Leseprobe

K Ü N S T L E R I N N E N V O M 1 6 . B I S Z U M 1 8 . J A H R H U N D E R T

K Ü N S T L E R I N N E N V O M 1 6 . B I S Z U M 1 8 . J A H R H U N D E R T HERAUSGEGEBEN VON DEN STAATL I CHEN KUNSTSAMMLUNGEN DRESDEN STEPHAN KOJA · I R I S Y VONNE WAGNER SANDSTE I N

inhalt STEPHAN KOJA Vorwort I R I S Y VONNE WAGNER Marietta Robusti. La Tintoretta AO I FE BRADY Lavinia Fontana. Regelbrecherin und Wegbereiterin STEFF I BODECHTEL Die Heilige Familie von Lavinia Fontana. Aspekte zur Darstellung, Maltechnik und Restaurierung LAR I SSA MOHR »Diana Mantuana Incidit«. Die Kupferstecherin Diana Scultori ANDREAS PLACK I NGER »Weibliche Antike« als künstlerische Strategie bei Angelika Kauffmann ANNA SEXTON Pastellmalerei in Dresden. Von Rosalba Carriera bis Theresa Concordia Mengs KATALOG Grafik und Zeichnungen Objekte Literatur Impressum | Bildnachweis 6 9 25 43 59 77 99 107 132 135 136 144

marietta robusti La Tintoretta I R I S Y VONNE WAGNER

Wenig weiß die Kunsthistoriografie über Marietta Robusti, Tochter des berühmten venezianischen Malers Jacopo Robusti, genannt Tintoretto (1518–1594), zu berichten. Stets zitiert wird als zeitgenössische Quelle die kunsttheoretische Schrift Il Riposo von Raffaello Borghini (1537–1588), der einen kurzen Abschnitt über Marietta verfasste.1 Darin lobte er topoihaft nicht nur ihre Schönheit sowie ihr musikalisches und künstlerisches Talent, sondern berichtete auch von einem Porträt Jacopo Stradas (1507–1588), des Antiquars von Kaiser Maximilian II., und von der Künstlerin selbst, das der Kaiser als etwas Seltenes in seiner Kammer aufbewahre. Obgleich der Kaiser, der König Philipp von Spanien und Erzherzog Ferdinand diese exzellente Künstlerin an ihre Höfe holen wollten, gestattete dies ihr Vater nicht. Sie sei, so Borghini, etwa 28 Jahre alt und male, aber da er keine weiteren Informationen über ihr Œuvre habe, fahre er nicht fort, über sie zu schreiben. Ihr späterer Biograf Carlo Ridolfi (1594–1658) weiß in seinen Maraviglie dell’arte kaum mehr zu berichten als Borghini, an demer sich orientierte.2 Er ergänzte, dass Tintoretto seine Tochter im Malen und Zeichnen unterrichtete und sie überall hin mitnahm, wofür sie sich wie ein Junge gekleidet habe. Sie sei eine gute Porträtistin gewesen und schuf neben zahlreichen Bildnissen venezianischer Adliger eines von Marco de’ Vescovi (mit langem Bart) und seinem Sohn Pietro. Darüber hinaus erfahren wir, dass Marietta mit dem Goldschmied Marco Augusta verheiratet wurde und viele Bildnisse von Freunden ihres Mannes anfertigte, die größtenteils verloren sind. Sie sei im Jahr 1590 mit 30 Jahren gestorben und in der KircheMadonna dell’Orto beigesetzt worden. Aufgrund der raren Quellenmit divergierenden Angaben über Marietta Robusti ist sich die Forschung bis heute weder über die Lebensdaten noch über ihr Œuvre einig – sofern man überhaupt davon sprechen kann. DI E UNEHEL ICHE TOCHTER Ein späterer, aber wichtiger Hinweis, den die Biografien verschweigen, findet sich in der Genealogia della Casa Tintoretto von 1682.3 Dort heißt es, Marietta sei die Tochter Jacopos und einer deutschen Frau gewesen, die der Künstler sehr liebte. Er habe Mutter und Tochter in der Darstellung einer Frau mit einem Mädchen an der Hand auf einem Gemälde für die Kirche Madonna dell’Orto verewigt.4 Obwohl die Quelle von der Forschung kritisch rezipiert wird, verdient der Hinweis auf dieses Gemälde Beachtung. Denn Madonna dell’Orto war die Pfarrkirche des Viertels Cannaregio in Venedig, in das Tintoretto 1547 zog, und mit der er auch geschäftliche Beziehungen pflegte. 1551 unterzeichnete er den Vertrag, für die beiden Orgelflügel der Kirche ein Gemälde vom Tempelgang Mariens zu schaffen.5 Es wurde erst 1556 vollendet, denn in diesem Jahr erhielt Tintoretto die letzte Zahlung.6 Um 1560 entstanden zwei weitere großformatigeWerke mit der Anbetung des Goldenen Kalbes und des Jüngsten Gerichts. Zwischen Ende 1559 und Anfang 1560 heiratete Jacopo die aus angesehener venezianischer Familie stammende √ Detail aus Abb. 1

11 Faustina de’ Vescovi (auch Episcopi). Aus dieser Ehe gingen mehrere Kinder hervor, von denen Domenico (geb. 1560), Marco (geb. 1562) sowie Gierolima, Zuan Battista, Lucrezia, Ottavia, Laura, Altura (auch genannt Ottavia) und Perina das Erwachsenenalter erreichten. Seine Söhne Domenico undMarco bildete Jacopo ebenfalls als Künstler aus, beide arbeiteten mit Marietta in der Werkstatt des Vaters. Marietta stammte demnach aus einer außerehelichen Beziehung des jungen Künstlers. Dies könnte erklären, warum ihr Geburtsdatumunbekannt ist. In der Literatur finden sich Angaben von 1550,7 1552,8 1554,9 155610 und 1560.11 Tatsächlich gibt es Anhaltspunkte, die für eine frühere Datierung des Geburtsjahrs sprechen. Einer wäre das erwähnte Gemälde inMadonna dell’Orto, auf demTintoretto laut der Genealogia seine Tochter mit ihrer Mutter dargestellt habe (Abb. 1). Sowohl die Frau, die an der unteren Treppenstufe lehnt und ein Mädchen umarmt, das auf ihrem Abb. 1 JACOPO ROBUST I , GEN. T INTORET TO Der Tempelgang Mariens, 1551/1556 Öl auf Leinwand, 429×480 cm Venedig, Madonna dell’Orto

12 Abb. 2 MAR I ET TA ROBUST I Studie einer Büste des Vitellius (verso) um 1564, Zeichenkohle, weiß gehöht, auf blauem Papier, 390× 280 mm Privatsammlung Kat. 22 Pseudo-Vitellius (Abguss eines Marmorkopfes in Genua), Gips, H: 37 cm, B: 25 cm, T: 28,5 cm, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Skulpturensammlung bis 1800, Inv.-Nr. ASN 1987 Schoß liegt und sie anschaut, als auch die in Rückenansicht wiedergegebene Frau, die mit einemMädchen links von ihr auf die Treppe zuschreitet, kämen hier infrage. Aufgrund der Größe und Proportionen beider dargestellten Mädchen ist ihr Alter auf vier oder fünf Jahre zu schätzen. Da das Gemälde spätestens 1556 fertiggestellt wurde, müsste Marietta, wenn sie das Modell war, zumindest 1552 geboren worden sein.12 Wenn Tintoretto die Figurenstudien schon früher anfertigte oder das Werk doch 1553 vollendete, wie von Pallucchini und Rossi vorgeschlagen, wäre sogar ein noch früheres Geburtsdatum denkbar.13 Das ist für die Frage der Urheberschaft von Werken aus Tintorettos Atelier von Bedeutung. Zuschreibungen an Marietta gestalten sich auch deshalb schwierig, weil sie den Stil ihres Vaters adaptierte, ebenso wie ihr Bruder Domenico, demweder Borghini noch Ridolfi eine eigene Biografie widmeten.14 Das Ziel einer erfolgreichenWerkstatt wie jener Tintorettos war es, dass die Gemälde die Handschrift des Meisters trugen, nicht, dass mitarbeitende Familienmitglieder einen individuellen Stil pflegten oder gar die Werke signierten.15 Dennoch gab und gibt es immer wieder Versuche, ausgehend von den raren biografischen Notizen aufgrund stilistischer Besonderheiten oder einer Signatur Marietta Werke zuzuordnen.16 Immerhin war sie rund 20 Jahre in der Werkstatt Tintorettos aktiv undmuss eine Vielzahl an Gemälden geschaffen oder daran mitgewirkt haben.

13 S IGNI ERTE WERKE Bislang gibt es zwei Werke, die ihr aufgrund einer Signatur zugeschrieben werden. Zum einen ist dies eine Zeichnung auf einem Blatt, das 2021 bei Christie’s auktioniert wurde.17 Verso befindet sich blattfüllend ein männlicher Kopf in Untersicht, ausgeführt in schwarzer und weißer Kreide, mit der Inschrift »Questa testa/ si è di ma[no] de/ madona marietta« (Abb. 2). Die Umrisslinien des Kopfes sowie der wichtigen Partien sind in schwarzer Kreide erfasst. Die Linienführung ist locker und zeigt eine sichere, wenn auch noch übende Hand. Wenige Höhungen in weißer Kreide dienen zur plastischenModellierung des Kopfes. Auf Schraffierungen oder eine weitere Ausformulierung von Augenpartie, Nase und Mund verzichtete die junge Künstlerin. Sie begnügte sich damit, die charakteristischen Elemente mit nur wenigen Linien wiederzugeben. Die auffällige Signatur in der Halspartie zeugt von ihrem Selbstbewusstsein oder vom Stolz ihres Vaters, folgt man der These, die Zeilen stammen von seiner Hand.18 Die Vorlage für Mariettas frühe Zeichnung war der Abguss eines Marmorkopfs, der als Teilimitation einer berühmten Büste aus hadrianischer Zeit, des vermeintlichen Vitellius aus der Sammlung Grimani, angefertigt wurde (Kat. 22). Die Büste des Grimani Vitellius war ab 1525 in der Sala delle teste im Dogenpalast in Venedig aufgestellt, wo Interessierte sie studieren und Abgüsse anfertigen konnten.19 Tintoretto besaß einen solchen Abguss des Vitellius in seiner Werkstatt. Er ist imTestament seines Sohnes Domenico aus dem Jahr 1630 erwähnt.20 Aus der Werkstatt Tintorettos sind rund 25 Zeichnungen nach diesem Gipsabguss überliefert, was seine Bedeutung sowohl für die künstlerische Ausbildung als auch als Modell bezeugt, das Tintoretto selbst immer wieder zeichnete und für Kompositionen nutzte (Abb. 3).21 Das zweite signierte Werk, dessen Zuschreibung an Marietta in der Forschung angezweifelt wird, ist das Doppelbildnis eines älteren Herrn mit langem Bart und eines Jungen (Abb. 4).22 Erika Tietze-Conrat sah in diesem Gemälde, das sich heute im Kunsthistorischen Museum Wien befindet, ein Werk Marietta Robustis und bezog sich auf Ridolfis Angabe, die Künstlerin habe Marco de’ Vescovi mit langem Bart und seinen Enkel porträtiert.23 Allerdings geht aus dem Text nicht genau hervor, ob es sich um ein Doppelporträt oder zwei getrennte Bildnisse handelt. Im linken unteren Bereich an der Seitenstrebe des Stuhles befindet sich aber eine Signatur: eine »65«, ein »M« und eine »3«, die sich allerdings auch als stilisiertes »R« lesen lässt und bis heute zu sehen ist.24 Das auf 1565 datierte Gemälde wird heute als Werk Jacopo Robustis geführt, obgleich die Argumentation Tietze-Conrats, die Initialen »M« und »R« als Marietta Robusti aufzuschlüsseln, sinnfällig wäre. Insbesondere, wenn es das von Ridolfi erwähnte Familienbildnis der de’ Vescovi wäre, das in deren Haus verblieb, war doch Marco der Vater von Tintorettos Ehefrau Faustina.25 Bliebe man bei einemGeburtsdatumMariettas um 1554, müsste dies allerdings das Gemälde einer Elfjährigen sein. Setzt man ihr Geburtsdatum aber um 1551 an, rückt die Zuschreibung anMarietta Abb. 3 JACOPO ROBUST I , GEN. T INTORET TO Studie einer Büste des Vitellius (recto) 1533–1594, Zeichenkohle, weiß gehöht, auf blauem Papier, 304× 207 mm London, British Museum, Museum number 1885,0509.1658

14 deutlicher in den Bereich des Möglichen. Auf der linken Bildseite sehen wir einen alten Mann mit grauem Haar und Bart auf einem Scherenstuhl sitzend.26 Sein Oberkörper ist leicht nach vorn geneigt und seine Arme ruhen auf den Lehnen des Stuhles. Während sein faltiges Gesicht, die ins Unbestimmte gerichteten Augen sowie das Haar mit scharfer Beobachtungsgabe detailliert und mit feinen Pinselstrichen wiedergegeben sind, scheinen die Hände im Vergleich weniger virtuos ausgeführt. Die Kopfbedeckung wurde erst zum Schluss gemalt, denn die Stirn scheint unter dem Schwarz der Kappe hindurch. Der Junge, der rechts vom alten Herrn steht, blickt uns aus neugierigen braunen Augen an. Er besitzt ein helleres Inkarnat, kurzes braunes Haar und trägt ein hochgeknöpftes rotbraunesWams mit weißer schmaler Krause und eine pelzverbrämte Jacke. Die Malerei ist hier virtuoser, sein Gesicht und die Augen, die Blickkontakt aufnehmen, wirken lebendig und es scheint, als hätte eine andere Hand diese Figur des Jungen ausgeführt oder überarbeitet. Das Bild ist in dunklen Tönen gehalten, der Fokus liegt auf den beiden Gesichtern, die auf gleicher Höhe liegend ein sinnfälliges Gegensatzpaar von Alter und Jugend bilden. Tietze-Conrat und Rearick folgend, der dieses Gemälde für Tintoretto als zu zaghaft beschreibt, ist die Verfasserin dieser Zeilen geneigt, hier ein frühes Werk vonMariettas Hand zu erkennen, das möglicherweise unter Mitwirkung Tintorettos entstand.27 DAS DRESDNER DOPPELB I LDNI S Zu den Gemälden, die Marietta zugeschrieben werden, gehört auch ein Doppelbildnis, das 1749 aus der kaiserlichen Galerie in Prag für die Sammlung von August III. als Werk Jacopo Tintorettos erworben wurde (Kat. 1). Ein älterer Herr mit grauemHaar und langemBart – in Schwarz gekleidet – sitzt in einem Scherenstuhl aus Holz. Eine zweite, deutlich jüngere Person mit hellerem Inkarnat und blondemHaar, ebenfalls in schwarzer Kleidung, wendet sich von der rechten Seite dem Sitzenden zu. Da der Stuhl leicht nach links gedreht ist, stützt sich der ältere Herr mit seiner linken Hand an der Lehne des Stuhles ab, um seinen Oberkörper der jüngeren Person zuzuwenden, die ihn mit einem Gestus ihrer rechten Hand auf etwas hinweist, was sich außerhalb des Bildraums zu befinden scheint. Das Gemälde ist überwiegend in Ocker-, Braun- und Schwarztönen gehalten und von einem stark vergilbten Firnis überzogen. Die dunkle Kleidung beider Personen, bei der einzig die weißen Kragen an Ärmeln und Hals herausblitzen, scheint mit dembraunen Hintergrund zu verschmelzen. Lediglich die Gesichter und die Hände treten als markante Elemente aus dem Dunkel des Bildes hervor. Etwas unmotiviert wirkt die linke Hand der stehenden Figur knapp am rechten Bildrand, die kaum ausgearbeitet ist und wie nachträglich hinzugefügt wirkt. Insgesamt scheint die Komposition unausgewogen, als wäre das Bild rechts beschnitten. Formal weist sie Parallelen zu dem oben besprochenen Doppelbildnis in Wien auf, denn auch hier werden links ein älterer Herr sitzend und rechts eine deutlich jüngere Person stehend dargestellt. Die Hände Abb. 4 JACOPO ROBUST I , GEN. T INTORET TO Alter Mann und Knabe, um 1565 Öl auf Leinwand, 103 ×83 cm Wien, Kunsthistorisches Museum, Gemäldegalerie, Inv.-Nr. 37

»diana mantuana incidit« Die Kupferstecherin Diana Scultori LAR I SSA MOHR

DIANA MANTUANAS INSCHR I FTEN Diana Scultori (1547–1612) war über die Jahrhunderte hinweg unter vielen verschiedenen Namen bekannt. Allein daran lassen sich viele Mechanismen der Kunstgeschichtsschreibung sowie der historischen künstlerischen Praxis nachzeichnen: Verursacht durch eine falsche Annahme des Biografen Giorgio Vasari (1511–1674) über Dianas Verwandtschaft mit demKupferstecher Giorgio Ghisi (1520–1582), wurde sie im 18. Jahrhundert Diana Ghisi genannt.1 Ihren heute üblichen Nachnamen erhielt sie erst in jüngerer Zeit in Ableitung der Selbstbezeichnung ihres Vaters als Giovanni Battista Scultori (1503–1575), welche als eine Art Patronym auf sie übertragen wurde. Die verwandtschaftlichen Beziehungen sind so nun zwar richtig abgebildet, doch so recht zutreffend ist auch dieser Name nicht, denn im Gegensatz zu ihrem Vater, der nicht nur grafische Werke, sondern auch dreidimensionale Arbeiten in Stuck oder Papiermaché schuf,2 war Diana Scultori ausschließlich als Kupferstecherin künstlerisch tätig. Noch unzutreffender ist diese Berufsbezeichnung »Scultori« als Nachname, wennman sich die viel diskutierten Inschriften ihrer Stiche genauer ansieht. Als erste Kupferstecherin signierte sie ihre Werke und fügte den Drucken ausführliche Widmungen hinzu. Die Signaturen variieren zwischen »Diana«,3 »Diana Filia«, das heißt als Tochter, etwa wenn sie Vorlagen ihres Vaters im Kupferstich reinterpretierte, »Diana Mantuano« oder »Diana Mantovana« nach ihrem Geburtsort Mantua und »Diana Mantuana Civis Volaterana« nach Volterra, wo sie nach ihrer Heirat mit dem aus Volterra stammenden Francesco Capriani (1535–1594) die Ehrenbürgerschaft verliehen bekam.4 Diana Scultori, den Namen, unter dem wir die Künstlerin heute kennen, verwendete sie hingegen nie selbst. In den Signaturen ging es ihr offenkundig vielmehr darum, die Verbindungen zumHof vonMantua, zu ihrem Vater oder Ehemann sowie dessen Heimatstadt anzuzeigen.5 Diese Verbindungen waren für Diana als Künstlerin wesentlich; aus solchen einen beruflichen Vorteil zu ziehen, Aufträge zu akquirieren und die Kunst der Selbstvermarktung konnte sie zunächst bei ihrem Vater beobachten und erlernen. Giovanni Battista arbeitete in den 1520er Jahren imPalazzo Te unter Giulio Romano (1492–1546), dem ehemaligenMeisterschüler Raffaels (1483– 1520).6 Obwohl er somit an Projekten für den Hof der Gonzaga beteiligt war, war er kein Hofkünstler im engeren Sinn, der regelmäßig entlohnt wurde.7 Vielmehr musste sich Giovanni Battista stets um neue Aufträge bemühen. Seine eigenen Drucke dienten ihm dabei weniger als Einkommensquelle, sondern vielmehr als »höfische Währung«, um Aufträge zu lukrieren.8 Auch Diana, die sich ab 1575 in Rom aufhielt, nutzte diese Strategie.9 Der Architekturstich einer Volute eines ionischen Kapitells (Abb. 1) steht emblematisch für ein solches Vorgehen. Sie fügte der ornamental verzierten Volute, der außergewöhnlich viel Platz für ein architektonisches Detail beigemessen wurde, eine Inschrift in Kursivdruck hinzu. Diese Inschrift trägt eineWidmung an jene, die Architektur studieren, und nennt den Architekten √ Detail aus Kat. 11

61 der dargestellten Säule, nämlich ihren Ehemann Francesco Capriani, bekannt als Francesco da Volterra. Wie Evelyn Lincoln, die die bislang profundeste Forschung über die Künstlerin veröffentlicht hat, beobachtete, handelt es sich untypischerweise um keine modellbuchartige Studie, anhand derer in analytischem Duktus etwa die klassischen Säulenordnungen dargelegt werden10 – bemerkenswert, ist die Studie doch jenen gewidmet, die Architektur studieren. Vielmehr scheint es hier um die Distribution von Francescos architektonischem Werk zu gehen, welche Diana mit ihrem eigenen künstlerischen Anspruch zu verbinden wusste, der sich in der Feingliedrigkeit und detailreichen Ornamentik des Stiches zu erkennen gibt. Neben dem Anzeigen von Herkunft und Beziehungen geben die Inschriften also auch Aufschluss über die Nutzung und Funktion der Drucke.11 Darüber hinaus sicherten sich die Kupferstecher durch das Signieren die Autorenschaft über ihre eigene Arbeit, die ansonsten – in Fällen wie dem von Dianas Vater bei der Arbeit im Werkstattverband – nicht individuell sichtbar war.12 Auch Diana folgte diesemBeispiel und signierte ihre Drucke. Durch ihre Bemühungen gelang es ihr zudem, in Romdas päpstliche Privileg zu erhalten, »[to protect] her sole right to profit from the distribution of her Abb. 1 DIANA SCULTOR I Volute eines kompositen Kapitells, 1576 Kupferstich, 303 ×440 mm Rom, Biblioteca Alessandrina, Inv.-Nr. Rari 293/38

62 prints for a period of ten years and tomarket them as her own invention and property«.13 Das Privileg, datiert auf den 5. Juni 1575, erwähnt fünf Drucke – zwei davon werden mit Christus und die Ehebrecherin und das Fest der Psyche in der Ausstellung gezeigt – und sicherte sie gegenüber einer unkontrollierten Vervielfältigung durch andere ab.14 Diese zusätzliche Legitimation durch das Privileg von Papst Gregor XIII. (1572–1585) fand ab diesem Zeitpunkt Einzug in ihre Inschriften. Diana ging mitunter auch verspielt mit der Gestaltung der Inschriften um, nutzte eine Blockschrift inMajuskeln für ihre Signatur und eine kunstvolle Kursivschrift für dieWidmungen, die von besonderer Fingerfertigkeit zeugt – insbesondere, wennman sich vergegenwärtigt, dass Inschriften auf der Matrize spiegelverkehrt angelegt werdenmüssen.15 Ferner wird Schrift nicht nur amunteren Rand des Stiches in geblockt gesetzten Inschriften oderWidmungen eingesetzt, sondern stellenweise sogar in den Bildraum integriert. Die Signaturen und Inschriften befinden sich etwa auf Plaketten, die an einem Ast hängen, oder sind in das Gebälk der Bildarchitektur eingefügt. Auf diese Weise legte Diana nicht nur ein besonderes Augenmerk auf den Inhalt und die präzise Formulierung der Inschriften, sondern auch auf deren gestalterische Umsetzung. So sorgte sie dafür, dass diese sich in die Komposition einfügten. Kat. 12 DIANA SCULTOR I Zwei an ihrem Rücken verbundene Kinder, 1577 Kupferstich, Dm. 195 mm (Platte), 273 × 270 mm (Blatt) Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett, Inv.-Nr. A 109372

63 Abb. 2 GIUL IO ROMANO UND WERKSTAT T Decke der Camerino degli Uccelli, 1536 Fresko, Mantua, Palazzo Ducale DAS ZWI LL INGSTONDO Der spielerische Umgang mit Inschriften wird in einemTondomit Zwillingen (Kat. 12) auf die Spitze getrieben.16 Zwei an ihren Rücken aneinandergebundene Kinder sind in einen indifferenten Bildraum eingeschrieben, der in diesem Zustand des Stiches lediglich durch kleine Punkte einen Anschein von Tiefenwirkung verliehen bekommt.17 So wie der Kupferstich in heutigen Kabinetten aufbewahrt und auch in der Ausstellung präsentiert wird, befinden sich links der Hinweis auf den Entwerfer der Komposition, Raffaellino da Reggio (1550–1578), rechts die Signatur der Stecherin und oben und unten eine Widmung.18 Doch wenn man diese vier Textblöcke lesen möchte, muss man beginnen, den Druck zu drehen. Dabei zweifelt man schnell an der anfänglichen Annahme, die Kinder seien am Rücken miteinander verbunden. Dreht man den Stich nämlich um 90 Grad, ist man plötzlich sicher, sie lägen Bauch an Bauch. Schon die ursprüngliche Komposition in der Camerino degli Uccelli im herzoglichen Palast in Mantua – Raffaellino stellte Diana eine Zeichnung von Giulio Romanos Fresko für ihren Stich zur Verfügung – nutzte diesen Effekt. Der Eindruck der freskierten Zwillinge (Abb. 2) veränderte sich je nach Betrachterstandpunkt, gleich wie Dianas Kupferstich zur Interaktion einlädt. Beim Druck gewährleistet das Rotieren des Tondo das vollständige Erfassen der Inschrift und verändert gleichzeitig die Körperbeziehung der beiden Kinder.

64 »COSA MARAV IGL IOSA« Die beiden Kinder – samt Stieglitz und Salbgefäß auch mit dem Christusknaben assoziiert – werden oftmals als »Siamesische Zwillinge« gesehen. Laut Maria F. Maurer werden durch die Motivwahl einerseits Dianas »procreative capacities« deutlich, indem sie das Motiv Giulios adaptierte und daraus ihre eigene Kreation schuf.19 Andererseits zieht Maurer eine Parallele zwischen demMotiv des Zwillingstondo samt Kippeffekt und der Diana als Kupferstecherin im 16. Jahrhundert zugeschriebenen Rolle als »marvel«, als etwas »Wunderliches«.20 Prägend dafür ist die zweite Auflage der Viten von Giorgio Vasari, in der er Giovanni Battista Scultori und seine Tochter Diana in der Biografie von Il Garofalo erwähnte.21 Diana, die wahrscheinlich einzige Künstlerin der Viten, die Vasari auch persönlich getroffen hat, wurde von diesem als »cosa più maravigliosa« und ihre Tätigkeiten als Kupferstecherin wurden als »cosamaravigliosa« beschrieben.22 Dianas Persönlichkeit und Arbeit erfuhren also dasselbe qualitative Urteil, entsprechend der generellen Beurteilung von Künstlerinnentum als etwas nicht unbedingt Wunderbarem, sondern eher Wunderlichem, insofern es von der Norm abwich.23 Dieser Lesart folgend, sieht Maurer in Dianas Zwillingen (Kat. 12) ein Spiel mit eben dieser Zuschreibung und folgert: »By positioning herself and her prints as wonders and monsters, Diana turns Vasari’s backhanded praise to her advantage. She acknowledges her unusual situation, while also positioning herself as someone who endlessly reproduces cose maravigliose.«24 Eine Medaille mit dem Bildnis Dianas (Abb. 3) kann als Kontrapunkt zu dieser Lesart der Kupferstecherin als »marvel« gesehen werden. Sie zeigt avers ein Porträt der Künstlerin imProfil und revers ihre Hand, die den Griffel haltend ein Madonnenbildnis in die Matrize schneidet. Die Medaille wurde zusammen mit derjenigen für ihren Ehemann Francesco geschaffen, Abb. 3 T. R. (UNBEKANNT ) Medaille mit Bildnis von Diana Scultori (Avers) und ihrer Hand mit Stichel und Madonna und Kind (Revers), 16. Jh. Bronzemedaille, Dm. 40 mm, London, British Museum, Inv.-Nr. G3,IP.688

65 die revers ebenfalls mit Winkel und Zirkel auf seinen Beruf als Architekt hinweist. In ihrer gleichen Darstellungsformel erwecken die Medaillen den Eindruck von Gleichrangigkeit Dianas und Francescos in ihren jeweiligen Professionen.25 Dazu trägt auch die Tatsache bei, dass es bei Dianas Münze keinen Hinweis auf ihren Vater oder Ehemann gibt, wie es die Konvention verlangt hätte. Die Darstellung Dianas mit einem »matronly veil« stützt die These Gill Perrys, dass »images of the matron-artist could successfully rebuff the ›beautiful freak‹ reading«.26 Dennoch wird durch das Bildnis von Madonna und Christusknabe auf der Medaillenrückseite einMittel bemüht, dass die Kupferstecherin von jeglichen Anzeichen von Hybris freimachen sollte. Ein Mittel, dessen sich auch Künstlerinnen selbst bedienten, wie es etwa von Sofonisba Anguissola (ca. 1532–1625) bekannt ist.27 Dies geschah wohl mit dem Anspruch, dass die Bescheidenheit der Jungfrau Maria sich dabei auf die Künstlerin übertragen sollte. Wie Linda Nochlin in ihrem Aufsatz Why have there been no great women artists? feststellte, waren fast alle Künstlerinnen »entweder Töchter von Künstlern oder hatten […] eine enge persönliche Beziehung zu einer stärkeren oder dominanten männlichen Künstlerpersönlichkeit«.28 Während dieses Phänomen zwar mitunter ebenfalls bei Künstlern auftritt, ist es bei Künstlerinnen bis zum 19. Jahrhundert fast ausnahmslos der Fall – dies gilt auch für Diana. Ihr war eine Ausbildung im akademischen Rahmen verwehrt.29 Umso wichtiger war ein Zusammenspiel multipler anderer Faktoren: Mantua als Lehrort, an dem die Kunst der Druckgrafik nicht zuletzt durch Mantegna und Pollaiuolo begonnen hatte, besonders florierte und auch für den Ruhmder Gonzaga elementar war;30 die Lehre bei ihremVater, die symbiotische Beziehung mit ihrem Mann in der geschickten Verknüpfung ihrer beider Professionen; ihre Kenntnis vom römischen Geschmack, der sich in der Wahl ihrer Motive widerspiegelt; die gezielt formuliertenWidmungen, mit dem Wissen um ihr Publikum; die mögliche Unterstützung ihres Bruders Adamo (ca. 1530–1585) als Drucker und Verleger in Rom31 sowie die Verfügbarkeit von zeichnerischen Vorlagen. DAS FEST DER GÖT TER Wesentlich für ihre Rezeption waren Vasari und die Nähe zu Giulio Romano sowie zum Hof von Mantua, und in der Tat verwendete sie viele Vorlagen Giulios für ihre Stiche: Die schiere Größe des Druckes mit Szenen aus der Sala di Psiche (Kat. 11) lässt eine eindrucksvolle Ahnung von der Wirkung des freskierten Raumes im Palazzo Te in Mantua aufkommen.32 Um den Druck in seiner heutigen Aufbewahrung betrachten zu können, muss er – ob seiner Größe aus drei Teilen bestehend – wie eine Flügeltür »geöffnet« werden. Unweigerlich entsteht die Assoziation des Betretens eines Raumes. Es handelt sich jedoch nicht um eine exakte Wiedergabe einer der Wände der Sala di Psiche, sondern um eine Fusion von Fragmenten aus Banchetto degli Dei (Südwand, Abb. 4), Banchetto rusticus (Ostwand, Abb. 5) und Das Bad der

ANNA SEXTON pastellmalerei in dresden Von Rosalba Carriera zu Theresa Concordia Mengs

Venedig war auf der Grand Tour für jeden reisenden Kavalier eine wichtige Station, so auch für den sächsischen Kronprinzen Friedrich August II. (1696–1763), der später als August III., König von Polen, bekannt wurde (Abb. 1). Wie sein Vater August der Starke (1670–1733) hatte der Kronprinz ein besonderes Interesse an der Kunst, insbesondere an der Kunst Venedigs. Daher hielt er sich während seiner Grand Tour mehrfach in der Inselstadt auf, vor allem imFebruar 1712 und später im Jahr 1713. Friedrich August II. lernte nicht nur die Kunst der großen venezianischenMeister wie Tintoretto, Tizian und Veronese kennen, sondern auch den zeitgenössischen Superstar Venedigs, der die bis dahin belächelten Techniken der Miniatur- und Pastellmalerei in den Vordergrund des Kunstmarkts rückte: Rosalba Carriera (1673–1757). Abb. 1 ANTON RAPHAEL MENGS Friedrich August II., Kurfürst von Sachsen, als König von Polen August III. 1745, Pastell auf Papier, 55,5 × 42 cm Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister, Gal.-Nr. P 173 Abb. 2 ROSALBA CARR I ERA Eine schwarzhaarige Dame mit dünner goldener Halskette Pastell auf Papier, 29,5 × 26 cm Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister, Gal.-Nr. P 105 √

101 Die aus einfachen Verhältnissen stammende Rosalba Carriera schaffte es, sich nicht nur einen Namen zu machen, sondern auch die Miniatur- und Pastellmalerei als wahre Kunstformen zu etablieren, die vom europäischen Bürgertumund Adel begehrt waren. Dies gilt insbesondere für Dresden, wo ihre zahlreichen Werke den Grundstock des königlichen Pastellkabinetts bildeten, der ersten öffentlich zugänglichen Pastellsammlung überhaupt, die von der großen Liebe Augusts III. zu dieser Technik zeugt. Man kann also davon ausgehen, dass die »Pastellmanie« des Kurfürsten und damit auch des Dresdner Hofes in der Wertschätzung der Werke Carrieras wurzelte, die es in der Folge auch anderen Künstlerinnen und Künstlern des Hofes ermöglichte, in dieser Technik erfolgreich zu arbeiten. Dies gilt gleichfalls fürTheresa ConcordiaMaron, geb. Mengs (1725–1806), die ihre Karriere als Kabinettmalerin amHof Augusts III. begann und sich in Rom zu einer sehr erfolgreichen Miniaturmalerin entwickelte. ROSALBA CARR I ERA UND DI E ERHEBUNG VON MINIATUR UND PASTELL ZUR HOHEN KUNST Die am 12. Januar 1673 als Tochter einer Klöpplerin und eines Rechtsanwalts geborene1 Rosalba hatte, anders als viele andere Künstlerinnen ihrer Zeit, keine direkte Verbindung zur Kunstwelt. Über ihre frühen Jahre ist nicht viel überliefert, sodass auch nicht bekannt ist, ob Rosalba sich das Malen selbst beigebracht hat oder unterrichtet wurde. In jedem Fall konzentrierte sie sich zu Beginn ihrer künstlerischen Laufbahn, die um 1695 begann, auf Miniaturen.2 Sie hatte in relativ kurzer Zeit Erfolg, denn die intimen und bisweilen erotischen Darstellungen kleiner Figuren entsprachen genau dem Geschmack des Rokokos für raffinierte und zarte Gegenstände. Die Tatsache, dass Rosalba in Venedig lebte, brachte ihr zudem einen großen Vorteil: Angesichts der großen Anzahl von Reisenden in der Stadt war sie sehr gefragt, da sie ein Produkt anbot, das leicht und schnell herzustellen und zu transportieren war.3 Im Jahr 1705 wurde sie in die Accademia di San Luca in Rom aufgenommen. Interessant ist, dass Carriera zu diesem Zeitpunkt noch nicht für ihre Pastelle bekannt war. Erst um 1703 wandte sie sich dieser Technik zu, aber es dauerte einige Zeit, bis sie ausschließlich Pastelle verwendete. Obwohl sich seine Verwendung bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgen lässt, erfreute sich das Pastell im 18. Jahrhundert großer Beliebtheit; die zarten Farbmischungen und die charakteristische leichte Schattierung spiegelten den eleganten Geschmack des Rokokos und das allgemeine Schönheitsideal der höfischen Gesellschaft wider (Abb. 2). Wie die Miniaturmalerei erwies sich auch die Pastellmalerei als eine Branche, in der Frauen leicht Fuß fassen konnten, da beide Disziplinen als »weiblich« galten und nicht annähernd so akademisch waren wie beispielsweise die Historienmalerei. Da Pastelle ebenso wie Miniaturen leicht herzustellen und zu verschicken waren, eigneten sie sich ideal als Andenken an die Reise wohlhabender Personen in die Lagunenstadt. So wurde ein Besuch in Carrieras venezianischem Atelier, um sich porträtieren zu lassen, zum obligatorischen Bestandteil eines Venedigbesuchs eines jeden Adligen.4

102 »DAS KAB INET T DER ROSALBA« : DI E WACHSENDE PRÄSENZ VON PASTELLB I LDERN IN DRESDEN Obwohl August der Starke die Pastellsammlung in Dresden ins Leben rief, war es sein Sohn, der die Sammlung, die zum größten Teil aus Carrieras Werken bestand, wirklich entwickelte. Nach seinem ersten Besuch in Venedig als Kronprinz kehrte der polnische König August III. mehrmals zurück, und Rosalba Carriera schickte regelmäßig ihre Pastelle nach Dresden. Im Inventar der königlichen Sammlungen von 1728 werden 157 Werke von Rosalba Carriera aufgeführt, die Gemäldegalerie Alte Meister beherbergt heute etwa 73 ihrer Pastelle.5 Die Idee, die königliche Kunstsammlung öffentlich auszustellen, wurde in den Jahren 1745 und 1746 verwirklicht, 1748 wurde die Gemäldegalerie (Abb. 3) eröffnet. Obwohl die Gemäldesammlung an sich schon beeindruckend war, war es das Pastellkabinett, das besonders faszinierte, da es das erste Mal überhaupt war, dass Pastelle für die Öffentlichkeit und nicht für den privaten Gebrauch ausgestellt wurden.6 Der Umfang der Pastellsammlung zeugte vom persönlichen Geschmack des Königs und seiner Wertschätzung für dieses Medium, die durch seine häufigen Besuche in der Werkstatt von Rosalba noch gesteigert wurde. Das Kabinett erhielt auch den sehr treffenden Beinamen »Kabinett der Rosalba«, obwohl es ebensoWerke anderer Künstler enthielt, darunter die der Franzosen Jean-Étienne Liotard und Maurice Quentin de la Tour.7 Abb. 3 CHR I ST IAN GOT TLOB HAMMER Die alte Gemäldegalerie (Johanneum, Stallgebäude) in Dresden, aus: Rittners Dresden mit seinen Prachtgebäuden um 1810 um 1810, Radierung, 202 × 259 mm (Platte), Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett, Inv.-Nr. A 131531

103 Die Begeisterung des sächsisch-polnischen Hofes für die Pastellmalerei und die darauffolgende wachsende Präsenz der Pastelle von Rosalba Carriera in Dresden trugen also dazu bei, dass sich die Praxis des Kunstschaffens in Dresden, insbesondere derjenigen, die dem Hof angehörten, daran orientierte. Künstlerinnen und Künstler konnten aufgrund ihres Talents in der Pastellmalerei ein Auskommen bei Hofe finden, und dies war bei der Familie Mengs tatsächlich der Fall. THERESA CONCORDIA MENGS : MINIATUR I ST IN UND PASTELLMALER IN AM DRESDNER HOF Obwohl Theresa Concordia von Maron (geb. Mengs) vor allem als Miniaturkopistin bekannt ist, begann sie ihre Karriere als Pastellmalerin. Die 1725 geborene und in Dresden aufgewachsene Theresa und ihre Geschwister, Anton Raphael (1728–1779) und Juliane Charlotte (um 1730– nach 1806), wurden von ihrem Vater, dem Hofmaler Ismael Mengs (1688–1764), ausgebildet. Als professioneller Emailmaler undMiniaturist unterrichtete Ismael seine Kinder in diesen Technikenmit der Absicht, seinen Töchtern eine Karriere in der Miniaturmalerei zu ermöglichen. Theresa erreichte dieses Ziel – sie wurde später für ihreMiniaturkopien italienischer Meister bekannt. Ihre frühe Karriere war jedoch durch ihre geschickten und präzisen Pastellbilder gekennzeichnet. Da ihr Vater mit diesemMedium nicht vertraut war, erlernten Theresa und ihre Geschwister die französische Pastelltechnik wahrscheinlich vonMarie Catherine undMarieMaximilienne de Silvestre, der Frau und der Tochter des Dresdner Hofmalers Louis de Silvestre, oder vomDresdner Hofmaler DavidMüller.8 Theresa wurde zusammen mit ihrem Bruder und ihrer Schwester im Oktober 1745 als Kabinettmalerin an den sächsisch-polnischen Hof berufen, nachdemdas Talent ihres Bruders vom italienischen Sänger Domenico Annibali »entdeckt« worden war.9 Nachdemder polnische König das Pastellporträt des Sängers (Abb. 4) gesehen hatte, ernannte er die Mengs-Sprösslinge zu Kabinettmalern. Anton Raphael erhielt eine jährliche Pension von 600 Thalern, Theresa und Juliane je 300 Thaler.10 Mit dem Pastellporträt Annibalis begann also ihre Karriere; die Aufnahme der Mengs-Kinder an den Hof war nur dank der besonderen Liebe Augusts III. zur Pastellmalerei möglich.11 Obwohl Theresa Concordia Mengs wahrscheinlich im französischen Stil der Pastellmalerei geschult wurde, spiegeln ihre Dresdner Porträts bestimmte Nuancen wider, die auch in Rosalba CarrierasWerken zu finden sind, wie das Porträt ihrer Schwester in der Dresdner Gemäldegalerie bezeugt (Kat. 8). Ähnlich wie Carriera verwendete Mengs eine gedämpfte Farbpalette bei der Arbeit mit Pastellen. Das Ergebnis beider Künstlerinnen sind Porträts, die die Leichtigkeit und Schönheit der Rokoko-Eleganz ausstrahlen. Mengs neigte jedoch wie ihr Bruder dazu, ihre Pastelle zu mischen und präzisere Pinselstriche zu verwenden, was zu einem Bildnis führte, das einem Ölgemälde ähnelt und ihren Pastellen einen Hauchmehr Realismus verleiht.

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108 1 MAR I ET TA ROBUST I (VENEDIG CA. 1551 – 1590 VENEDIG) Selbstbildnis mit Jacopo Strada (1507–1588) um 1567/68 Öl auf Leinwand 99,5 × 121 cm Provenienz: 1749 aus der kaiserlichen Galerie in Prag erworben; 1945 bis 1955 in der UdSSR (Moskau); Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister, Gal.-Nr. 270 Literatur: Borghini 1584, S. 558 f.; Inv. Prag 1662, fol 16 v, Nr. 214; Inv. Prag 1718, Nr. 214; Inv. Prag 1737, Nr. 292; Inv. Dresden 1747/50, 36 r, Nr. 310; Kat. Dresden 1765, G.I. Nr. 187; Kat. Dresden 2007, Bd. 1, S. 216; Kat. Dresden 2006/07, Bd. 2, S. 538; Bull 2009, S. 680 f. Das Doppelbildnis zeigt einen älteren Herrn auf einem Holzstuhl sitzend. Er wendet sich einer jüngeren Person zu, die sich zu ihm neigt und mit ihrer rechten Hand auf etwas außerhalb des Bildraums hinweist. Aufgrund des vergilbten Firnis ist die differenzierte Ausarbeitung der Figuren nicht gut erkennbar. Ihre schwarzen Gewänder verbinden sichmit demdunklen Hintergrund, nur Hände und Gesichter leuchten hervor. Im Dresdner Inventar 1747/50 wird das Werk als Giacomo Robusti, genannt Tintoretto, geführt und entsprechend beschrieben: »Quadro in tela, con due ritratti vestiti di nero, uno Vecchio, e l’altro giovane, più di mezze figure al naturale, Opera delle megliori, fù della Galleria di Praga.« Duncan Bull erkannte in der stehenden Person Marietta Robusti, die vormals berühmte Tochter von Jacopo Tintoretto, die sich gemäß ihres späteren Biografen Carlo Ridolfi als Junge verkleidet habe, um ihren Vater zu begleiten. Unter Bezugnahme auf den ersten Biografen Raffaello Borghini, der berichtete, Marietta habe ein Bildnis von Jacopo Strada und sich angefertigt, kam Bull zu derThese, es handle sich umdie einst in Besitz von Kaiser Maximilan II. befindlichen Bildnisse von Jacopo Strada und Marietta Robusti. Die Diskussion, ob Borghini ein Doppelbildnis oder zwei einzelne Bildnisse beschrieb – »[…] fece il ritratto di Iacopo Strada Antiquario dell’Imperador Massimiliano secondo, & e il ritratto di lei stessa, i quali, come cosa rara, sua Maestà gli tenne in camera sua, […]« –, lässt sich mit dem Galerieeintrag von 1765 vergleichen, denn auch hier ist anhand der Beschreibung nicht eindeutig, ob ein oder zwei (getrennte) Porträts gemeint sind. Doch sowohl die Prager Provenienz des Gemäldes als auch die biografischen Notizen sprechen für Bulls These. Eine neue, weitere Gewichtung erhält sie durch die kürzlich unternommene röntgendiagnostische Untersuchung.1 ImRöntgenbild ist in der rechten stehenden Person deutlich eine Frau zu erkennen. Dieser Befund deckt sich wiederummit demEintrag zu diesemGemälde im Prager Inventar von 1662: »214 Tintoretto origl. / Ein Contrafect eines / Manns, unndt eines / Weibs Bildts«. Das Doppelbildnis von Jacopo Strada und Marietta Robusti entstand vermutlich um 1567/68, als der kaiserliche Antiquar im Auftrag des Herzogs von Bayern in Venedig undMantua weilte. Seit jeher sind Selbstbildnisse zugleich Zeugnisse der Selbstreflexion. Sowohl Kleidung als auch Umgebung, in der sich der Künstler oder die Künstlerin inszenierte – ob bei der Arbeit, beimMusizieren (Abb. 1, S. 28) als eine mythologische oder historische Figur –, berichten über ihre Ambitionen, ihren Anspruch, ihr Selbstverständnis und über den Künstlerberuf an sich. Neben Einzelporträts finden sich ebenso Doppelporträts: Freundschaftsbilder – eines der bekanntesten stammt von Raffael2 – oder Paarbildnisse wie jenes von Rubens und Isabella Brant.3 Das Besondere an diesem Doppelbildnis ist, dass sich die Künstlerin gemeinsam mit dem seinerzeit einflussreichen Antiquar des Kaisers darstellte. Dabei bezog sie sich explizit auf das zuvor von Tizian ausgeführte Porträt Jacopo Stradas4 und setzte sich als Frau selbstbewusst ins Bild. Allerding muss Strada nicht der Auftraggeber gewesen sein. Vielleicht war er lediglich die Bezugsperson oder der Vermittler, um einen Kontakt zum kaiserlichen Hof herzustellen. Dies gelang offensichtlich, denn das außergewöhnliche Doppelbildnis der Künstlerin mit dem Antiquar verwahrte Maximilian II. als seltenes Stück in seiner Kammer.5 | I R I S YVONNE WAGNER 1 Vgl. den Beitrag von Iris Yvonne Wagner in diesem Band, S. 20 f. 2 Raffael, Selbstporträt mit einem Freund, 1518/1520, Öl auf Leinwand, 99 × 83 cm, Paris, Musée du Louvre, Inv.-Nr. 614. 3 Peter Paul Rubens, Rubens und Isabella Brant in der Geißblattlaube, um 1609/10, Leinwand, auf Holz übertragen, 178 × 136,5 cm, München, Alte Pinakothek, Inv.-Nr. 334. 4 Vgl. den Beitrag von Iris Yvonne Wagner in diesem Band, S. 16 f. 5 Aus der kaiserlichen Galerie Prag gelangten neben diesem Doppelbildnis weitere bedeutende Gemälde Tintorettos in die Dresdner Sammlung. Es wäre zu prüfen, wann sie Prag erreichten und ob das Doppelbildnis für Tintoretto möglicherweise die »Eintrittskarte« in die kaiserliche Sammlung war.

110 2 LAV INIA FONTANA (BOLOGNA 1552 – 1614 ROM) Die Heilige Familie um 1575 Öl auf Rotbuchenholz 39,5 × 32 cm Bezeichnung: signiert unten rechts: »[LAV]INIA PROS[P]ERI FONTANÆ« Provenienz: spätestens 1750 aus der Sammlung des Abate Alessandro Branchetta in Bologna für den sächsischen Kurfürsten Friedrich August II., als König von Polen August III., erworben; von 1945 bis 1955 in der UdSSR (Kiew); Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister, Gal.-Nr. 121 Literatur: Kat. Dresden 1765, GI 215; Fortunati 1986, Bd. 2, S. 736; Cantaro 1989, S. 64 f.; Kat. Dresden 2006/07, Bd. 2, S. 255; Speranza 2016, S. 19, Henning 2023. Diese Holztafel gilt als eine der frühesten überlieferten Arbeiten von Lavinia Fontana. Ausgebildet von ihremVater, dem Bologneser Maler Prospero Fontana, schuf sie anfangs kleinformatige Andachtsbilder, die vor allem im privaten Bereich genutzt wurden und der Kontemplation dienten. Später übernahm Lavinia mangels männlicher Erben denWerkstattbetrieb, nachdem ihr Vater aufgrund einer Erkrankung die Arbeit nicht mehr fortsetzen konnte. Sie gilt als die erste Künstlerin der frühen Neuzeit in Europa, die unabhängig und selbstbestimmt arbeitete.1 1577 schuf sie anlässlich ihrer Verlobung mit Giovan Paolo Zappi aus Imola, den sie im gleichen Jahr heiratete, ihr repräsentatives Selbstbildnis am Virginal (Abb. 1, S. 28).2 Ihr Mann unterstützte sie im geschäftlichen Bereich, und abMitte der 1580er Jahre avancierte sie zu einer gefragten Porträtistin des Bologneser Adels. Fontanas Dresdner Andachtstafel besticht durch eine eigenwillige Komposition des tradierten Motivs der Heiligen Familie. Josef ist als Rückenfigur im verlorenen Profil wiedergegeben und betritt über ein Steinpodest den Raum, in dem sich Maria mit dem Jesuskind auf dem Schoß, der kleine Johannes der Täufer und dessen Mutter Elisabeth befinden. Trotz der Nähe der Figuren zueinander ist eine deutliche Tiefenstaffelung vom linken Vordergrund nach rechts in den Bildhintergrund zu erkennen, die die Künstlerin sowohl durch die perspektivische Anlage des Fußbodens und der Architektur als auch durch das Wechselspiel von Hell-Dunkel erreicht. Die deutlich ältere Elisabeth als hinterste Figur ist imSchatten wiedergegeben, während die Gruppe der jungen Gottesmutter mit den beiden Kindern durch die Lichtakzentuierung hervorgehoben wird. Als Repoussoirfigur führt Josef uns von der realen Welt in die des Bildes. Mit ihm überschreiten wir zugleich die Grenze unserer (weltlichen) Erfahrung und treten in die religiöse Sphäre ein. Josef trägt ein weißes Gewand, das in der Liturgie die Teilnahme am Göttlichen symbolisiert, und leitet uns zu einer transzendenten Erfahrung an. Lavinia verleiht der heilsgeschichtlichen Botschaft dieser Szene eine intime und menschliche Dimension. Emotionale, familiär wirkende Motive, verbunden mit einer direkten Ansprache der Betrachtenden sowie einer anmutigen malerischen Umsetzung finden sich bereits in diesem Frühwerk der Künstlerin. Die beiden Kinder umarmen sich, dabei umspielt ein Lächeln den Mund des Christuskinds, während Maria ihn liebevoll festhält. Derartige Gesten, Bewegungen und Handlungen, die dem Verhalten von Kindern und Müttern ähneln, verstärken die Glaubwürdigkeit der Darstellung. Damit entspricht diese Tafel den Anforderungen der gegenreformatorischen Bewegung ab Mitte des 16. Jahrhunderts, die einen bedeutenden Einfluss auf die Kunstproduktion hatte. Die Beschlüsse des Tridentinischen Konzils waren eine theologische Auseinandersetzung und Reaktion der katholischen Kirche auf die protestantische Bewegung, die auch den Umgang mit religiöser Malerei betraf. Religiöse Themen sollten klar, verständlich und angemessen umgesetzt werden, um die Gläubigen anzuleiten. Dementsprechend waren pagane von christlichen Motiven zu trennen – eine Absage an die Antike und die an ihr geschulte klassische Bildsprache der Renaissance, die aber zu neuen Errungenschaften führte – nämlich zu einer sinnlichen und emotionalen Malerei, welche die Gefühle der Gläubigen anspricht. Lavinia verwendet keine strenge Dreieckskomposition, die in der Renaissance zur Darstellung religiöser Inhalte häufig genutzt wurde, sondern verteilt die Figuren imBildraum gemäß der Proportionsregel des Goldenen Schnitts. Dadurch gelingt es der Künstlerin trotz des diagonal nach hinten verlaufenden Aufbaus der Tafel, die Komposition zu ordnen und zu stabilisieren. Die malerische Qualität des Bildes ist anhand der Ausführung der Figuren nachvollziehbar. | I R I S YVONNE WAGNER 1 Vgl. den Beitrag von Aoife Brady in diesem Band, S. 25–41. 2 Vgl. King 1995, S. 392.

116 5 MAR IA VAN OOSTERWI JCK (NOOTDORP 1630 – 1693 UI TDAM) Blumen und Schnecken um 1685 Öl auf Leinwand 72 × 56 cm Bezeichnung: signiert unten rechts: »MARIA VAN OOSTERWYCK« Provenienz: 1740 erworben durch Gerhard Morel, wohl in Antwerpen; Inv. »vor 1741«, fol. 166v, 2503; Kat. Dresden 1765, G.E. 773; Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister, Gal.-Nr. 1334 Literatur: Gammelbo 1960, Nr. 176; Ausst.-Kat. Dresden 1983, S. 142, Nr. 117, Abb. 79; Gerson 1983 S. 239; Ausst.-Kat. Osaka/ Tokyo/Sydney 1990, S. 221; Gemar-Koeltzsch 1995, Bd. 3, Nr. 298/4; Kat. Dresden 2007, S. 393. Als der Kurfürst und König August III. im Jahr 1740 zwei Gemälde von Maria van Oosterwijck für seine Gemäldesammlung kaufen ließ, war er keineswegs der erste sächsische Monarch, der die außergewöhnliche Qualität der Stilllebenmalerei dieser holländischen Künstlerin zu schätzen wusste. Bereits mehr als 50 Jahre zuvor hatte Kurfürst Johann Georg III., der sich 1688 in diplomatischer Mission in Den Haag aufhielt, dort drei Werke Oosterwijcks für seine Kunstkammer erworben.1 Bereits mit Mitte 30 hatte die junge, auf Blumen- und kleinere Bankettstillleben spezialisierte Malerin europaweit Berühmtheit erlangt. Zu ihren Kunden gehörten unter anderem Cosimo de’ Medici und Kaiser Leopold I., später auch der polnische König Johann III. Sobieski, Ludwig XIV. sowie natürlich die Statthalter der Niederlande. Maria wuchs in einer Pfarrersfamilie auf, in einer familiären Umgebung, der mehrere Maler, Theologen und Gelehrte angehörten. Ihr erstes Atelier betrieb sie offenbar imHaus ihres Großvaters in Delft, bevor sie nach Leiden und später nach Utrecht umzog. In den fünf Jahren ihres dortigen Aufenthalts übte Jan Davidsz. de Heem, zu jener Zeit Haupt der Utrechter Stilllebenmaler, einen großen Einfluss auf sie aus. Schließlich ließ sie sich in Amsterdam nieder, wo sie eine sowohl künstlerisch als auch privat enge Freundschaft mit dem Maler Willem van Aelst verband, der zudem ihr unmittelbarer Nachbar war. Maria van Oosterwijck wies die wiederholten Offerten ihres gleichaltrigen Künstlerkollegen jedoch zurück und blieb zeit ihres Lebens unverheiratet. Allerdings spricht auch ihr Werk – heute haben sich nur etwas über 40 Gemälde erhalten – unübersehbar von ihrer engen künstlerischen Zusammenarbeit. Sowohl De Heems als auch Van Aelsts Malerei haben in Maria van Oosterwijcks Œuvre ihre Spuren hinterlassen, zum einen hinsichtlich der Motivwahl und der Komposition ihrer prachtvollen Blumensträuße und Prunkstillleben, zum anderen in ihrer stilistischen Grundhaltung. Werke wie das Stillleben Blumen und Schnecken sowie ein diesem besonders nahestehendes Blumenstillleben in Kopenhagen2 zeigen eine Dramaturgie und Lichtführung, die bei De Heem ihren Ursprung hatte. Jedoch wirkenMaria van Oosterwijcks Blumensträuße zierlicher, eleganter und dekorativer, was einem geschickten Arrangement voluminöser, repräsentativer Blumen mit kleinteilig-zarten Blüten und Gräsern sowie einer effektvolleren Lichtinszenierung zu verdanken ist. Charakteristisch für ihre Blumensträuße ist die Kombination von gezüchteten, prächtigen Blüten – etwa der Sonnenblume, des Hibiskus oder der Nelke – mit wild wachsenden Kräutern und Gräsern. So ist etwa das aus der Vase nach unten hängende, gestreifte Schilfgras eines der Markenzeichen ihrer Blumenbuketts. Zudem findet sich die leicht zur Seite gedrehte Sonnenblume als Bekrönung des Arrangements mehrfach in ihren Blumensträußen. Offenbar war man sich ihres Symbolgehalts auch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts noch bewusst. Als eine Blume, die mit ihremGesicht demLauf der Sonne folgt, stand sie in übertragenem Sinn zugleich für diejenigen Geschöpfe, deren Lebensweg sich in der Nachfolge Gottes und Jesu Christi gestaltet. Diese Auslegung findet sich bereits in der Emblemliteratur des 16. und 17. Jahrhunderts3 und war den Mitmenschen sicherlich vertraut. Maria van Oosterwijck, die als Tochter eines Predigers als tiefgläubig und fromm beschrieben wird, orientierte sich für ihre Darstellung jedoch eher an einemVers aus demneuen Testament ( Joh 8,12). Dort heißt es: »Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.« | UTA NE IDHARDT 1 Gerson 1983, S. 239. Johann Georg III. erwarb »twee bloemenpotten en een feston«. Deren Verbleib ist unbekannt. 2 Blumenbouquet in einer Glasvase, sign. und dat.: »MARIA VAN OOSTERWYCK«, 1658, Leinwand, 101 × 77,5 cm, Kopenhagen, Statens Museum for Kunst, Inv.-Nr. SP. 542. 3 Vgl. Segal 1990, S. 221.

130 10b ANGEL I KA KAUFFMANN (CHUR 1741 – 1807 ROM) Bildnis einer Dame als Sibylle um 1781/82 Öl auf Leinwand 91 × 72,5 cm Provenienz: 1782 erworben; Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister, Gal.-Nr. 2181 Literatur: Dassdorf 1782, S. 466; Kat. Dresden 1806, Äußere Galerie, S. 118, Nr. 310, als »Eine Sibylle Comea«; Kat. Dresden 1887, S. 679, Nr. 2181, mit falscher Annahme einer Signatur. Auch das Bildnis einer Dame als Sibylle (möglicherweise das Pendant zum Bildnis einer Dame als Vestalin) bedient dieses Bedürfnis nach antikisierenden Idealporträts. Inspiriert von Sibyllen-Darstellungen etwa vonGuercino oder auch Anton Raphael Mengs, finden die mythischen Prophetinnen, die göttliche Weisungen empfangen und wiedergeben, Widerhall im Œuvre Kauffmanns. Mit der Cumäischen Sibylle zeigt sie die bekannteste der zehn Seherinnen. Nach den Überlieferungen besaß sie neun Bücher mit Prophezeihungen, die sie dem tyrannischen römischen König Tarquinius Superbus zum Kauf anbot. Als er ablehnte, verbrannte sie drei der Schriften und offerierte die verbleibenden sechs. Erneut abgelehnt, übergab sie drei weitere Bände demFeuer. Nun erst willigte Tarquinius ein und erwarb die letzten drei zum vollen Preis. Fortan wurden diese in Rom als höchste Heiligtümer verehrt. Kauffmann stellte die junge Sibylle sitzend als Kniestück imHalbprofil dar. Über ihr helles Gewand, von einem grünen Tuch mit Goldfäden umgürtet, ist ein blauer Umhang geworfen. Ihr hochgestecktes Haar, von einem geflochtenen Zopf gehalten, wird teils von einem zum Turban gelegten grünen Kopftuch bedeckt. Ihre rechte Hand legt sie melancholisch an die Wange, der Blick geht sinnierend aus dem Bild und leicht an den Betrachtenden vorbei. Den rechten Arm stützt sie auf eine Brüstung, auf dem die Schriftrolle, die sie in der linken Hand hält, als ihr Attribut liegt. Darauf ist mit »Sybilla« deutlich – und wenigen griechischen, kein Wort ergebenden Buchstaben – geschrieben, um wen es sich bei dieser Darstellung handelt. Unklar hingegen ist, auf welchen Moment der Sibyllen-Legende Kauffmann hier Bezug nimmt. Jedoch kann davon ausgegangen werden, dass sich hinter diesem Historienbild ein Porträt einer bislang unbekannten Dame verbirgt. Das dritte Dresdner Kauffmann-Gemälde, das Bildnis einer Dame als Vestalin (Abb. 3, S. 81), wird sogar als ein Selbstbildnis der Künstlerin gesehen. | ROLAND ENKE

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