Leseprobe

15 Modebranche erhält. Zunächst ist es die New Yorker Boutiquebesitzerin Dianne Benson, die Sherman 1983 beauftragt, Kleider von renommierten HighFashion-Modehäusern wie Jean Paul Gaultier, Comme des Garçons und Issey Miyake für die März- und Juni-Ausgabe der Zeitschrift Interview zu bewerben (s. Abb. auf S. 74–75). Statt nur die Kleidungsstücke zu inszenieren, stellt Sherman das Verhältnis der Frauen zu den Kleidern in den Mittelpunkt ihrer Serie: Gesten, Körperhaltungen und Stimmungen scheinen sich hier ihrer üblichen Funktion als Inszenierungsmittel der Kleider zu widersetzen. Im Vergleich zu den traditionellen Fashionbildern wirkt hier alles exzessiv, vulgär, seltsam: unelegante Posen, zerzauste Haare, verschmiertes Make-up, blasse Gesichter und ausgeprägte Augenringe (Untitled #122, s.Abb. auf S. 71). Zu dieser Gruppe gehört auch das Foto, auf dem Sherman mit einem Korsett von Jean Paul Gaultier bekleidet vor einem Stoffbehang mit Blumenmuster posiert (Untitled #131, Abb. 1). Gerade aufgrund ihres krampfhaften Versuchs, hübsch und sexy auszusehen, erscheint die Protagonistin eher linkisch als attraktiv. Sie strengt sich an, in das offensichtlich zu groß für ihre Brust entworfene Kleidungsstück zu passen, und positioniert ihre Hände ungeschickt vor ihrer Scham, als ob sie unseren voyeuristischen Blick maliziös einfangen oder sich keusch vor ihm verstecken wolle. Mit subtiler Ironie spielt Sherman hier noch auf eine Passivität und Zurückhaltung von weiblichen Figuren an, was der Popstar Madonna einige Jahre später völlig umstürzt, als sie eben dieses Gaultier-Korsett während ihres provokanten Auftritts für die Blonde Ambition Tour 1990 trägt (Abb. 2).6 Nach der kontroversen Rezeption der Werbeaufnahmen für Benson folgt 1984 ein zweiter Auftrag des französischen Modehauses Dorothée Bis7 für Vogue Paris. Während Sherman für Benson nur »etwas außerhalb des Gewöhnlichen«8 konzipieren wollte, geht es ihr in dieser neuen Serie darum, »zu schockieren«.9 Die entstandenen Aufnahmen sind tatsächlich extremer: Sie zeigen abstoßende Figuren mit Narben, Falten und blutigen Flecken (Untitled #133, Untitled #132, s.Abb. auf S. 77, 80) und erzeugen eine beängstigende und düstere Atmosphäre. Wie die Künstlerin selbst erinnert: »Ich wollte richtig hässliche Bilder machen« und »etwas tun, um die Vogue Paris was not an isolated case. Untitled of 1990–1991 [Cosmo Cover Girl] is another provocative image that overstepped the limits of acceptability at the time, at least as far as the commissioning editors were concerned (see fig. on p. 90). Intended for the cover of Cosmopolitan, it was roundly rejected by the publisher. It shows the artist in the guise of a pregnant woman with exaggerated makeup, a come-hither look, and a wet, ripped blouse that fails to conceal her engorged fake breasts and bulging belly. Her grotesque appearance, which satirized hitherto sacrosanct ideas of motherhood, beauty, and elegance, was considered too disturbing. Two years later, Sherman was commissioned to illustrate an article for the American edition of Harper’s Bazaar (see figs. on pp. 94– 95). For this she staged herself in clothes from the spring collections of Christian Dior, Jean Paul Gaultier, John Galliano, Dolce & Gabbana, Calvin Klein, and Vivienne Westwood. The artist took the commission as an opportunity to conceive a fresh set of bizarre characters, whose fanciful theatricality conjured a less somber atmosphere than her 2 Madonna: Blonde Ambition Tour. Sie trägt ein konisches Korsett von Jean Paul Gaultier. Feyenoord Stadion – De Kuip – Rotterdam – Holland – 24. 7. 1990 Foto gie Knaeps Madonna: Blonde Ambition Tour. She is wearing a Jean Paul Gaultier conical bra corset. Feyenoord Stadion – De Kuip – Rotterdam– Holland – 07/24/1990 Photo gie Knaeps

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