) – eine Annäherung Gustav Wolf — 176 Bildstrecke — 184 Conrad Felixmüller, Porträt Raoul Hausmann Andreas Schalhorn — 190 Das Staatliche Lindenau-Museum im Nationalsozialismus Thomas Matuszak — 196 Das Lindenau-Museum und die Aktion »Entartete Kunst« Andreas Hüneke — 202 Die Ära Heinrich Mock 1933 bis 1937 Alexander Zinn — 210 Walther Scheidig als kommissarischer Leiter des Lindenau-Museums in Altenburg Gerda Wendermann — 220

 Otto Pech und die Altenburger Kunst-Hütte Alexander Vogel — 232 Bildstrecke — 236 Walter Jacob, Selbstporträt Susanna Köller — 242 1945 – 1990 1990 – 2023 Das Lindenau-Museum Altenburg nach 1990 Silvia Schmitt-Maaß — 344 Von Barbarossa bis studioDIGITAL. Beispiele aus drei Jahrzehnten Kunstvermittlung am LindenauMuseum Altenburg Angelika Forster und Jacqueline Glück — 350 Das Studio Bildende Kunst. Die Kunstschule im LindenauMuseum zwischen 1995 und 2020 Ulrike Weißgerber — 362 Vom Bewahren. Zur Restaurierungsgeschichte ausgewählter Bestände des Lindenau-Museums Christian Maul, Susanne Reim und Johannes Schaefer — 372 Die beliebteste Raubkatze der Stadt Angelika Forster — 384 Bildstrecke — 386 Freunde des Lindenau-Museums Jutta Penndorf — 402 Gerhard Altenbourg, Verständigung der Auguren über ein Geschick Kornelia Röder — 406 Eberhard Göschel, Qumran II Kai Uwe Schierz — 410 Und immer wird gebaut … Susanne Reim — 414 Das Lindenau-Museum im Aufbruch Roland Krischke — 422 Chronologie des Lindenau-­ Museums — 430 Ausstellungen des LindenauMuseums — 442 Publikationen des LindenauMuseums 1876–2023 — 450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Lindenau-Museums 2023 — 459 Literatur — 460 Autorinnen und Autoren der Publikation — 476 Abbildungsnachweis — 477 Abkürzungen — 479 Impressum — 480 Das Staatliche Lindenau-Museum in der Sowjetischen Besatzungszone und DDR Marianne Lose — 248 Aufbruch mit Hindernissen. Hanns-Conon von der Gabelentz’ Lindenau-Museum im Spiegel der Museumspolitik der Sowjetischen Besatzungszone und frühen DDR Sarah Kinzel — 256 »Glücklich ein Museum, das solches vermag.« Ausstellungen mit zeitgenössischer Kunst in den 1980er Jahren Angelika Weißbach — 268 Gerhard Altenbourg und das Lindenau-Museum Inge Grimm — 278 Freie Geister. Das Lindenau-Museum als Ort unangepasster Kunst in der DDR von 1975 bis 1989 Benjamin Rux — 286 Nach Altenburg Peter Schnürpel — 294 Bildstrecke — 298 Von der Lehranstalt zum Studio Bildende Kunst im Lindenau-Museum Angelika Forster — 314 Bernhard Heisig, Festung Breslau – Die Stadt und ihre Mörder Agnes Tieze — 318 Sabina Grzimek, Mutter und Kind Fritz Jacobi — 322 Hanns-Conon von der Gabelentz – eine Hommage Dieter Gleisberg — 326 Lindenaus Museum Neu(n) Null Jutta Penndorf — 334

12 18 –48 1876

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Das Museum auf dem Pohlhof

15 1848– 1876 Ronny Teuscher n den Journalen zur geplanten Eröffnung des neuen Lindenau-Museums, das zwar seine Traditionslinien bewahrt, doch gleichzeitig eine Neuschöpfung sein wird und sein Ausstellungskonzept genauso revolutioniert wie seine Räumlichkeiten, könnte es heißen: »Während in den [. . .] Wirren der Gegenwart der Sinn für Kunst und Wissenschaft untergegangen zu sein scheint, ist vor Kurzem in Altenburg eine Kunstschöpfung vollendet worden, die wohl verdient, auch außerhalb der engen Grenzen unsers Landes [. . .] bekannt zu werden.« Doch das Zitat stammt einleitend über Das Museum des Staatsministers v. Lindenau in Altenburg aus dem Dresdner Journal und Anzeiger vom 4. Dezember des Jahres 1848. Die Wirren jener Tage waren politischer Natur. Das Lindenau-Museum betrat die Bühne der deutschen und europäischen Kunstsammlungen zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt, dem Jahr der bürgerlich-demokratischen Revolution im Deutschen Bund, mit der Residenzstadt Altenburg als einem republikanischen Zentrum. Beim absolutistisch regierenden Altenburger Herzog, dem Adel und dem wohl begüterten Bürgertum ging das Gespenst des Kommunismus um. Durch eben jene Ereignisse war die Eröffnung des für Lindenaus Sammlungen konzipierten neuen Mittelgebäudes auf dem Pohlhof, Lindenaus elterlichem Freihof in der Altenburger Neustadt, fast unbemerkt vonstatten gegangen. Zwar waren am Freitag, den 7. April 1848, die Lindenau’schen Sammlungen erstmals für 20 »hiesige Einwohner« und am folgenden Tag für 20 »Landleute« gegen eine Eintrittskarte, die beim Rathaus zu erhalten war, zugänglich,1 doch während der Altenburger Barrikadentage2 im Juni 1848 rückte auch der Pohlhof in die Frontstellung zwischen republikanischer Bürgerschaft und Reaktion. Fern seines jüngst eröffneten Museums tagte Lindenau – »Feind der Reaction und der Revolution«3 – als gewählter liberaler Abgeordneter zur Nationalversammlung in Frankfurt, während sein Kustos, der Maler Erdmann Julius Dietrich, buchstäblich am Pohlhof die Stellung hielt. Als Bürgergardist einberufen, hatte Dietrich noch das Glück, dort an den aus Pflastersteinen, Fässern und Kutschen zusammengeschobenen Barrikaden eingesetzt zu werden, die den Weg durch den Garten hinter dem Pohlhof gegen das heranrückende königlich-sächsische Militär abriegelten, um ein wachendes Auge auf das Museum zu haben. »Daß bei solchen Zeiten der Kunst und Wissenschaft keine Beachtung gebracht werden kann und wird, ist natürlich«, schrieb Dietrich an seinen Dienstherrn Lindenau nach Frankfurt, und berichtete, dass zuletzt nur zwei der 20 erhältlichen Eintrittsbilletts nachgefragt wurden.4 Im September wurde bei der Besetzung Altenburgs durch Reichstruppen, um der herzoglichen Regierung wieder auf die Beine zu helfen, auch der Pohlhof nicht mit Einquartierung verschont,5 ja am 23. Oktober wurden selbst Kanonen hinter dem Pohlhof in Stellung gebracht.6 »Kunst als Mittel zur Vervollkommnung des technisch-gewerblichen Antriebs«7 Die Lindenau’schen Sammlungen sind nicht wie die Sammlungen Goethes die eines Kunstsammlers. Sind jene auf die Komplettierung der Bildung des Sammlers durch eigene Anschauung angelegt, wurden diese Lindenau bewusst für die Bildung der Allgemeinheit und damit zum öffentlichen Gebrauch zusammengestellt. Sein Museum dachte sich Lindenau aber nicht allein, es war erst Grundlage, »Bildungsmittel«8 für die das LindenauMuseum bis heute prägende Kunstschule. Hier sollte sich die Altenburger Jugend einerseits an den als unübertroffen geltenden Formen des Altertums und der Renaissance, andererseits im Geiste des die Frömmigkeit idealisierenden Biedermeiers an der christlichen Malerei Italiens üben können, um einen künstlerischen Geschmack auszubilden. So mancher erwarb sich hier das Rüstzeug zu einem guten Kunsthandwerker: »Wenn es durch diesen Unterricht und die Bekanntschaft mit Kunstwerken gelingt, junge Männer zu weitern Fortschritten zu befähigen und zu ermuntern [. . .], so soll aber auch die Beschauung meiner kleinen Sammlung Kunstfreunden insoweit gestattet und erleichtert werden, als es die beschränkte Räumlichkeit erlaubt.«9 War das Pohlhof-Museum darauf beschränkt, etwa bei seinen Antikensammlungen die Ästhetik der Antike abzubilden, tritt neben dieser sinnlichen heute die kulturhistorische Betrachtung der Antiken, die als Ausgrabungsfunde nicht nur etwas über die Kunstfertigkeiten des Altertums, sondern auch über das Leben des antiken Menschen erzählen. I

16 Zweckmäßigkeit bedacht, aber für den Umfang der seinerzeit noch wachsenden Lindenau’schen Sammlungen nicht ausgelegt. Diese seien »fast mehr aufgeschichtet, als aufgestellt«, schrieb der Jenaer Archäologe Karl Bernhard Stark 1850 im Deutschen Kunstblatt.14 Zwar gibt es keine einzige Innenansicht vom Pohlhof-Museum, doch unter Zuhilfenahme der von Johann Gottlob von Quandt und Heinrich Wilhelm Schulz bearbeiteten Beschreibung der im neuen Mittelgebäude des Pohlhofs befindlichen Kunst-Gegenstaende sowie einer Raumskizze aus Lindenaus Hand für den Westsaal der ersten Etage (Abb. 1) lässt sich beispielsweise dieser Saal in seiner ungefähren Anlage zum Leben erwecken (Abb. 2): Die Wände waren fast vollständig von den 166 frühitalienischen Tafelbildern eingenommen, »dass kein leeres Plätzchen an den Wänden mehr zu entdecken ist«.15 Lindenau beabsichtigte, »alle Sieneser« an der Nordwestwand, »umbrische mit einzelnen Florentiner Bildern« an die Nordostwand zu hängen.16 Die Ecken füllen hohe Repositorien mit kleinformatigen Abgüssen, Repliken und einzelnen Modellen. Wendet man sich beim Eintreten nach rechts, umgeben auf einem Tisch Campana-Platten die Büste der Athena Velletri. Unter dem Tisch stehen verkleinerte Kopien antiker Skulpturen, so etwa der Herakles Farnese oder die Muse Terpsichore aus dem Vatikan. Vor den Fenstern erblickt man einzelne Abgüsse römischer Antiken – vor dem Nord- »Um in der etwas beschränkten Räumlichkeit Beschädigungen zu verhüten, wird behutsames Herumgehen den Beschauenden empfohlen«10 »Da die betreffenden Räumlichkeiten nicht füglich geheizt werden können«,11 wurden Eintrittskarten in der kalten Jahreszeit nicht ausgegeben, und so gab der Oberbürgermeister Hempel erst für Sonnabend, den 5. Mai 1849, die Wiedereröffnung bekannt. Doch wie auch der Blick in das fortan geführte Fremdenbuch zeigt, war das Pohlhof-Museum keinesfalls nur an den offiziellen Öffnungstagen12 besucht: »Wer außer dieser Zeit die Sammlung zu sehen und eine ausführliche Beschreibung, als dies bei einem starken Besuche möglich ist, zu erhalten wünscht, bedarf einer Karte, die beim Hausmann im Pohlhofe zu lösen ist, welche für 6 Personen gültig.«13 Im Jahr 1853, dem ersten Jahr, für das regelmäßig die Anzahl der die öffentliche Führung wahrnehmenden Besucher aufgezeichnet wurde, kamen 204 Damen und 250 Herren (die Anzahl der Besucher außerhalb des öffentlichen Besuchstags nicht mitgerechnet). Die durchschnittliche Gruppengröße bei Führungen lag 1853 bei 16 Personen. Und viel größer hätten die Führungen auch nicht sein können, denn der 1845/46 vom Leipziger Universitätsbaumeister Geutebrück entworfene Bau war zwar auf

17 1848– 1876 fenster die Statuengruppe des mit einem Delfin verschlungenen Amors, ein Abguss nach dem Original der Sammlung Farnese in Neapel. Die Raummitte füllt eine breite Tischreihe, auf der Korkmodelle nach antiken Bauwerken und über 300 Vasen in einer so dicht gedrängten Formation stehen, dass die Beschauenden sich nur wie »im vorsichtigen Gänsemarsch«17 auf den Rundgang begeben können, um nicht die seltene Vase mit Darstellung des etruskischen Dämons Charun (siehe Abb. 1 auf S. 70) vom Tisch zu reißen. Die Platznot konnten auch die 1851 angebauten Seitenflügel sowie 1853 der Auszug des Kustoden Dietrich (der hier kostenlos wohnen durfte) nicht zufriedenstellend lösen. Die ersten Besucher von Lindenaus Museum »Auch der Unterzeichnete bewunderte die reich vereinten erhabenen Kunstwerke und den edlen Sinn des Gebers«, hält ein Besucher aus Dresden im September 1853 fest.18 Als erste Einträge finden sich im Fremdenbuch unter dem 7. März 1849 der Erbgroßherzog von Oldenburg in Begleitung des regierenden Altenburger Herzogs Georg, gemeinschaftlich mit Georgs Bruder, dem im Zuge der Revolution abgedankten Herzog Joseph. Der liberale Weimarer Erbgroßherzog Carl Alexander folgte als nächstes fürstliches Autograf unter dem 12. April. Am 12. Juli beehrten auch seine Eltern, das Weimarer Großherzogspaar Maria Pawlowna und Carl Friedrich, das Museum mit ihrem Eintrag.19 Doch das Mittelgebäude des Pohlhofs war kein Museum nur für Adel und Fürsten. Ganz in Lindenaus volksbildendem Sinne kamen die Besucher vor allem aus der bürgerlichen Mittelschicht. So hätte man damals durchaus den Leipziger Kaufmann Körmes, den Zschopauer Tuchfabrikanten Barth, den Professor an der Lateinschule Pirmasens Luckner, den Altenburger Bäckermeister Mohrmann oder den Hofhutmacher Pabst beim Rundgang durch die Säle antreffen können.20 Bei den öffentlichen Führungen waren Damen keinesfalls in der Minderheit; im Jahr 1856 waren erstmals mehr Damen unter den Besuchern. Heute willkommen und durch die reichhaltigen Vermittlungsangebote eine der wesentlichen Zielgruppen des LindenauMuseums, sind Kinder in den Anfangsjahren vom Besuch des Museums am Pohlhof noch ausgeschlossen.21 Viele Besucher kamen in der Pohlhofzeit des LindenauMuseums – nicht anders als heute – in Gruppen angereist, so etwa gemeinschaftlich aus Dresden der Landeszahlmeister Kost zusammen mit dem Faktor Teichert von der Königlichen Porzellan-Niederlage, dem Kellereiverwalter Scharf, dem Kultus-Ministerial-Registrator Assmann und dem Salzverwalter König.22 In großer Zahl kam auch der Leipziger Kunstverein zur Besichtigung.23 Einmal fand sich die juristische Gesellschaft Iduna aus Leipzig mit einem Eintrag im Fremdenbuch.24 Auf dem Gebiet der Kunst- und Altertumswissenschaften birgt das Fremdenbuch des Pohlhof-Museums bedeutende Thüringer Autografen wie etwa 1849 den Direktor der Weimarer Kunstanstalten Adolf Schöll, der sich zusammen mit dem Leiter der Großherzoglichen Bibliothek Ludwig Preller eintrug.25 Der Jenaer Altphilologe Karl Wilhelm Göttling, Mitarbeiter an der Goethe’schen Werkausgabe letzter Hand und Begründer der Antikensammlungen der Universität Jena, besuchte das Museum zusammen mit 31 Kollegen anlässlich der in Altenburg stattfindenden Verhandlungen der 14. Versammlung Deutscher Philologen, Schulmänner und Orientalisten am 26. September 1854,26 wobei sein Hauptaugenmerk wohl auf den antiken Vasen geruht haben mag, mit deren sich seine Jenaer Sammlung eine verwandte Provenienz teilte. Unter den Thüringer Künstlern, die den Pohlhof beehrten, sind folgende hervorzuheben: 1850 der Gemälderestaurator und Lehrer an der Weimarer Zeichenschule William Kemlein27 und 1851 der seinerzeit in Rom sesshafte Aquarellmaler Carl Werner, Enkel von Goethes Schauspieltalent Christiane Becker-Neumann.28 Lindenaus Lebensabend zwischen Sammlungen und Kunstschule »Dankbar gegen Gott [. . .] manche Vorbereitung zur Vervollständigung der Sammlungen des Mittelgebäudes ermöglicht zu haben«, heißt es resümierend in Lindenaus Tagebuch am Silvestertag des Jahres 1853.«29 Über die letzten Tage jenes Jahres sind wir gut informiert. Für die Schüler der dem Museum angeschlossenen Kunstschule soll der diesjährige Unterricht mit dem 21. Dezember »seine Endschaft erreichen und die Schüler eingeladen werden, sich zum Behuf der Preisvertheilung am 31. vormittags 11 Uhr im Kuppelsaal einfinden zu wollen«.30 Am Heiligabend 1853 traf schließlich ein schon verloren geglaubter Kunst- 1 Raumskizze von Bernhard August von Lindenaus Hand auf einem Briefentwurf an Johann Gottlob von Quandt, 1847 √

bgleich überregional und auch international bekannt, vergessen auswärtige Kenner des Lindenau-Museums leicht, dass die Keimzelle des Museums eigentlich die von Bernhard August von Lindenau ins Leben gerufene Kunstschule war, für die er seinen Altenburger Landeskindern durch sein zugehörig gedachtes Museum ein geeignetes »Bildungsmittel«1 gab. Auch wenn Lindenau in der Ankündigung seiner Stiftung nicht eigens von einer »Schule« sprach, begann der unentgeltliche Unterricht im neuen Mittelgebäude auf dem Pohlhof für 17 Schüler2 des Herzogtums Altenburg bereits am 4. Januar 1848,3 während die Kunstsammlungen erst ab dem 7. April für Altenburger wie Auswärtige öffentlich zugänglich waren. Bis heute gründet sich die Erfolgsgeschichte des Lindenau-Museums auch auf seiner kunsterzieherischen Vermittlung. Zur Zeit Lindenaus war die Aufnahme an dieser Lehranstalt auf Jungen zwischen 16 und 25 Jahren begrenzt.4 Dabei war eine Mal- und Zeichenschule nichts Neues im Jahr 1848. Nachdem 1776 Weimar mit einer Fürstlichen freien Zeichenschule den Anfang gemacht hatte, sprossen mit Eisenach, Gotha usw. gleichartige Institute in allen Thüringer Kleinstaaten.5 Auch in Altenburg selbst hatte es bereits unter Ludwig Doell von 1812 bis nach 1843 eine Zeichenschule gegeben, in der die späteren Kustoden des Lindenau-Museums Erdmann Julius Dietrich und Karl Moßdorf ihre erste künstlerische Ausbildung erfahren hatten.6 Doell war zugleich Vereinsdirektor des Altenburger Die mit der Lindenau- Zach’schen Stiftung verbundene Lehranstalt O Ronny Teuscher

53 Kunst- und Handwerksvereins gewesen.7 Lindenaus Projekt war damit kein neues. Auch bei den anderen Zeichenschulen konnten sich die Schüler mehr oder weniger an Abgüssen und grafischen Vorlagen üben. Das Besondere der von Lindenau gegründeten Lehranstalt waren Größe und Umfang der Sammlung, die er für den Unterricht von Anfang an konzipiert hatte, und dass der nicht-fürstliche Stifter nicht nur (wie Städel) das Kapital zur Verfügung stellte, sondern sein Projekt aktiv selbst gestaltete. Bereits 1820 hatte der spätere Inspektor des Städelschen Kunstinstituts in Frankfurt am Main, Johann David Passavant, seine Anforderungen über die bessere Einrichtung des Unterrichts in den Kunstanstalten formuliert: »Bei einer Anstalt zum Unterricht im Zeichnen für die unbemittelte Jugend sollte vorzüglich Rücksicht auf die Classe der Handwerker genommen werden [. . .]. Würden hierzu einige tüchtige Lehrer bestellt, welche im Zeichnen, in den Anfangsgründen der Architektur und selbst der Mechanik einen zweckmäßigen 1 Prämienschein der LindenauZach’schen Stiftung für den Schüler Rudolph Fritzsche im Fach technisches Zeichnen, 1912

54 Unterricht ertheilen, so würde wohl dieser Zweck erfüllt seyn. Ich bemerke nur noch, daß man zum Nachzeichnen die vorzüglichsten Muster der Ornamente und Gefäße, sowohl der griechischen, römischen, als auch besonders der deutschen Kunst wählen sollte; es sei nun in Zeichnungen und Kupferstichen, oder auch vorzüglich in Gypsabgüssen [. . .]. Denn nur durch Muster, die in Zeiten der Bildung und höchster Blüthe der Kunst und vor dem Verfall derselben entstanden sind, wird der Sinn für einen besseren Geschmack der Formen gebildet.«8 Passavants Anforderungen an eine Zeichenschule lesen sich wie die spätere Umsetzung Lindenaus im Pohlhof. Zwei Institute werden Lindenau unmittelbar bei seinem Pohlhof-Projekt inspiriert haben: Neben der Akademie der Bildenden Künste in Dresden ist hier zunächst das Städelsche Kunstinstitut zu erwähnen, dessen Anfänge Lindenau als Bundestagsgesandter in Frankfurt Ende der 1820er Jahre beobachtet haben wird und mit dessen späterem Inspektor, Passavant, Lindenau (zumindest über Kunsterwerbungen) eine intensive Korrespondenz führte. Auch gab es am Städelschen Kunstinstitut in Frankfurt die gleichen Elementarklassen wie später in Altenburg: Modellieren, freies Handzeichnen und architektonisches Zeichnen. Die von Städel angestrebten Ziele einer »Veredlung des Handwerks, der Entwicklung technischer Fertigkeiten und des künstlerischen Geschmacks«9 entsprachen Lindenaus Wunsch einer »Vervollkommnung des technisch-gewerblichen Antriebs«10 durch künstlerische Bildung. Im Unterschied zu Frankfurt, wo man durch die Anstellung berühmter zeitgenössischer Maler als Lehrer bestrebt war, auch mit den großen Kunstakademien mitzuhalten, war Altenburg ganz auf die eleSchüler der Akademie zu Dresden auch über Knochen- und Muskellehre, Perspektive, die Lehre von Licht und Schatten und in der Übung am lebenden Modell unterrichtet wurden, wie es Lindenau für Dresden vorgesehen hatte, ist nicht bekannt. Lindenaus Schwerpunkt in der Behandlung von Abgüssen schilderte er selbst 1848 in einem Brief an den Leiter der Gipsformerei des Louvre Jacquet, in dem er seine Sammlung als weniger für den Kenner und den Wissenden, sondern vielmehr für den Amateur und für Lektionen im Zeichnen beschrieb.14 Selbst war Lindenau ein kunstgeschichtlicher Laie, nur ein Liebhaber, der bedauerte, dass in seiner eigenen Erziehung kaum eine Spur von Archäologie vorkam, während sie nun, Mitte des 19. Jahrhunderts, in aller Munde war.15 Das Jahr 1923 brachte das vorläufige Ende der Lindenau’schen Lehranstalt. Die Inflation hatte das gesamte Stiftungsvermögen entwertet. Seit 1971 wird am LindenauMuseum an die große Tradition seiner Kunstschule mit dem Studio Bildende Kunst (seit 2022 studio im Lindenau-Museum) angeknüpft. Dank des von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien geförderten Projekts Lindenau21PLUS konnte die Kurspalette hier seit 2022 deutlich erweitert werden. So eröffneten neben dem bereits existierenden GRAFIKstudio und dem KERAMIKstudio nun auch die Holzwerkstatt studioLEONARDO, das studioDIGITAL mit Angeboten im Bereich Film, Fotografie und Sound und die Kinderkunstwerkstatt, das studioBAMBINI. mentare Förderung ausgerichtet. Und Lindenau warnte: »Nur möchte ich denen, die sich ausschließlich der Kunst widmen wollen, die Warnung zurufen; ihre Kräfte und ihr Talent, sorgsam zu prüfen, ehe der Beschlus [sic!] einer schönen-reizenden aber auch müh und dornenvollen Laufbahn gefaßt würde.«11 Leider sind aus der Frühzeit der Lindenau’schen Kunstschule keine sicher als Schülerarbeiten zu identifizierenden Stücke mehr erhalten, aus denen die Qualität des Unterrichts ablesbar wäre. Und auch die Organisation der Lehre liegt weitestgehend im Dunkeln. Es ist unwahrscheinlich, dass es wie beim Städel oder den Kunstakademien aufbauende Klassen oder gar eine eigene Meisterklasse gab. Durch die revolutionär aufgeheizten Jahre und Lindenaus Erfahrung als Politiker sollte seine Schule darüber hinaus auch erreichen, dass die Jugendzeit mit dem Streben nach Kunst und Wissenschaft ausgefüllt sein möge, nicht mit politischem Aktionismus.12 Bereits in seiner Zeit als Sächsischer Staatsminister in Dresden (1829–1843) sollte Lindenau sich wohltätig auf dem Feld der Kunstbildungsförderung beweisen können, mit der Reform der Akademie der Bildenden Künste, die er forcierte. Wie später bei seinem eigenen Projekt – dem Pohlhof – beschränkte sich Lindenau nicht darauf, die Finanzierung der Akademie umzustrukturieren, sondern fasste sogar den Lehr- und Stundenplan der Akademieschüler selbst ab.13 Trotz Ermangelung eines für den Pohlhof erhaltenen Lehrplans ist bei Lindenau, der übrigens die besten Schülerarbeiten selbst prämierte, durchaus davon auszugehen, dass er gleiches für seine eigene Kunstschule tat. In Dresden legte Lindenau den Schwerpunkt auf den Unterricht in der Abgusssammlung. Das ist ebenso für den Pohlhof wahrscheinlich, dessen Sammlungen von den Abgüssen dominiert wurden; inwieweit die Schüler des Pohlhofs wie die

55 1 Siehe Lindenau 1847, S. 933. 2 Titz-Matuszak 2000, S. 225. 3 Später war die Aufnahme in die Lehranstalt im Pohlhof für Schüler zu Ostern und zu Michaelis möglich; siehe Schuderow 1860, S. 468, und Herzoglich Sachsen-Altenburgisches Amts- und Nachrichtenblatt 14. 9. 1860, S. 1421. 4 Schülerinnen waren hingegen erst seit 1916 zum Unterricht zugelassen. Wodzicki 1998, S. 59. 5 Siehe Spira 2016; Mihai 2003. 6 Bis 1827 am Burgtor, dann bis 1834 in der Teichstraße, später in der Neugasse; siehe Voretzsch [1895], S. 9, 13 f. 7 Siehe ebd., S. 16. 8 Passavant 1820, S. 108f. 9 ReisingPohl 1982, S. 29. 10 LATh – StA Altenburg, Handschriften der GAGO, Nr. 824d, 538/575, Rede anlässlich der Prämierung der besten Schülerarbeiten; gedruckt bei Titz-Matuszak, Emig 2001, Nr. 171, S. 295f. 11 Ebd. 12 Siehe ebd.; siehe Titz-Matuszak 2000, S. 227. 13 Siehe ebd., S. 128. 14 Siehe ebd., S. 224. 15 LATh – StA Altenburg, Handschriften der GAGO, Nr. 824b, 303/857, B. A. von Lindenau an Dr. Schulz (Briefentwurf), Dresden.

Bildstrecke 1 Carl Friedrich Patzschke nach Carl Ferdinand Sprosse Der Pohlhof, um 1844

1848– 1876 2 Otto von Gersheim Lindenau‘sches Museum, Detail aus dem Blatt Erinnerung an Altenburg, um 1850

3 A. Otto Der Pohlhof mit neuem Mittelgebäude (Museum), um 1851

1848– 1876 4 Hedwig von Lindenau Der Pohlhof in Altenburg, 1875

78 Während s ich die übr i gen hi s tor i schen Samml ungen nahezu unveränder t im L indenau-Museum bef inden , s ind von den e ins t über 200 Gemä ldekopien nur noch weni ge St ücke vorhanden. Die vornehml ich im 19. Jahrhunder t ent - s t andenen Nachbi ldungen von Me i s ter werken der Rena i s sance bi s zum Barock w urden zu e inem g roßen Te i l selbs t von L indenau in Auf t rag gegeben. Zu e iner Ze i t , in der s ich die Fotog ra f ie ers t zu ent - w ickeln begann und Bi ldungs re i sen nur e inem k le inen Te i l der Bevöl ker ung vorbeha l ten waren , vermi t telten die Kopien den Museumsbesucher n und Ze ichenschü ler n e inen lebendi gen E indr uck von Kuns t ­ werken , die bi s heute a l s k anoni sch gel ten.

1848– 1876 m 12. November 1847 berichtete der Dresdner Maler Louis Castelli Bernhard August von Lindenau in einem Schreiben von der Fertigstellung einer Kopie nach Raffaels Sixtinischer Madonna: »Euer Excellenz! Habe ich die Ehre ergebenst anzuzeigen, daß ich nun die Rafaelische Copie glücklich vollendet habe [. . .].«1 Wann genau Lindenau die Nachbildung in Auftrag gegeben hat, ist nicht eindeutig überliefert. Gesichert ist jedoch, dass Castelli die Arbeit zwei Monate zuvor, im September 1847, offensichtlich nach längerer Wartezeit begonnen hatte. Vorher war der Platz vor dem Originalgemälde in der Galerie von einem anderen Maler besetzt gewesen, der sich »mit seiner Copie herum geplagt« hatte.2 Solche Wartezeiten waren nicht ungewöhnlich, da in fast jeder öffentlich zugänglichen Sammlung bei der Galerieleitung eine Kopiererlaubnis eingeholt und der Platz vor dem Original reserviert werden mussten. Gerade für die Arbeit vor besonders bedeutenden und beliebten Gemälden wie der Sixtinischen Madonna existierten zum Teil lange Wartelisten.3 Für Bernhard August von Lindenau kam die Fertigstellung der Kopie genau zur richtigen Zeit, denn im November 1847 hatte er den Altenburger Bürgern in einer Bekanntmachung mitgeteilt, dass er beabsichtigte, ein Museum mit angeschlossener Kunstschule zu gründen.4 Fester Bestandteil dieser Einrichtung sollte eine Kopiensammlung nach berühmten Meisterwerken der italienischen Renaissance bis hin zum Barock sein, die den Besuchern die Leistungen und Besonderheiten dieser Kunstepochen veranschaulichen sollte.5 Die Kopie der Sixtinischen Madonna von Louis Castelli war, wie die meisten Nachahmungen der Sammlung, im 19. Jahrhundert angefertigt und direkt von Lindenau beauftragt worden. Auch in anderen Punkten ist sie exemplarisch für viele Nachbildungen der Sammlung. So geben die meisten verifizierten Kopien ein Original von Raffael wieder und zeigen ein religiöses Sujet.6 Castellis Nachahmung der Sixtinischen Madonna ist als »treue« Kopie um eine größtmögliche Ähnlichkeit mit dem Original bemüht.7 Diese angestrebte Ähnlichkeit bezog sich im besten Fall nicht nur auf die Wiedergabe der Komposition, der Figuren und Details, sondern auch auf den Stil des nachzuahmenden Künstlers. Castelli, der viele Werke Raffaels auf einer Italienreise 1835 studieren konnte, gelang dies außerordentlich gut, was sich insbesondere in der Wiedergabe der feinen Gesichtszüge der Madonna und des Christuskindes erkennen lässt. Der augenfälligste Unterschied zwischen Kopie und Original ist die um circa ein Drittel verkleinerte Größe. Dieser Umstand lässt sich auf die Kopierordnung in Dresden zurückführen, die es strikt untersagte, Nachbildungen in Originalgröße anzufertigen.8 Dass Castellis Kopie der Sixtinischen Madonna heute im Lindenau-Museum Altenburg zu sehen ist, verdankt sie einigen glücklichen Fügungen. Denn wie die meisten Nachbildungen, die sich ehemals in der Sammlung befunden haben, wurde auch die Kopie der Sixtinischen Madonna 1968/69 in den Kunsthandel gegeben.9 Von den fast 200 Nachahmungen,10 die auf diesemWege die Sammlung verließen, sind die Louis Castelli, Sixtinische Madonna nach Raffael, 1847 Ilka Voermann A

1848– 1876 81 meisten bis heute verschollen. Die Kopie der Sixtinischen Madonna konnte 2014 gemeinsam mit einer weiteren Nachbildung zurückerworben werden. Wie die Altenburger Kopien wurden viele Nachahmungen, die sich im 19. Jahrhundert in fürstlichen und privaten Sammlungen befanden, im 20. Jahrhundert für nicht museumswürdig befunden und veräußert.11 Mit dem Verkauf der Kopien ging in vielen Fällen nicht nur ein Stück Kunst- und Kulturgeschichte, sondern auch ein wichtiger Teil der Sammlungsgeschichte verloren. Bei der Sammlung von Bernhard August von Lindenau wiegt dies besonders schwer, da die Kopien von Beginn an einen festen Platz in seinem Sammlungs- und Museumskonzept hatten. 1 Mein herzlicher Dank gilt Sarah Kinzel für die Bereitstellung der Korrespondenz zwischen Castelli und Lindenau. LATh – StA Altenburg, Handschriften der GAGO, Nr. 824a, 294/318, L. Castelli an B. A. von Lindenau, Dresden, 12. 11. 1847. 2 LATh – StA Altenburg, Handschriften der GAGO, Nr. 824c, 33/330, L. Castelli an B. A. von Lindenau, Dresden, 19. 9. 1847. 3 Zu den Bedingungen des Kopierens an deutschen Galerien siehe insbesondere Strittmatter 1998; zur Rezeption des Gemäldes siehe Maaz 2012, insbesondere S. 87. 4 Penndorf 2006, S. 122– 138. 5 Zur Intention von Lindenaus Museumsgründung siehe Kinzel 2015, S. 131–139. 6 Ebd., S. 55, 63. 7 Zum Begriff der »treuen« Kopie siehe Heisterberg, Müller-Bechtel 2018. 8 Strittmatter 1998, S. 102–104. 9 Von den fast 200 Kopien waren nur sechs in der Sammlung verblieben. Zum Verkauf und Wiedererwerb der Kopien siehe Nauhaus 2015. 10 Nur 119 davon wurden erwiesenermaßen von Lindenau selbst angekauft, die übrigen gelangten möglicherweise erst später in die Sammlung; siehe Kinzel 2015, S. 54f. 11 Siehe Voermann 2012, S. 159. 1 Louis Castelli Sixtinische Madonna nach Raffael, 1847 Öl auf Leinwand, 160× 118 cm Lindenau-Museum Altenburg, Inv.-Nr. 6045 √

Bernhard August von Lindenau. Worte und Bekenntnisse Ingeborg Titz-Matuszak Obwohl Bernhard August von Lindenau bestimmt hatte, private Tagebuchaufzeichnungen und Schriftstücke nach seinem Ableben vernichten zu lassen, hat sich doch eine Vielzahl von Briefen und Aufzeichnungen erhalten. Sie erlauben es uns, den Erwerb der zahlreichen Kunstwerke und ihre erste öffentliche Präsentation im Museumsbau auf dem Pohlhof aus dem Blickwinkel des Sammlers nachzuverfolgen. »Den damit von mir beabsichtigten Zweck spricht die Aufschrift des neuen Pohlhofsgebäudes in den Worten aus: ›Der Jugend zur Belehrung, Dem Alter zur Erholung‹, die ich mit der Bemerkung zu vervollständigen habe, daß Erstes Haupt-, Letzteres Nebensache ist!«2 Die große Kunstreise nach Italien und Frankreich von Oktober 1843 bis Mai 1844 Nur wenige Wochen, nachdem er im September 1843 aus dem sächsischen Staatsdienst ausgeschieden war, brach Bernhard August von Lindenau zu einer Reise auf, die ihn über Frankreich nach Italien führte und auf der er mehrere altitalienische Tafelbilder, griechische und etruskische Keramiken, Gipsabgüsse, Korkmodelle antiker Bauwerke und Gemäldekopien sowie Kunstliteratur bestellte beziehungsweise erwarb. Die Sammlung, die er in den Folgejahren stetig ausbaute, wurde ab 1848 in einem am väterlichen Pohlhof errichteten Museumsbau der Öffentlichkeit präsentiert. »Se i tdem ich den St aat sdiens t ver la s sen u . in da s P r i vat leben zur ück get reten bin , habe ich mich vorzugswe i se mi t Kuns t und W i s senscha f t u . mi t dem Zusammenbr ingen e iner darauf bezüg l ichen Samml ung be schä f t i g t , die ich a l s me in Andenken me iner Vaters t adt zu h inter la s sen gedenke.«1 Ber nhard Aug us t von L i ndenau , 1854

91 Diese große Kunstreise von Oktober 1843 bis zum Mai 1844 findet einen reichhaltigen Nachklang in seiner Korrespondenz. Erhalten sind jeweils Bernhard August von Lindenaus Briefentwürfe und die originalen Antworten seiner Partner. Es geht um die georderten Objekte, auf deren Ankunft er sehnsüchtig wartete, aber auch um den Transport und die Kosten. Wichtige Kontaktpersonen waren Munizipialrat Heinrich Mylius in Mailand, Emil Braun in Rom, Generalkonsul Just in Neapel sowie der Gipsmodelleur François-Henri Jacquet in Paris, die selbstlos alle Aufträge in Bernhard August von Lindenaus Sinne zu realisieren bemüht waren. Sie gaben sachkundige Ratschläge, beaufsichtigten die Kopisten vor Ort und regelten die Kosten und Abrechnungen, wobei die zu zahlenden Preise das von Bernhard August von Lindenau festgelegte Limit nie übersteigen durften. Bernhard August von Lindenau an Emil Braun, Rom, [Altenburg,] 16. Mai 1844 »Ich bitte über mein Handeln und Knausern nicht unmutig zu werden, allein, da ich bei beschränkten Mitteln, gern viel acquiriren möchte, so muß ich überall nach den wohlfeilsten Preisen trachten, – worinnen ich von Ihnen treulich unterstützt worden bin.«3 Probleme beim Transport nach Altenburg War der Erwerb eines Kunstwerks besiegelt, galt es, seinen Transport zu organisieren, was sich oftmals als ein ebenso kostenintensives und zugleich risikoreiches Unterfangen erwies wie der Ankauf selbst. Gemälde, Gipsabgüsse und antike Artefakte aus Italien oder Frankreich reisten auf dem Land- oder Seeweg nach Altenburg. Auf dem Schiff waren die Kunstwerke zwar geringeren Erschütterungen ausgesetzt, sie liefen jedoch auch Gefahr, durch eindringende Feuchtigkeit Schaden zu nehmen. Bei der Beförderung über Land fürchtete Bernhard August von Lindenau vor allem die unsachgemäße Öffnung der Kisten durch Zollbeamte. Bernhard August von Lindenau an Heinrich Mylius in Mailand, [Altenburg,] 7. Juli 1845 »Von dem Schicksal des russischen Schiffes, was mir 13 alt italienische Bilder, drei Copien, 10 Gypsstatuen u. einige große Kunstwerke, bringen sollte, bin ich leider seit drei Monaten ohne Nachricht, so daß ich den Verlust dieser seltenen u. wertvollen Gegenstände, wahrscheinlich zu bedauern haben werde.«4 Bernhard August von Lindenau an Emil Braun in Rom, [Altenburg,] 8. November 1845 / Emil Braun an Bernhard August von Lindenau in Altenburg, Rom, 29. November 1845 »Die bereits im vorigen Sommer von Livorno abgegangenen 7 Kisten [. . .] sind endlich hier angekommen; nur von den Bildern kann ich gut sagen; [. . .] Allein von den 11 Statuen, war mit Ausnahme der Untertheile der Capitolinischen Venus, alles beschädigt u. einige Musen so bedeutend, daß deren Herstellung zweifelhaft ist.«5 – Die Gipse mussten aber doch nicht unter Verlust gebucht werden, denn es bewahrheitete sich, was Emil Braun tröstend antwortete: »Gebrochener Gyps macht übrigens manchmal größeren Schrecken als recht ist und sobald die Stücke nicht in Staub zerrieben sind, läßt sich alles wieder herstellen.«6 Bernhard August von Lindenau an Notz und Compagnie, Generalkonsulat der Schweiz in Genua, [Altenburg,] 27. November 1845 »Ew. Wohlgebohren wollen mir die nachfolgende Bitte gütigst verzeihen: sie wird veranlaßt durch die mir so eben vom Hn. General-Consul Just aus Neapel zukommende Anzeige, daß eine für mich bestimmte Kiste mit Gemälde Copien u. ein paar Büchern, an Ew. Wohlgebohren zur Weiterbeförderung an mich abgegangen ist: meine desfallsige Bitte ist nun eine doppelte 1. wenn möglich dahin zu wirken, daß diese Kiste vor Genua bis an die deutsche Zollgrenze nicht geöffnet werden möge; u. 2. mir gefälligst den Punkte anzuzeigen, wo selbige die fragliche Grenze erreicht, um dann von hier aus die nöthigen Schritte thun zu können, damit die Kiste nicht dort sondern erst auf hiesigen Pohlhof eröffnet wird.«7 Bernhard August von Lindenau an Heinrich Mylius in Mailand, [Altenburg,] 30. April 1846 »Daß ich die vier Mailänder Copien nicht einzeln, sondern zusammen zu erhalten wünschte, zeigte bereits mein letzter Brief an, u. ich freue mich die schöne Madonna bereits in Ihrer Hand zu wissen. Mit der Absendung über Lindau bin ich vollkommen einverstanden, da meine Besorgnis, wegen der Behandlung auf den Douanen, sich völlig erledigt findet, wenn die Kiste bis Lindau nicht eröffnet wird. Denn dort wird selbige plombiert nach dem hiesigen Pohlhof uneröffnet abgesendet werden u. somit in der ursprünglichen Mailänder Verpackung hierher gelangen, u. mir die Freude werden,

92 die guten Copien, schönen Gemählde, unbeschädigt zu erhalten. Ganz gleichartig gieng in den letzten Tagen eine Sendung aus Florenz bei mir ein; diesmal auch ziemlich wohlfeil; die Kiste hatte beinahe 1 Metre im Quadrat, wog 62 Kilogr. u. kostete 23 rt. [Reichstaler, I. T.-M.]«8 Bernhard August von Lindenau an die Spedition Müller et Kessler in Hamburg, [Altenburg,] 28. November 1846 »2. Sind die Kisten äußerlich gut conditionirt, so bitte ich deren Eröffnung zu unterlassen, da diese bei einem zerbrechlichen Inhalt weder vorliegend ist, allemal Gefahr des Zerbrechens mit sich führt; dagegen bitte ich, den cubischen Inhalt prüfen zu lassen, da die accordirte Summe, nur dann vollständig zu zahlen ist, wenn letzterer mit dem Connoisement [Frachtbrief, I. T.-M.] genau übereinstimmt [. . .]. 3. Wegen Nicht-Eröffnung der Kisten an der preußischen Elb-Zoll-Grenze ist das Erforderliche besorgt worden; 4. Bei der Absendung der Kisten, auf einem Segelschiff an das angegebene Haus in Magdeburg ist die größte Vorsicht der Behandlung zu empfehlen; sollte Frost eintreten, oder das Einfrieren des Schiffes zu befürchten seyn, so bitte ich alle 22 Kisten auf trockenem Lager zu behalten u. erst im Frühjahr abzusenden [. . .]. Für den Ausdruck Ihres freundlichen Antheils, an meiner Wiedergenesung und für die Zusendung eines Fässchen Austern, sage ich meinen verbindlichsten Dank, bitte jedoch letztere nicht zu wiederholen, da ich eigenthümlicher Weise diese Delicatesse nicht esse.«9 1 Valentin Schertle Bernhard August von Lindenau, 1848

93 Bernhard August von Lindenau an den Spediteur H. W. Wünning in Leipzig, [Altenburg,] 29. November 1846 »[. . .] nach einer mir vor wenig Tagen von den Herrn Müller et Kessler aus Hamburg zugegangenen Mittheilung sind die aus Rom erwarteten 22 Kisten (3–350 Cent. Gewicht) in Hamburg angekommen u. werden in diesen Tagen mit Segelschiff nach Magdeburg an Hn. Neubauer u. Porse abgehen, für Benachrichtigung des gedachten Hauses u. dafür gefälligst Sorge tragen zu wollen; 1. Daß diese Kisten, deren Inhalt in Gyps-Abgüssen von Antiken bestehend, ein sehr zerbrechlicher ist, mit größter Sorgfalt behandelt, u. 2. nach deren Ankunft in Magdeburg, sofort per Eisenbahn nach Leipzig u. von da hierher abgesendet werden mögen.«10 Bernhard August von Lindenau an die Spedition Müller et Kessler in Hamburg, [Altenburg,] 10. Dezember 1846 »[. . .] gewis ist es gut, daß die Kisten beim jetzigen Frost nicht abgegangen sind, sondern bis zur Wiedereröffnung der Schiffahrt in Hamburg lagern. Sollte sich jedoch eine recht wohlfeile Landfracht nach Hannover (ohne Umladung) vorfinden u. die Kisten von da bis hierher auf der Eisenbahn gehen können, so würde dieser Weg einzuschlagen u. darüber eine Mittheilung bitten, um dann wegen der Grenzvisitation in Hannover u. Preußen, das Erforderliche einzuleiten sein.«11 Bernhard August von Lindenau an den Generalkonsul Carl Just in Neapel, [Altenburg,] 29. Januar 1847 »Wenn ich Ew. Hochwohlgebohren verehrte Zuschrift vom 22. Octobr. 46 erst heute beantworte, so bitte ich dies theils mit einer langen u. schweren Krankheit, theils damit geneigtest zu Neapel abgesandten drei Kisten abwarten wollte, zu entschuldigen, um über deren Beschaffenheit Anzeige machen zu können. Allein erst gestern ist diese Ankunft erfolget u. heute Morgen die Kisten ausgepackt worden: äußerlich kamen alle drei emballirt u. in gutem Zustand hier an; Nro. 20 u. 22 (Bilder, Bücher u. Delphin) auch kleine Gypsabgüsse, fast durchgängig, vieles in Stücke zerbrochen. Doch macht ein jetzt bei mir arbeitender geschickter Gypsformer Hoffnung die Mehrzahl der Stücke wieder herstellen zu können.«12 Die Sammlung altitalienischer Tafelbilder Bernhard August von Lindenaus Sammlung »alt italienischer Original-Gemälde« besteht aus 180 Tafelbildern namhafter Künstler des 13. bis 15. Jahrhunderts.13 Obgleich der Schwerpunkt auf der Sienesischen und der Florentiner Schule liegt, wird dieser Bestand um zahlreiche Vertreter anderer Regionen Mittel- und Oberitaliens ergänzt. Aus Bernhard August von Lindenaus sparsamen schriftlichen Äußerungen zu Qualität und Stil der Bilder, die inmitten der umso umfangreicheren erwerbungspraktischen Erörterungen leicht übersehen werden können, sprechen ein geschultes Auge sowie eine für einen Autodidakten erstaunliche Kenntnis der italienischen Kunstlandschaften. Bernhard August von Lindenau an Emil Braun, unter Couverte an Prof. Welcker in Bonn, [Altenburg,] 16. Juni 1844 »Ueber die Erwerbung der Fiesole’s, der 14 alten italienischen Bilder, freue ich mich, da meine kleine Sammlung damit eine sehr wertvolle Bereicherung erhält.«14 Bernhard August von Lindenau an Emil Braun in Rom, [Altenburg,] 3. August 1845 »Die in Ihrem Brief näher specificirten 12 alten italienischen Bilder, wünsche ich wohl zu acquiriren, da sich darunter einige mir noch fehlende Namen befinden, allein freilich mit merklicher Reduction der dafür gemachten Forderung: meine desfallsige Rechnung ist folgende; von Ihnen kaufte ich im vorigen Jahr für 700 Scudi 26 alte Gemälde, unter denen mehrere sehr schöne – Duccio, Giotto, Signorelli – befindlich; auf dieser Basis stehend, biete ich für die jetzt angebotenen 12 Bilder, 350 Sc. u. werde mich lebhaft freuen, wenn damit eine neue Bereicherung meiner kleinen Sammlung gelingt. Der kleine Mantegna ist gut u. wohlbehalten bei mir angelangt; es ist ein sehr schönes Bild, möge es von Mantegna seyn oder nicht, meine Erinnerung des in Florenz u. Bologna von diesem Künstler Gesehenes, hat eine etwas andere Erinnerung seines Styls in mir zurück gelassen. Die nicht ganz 3 rt. betragenden Transportkosten von Verona hierher – sind mäßig.«15 Bernhard August von Lindenau an Ludwig Ritter in Berlin, [Altenburg,] 6. Mai 1846 »Da meine Sammlung alt italienischer Original-Gemälde sich auf Meister des 13., 14., 15. Jahrhundert beschränkt u. ich von Antonio Solario bereits drei Apostel besitze, so würden allenfals für meinen Zweck, die schon in das 16. Jahrh. übergehenden beiden Meister Andrea da Salerno u. Vincenzo da Palermo geeignet seyn. Ich werde im Lauf dieses Sommers Berlin besuchen u. behalte es mir vor Ihre Gallerie in Augenschein zu nehmen.«16

Das Staatliche Lindenau-Museum in der Weimarer Republik

151 1918–1933 Steven Ritter it dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde das Jahr 1918 nicht nur zum Umbruchsjahr der deutschen Geschichte, sondern auch der Weltgeschichte. Der Konflikt mehrerer Großmächte, der sich über weite Teile des europäischen Kontinents erstreckte, forderte Millionen Menschenleben und sorgte zugleich für tiefgreifende gesellschaftliche Umwälzungen. Das Deutsche Kaiserreich existierte nicht mehr, an seine Stelle trat die erste parlamentarische Demokratie der deutschen Geschichte: die Weimarer Republik. Doch ihre Voraussetzungen waren schwierig: Politische Angriffe von links wie rechts paarten sich spätestens seit der Weltwirtschaftskrise mit zunehmender sozialer Not. Zugleich steht die Weimarer Republik für eine Blüte in Kunst und Kultur, die heute vor allem unter dem Begriff der Goldenen Zwanziger firmiert – einer relativ stabilen Periode von Mitte bis Ende der 1920er Jahre. Hinsichtlich der deutschen Museumslandschaft dieser Zeit stellte der Kunsthistoriker Otto Homburger fest: »Ein frischer Luftzug durchdringt die Räume. Die an manchen Orten ein vergilbtes Aussehen angenommen hatten. Vergleichbar einem Netz, dessen Maschen sich täglich verengen, bedeckt ein System großer, kleiner und kleinster Museen das Land, überall Stätten schaffend, wo [. . .] ästhetisches Genießen einer alle Zeiten vertretenden Formenwelt, Stunden der Befestigung, der Sammlung gewährt.«1 Doch konnte auch das Lindenau-Museum mehr als 70 Jahre nach seiner Gründung im Jahr 1848 noch die Versprechen von ästhetischem Genuss, einer alle Zeiten umfassenden Formenwelt und den »Stunden der Befestigung« einlösen? Dass sich das Lindenau-Museum, das seit 1912 ehrenamtlich von Albrecht von der Gabelentz geleitet wurde,2 in einer neuen Zeit wiederfand, zeigte sich bereits 1919: Aus dem Herzoglichen Sachsen-AltenburgischenMuseum wird das Staatliche Lindenau-Museum.3 Und obschon sich das Museum im ersten Jahr nach dem Krieg unter neuem Namen präsentierte, wurde es im gleichen Jahr durch einen Vorschlag des Kunstvereins zu Altenburg von der Vergangenheit eingeholt: Der Verein griff die Idee eines Denkmals zu Ehren Bernhard August von Lindenaus aus den 1890er Jahren wieder auf (Abb. 1). In einem Brief an das Gesamtministerium des Freistaates Sachsen-Altenburg bat der Vorstand um Genehmigung und Förderung des Denkmals. Ein beigefügter Entwurf sah eine Bronzebüste auf der Balustrade der Rotunde der Museumstreppe vor. Dass es letztlich nicht zur Ausführung des Projekts kam, ist auf die leere Staatskasse zurückzuführen, wie in der Berichterstattung zur entsprechenden Abstimmung in der Landesversammlung zu lesen war.4 Nicht ohne ironischen Unterton hieß es bereits kurz darauf in der Tagespresse: »Der Entwurf ist schon fertig und nicht viel hätte gefehlt, da wäre das Geld bewilligt worden, und die Vorlage wurde ausgeführt. Warum schreibt man in diesem, wie auch in anderen Fällen keinen Wettbewerb aus, und läßt die eingegangenen Arbeiten von berufenen Künstlern prüfen? Außer einem Kunstmaler hat das Land sicher auch Architekten und Bildhauer auszuweisen, die ein solches Denkmal schaffen können. Außerdem ist es ungerecht, wenn derartige Angelegenheiten immer im kleinen und kleinsten Kreise fertig gemacht werden. Hat man mit der Ausmalung des Treppenhauses im Museum noch nicht genug Erfahrung gesammelt? Die kostet schon Tausende und wird wohl nie beendet. Oder vielleicht durch einen Anstreicher?«5 Damit rekurrierte der Redakteur zugleich auf eine weitere künstlerische Veränderung des Hauses, die sich in den folgenden Jahren allerdings in den Innenräumen des Museums abspielen sollte: der Umgestaltung des Treppenhauses durch den Maler Ernst Müller-Gräfe (1879–1954). Dieser begann 1914 mit der Gestaltung des Treppenhauses. Aufgrund der Einberufung zum Militärdienst vollendete er sein Werk jedoch erst in den Jahren 1919 bis 19216 unter anderen künstlerischen, nun expressionistischen Gesichtspunkten. So hielt der mit dem Lindenau-Museum eng verbundene Maler Alfred Ahner (1890–1973) in seinen Tagebuchaufzeichnungen fest: »Nach dem Kriege [. . .] erlebe ich, wie er die rein impressionistisch gemalten, schon fertig u. sehr schönen Wandbilder [. . .] wieder abkratzte und sie, um in der [. . .] expressionistischen Periode zu gefallen, neu / malte. / Es ist dies so recht bezeichnend für den Kultursinn der Neuzeit – Nur um des äußeren Stils willen, vernichtet ein Maler sein Werk selbst [. . .].«7 M

153 Ernst Müller-Gräfe war einer der bekanntesten Künstler der Region um Altenburg. Mehrere Ankäufe durch das Lindenau-Museum in den Jahren 1920 und 1922 zeugen von seiner Popularität und zählen zugleich zu den namhaftesten Neuzugängen während der Zeit der Weimarer Republik. Ergänzt wurden sie lediglich durch den Ankauf von elf Abgüssen mittelalterlicher Skulpturen (1921), dem Ankauf des Gemäldes Wintertag von Lonny von Plänckner (1925), der Schenkung eines Bronzeabgusses von Bernhard August von Lindenau (nach David d’Angers) durch Fritz von Lindenau (1927) und dem Ankauf der Gipsfigur Die Badende von Erich Dietz (1931), die im Jahr 1934 gegen die Figur Weiblicher Akt des Künstlers eingetauscht wurde. 1939 schenkte Dietz Die Badende dem Museum zurück.8 Zwei weitere Zugänge aus dieser Zeit verließen die Sammlung kurz darauf wieder: Das 1919 durch den früheren Herzog Ernst II. geschenkte Gemälde Der Heiland und St. Johannis als Kinder von Lucas Cranach d. J. wurde 1946 von der sowjetischen Kommandantur abgeholt und nicht wieder zurückgegeben. Zwei 1925 angekaufte spätgotische Altarfragmente gingen zudem 1946 in die Sammlung des Schlossmuseums über.9 Die sehr geringe Anzahl an Zugängen in der Sammlung ist wohl vor allem auf die schwierige Finanzlage jener Jahre zurückzuführen. Um finanzielle Mittel zur Erweiterung der Sammlung zu akquirieren, wurde durch Albrecht von der Gabelentz auch der Verkauf beziehungsweise Tausch einzelner Sammlungsbestandteile in Betracht gezogen. Neben chinesischen Porzellantellern aus dem Bestand der Rüst- und Antiquitätenkammer und goldenen Medaillen10 war auch die Veräußerung der numismatischen Bestände des Lindenau-Museums beabsichtigt. Sie sollten 1928 gegen eine Auswahl von Abgüssen deutscher Plastik eingetauscht werden.11 Obschon ein Gutachten über den Wert der Sammlung angefertigt wurde und sich ein Berliner Händler interessiert am Erwerb der Münzen zeigte, wurde der Verkauf jedoch aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage zurückgestellt.12 Weitaus kontroverser gestaltete sich der geplante Verkauf von Fra Angelicos Tafelgemälde Die Feuerprobe des heiligen Franziskus vor dem Sultan (Abb. 2), ging es hier doch um ein Werk aus dem Kernbestand des Lindenau-Museums. Argumentiert wurde, dass dies als Voraussetzung für neue Ankäufe letztlich der Absicht des Stifters, Bernhard August von Lindenaus, entspräche.13 Die Zinsen aus dem kolportierten Verkaufserlös von 100 000 Reichsmark sollten für den Ankauf moderner Kunst aufgewendet werden. In Bezug auf mögliche Neuerwerbungen schrieb Gabelentz: »Wenn ein Museum aber lebendig bleiben will, braucht es auch einen neuen Blutstrom in seinen Adern!«14 Schließlich sprach sich im Dezember des Jahres 1930 Regierungsrat Emil Herfurth gegen einen Verkauf des Gemäldes aus, der sodann auch nicht realisiert wurde.15 Das Werk befindet sich noch heute in der Sammlung des Museums und ist eines der gefragtesten Gemälde. Dennoch musste sich das Lindenau-Museum 1930 des Vorwurfs erwehren, Teile der Sammlung italienischer Tafelmalerei in größerem Umfang zu verkaufen. So schrieb die Altenburger Landeszeitung Anfang November 1930 unter dem Titel Gefahr für das Altenburger Museum von möglichen Verkäufen zahlreicher italienischer Tafelgemälde. Albrecht von der Gabelentz sah sich deshalb veranlasst, in einem Brief an die Redaktion klarzustellen, dass der Bestand des Lindenau-Museums entsprechend den Testamentsbestimmungen Lindenaus nicht angetastet würde.16 1 Otto Pech Beitrag zu einem Wettbewerb für die Errichtung eines LindenauDenkmals an der Eingangstreppe des Museums, 1919 2 Fra Angelico Feuerprobe des heiligen Franziskus von Assisi vor dem Sultan, um 1429 √

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