Leseprobe

60 Am Buffalo State College in New York (1972–1976) arbeitet die junge Künstlerin nicht ausschließlich fotografisch, sondern erprobt im Kurs des Experimentalfilmkünstlers Paul Sharits auch das Medium Film. In diesem Zusammenhang entsteht der Schwarz-Weiß-Stummfilm Doll Clothes (1975, 2:22 Minuten), dessen Protagonistin eine ausgeschnittene Fotografie ihrer selbst ist. Als Stellvertreterin auf Papier wählt die mittels Stop-Motion-Technik animierte und dadurch lebendig wirkende Figur in einem Akt aufblühender Autonomie und Emanzipation zwischen unterschiedlichen Outfits, was durch den Eingriff einer übergroßen Hand jäh unterbunden wird. Diese sogenannten Cut Outs nutzt Cindy Sherman bis zu ihrem Umzug nach New York City (1977), um sich in unterschiedlichen Rollen zu inszenieren, komplexe Bildgeschichten zu entwickeln und sich spielerisch, zuweilen auch kritisch, mit aktuellen Themen auseinanderzusetzen. Die Titelbildgestaltungen renommierter Hochglanzmagazine sind hingegen Vorbild der fünf dreiteiligen Arbeiten Cover Girls (1975/2011). Während es sich beim ersten Bild der Serie jeweils noch um Fotografien der Originalcover von Zeitschriften wie Mademoiselle oder Vogue handelt, inszeniert sich Sherman auf den beiden anderen Titelbildern selbst und ersetzt die Gesichter der Modelle in einem aufwendigen, analogen Prozess mit ihrem eigenen. So gelingt ihr in dem zweiten Cover eine nahezu perfekte Annäherung an die Vorlage, wohingegen sich ihre Mimik im letzten Titelbild ins Groteske verschiebt. In ironischer Überspitzung stellt sie die normativen Schönheitsideale unserer Gesellschaft infrage, mit denen wir tagtäglich konfrontiert werden und die uns nicht nur auf Magazincovern, sondern auch auf Werbeanzeigen im öffentlichen Raum begegnen. In diesem Kontext werden die Arbeiten im selben Jahr auch erstmals präsentiert, nämlich auf den Werbeflächen im Innenraum eines Busses, in dem für einen Monat die Ausstellung Photo Bus von der CEPA Gallery und dem Niagara Frontier Transit Metro System ausgetragen wird. FRUHEWERKE

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