ordnete oder ein Leitfaden, – mir zumindest ist er eh egal –, aber in Waldenburg kann ich wie ein Kind mit 1 000 Euro im Süßigkeitenladen stehen und Tatsachen erforschen, von denen ich gar nicht wusste, dass sie sich in der Wirklichkeit niedergeschlagen haben. Wer würde beispielsweise eine alte Brille ausstellen, die nicht einer berühmten Person gehört hat, aber wilder aussieht als die William von Baskervilles im Film Der Name der Rose? Wo steht ein riesiger Globus und Sternenplan neben vielen sehr gut ausgestopften und einigen weniger gut gelungenen präparierten Tieren? Kaum noch irgendwo, denn es wird ja geordnet, geglättet, gelehrt und das allzu Schräge wie schon erwähnt in die Keller verbannt. Daher mein Loblied auf das tolle Naturalienkabinett in Waldenburg. Ich würde die Kugelschreiberschrift aus DDR-Zeiten an der wertvollen Sammlung von Holzstückchen genauso lassen, wie sie ist, den Topf mit Menschenknochen nicht groß ausschildern und die afrikanischen Speerspitzen im Treppenhaus sicherheitshalber nachformen lassen, bevor sie – das wird meiner Erfahrung nach geschehen – an die Nachkommen ihrer Besitzer:innen zurückgehen. Sie besitzen und beleben hier, am Ende der Welt oder mitten in Europa, ganz wie Sie wollen, eine geschichtlich und künstlerisch spannende Perle, aber vor allem das letzte Naturalienkabinett seiner Art. Wenn die beiden jetzigen Chefinnen durchhalten, die erkennbar der Himmel geschickt hat, denn sie wollen nichts antasten, nur digitalisieren und das Museum erweitern, werden Sie am Ende das Wertvollste besitzen, was Menschen besitzen können: Einen Ort, der neugierig macht, ohne kluge Stupser geben zu müssen, eine digitalisierte Sammlung, die wild und zufällig durch die Wissensgebiete reicht, und vor allem einen Raum, der wie bei Harry Potter nach dem Ausspruch »Capacious extremis« von außen klein erscheint, innen aber riesig ist. Anders gesagt: Wenn über Ihrem Museum kein Ausdehnungszauber liegt, dann will ich kein Erforscher des Merkwürdigen sein. Ich gratuliere dem Naturalienkabinett Waldenburg zu 180 Jahren Bestehen. Ad multos annos, wie meine Vorgänger:innen gesagt hätten, oder besser: Bleib, wie Du bist. Warum, das habe ich gerade dargelegt. 1 Reisdorf et al. 2012. 27
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