heute regelmäßig, aber nur scheinbar explodierenden Walen.1 Den Satz »Das ist mir neu« hatte ich von ihm zuvor noch nie gehört. Das Waldenburger Ei ist also merkwürdiger als es scheint. »Bei dem Ei«, so führte Kollege Reisdorf weiter aus, »handelt es sich um einen speziellen Kunstgegenstand, der wohl mit einem Augenzwinkern ersonnen worden ist. Es besteht nämlich aus zwei verschiedenen Marmorvarietäten, die aus zwei unterschiedlichen Marmorvorkommen stammen. Das ›Eiweiss‹ besteht aus ›Cararischem weissen Marmor‹, bei dem es sich wahrscheinlich um den weltberühmten Carrara-Marmor aus Italien handelt. Dieser Marmor zeichnet sich durch seinen hohen Weißegrad aus (andere metamorph überprägte Kalksteine – und nichts anderes ist Marmor – zeigen häufig schlierenartige Verunreinigungen durch andere Mineralien). Das ›Eigelb‹ besteht aus ›Marm. Gialio antico‹. Diese Marmorvarietät stammt aus den Steinbrüchen nahe der Stadt Simitthu in Tunesien. Das Gestein zeigt eine Färbung von gelb, rosa bis rot. Beim Ei hat man also die gelbe Varietät jeweils in die Form eines gekochten, geviertelten Eigelbes gebracht. Auch der weiße Carrara-Marmor wurde in Form gebracht, vermutlich zuerst in die Form eines Eis geschliffen, dann in vier Teile gesägt. Ein versteinertes Ei haben wir also nicht vorliegen, sondern ein menschengemachtes ›faules‹ Ei aus echten Gesteinen, so wie Marmorstatuen eben auch keine versteinerten Menschen sind.« Ist das nicht ein traumhaftes Rätsel für Kinder und Erwachsene? Vom Schildchen am Marmorei durch Nachforschung zu Wahrheit, Würde und Wikipedia, die auch Achim nutzt, und für die ich gerne schreibe. Nur muss man Interesse und Kenntnis haben, um zur richtigen Quelle zu gelangen. Das lernen Kinder in Waldenburg ganz nebenbei an jedem Gegenstand im Kabinett: Einer davon interessiert alle! Wie das Waldenburger Ei, als eines der einfacher zu entschlüsselnden Gegenstände – zumindest für jemanden, der genügend Mumien-, Schmetterlings-, Elektrizitäts- und Versteinerungskundler:innen kennt –, garantiert fast jedes Ausstellungsstück des sächsisch-ordentlichen und nahezu unberührten Naturalienkabinetts in Waldenburg Stunden des Staunens, Schauens und Schauderns. Wenn ich ein paar Nächte alleine in einem Museum verbringen dürfte, dann hier. Und das will etwas heißen, denn ich durfte mit meiner Mitarbeiterin Tina schon mehrere Nächte im größten Mumienkeller der Welt in Palermo verbringen. Natürlich haben auch andere Museen ihren Reiz. Das schon erwähnte Naturhistorische Museum in Wien darf beispielsweise seit wenigen Jahren wieder das Schoßhunderl der Kaiserin Maria Theresia ausstellen, nachdem der neue Direktor dies zunächst für wenig lehrreich hielt und entfernt hatte. Da aber Generationen von Menschen im herrschaftlichen Treppenhaus des Museums am zugegeben niedlichen und natürlich exzellent hergerichteten Hund vorbeiflaniert waren, beugte sich die neue Direktion dem Wunsch der Massen. Eine nebensächliche Kuriosität, gewiss, aber was für eine! Auch im derzeit in Renovierung befindlichen Museum für Naturkunde in Berlin, aus dem ich zur Wende noch einen Baum aus einem der zerschrotteten Stockwerke wachsen sah, stehen wunderschöne Geheimnisse en masse, beispielsweise der Papagei des Naturforschers Alexander von Humboldt. Das Tier ist ein bisschen angekokelt, aber das ist eine andere Geschichte. Ich durfte Jacob, so heißt der Vogel, fotografieren, bevor er wieder in seiner schönen Museumskiste verschwand. Ein Moment, den ich nicht vergessen werde. Im Museum für Naturkunde gibt es auch Einhornhörner und Millionen anderer Kostbarkeiten zu sehen – hinter den Kulissen. Nur in Magdeburg darf ein offensichtlich gefälschtes Einhorn gleich im Museumseingang stehen. Doch seit Naturalienausstellungen immer glatter, schöner und moderner werden, und seit Didaktik Einzug hält, wo vorher pure Verschwendung und Vielfalt herrschten, da verschwinden auch die Füllhörner des Überflüssigen und Überzähligen. Wenn überhaupt noch vielfältige Wahllosigkeit gezeigt wird, die doch den Kern aller kindlichen Forschungsbewegungen bildet, dann unter dem modischen Mantel der Artenvielfalt. Das ist schön, aber auch traurig, da wir uns im größten Artensterben befinden, das Menschen je erlebt haben. Anstatt einer Erinnerung daran, wie viel Leben es einst auf der Erde gab, ist mir die Mischung aus Motoren, Motten und Mumien schon lieber. Es fehlt zwar das eigentlich Überge
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