373 Die Holzanatomie einer schwangeren Frau wurde 1839 als Teil der Linck-Sammlung im Auftrag Otto Victors I. für Waldenburg angekauft.1 Somit entstammt das Modell einem Sammlungskontext, der sich aus Wunderkammern des 16. bis 18. Jahrhunderts speist. Die Sammlung der Apothekerfamilie Linck beinhaltet neben der Waldenburger Venus viele andere medizinische Modelle, doch keines ist vergleichbar mit dem vorliegenden Objekt. Sektion am anatomischen Modell Die Waldenburger Venus mit einer Länge von fast 30 cm wurde um 1700 von einem unbekannten Meister, vermutlich aus Birnbaumholz und Elfenbein, angefertigt.2 Im Index Musaei Linckiani ist sie als »von einem sehr guten Meister [gemacht]« aufgeführt.3 Konkrete Zuschreibungsvorschläge wie an den berühmten Dresdener Bildhauer Balthasar Permoser4 konnten bisher nicht bewiesen werden. Der Zustand der Figur ist durch einen früheren Holzwurmbefall und die Behandlung mit dem Holzschutzmittel Hylotox zu DDR-Zeiten beeinträchtigt. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass die abnehmbare Bauchdecke davon verschont geblieben ist. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass diese zu einem späteren Zeitpunkt ersetzt wurde. Nach Entfernung der Bauchdecke werden die vollplastisch gearbeiteten Organe sichtbar, die einzeln entnehmbar sind (Abb. 3). Es handelt sich dabei um die beiden Lungenflügel, Dick- und Dünndarm samt einem angedeuteten Blinddarm, Leber, Milz, Bauchfell, das Herz, die Gebärmutter mit dem kleinen Fötus und beide Nieren. Details, wie die durchtrennten Gefäße am Herzen sowie die unproportionierten, teilweise nur schemenhaft dargestellten Organe wie etwa die Nieren, erinnern an Anatomieatlanten und anatomische Darstellungen des 16. Jahrhunderts (Abb. 2). Sektionen wurden bereits in der Antike praktiziert, zunächst an Tieren, später auch an menschlichen Leichen.5 Diese zu beschaffen, war bis ins 19. Jahrhundert strengen Sanktionen unterworfen. Die Körper stammten meist von Hingerichteten oder verarmten Personen, die kein Begräbnis finanzieren konnten.6 Im 18. Jahrhundert waren öffentliche Sektionen in Anatomischen Theatern als Vorführungen für Experten und Laien beliebt. Dies war nicht nur der Neugier der Bürger geschuldet, sondern auch dem Aufklärungswillen ihrer Herrscher. So förderte Joseph II. in Wien beispielsweise die medizinische Ausbildung der Ärzte mit der Einrichtung des Josephinums, eines eigens für Sektionen eingerichteten Lehrkrankenhauses. Die mit diesem Engagement verbundene verbesserte medizinische Versorgung der Bevölkerung stärkte das Land von innen heraus. Zur Unterrichtung junger Mediziner dienten in der Regel Anatomieatlanten und anatomische Modelle. Beides bot eine Alternative zu der blutigen Praxis der Sektionen, die zumeist nur in den Wintermonaten stattfanden, da eine ausreichende Kühlung der Leichname nicht möglich war. Im Gegenzug zu eindimensionalen Abbildungen bietet ein zerlegbares Modell die Möglichkeit, die Anatomie zu erfühlen und zu erfahren. Besonders die weibliche Anatomie galt bis ins 19. Jahrhundert hinein als Mysterium. Die unheimliche Nähe von Tod und Geburt sowie die restriktiven Vorstellungen von Sexualität tabuisierten den Körper der Frau. Gerade deshalb gibt es wohl so viele anatomische Modelle, die den weiblichen Körper darstellten. Zerlegbare anatomische Modelle des Menschen, bekannt unter den Namen »Mannequin« oder noch häufiger Manikin, sind als elfenbeinerne Stücke seit dem 17. Jahrhundert nachweisbar.7 Diese sind nicht größer als eine Handfläche und werden häufig in verzierten Kisten oder Särgen aus Holz oder Glas aufbewahrt – ein Paar aus männlicher und weiblicher Figur aus Elfenbein befindet sich auch in der Waldenburger Sammlung.8 Zu vermuten ist, dass die Manikins den Betrachtenden anatomische Zusammenhänge
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