23 dort gesuchten Gegenstand wäre das heute waldenburgische wurmstichige Holz-Modell der auseinanderbaubaren Frau gewesen. Naturhistorische Sammlungen übernahmen Kästen und Kisten mit Pflanzen und Insekten, allerdings nur mit langen Zähnen, weil die Lebens- und Liebeswerke nicht nur oft kreuz und quer zusammengewürfelt waren, sondern Sammel-Orte und -Zeiten fehlten. Manches aus Naturalienkabinetten verschwand also im Archiv oder auf dem Markt der Liebhaber:innen. Hatten die sammelnden Großeltern, früher oft Lehrerinnen oder Lehrer, Hagestolze und Sonderlinge, ihren Erben nicht rechtzeitig den Wert des aus ihrem eigenen Naturalienkabinett oder dem diesem Abgekauften nahegebracht, dann landeten die damals teils noch leichter wieder beschaffbaren oder sonstwie schlicht wertlos gewordenen Dinge im Müll. Sie kennen das von Manschettenknöpfen oder Fabergé-Eiern (falls Sie wissen, was das mal war): Einst hochgeschätzte, teils teure Kleidungsbestandteile und Kunstobjekte, heute nicht einmal ein Gähnen wert. Dasselbe gilt für Comics, die seit wenigen Jahren in die Preußische Staatsbibliothek in Berlin aufgenommen werden. Es mussten drei Generationen vergehen, bis das vorstellbar wurde. Derweil verschwand sehr viel. Etwas einfacher hatten es medizinisch an- oder durchhauchte Sammlungen wie der Narrenturm in Wien. Dort sind bis heute anatomisch interessante Leichenteile ausgestellt, aber, wie in Waldenburg, auch ein vertrocknetes Kleinstkind in Gänze. Die Wiener Sammlung mit heute fast 50 000 Kabinettstücken entstand ab dem Jahr 1796 und wurde in den vergangenen Jahren frisch hergerichtet – wie auch das Medizinhistorische Museum in Berlin, das nach Erneuerung in diesem Jahr wieder geöffnet wurde. Immerhin blieb es erhalten; auch damit hatte vor zehn Jahren kaum noch jemand gerechnet. Im Jahr 2012 wurde die Sammlung des Narrenturms dem prächtigen Naturhistorischen Museum in Wien zugeschlagen, glücklicherweise nur formell und nicht räumlich. Andernfalls wäre dort mangels Ausstellungsfläche alles im Keller gelandet – ein Tanz auf der Messerschneide, bei dem meist kleine politische und geldliche Änderungen das verschwinden lassen oder erhalten, was zuvor in hunderttausenden von Arbeitsstunden zusammengetragen wurde. Die neuere elektro-pathologische Sammlung des Narrenturms aus dem Jahr 1936 wurde beispielsweise in den 1980er Jahren erst vom Elektrotechnischen Museum und nach dessen Schließung vom Technischen Museum übernommen. Das ist bemerkenswert, weil es am Gebäude des Narrenturms einen Blitzfänger gab, bei dem bis heute gerätselt wird, ob er der Stromerzeugung zur Behandlung ehemals dort einsitzender »Narren«, also geistig veränderter Menschen, gedient haben mag. Es könnte aber auch das Gegenteil, nämlich die Abwehr von Blitzen während Gewittern versucht worden sein. Beides, also die damals weiter nördlich sogenannten »Irren« mit Strom zu schocken, aber auch der Wunsch, das Wetter zu steuern, war damals en vogue, und beides interessiert heutige Kuriositätensucher:innen. Trotz des sinnvollen Bezugs zwischen elektrischer Sammlung und närrischem Gebäude fiel das Blitzkuriosum der Umformung anheim. Wie gesagt: Sammlungen zersplittern rasch. Schön, dass das in Waldenburg anders ist. Eine weitere, heute ebenfalls zu Unrecht als irgendwie schräg angesehene Sammlung ist das Mütter-Museum in Philadelphia. Es ist nicht nach weiblichen Eltern, sondern dem Arzt Thomas Mütter benannt, dessen Sammlung dort früh eingegliedert und schließlich auf ihn getauft wurde. Seit 1849 überlebt es die Zeiten, doch wenn ich auf das Museum hingewiesen werde, dann stets mit der augenzwinkernd schaurigen Anmerkung, es sei gruselig genug, um meine Aufmerksamkeit zu binden. Dabei liebe ich auch Motten und Flussbrücken, die findet sonst jeder langweilig. Trotzdem verstehe ich, dass Naturalienkabinette schnell Gedanken ans Seltsame auslösen. Mütter zeigt beispielsweise medizinische Geräte, die von frankensteinschen Horrorfilmen bis hin zur Kinohorrorserie stets in wunderliche Zusammenhänge gesetzt werden. Nur kamen zuerst die Geräte und dann die Filme ...
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