Leseprobe

146 In den Abbey Road Studios in London präsentiert Stella McCartney 2017 die erste Männerkollektion ihres 2001 gegründeten Modelabels. Die Designerin will nicht mehr ausschließlich Frauen, sondern auch Männer mit nachhaltiger Mode einkleiden. So vielfältig und bunt wie die vorgestellten Designs und verwendeten Materialien sind auch Cindy Shermans Inszenierungen, in denen sie diese überwiegend genderneutralen Outfits für Männer trägt. Die zehn großformatigen Fotografien sind nicht nur Teil ihrer Serie Men (2019–2020), sondern markieren den jüngsten Höhepunkt in ihrer intensiven Beschäftigung mit Fragen um Identität, Geschlecht und Gender. Eine ganz explizite Auseinandersetzung mit Darstellungsformen von Maskulinität(en) und Androgynität manifestiert sich dabei in ihren vielseitigen Charakteren. In den selbstbewussten, teilweise hierarchisch aufgeladenen Posen der alleine sitzenden oder zu zweit stehenden Figuren spielt Sherman noch mit Stereotypen von Männern: Lässig mit den Händen in den Taschen posierend (Untitled #602), breitbeinig auf einem Stuhl sitzend (Untitled #615) oder eine Hand auf der Schulter der anderen, als weiblich gelesenen Figur ablegend (Untitled #610). Gerade in diesen vermeintlichen Gegenüberstellungen einer als männlich konnotierten Figur neben einer als weiblich gelesenen gelingt es Sherman, die Grenzen zwischen den normativen Geschlechterzuordnungen aufzulösen, indem sie deren äußere Erscheinungsbilder einander annähert. In ihnen manifestieren sich Genderfluidität ebenso wie Diversität und neue Ausdrucksformen, die sich auch durch modische Statements äußern können. Angeordnet vor digital manipulierten Reisefotografien von Sizilien (Untitled #603), aus Tokio (Untitled #602), Bayern (Untitled #612, Untitled #615, Untitled #618), Sissinghurst (Untitled #609, Untitled #610) und Lissabon/Amagansett (Untitled #611), verweisen die eingeführten Effekte und Spiegelungen in den Hintergründen geradezu metaphorisch auf die Wandelbarkeit von Identität(en) und werfen somit ein weiteres Schlaglicht auf diesen aktuellen Diskurs. MEN

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