Leseprobe

SCHLÖSSER PREUSSEN KOLONIAL ORTE, BIOGRAFIEN UND SAMMLUNGEN

Herausgegeben von der Generaldirektion der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg SANDSTE I N ORTE, BIOGRAFIEN UND SAMMLUNGEN SCHLÖSSER PREUSSEN KOLONIAL

Schlösser. Preußen. Kolonial. Die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg betreut ein international bedeutendes, reiches und widersprüchliches Erbe, dessen künstlerische Bedeutung bewundert wird, das historischpolitisch aber immer wieder Debatten über die Rolle Preußens und seines Herrscherhauses auslöst. Unsere Aufgabe ist es, dieses Erbe für unsere und zukünftige Generationen zu bewahren und aus aktueller Perspektive zu befragen. Denn Debatten der Gegenwart stellen immer auch unser Geschichtsbild infrage. Neue Anliegen und Themen fordern von uns auch den Blick zurück. Woher sind wir dahin gekommen, wo wir jetzt sind? Wie schätzen wir die Geschichte aus der heutigen Situation ein? Welches historische Wissen fehlt uns, um das Heute zu verstehen? Deutschland debattiert zurzeit intensiv seine Rolle in Europa und der Welt sowie welche Verantwortung Gesellschaft und Staat in der internationalen Gemeinschaft übernehmen wollen. Die wichtige Frage nach der kolonialen Vergangenheit und einer rassistischen Gegenwart ist in Deutschland lange kaum gestellt worden. Wir verdanken es der Zivilgesellschaft und einem von ihr angestoßenen neuen politischen Diskurs, dass dieses Thema nun endlich auf der Tagesordnung steht. Der deutsche Kolonialismus beruhte auf brutalen Praktiken, hat zu Versklavung und Völkermord geführt – und fordert im Weiterleben des Rassismus bis heute Opfer. Vorwort

4 – 5  Unsere Stiftung nimmt die Herausforderung an und will als kulturelle Organisation eine produktive Rolle in dieser aktuellen gesellschaftlichen Debatte spielen. Beginnt erst einmal das Suchen und das Fragen, dann sind die Spuren des Kolonialismus am preußischen Hof und in den von uns betreuten ehemaligen kurfürstlichen und königlichen Schlössern unübersehbar. Diese festzustellen, Zugang zu den Sammlungen zu schaffen und die Besuchenden zu informieren, ist der Anfang. Ein erstes Ziel ist 2023 mit der Ausstellung Schlösser. Preußen. Kolonial. erreicht, in der wir den Stand unserer Fragen und unseres Wissens zur Diskussion stellen. Und schon diesen ersten Schritt wollten wir nicht allein gehen, denn der weiße Blick hat lange zu Blindheit gegenüber dem Thema geführt. Er muss heute unbedingt durch einen kritischen Austausch mit denjenigen, die bisher nicht zu Wort kamen, und ebenso mit einem geschärften Blick von außen ergänzt werden. Wir möchten dabei behutsam vorgehen, um keine Fehler zu wiederholen. Vieles bleibt zu erforschen und zu verstehen. Und vieles bleibt auszuhandeln: Die unterschiedlichsten Einschätzungen und Erfahrungen treffen hier aufeinander. Wie das ganze Land hat auch die Stiftung noch den Großteil des Weges vor sich. Wir wissen noch zu wenig, vor allem aber müssen wir als Einrichtung Konsequenzen ziehen. Unsere Aktivitäten in Bildung und Teilhabe müssen den Themen Kolonialismus und Rassismus eine größere Bedeutung geben – und die Organisation selbst muss sich kritisch mit ihren eigenen Strukturen und Denkweisen auseinandersetzen. Das erfordert Anstrengung – doch das Ziel einer gerechteren Gesellschaft und einer faireren Darstellung der Geschichte ist es wert. Diese Publikation lädt Sie dazu ein, sich gemeinsam auf den Weg zu begeben: zu vernachlässigten und verschwiegenen Kapiteln der preußischen Geschichte, zu bisher unbekannten Biografien und zu der Kunst und ihren Botschaften im Dienst der Herrschaft. Dabei werden Sie die preußischen Schlösser und Gärten neu kennenlernen. Herzlich willkommen! | CHRISTOPH MART IN VOGTHERR

Brandenburg-Preußen hat eine lange zurückreichende koloniale Vergangenheit. Die Schlösser und Gärten waren immer wieder Schauplätze kolonialer Handlungen und Denkweisen. Die Hofgesellschaft war dabei zum Teil direkt, zum Teil indirekt in dieses System eingebunden. Noch bis ins 19. Jahrhundert arbeiteten verschleppte Menschen am preußischen Hof. An zahlreichen Kunstwerken in den Schlössern können koloniale Kontexte abgelesen werden. So selbstverständlich diese Aussagen für viele klingen, so wenig bekannt sind im Einzelnen die Hintergründe, Geschichten und Biografien. Bisher wurden die Schlösser und die Sammlungen in erster Linie mit einem europäischen Blick auf ihre architektur- und kunsthistorischen Besonderheiten betrachtet und den Besuchenden präsentiert. Im Angesicht einer pluralistischen Gesellschaft, sozialem Wandel, kultureller und gesellschaftlicher Globalisierung sowie einer beginnenden Auseinandersetzung mit der deutschen und preußischen Kolonialgeschichte ist es wichtig und notwendig, diese Erzählweise zu erweitern und bisher übersehene oder vernachlässigte Perspektiven hinzuzufügen. Jedes der 24 vorgestellten Objekte, Werkkonvolute oder Gebäude wird zunächst auf klassische Weise kunsthistorisch beleuchtet. Ein weiterer Text zu demselben Objekt behandelt dann die Lücken in der Geschichte, oder erzählt eine Parallelgeschichte, die sich auf Aspekte der Kolonialgeschichte, Probleme bestehender Narrative oder auf ausgeklammerte Informationen etablierter Kontexte konzentriert. So ist unter anderem nachzulesen, dass die auf der Pfaueninsel hergestellten farbigen Glasperlen im Versklavungshandel in Westafrika als Zahlungsmittel eingesetzt wurden, auf welchen Wegen die Biografien von Schwarzen Bediensteten am Hof teilweise rekonstruiert werden können und wie vermeintlich chinesische Motive in der angewandten Kunst meist europäische Vorstellungen von China wiedergeben. Mit dieser Sichtweise steht das Handbuch erst am Anfang des Prozesses einer kritischen Aufarbeitung der kolonialen Kontexte in den Schlössern und Gärten. Der notwendige externe Blick wird hier zunächst nur auf zwei besonders kritisch diskutierte Objekte geworfen: die Büsten des Ersten Rondells im Park Sanssouci (Kapitel 5) und die sogenannte Spitze des Kilimandscharo im Neuen Palais (Kapitel 24). Einführung

6 – 7  Immer wieder stößt man auf das Problem der ungleich geführten historischen Quellen. Es sind in den Schlössern kaum Quellen überliefert, die nicht aus der Perspektive der Mächtigen geschrieben wurden. Die vorhandenen historischen Zeugnisse hinterlassen Lücken, da sie nur die Hälfte der Geschichte zeigen. Nicht immer können diese gefüllt werden, denn es fehlt oft schlicht an Informationen. Diese Publikation leistet einen Beitrag dazu, ein Bild der Fülle und der Vielfalt von Perspektiven und Narrativen aufzuzeigen, die Erkenntnisse erweitern und weitere Forschungen anstoßen wollen. Die Texte liefern kein vollständiges Bild, sondern sie verstehen sich als eine erste Annäherung. Mit diesem Handbuch können alle an kolonialen Kontexten Interessierten gezielt Schlösser, Parks und Sammlungen in und um Berlin und Potsdam aufsuchen, um mehr über bisher nicht erzählte Geschichten der Kunstwerke, Objekte oder Räumlichkeiten zu erfahren. Es lädt aber auch alle anderen Besuchenden ein, ihren Rundgang um den kolonialen Fokus zu erweitern. Zur Terminologie Die Autor:innen der Beiträge bemühen sich, mit der Sprache sensibel umzugehen. Wir möchten nicht, dass die Texte Begriffe enthalten, die für manche verletzend und diskriminierend wirken. Wir haben uns daher entschieden, M_ nicht auszuschreiben und die historische Bezeichnung Kammertürke in kursiv zu setzen. Auch der Begriff »exotisch« wird in dieser Publikation kritisch verwendet, da er dazu beiträgt, Beschreibungen außereuropäischer Menschen, Pflanzen und Objekte zu verklären und implizit positive rassistische Vorurteile anwendet. Schwarz wird in dieser Publikation großgeschrieben, da nicht eine biologische Eigenschaft gemeint ist, sondern die sozio-­ politische Zugehörigkeit. Wie bei dem Begriff People of Colour (PoC) handelt sich um eine Selbstbezeichnung. | CAROL IN ALF F SUSANNE EVERS HATEM HEGAB

Die preußischen Schlösser und Gärten sind Orte, die Macht, Schönheit und manchmal auch eine verklärte Sehnsucht nach fernen Ländern repräsentieren. Sie wurden über Generationen durch die regierenden Monarchen ausgestaltet. Gern wird bis heute das malerische Idyll der Potsdamer und Berliner Schlösserlandschaft beschrieben. Dabei werden vielfach das eurozentrische Weltbild und der globale Herrschaftsanspruch übersehen, die ihren Ausdruck in den Dekorationen und Kunstwerken fanden. Wie soll man sich diesen Orten nähern? Welche Geschichten erzählen sie uns und welche Geschichten müssen ergänzt werden, um ihre globalhistorische Bedeutung zu verstehen? Welche Präsentationen der Objekte und Werke sind dafür möglich oder sogar notwendig? Historische Zusammenhänge erfordern eine differenzierte Behandlung, da die Bedeutung von Orten nicht in Stein gemeißelt ist. Nur die ganze Bandbreite der Geschichten kann diesen Orten und ihrer Bedeutung gerecht werden.

ORTE 9 – 12

1 REITERSTANDBILD DES KURFÜRSTEN FRIEDRICH WILHELM Abb. 1 In Ketten gelegte Figur am Reiterstandbild des Kurfürsten Friedrich Wilhelm

Abb. 2 Reiterstandbild des Kurfürsten Friedrich Wilhelm mit vier in Ketten gelegten Figuren verschiedene Bearbeiter, 1703–1709 Bronze, SPSG, Schloss Charlottenburg Skulpt.slg. 5247

12 – 13 Reiterstandbild des Kurfürsten Friedrich Wilhelm Das Denkmal, beauftragt von Friedrich III. (später König Friedrich I.), zeigt den Kurfürsten Friedrich Wilhelm auf einem Pferd reitend, den Blick in die Ferne gerichtet. Ihm zu Füßen sitzen vier in Ketten gelegte Menschen, die vermutlich seine Feinde, Schweden, Polen, Frankreich und das Osmanische Reich, symbolisieren.1 Das 1703 fertiggestellte und auf der Langen Brücke vor dem Berliner Schloss positionierte Reiterstandbild wurde 1708/09 um die vier Sockelfiguren ergänzt. Die politische Bedeutung der Figuren wird bis heute diskutiert.2 Ikonografisch eindeutiger sind die französischen Vorbilder dieser Statuen von versklavten oder gefangenen Männern: So war der Sockel des während der Revolution zerstörten Monuments von König Henri IV. auf der Pont Neuf (Neue Brücke) in Paris von vier Figuren gesäumt, die versklavte Männer zeigten. Bei einer handelte es sich um einen Afrikaner.3 Die Skulpturen der Sklaven am Sockel des 1792 zerstörten Denkmals von Louis XIV., das auf der Place de la Victoire in Paris stand, ähneln in der Art ihrer Gestaltung den jedoch allgemeiner gehaltenen Figuren am Reiterstandbild des Kurfürsten.4 Sowohl in Paris als auch in Berlin wurde die Aufstellung der Statuen mit dem begleitenden zeremoniellen Programm kritisiert und erhielt polemische Repliken. Im Fokus dieser standen die der Götzenverehrung gleichkommende Herrscherehrung und die vermeintliche Unterwerfung der Feinde, versinnbildlicht durch die versklavten Menschen.5 In Frankreich wurden die Herrscherdenkmäler während der Französischen Revolution gestürzt und die Figuren der Versklavten separat bewahrt, weil der damit ausgedrückte Machtanspruch während der Revolution auf Ablehnung stieß. Koloniale Bestrebungen waren vom Machtanspruch des Kurfürsten und seines Nachfolgers nicht ausgenommen. Auf der lateinischen Inschrift am Sockel des Berliner Reiterdenkmals, die von dem für das ikonografische Programm zuständigen Gelehrten Johann Georg Wachter verfasst wurde, ist der Monarch als »Held« beschrieben, der für die »Liebe des Erdkreises« stand und als »Schrecken der Feinde« galt.6 Die imperialen Ambitionen des Monarchen umfassten um 1700 auch die Westküste Afrikas und Gebiete darüber hinaus. Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Bedeutung dieses Strebens prominent aufgegriffen. So soll Kaiser Wilhelm I. nach dem Erwerb von Kolonien ehrfürchtig gesagt haben, dass er nun mit gutem Gewissen vor das Reiterstandbild treten könne, da er das koloniale Vorhaben des Kurfürsten »aufgenommen und weiter ausgebildet« habe.7 | CAROL IN ALF F Machtanspruch in Bronze

Abb. 3 In Ketten gelegte Figuren am Sockel des Reiterstandbilds Denkmäler und die ihnen zugeschriebene Bedeutung Unter der Herrschaft von Kurfürst Friedrich Wilhelm errichtete Brandenburg an der im heutigen Ghana gelegenen Goldküste Fort Großfriedrichsburg. Nach der Gründung der Brandenburgisch-Afrikanischen Compagnie (BAC) im Jahr 1682 bot die Festung Preußen die Möglichkeit, Gold, Elfenbein und insbesondere Sklav:innen auszuführen. Das Reiterstandbild des Großen Kurfürsten vor Schloss Charlottenburg erinnert an einen Teil der preußischen Kolonialgeschichte. Ausführung: Andreas Schlüter (Bildhauer), Johann Jacobi (Gießer), Gottlieb Herfert (Bildhauer), Johann Samuel Nahl (Bildhauer), Cornelius Heintzy (Bildhauer), Johann Hermann Backer (Bildhauer) 1703–1709, Bronze Provenienz: Reiterstandbild 1703 auf der Langen Brücke aufgestellt; Einweihung am Geburtstag von König Friedrich I.; 1708/09 Figuren, die Seitenreliefs und die Inschriftentafel am Sockel ergänzt; 1943 kriegsbedingte Auslagerung nach Ketzin; 1947/48 im Tegeler See versunken; 1951 im Ehrenhof von Schloss Charlottenburg aufgestellt; 1952 wurde der Sockel ergänzt.

14 – 15 Reiterstandbild des Kurfürsten Friedrich Wilhelm Im 17. Jahrhundert wurden zwischen 17000 und 30000 Afrikaner:innen von der BAC verschleppt und versklavt. Nach dem Tod Friedrichs I. 1713 ging die Festung schließlich an niederländische Kolonisten über. Freilich hatte sich Brandenburg durch seine auf Kosten Tausender Afrikaner:innen unternommenen Kolonialbestrebungen zu diesem Zeitpunkt bereits Prestige und finanzielle Gewinne gesichert. Die Motive des Reiterstandbilds, das an den Großen Kurfürsten erinnert, verklären Preußens Macht und Oberhoheit über seine Staatsfeinde. Nur ein Teil dieser Erzählung jedoch wird hier sichtbar; die BAC und ihre Rolle im Sklavenhandel bleiben unerwähnt. Welche Funktion erfüllt das Standbild aber dann als Mahnmal? Welche Narrative vermittelt es; welche werden aus der Geschichte ausgeklammert? Theodor Michael stellt seinem Buch Deutsch sein und Schwarz dazu gleichsam als Motto ein fiktives Zitat voran: »Der eine: ›Ja, genau so ist es gewesen.‹ Der andere: ›Aber genau so war es nicht.‹«8 Der Autor möchte uns darauf aufmerksam machen, dass uns Geschichte präsentiert wird, als sei sie »genau so« geschehen, wie sie erzählt wird. Das Narrativ der Vergangenheit aber ist niemals abgeschlossen; viele Dinge sind nie erzählt worden. Das Narrativ des Reiterstandbilds lässt sich zu einer umfassenderen Erzählung der Kolonialgeschichte erweitern. Seit 2020, andernorts auch früher, werden Mahnmäler für Kolonialgeschichte und rassistische Figuren immer häufiger infrage gestellt. In Deutschland löste die (geplante) Umbenennung von Straßennamen in Berlins Afrikanischem Viertel und der M_straße in Berlin-Mitte heftige Diskussionen aus. Anders als die Umbenennung von Straßen würde eine Umwidmung des Standbilds aber nicht den Zweck erfüllen, historische Narrative zu korrigieren. Ein Denkmal gibt schließlich nicht die Geschichte selbst wieder. Vielmehr stehen Denkmäler für ein Narrativ der Vergangenheit, das Einzelne ihnen zugeschrieben haben.9 Das Reiterstandbild etwa erzählt ausschließlich den Teil der preußischen Geschichte, der in ihm Gestalt angenommen hat. Die bislang bekannte historische Erzählung aber ist unvollständig. Historiker:innen, Künstler:innen und Restaurator:innen haben die Aufgabe, diese Erzählung zu berichtigen. Eingriffe in Denkmäler – sei es in Form von Ergänzungen, Veränderungen oder auch ihrer Beseitigung – könnten den Weg in die Zukunft weisen. Vor diesem Hintergrund könnte man das historische Narrativ des Reiterstandbilds so umschreiben, dass nicht nur die Perspektive der Mächtigen in ihm zum Ausdruck kommt. | HATEM HEGAB | 1 Vgl. Frank 2001. – Ziegler 2010. | 2 Frank 2001, S. 351, Anm. 31. | 3 Vgl. Frank 2001, S. 342. – McGrath 2012. | 4 Vgl. Ziegler 2010, S. 132. | 5 Vgl. Frank 2001. | 6 Inschrift zitiert in Frank 2001, S. 344, nach Ladendorf 1961. | 7 Schmidt 1893, S. 450. | 8 Michael 2013, S. 8. | 9 Siehe Catterall 2020.

3 CHINESISCHES HAUS IM PARK SANSSOUCI Abb. 1 Eingang zum Chinesischen Haus im Park Sanssouci

Ein Pavillon der preußischen Chinoiserie Das Chinesische Haus im Park Sanssouci war ein Ort, um Gäste zu empfangen und ihnen eine Illusion vorzuführen. Der Pavillon wurde im Stil der preußischen Chinoiserie gebaut. Der Architekt Johann Gottfried Büring entwarf den Bau angeblich nach einer Skizze Friedrichs II.1 Inspiriert wurde der kleeblattförmige Grundriss vom Pavillon Trèfle im Park Lunéville. 1752 hatte der preußische König Stiche dieses Pavillons erhalten.2 William Halfpennys Werk Rural Architecture in the Chinese Taste von 1750 bis 1752 könnte ebenfalls eine Vorlage gewesen sein.3 So findet man darin chinoise Tempel mit rundem Grundriss, geschuppten Säulen und Glöckchen am Gesims, die den Architekten des Potsdamer Pavillons inspiriert haben könnten. Der Außenbereich ist mit vergoldeten Säulen in Palmenform gestaltet und mit musizierenden und Tee trinkenden Figuren bestückt. Die Bekleidung und Instrumente der Statuen, gefertigt von Johann Peter Benkert und Johann Gottlieb Heymüller, entsprechen dabei eher fantastischen Kostümen als authentischer chinesischer Kleidung. Abb. 2 Johann Gottfried Büring Chinesisches Haus im Park Sanssouci, 1754–1764

24 – 25 Chinesisches Haus Die männliche Figur auf dem Dach wurde nach einem Entwurf von Benjamin Giese angefertigt. Er hält einen Caduceus, den Stab, den Merkur von Apollon zum Dank für die Erfindung der Flöte erhielt, welches sicher ein Verweis auf das Lieblingsinstrument Friedrichs II. sein soll.4 Die Bemalung im Innenraum wurde nach Entwurfszeichnungen des französischen Künstlers Blaise Nicolas Le Sueur angefertigt und von Thomas Huber 1756 ausgeführt.5 Über dem Gesims wurde eine Balustrade gemalt, an der eine ausgelassene Gesellschaft in den Saal schaut. Die vermeintlich chinesische Kleidung sowie die sie umgebenden Papageien, Affen und Dekorationen sind von dem damaligen Geschmack des »Exotismus« geprägt. Die Gestaltung des Pavillons steht im Spannungsfeld zwischen den Ansprüchen Friedrichs II. nach herrschaftlicher Repräsentation und Intimität.6 Einen prägenden Einfluss auf das Chinabild des Königs und die Gestaltung des chinesischen Hauses hatte die Beziehung von Friedrich II. zu Voltaire. Der französische Schriftsteller kam 1750 aus Lunéville für drei Jahre an den preußischen Hof. Er beschäftigte sich in dieser Zeit mit der Geschichte und Kultur Chinas und verarbeitete dies in seiner Weltgeschichte. Voltaire beschreibt darin China als einen friedvollen Idealstaat mit einem zentralistischen Herrschaftssystem, auf das die Kirche keinen Einfluss hatte.7 | CONSTANT I JN JOHANNES LEL IVELD Abb. 3 Innenraum des Chinesischen Hauses

»Exotik« statt Authentizität Schon 1789, einige Jahre nach Fertigstellung des Pavillons, äußerten sich Zeitgenossen kritisch über den Bau. Manger bedauerte, dass Büring die Bücher von William Chambers, welcher bei mehreren Aufenthalten in China die Architektur und Gartenkunst des Landes studierte, nicht zur Verfügung hatte.8 Mit dem 1757 erschienenen Buch Chinese Designs, Buildings, Furniture, Dresses and Utensils kam ein Wunsch nach Authentizität auf.9 In späteren chinoisen Bauten im Park ist dieser Einfluss nachweisbar: Die Chinesische Brücke, welche im Park Sanssouci geplant, aber nie ausgeführt wurde, beruht auf Zeichnungen, die bei Chambers selbst bestellt wurden.10 1770 entstand das Drachenhaus, dessen Entwurf Büring zugeschrieben wird und das Carl von Gontard ausführte. Dieser Bau bezieht sich eindeutig auf die Entwürfe Chambers’.11 Halfpennys Werk Rural Architecture in the Chinese Taste hingegen, das vermutlich als Inspiration für den Pavillon diente, lieferte mit geschwungenem Dachgesims, Drachen und Glöckchen wenig Authentisches, dafür aber alle Elemente der chinoisen Architektur in Deutschland.12 Abb. 4 Detail des Deckengemäldes im Chinesischen Haus

26 – 27 Chinesisches Haus | 1 Vgl. Manger 1789, S. 238. | 2 Vgl. Wilhelm 2005, S. 206. | 3 Vgl. Tack 1993, S. 44. | 4 Vgl. Hüneke 1993, S. 60. | 5 Vgl. Komander 1993, S. 74. | 6 Vgl. Wilhelm 2005, 196 f. | 7 Vgl. Song 2014, S. 20. | 8 Vgl. Manger 1789, S. 237 f. | 9 Vgl. Tack 1993, S. 44. | 10 Vgl. Harksen 1993, S. 51. | 11 Vgl. Tack 1993, S. 45. | 12 Vgl. Tack 1993, S. 44. Aus der Perspektive der ostasiatischen Kunstgeschichte erinnert der Potsdamer Pavillon wegen seiner Grundform an den Himmelsaltar (chin. 天壇) in Peking. Dieser wurde 1420 vom Yongle-Kaiser erbaut und diente den Kaisern als Ort für die Durchführung der Ernterituale. Es ist erstaunlich, wie wenig chinesische Elemente sich am Bau und dessen Ausgestaltung finden lassen, da chinesisches Exportporzellan, welches zahlreich von den Preußen gesammelt wurde, hervorragende Vorlagen für die Gestaltung der Figuren, Kostüme oder Instrumente geboten hätte. Eine mögliche Vorlage für die geflügelte Pickelhaube einer Figur auf dem Deckengemälde ist der chinesische Beamtenhut Futou (chin. 幞頭, Abb. 4). Dieser ist in der China illustrata des Jesuiten Athanasius Kircher von 1667 abgebildet und könnte die preußische Variante inspiriert haben (Abb. 5). Das Gebäude zeigt, was den Monarchen an China interessierte. Es war ein »exotisches« Idyll, welches man zumeist mit dem Konsum feiner Exportwaren wie Tee oder Kaffee in Verbindung brachte. Denn hier zeigt sich nicht China, sondern die Idealvorstellung des Erbauers von China und seinen Schätzen. | CONSTANT I JN JOHANNES LEL IVELD Abb. 5 Athanasius Kircher Matteo Ricci and Paul Xu Guangqi Kupferstich in: China Illustrata (französische Ausgabe), Amsterdam 1670, S. 201

Die Schlösser und Gärten gewähren Einblicke in das politische Wirken und Leben der Monarchen, in ihre Regierungspraxis und ihre Förderung der Künste. Zumeist stehen hier die Herrscher, ihre Familien und das höfische Leben im Fokus der Erzählungen. Es lohnt sich aber, dabei auch einen Blick hinter die Kulissen auf die Menschen zu werfen, die nicht im Mittelpunkt standen. Nachforschungen haben bestätigt, was auf vielen Gemälden erkennbar ist: Zahlreiche Menschen waren im Laufe der Jahrhunderte an den preußischen Hof verschleppt worden. Zu ihnen zählten seit dem 17. Jahrhundert vor allem Schwarze Menschen und People of Colour, die seitdem Bestandteil der preußischen und später der deutschen Gesellschaft sind. Ihre Biografien zeugen von ihrer Abhängigkeit und von den höfischen Zwängen, aber auch von ihrem Widerstand gegen das höfische System.

58 – 59 BIOGRAFIEN

OTTO FRIEDRICH VON DER GROEBEN 9 Detail aus Abb. 1

Otto Friedrich von der Groeben an der Westküste Afrikas Abb. 1 H. Verwiebe nach Unbekannt (um 1701) Bildnis Otto Friedrich von der Groeben (1656–1728) 19. Jahrhundert, Öl auf Leinwand, 84×66 cm SPSG, GK I 9302, Schloss Oranienburg

62 – 63 Otto Friedrich von der Groeben Das Bildnis zeigt Otto Friedrich Graf von der Groeben, der als Gründer der im heutigen Ghana gelegenen Festung Großfriedrichsburg Bekanntheit erlangte. Das im Format des Bruststücks ausgeführte Porträt gibt ihn in Rüstung und mit dem kurbrandenburgischen Orden de la Générosité wieder. Von der Groeben war 1681 in die Dienste des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg getreten, der ihm im Mai 1682 die Leitung einer brandenburgischen Afrika-Expedition übertrug.1 Ziel war es, Brandenburg neben England, den Niederlanden und Spanien als Handelsmacht im Überseehandel zu etablieren. Hierfür sollten Handelsstützpunkte in Afrika errichtet werden. Er startete mit zwei Schiffen Richtung Afrika und ließ am 1. Januar 1683 die kurbrandenburgische Flagge auf afrikanischem Boden hissen. Bald darauf begann man an der westafrikanischen Küste mit dem Bau der Festung Großfriedrichsburg. Die Brandenburgisch-Afrikanische Compagnie beteiligte sich seit 1682 am Handel mit Gold, Elfenbein und Gummi, aber auch dem Handel mit Menschen.2 In Erwartung großer Gewinne verschiffte Brandenburg-Preußen in den folgenden Jahrzehnten insgesamt zwischen 10000 bis zu 30000 versklavte Afrikaner:innen.3 Verschiedene Elemente im Bildnis verweisen auf von der Groebens Tätigkeit für den Kurfürsten: So hält er den Grundriss der Festung Großfriedrichsburg in seiner Rechten, den er einem afrikanischen Mann überreicht. Die Inschrift auf dem Grundriss verweist auf die Beschlagnahmung des afrikanischen Territoriums im Namen des Kurfürsten am 1. Januar 1683 und die Gründung der Festung. Ein noch im Januar geschlossener Vertrag zwischen Brandenburg und den afrikanischen Einwohner:innen besagte unter anderem, dass das Fort ihnen Schutz zur Abwehr von Angriffen anderer Handelsnationen oder anderer afrikanischer Ethnien bieten sollte.4 Im Gegenzug sicherten sie Kurbrandenburg das exklusive Handelsrecht zu. So ist auch die im Bild gezeigte Handlung zu verstehen: Von der Groeben überreicht den Grundriss der Festung als Sinnbild für den angeblichen Schutz, den Brandenburg den Afrikaner:innen mit der Errichtung der Festung zusicherte. Der afrikanische Mann im Bild trägt im Gegensatz zu von der Groeben keine Porträtzüge und ist nicht als Individuum zu erkennen. Im Bild steht er stellvertretend für die Bevölkerung des afrikanischen Gebiets, auf dem Brandenburg seinen Handelsstützpunkt errichtete. | ALEX ANDRA NINA BAUER

Im Gegensatz zu Otto Friedrich von der Groeben ist von Jan Conny kein Porträt überliefert. Conny war ein aus dem Gebiet des heutigen Ghana stammender Kaufmann, der für Preußens Kolonialbestrebungen eine wichtige Rolle spielte. In britischen, französischen, deutschen und niederländischen Berichten trägt Conny je einen anderen Vornamen. Einzelheiten seines Lebens, wie Geburts- und Todesdatum oder seinen Geburtsnamen, sucht man in historischen Aufzeichnungen vergebens. In Darstellungen steht in der Regel die Rolle im Vordergrund, die Conny während der kolonialen Präsenz Brandenburgs an der Goldküste Ghanas spielte. In außereuropäischen Aufzeichnungen, insbesondere aus der Karibik, erinnert der alljährlich stattfindende Junkanoo-Karneval an Conny, dem in der Kolonialgeschichte Preußens größere Bedeutung zukommt, als aus bisherigen Erzählungen hervorgeht. Der Widerstand von Jan Conny Detail aus Abb. 1

64 – 65 Otto Friedrich von der Groeben | 1 Vgl. Schück 1889, Bd. 2, S. 133 f. | 2 Vgl. Van der Heyden 1993 und Weindl 2001. | 3 Zuletzt: Leschke 2019, S. 7. | 4 Vgl. Schück 1889, Bd. 2, S. 155–157. | 5 Vgl. Zaugg 2018, S. 43. | 6 Peters 1986, S. 9. | 7 Vgl. Mallinckrodt 2016, S. 114. Jan Conny, auch »Conny der Große« genannt, begegnete den Kolonisten Brandenburgs, als diese an der Goldküste eintrafen, um Großfriedrichsburg im heutigen Ghana gründen. Hier begannen die Kolonialbestrebungen Brandenburgs (später Preußens) in Afrika.5 Nach ihrem Eintreffen unterzeichneten Vertreter der BAC ein Abkommen mit »drei afrikanischen Prinzen«, das die Errichtung einer Festung und drei exklusiver Handelshäfen ermöglichte.6 Am Hof in Berlin hoffte man, dass die Festung die Ausfuhr von Gold, einer der begehrtesten Ressourcen Ghanas, ermöglichen würde. In historischen Aufzeichnungen deutscher Sprache erscheint Conny als wichtigster Vertreter Brandenburgs. Gleichzeitig bedrohte Brandenburg, wie auch die Niederlande und das britische Empire, Land, Ressourcen und Lebensgrundlagen der indigenen Bevölkerung. Als die brandenburgischen Kolonisten eintrafen, hatten sich viele Stämme bereits der Niederländer und Briten erwehrt, die hier seit Jahrzehnten Ressourcen abbauten. Diese Stämme hofften, dass die Gründung einer brandenburgischen Kolonie zur Schwächung des niederländischen Kolonialstützpunkts in der Region beitragen würde. Die von Conny betriebene Annäherung an die Kolonisten wird hier als Form des Widerstands gegen den europäischen Kolonialismus gesehen. Obwohl Conny die kolonialen Aktivitäten Brandenburgs unterstützte, findet der Widerstand gegen den europäischen Kolonialismus, den er und sein Stamm leisteten, in der brandenburgischen und preußischen Geschichtsschreibung keine Berücksichtigung. Als Preußen Großfriedrichsburg 1718 an die Niederländer verkaufte, stellte Conny sich gegen diese Abtretung, weil er unbedingt einen Ausbau der niederländischen Präsenz in der Region verhindern wollte.7 Mit einer Armee von 20000 Soldaten kämpfte er vier Jahre lang gegen die Niederländer, wurde allerdings 1724 zur Kapitulation gezwungen. | HATEM HEGAB

14 ALEXANDER VON HUMBOLDT AM CHIMBORAZO Detail aus Abb. 1

Abb. 1 Friedrich Georg Weitsch Alexander von Humboldt und Aimé Bonpland am Fuß des Chimborazo, 1806/07 Öl auf Leinwand, 161 ×226 cm SPSG, GK I 4145, Schloss Charlottenburg

90 – 91 Alexander von Humboldt am Chimborazo Auf einem Hochplateau der Anden hat der Forschungsreisende Alexander von Humboldt mit seinem französischen Kollegen Aimé Bonpland ein Lager aufgebaut. Im Vordergrund steht Humboldt in europäischer Kleidung und übernimmt einen Sextanten von einem indigenen Begleiter. In der rechten Ecke unter einer Zeltplane sitzt Aimé Bonpland mit einer Botanisiertrommel und über ein Herbarium gebeugt. Neben ihm liegt ein toter Kondor. Links macht eine Gruppe indigener Begleiter der Expedition ein Feuer, um Kartoffeln zu kochen, ein weiterer versorgt die Lasttiere. Den Hintergrund des Gemäldes bestimmt der schneebedeckte Vulkan Chimborazo, im heutigen Ecuador gelegen. Auf den Expeditionskisten, zwischen Humboldt und Bonpland, ist eine Aufschrift zu erkennen: »Expe[dition] Prussiana Hist[oriae] natur[alis]«. Neuere Forschungen haben ergeben, dass das Gemälde nicht vom preußischen König in Auftrag gegeben wurde, wie bisher angenommen, sondern von der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Es wurde nach Fertigstellung von König Friedrich Wilhelm III. angekauft.1 Während Humboldts Amerika-Reise von 1799 bis 1804 verbrachte die Expeditionsgruppe mehrere Tage am Chimborazo, wie wir durch das Reisetagebuch und zahlreiche Skizzen wissen. Die Besteigung des Sechstausenders scheiterte zwar, aber die Reisegruppe drang in eine bis dato nicht erreichte Höhe vor.2 Der Hofmaler Friedrich Wilhelm Weitsch schuf das Gemälde nach Anweisungen und Skizzen, die Alexander von Humboldt ihm zur Verfügung stellte. Der Forscher schätzte den Maler, beauftragte ihn gleich nach der Rückkehr aus Amerika mit einem Porträt und mit wissenschaftlichen Tierdarstellungen für seine Reisebeschreibung. Einzig die Beschriftung auf den Gepäckkisten hat der Maler vermutlich erst nachträglich und ohne Humboldts Wissen hinzugefügt. Die ganze Forschungsreise in die spanischen Kolonien, die mit Genehmigung und unter dem Schutz der spanischen Regierung stattfand, wird damit als preußisches Projekt deklariert. Die Inschrift bot somit dem preußischen König Friedrich Wilhelm III. die Möglichkeit, nachträglich an dem Ruhm der Expedition Anteil zu nehmen. Humboldt als deutscher Gelehrter und Untertan des Königs habe laut zeitgenössischen Berichten nicht nur der Wissenschaft, sondern auch der Nation ein Denkmal gesetzt.3 | SUSANNE EVERS Humboldts Expedition als preußisches Projekt

Wer ist der indigene Begleiter Humboldts, der ihm in dem Gemälde von Weitsch zur Seite steht und einen Sextanten reicht? In den bisherigen kunsthistorischen Beschreibungen des Gemäldes wird diese Person meist gar nicht erwähnt.4 Nach seinem Namen und seiner Geschichte sucht man hier vergebens. Ganz offensichtlich kommt ihm die wichtige Aufgabe zu, die wissenschaftlichen Instrumente zu hüten, denn er hält noch das Futteral des von Humboldt stolz präsentierten Sextanten in der Hand. Ebenso groß gewachsen wie der europäische Forscher bildet er trotz seines leicht unterwürfigen Blicks mit diesem gemeinsam das Zentrum des Gemäldes. Alexander von Humboldt und José de la Cruz Detail aus Abb. 1 Alexander von Humboldt und José de la Cruz

92 – 93 Alexander von Humboldt am Chimborazo | 1 Vgl. Männl 2020, S. 45–58. – Dagegen Lacher 2003, S. 147–154, 304 f. | 2 Vgl. Humboldt 2006, S. 79–103. | 3 Vgl. Männl 2020, S. 55, Anm. 32. | 4 Krätz 1997, S. 71 (»Auf diesem Gemälde von F. G. Weitsch 1810 sieht man ihn [Humboldt], europäisch gewandet, 1802 auf dem Hochplateau der Anden beim Hantieren mit einem Sextanten.«). – Lacher 2003, S. 304, Kat.-Nr. W348 (»Rechts im Vordergrund Humboldt mit Sextant und Bonpland mit Herbarium.«). – Dank an Laia Ribera Cañénguez für Anregungen zu der folgenden Recherche. | 5 Vgl. Faak 2003, S. 152. – Wolf 2016, S. 112 f. | 6 Vgl. Schaper 2018, S. 105. | 7 Vgl. Faak 2003, S. 85. | 8 Vgl. Biermann/Schwarz 2007, S. 87. – Pelizaeus 2018, S. 88–92. | 9 Vgl. Zantop 1999, S. 191–197. Die wissenschaftlichen Instrumente, die Humboldt und Bonpland mit sich führten, waren die Garanten des Erfolgs ihrer Forschungen und unterwegs unersetzlich.5 Daher kam dem Hüter der Instrumente eine herausgehobene Stellung zu, die in dem Gemälde augenfällig wird. Im August 1799, gleich nach ihrer Ankunft in Südamerika, trafen Humboldt und Bonpland in Cumaná auf José de la Cruz, wohl der Sohn eines Spaniers und einer Sklavin.6 Er wird die beiden während ihrer gesamten Reise als Diener begleiten.7 Im Reisejournal und in den Briefen Humboldts wird er mehrfach als Diener, aber auch als Träger bezeichnet.8 Insgesamt erwähnt Humboldt in den umfangreichen Publikationen zu seiner Südamerika-Reise aber selten die indigenen Bewohner:innen der Landstriche, die er bereist. Für seine europäischen Zeitgenoss:innen und für die Nachwelt entstand so das Bild der Europäer Humboldt und Bonpland, die menschenleere Gebiete betraten und dort die Natur erforschten.9 Das Gemälde von Friedrich Georg Weitsch beweist, dass dies keineswegs der Realität entsprochen hat. Die Darstellung von José de la Cruz im Bildzentrum neben Humboldt betont sogar, wie sehr Humboldt tatsächlich auf die Unterstützung durch Einheimische angewiesen war. Die Nichtbeachtung von José de la Cruz im Titel und bei der Rezeption des Bildes zeigt dagegen, dass man dies in Europa nicht zur Kenntnis nahm. | SUSANNE EVERS

Die Sammlungen der Schlösser sind reich an Objekten und Kunstwerken, die Pracht, Macht und Weltgeltung der Monarchen und ihrer Höfe zur Schau stellen. Gerade diese Objekte sind häufig Ausdruck eurozentristischer Ansprüche und kolonialer bzw. orientalisierender Vorstellungen. Manche Objekte wären ohne koloniale Ausbeutung nicht nach Preußen in die Schlösser und Gärten gelangt. Der weltweite Handel mit Kolonialwaren und begehrten Luxusartikeln war nicht selten mit dem Versklavungshandel verbunden. Diese kolonialen Verflechtungen sollen anhand einiger Sammlungsstücke beispielhaft aufgezeigt werden. Auch in Zukunft werden die Forschungen zu diesem Thema fortgeführt, denn die SPSG steht in der Pflicht, den Zugang zu den Sammlungen zu gewährleisten und alle Erkenntnisse und Informationen der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.

SAMMLUNGEN 108 – 109

17 KUNSTKAMMERREGAL Detail aus Abb. 1

Schönheit, zum Greifen nah Abb. 1 Georg Hainz Kunstkammerregal, um/nach 1666 Öl auf Leinwand, 128× 102 cm SPSG, GK I 3002, Schloss Caputh

112 – 113 Kunstkammerregal Um 1666 entstand das Gemälde Kunstkammerregal vom Hamburger Stilllebenmaler Georg Hainz. In einem Regal mit 15 Fächern werden wertvolle Objekte aus einer Vielzahl an kostbaren Materialien gezeigt. Zu sehen sind Schätze aus geschnittenen Halbedelsteinen, wie zum Beispiel die Karaffe aus Achat. Perlen und Korallenketten sind geschickt im Bild drapiert, um den Bildraum zu vertiefen. Ebenso hängen zwei Pistolen vor dem Regal mit demselben Effekt. Schalen, Pokale und Statuetten wirken wie eigenständige Kunstwerke in diesem Bild. In den unteren Fächern sind Naturalien wie Muscheln detailgenau wiedergegeben. In der Mitte des Regals steht ein großer Elfenbeinpokal mit Deckel, ein Werk von Joachim Henne, einem der angesehensten Elfenbeinschnitzer des Barock. Um 1663 bis 1665 war er gleichzeitig mit Hainz in Hamburg tätig.1 Auf dem Pokal sind Szenen eines Putten-Bacchanals dargestellt, also Putten beim Gelage des Weingotts Bacchus. Die rückseitige Szene des Pokals hat der Maler auf dem Elfenbeinhumpen im Fach links wiedergegeben. Hier wird der betrunkene Bacchus von Putten gestützt. Durch die täuschend echte Darstellung scheint das Bild in den Rahmen hineinzureichen. Diese Malweise wird trompe l’oeil genannt, französisch für »täusche das Auge«. Georg Hainz nutzte dabei den Setzkasten als virtuellen Raum, indem er die Objekte nah an die Bildoberfläche heranbrachte. Der damit verbundene Realismus der Gegenstände lässt die Vermutung aufkommen, dass sie aus einer konkreten Sammlung stammen, welche aber bis heute nicht nachgewiesen werden konnte.2 Viele der dargestellten Gegenstände im Kunstkammerregal sind Symbole der Vanitas, also Sinnbilder für die menschliche Vergänglichkeit. Diese für die Zeit des Barock typische Bildsprache steht im Spannungsfeld zwischen den Sentenzen carpe diem (Nutze den Tag) und memento mori (Bedenke, dass du sterben wirst). Auf dem Kunstkammerregal sind diese Dualitäten ebenfalls zu finden. Den spielenden Putten und den Trinkgefäßen als Bestandteile weltlicher Lust werden Totenköpfe und Taschenuhren als Vergänglichkeitssymbole entgegengesetzt. Die eigentliche Kunstkammer des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg weist ähnliche Schwerpunkte auf wie das Kunstkammerregal. Im Kunstkammerinventar von 1688, dem Toteninventar des Kurfürsten, bilden die »Geschnitzt=und Gedrechselten Kunstsachen«, auch Artificialia genannt, den Großteil der Sammlung, gefolgt von den Naturalia, den seltenen Naturobjekten.3 | CONSTANT I JN JOHANNES LEL IVELD

Die Gegenstände auf diesem Bild würde man ebenfalls als Naturalia und Artificalia einordnen. Die Schmuckdose unterhalb des Elfenbeinbechers ist aus Schildpatt, besetzt mit Lapislazuli, welches aus dem heutigen Afghanistan stammt. Schildpatt wurde im 17. Jahrhundert genutzt, um Möbel zu furnieren, und bezeichnet das Rückenschild der Schildkröten, die in tropischen Gewässern, hier wahrscheinlich aus dem Roten Meer oder dem Indischen Ozean, beheimatet sind. Auch die abgebildeten Muscheln stammen aus tropischen Gewässern. Links von der Schmuckdose sieht man eine Nautilusmuschel, die im westpazifischen Ozean vorkommt. Die Muschel rechts könnte die karibische Riesenflügelschnecke sein. Keine Pracht ohne Kolonialismus Detail aus Abb. 1

114 – 115 Kunstkammerregal | 1 Ausst.-Kat. Hamburg 2010, S. 104. | 2 Vgl. Segelken 2009, S. 38. | 3 Segelken 2009, S. 144. | 4 Vgl. Hogendorn/Johnson 1986, S. 14 f. | 5 Vgl. Ausst.-Kat. Amsterdam 2021, S. 11. | 6 Vgl. Raveaux 2020. | 7 Vgl. Warsh 2018, S. 32 f. | 8 Vgl. Ravichandran 2012, S. 320. Das Sammeln in den Kunstkammern war motiviert durch den Repräsentationsanspruch weltlicher Macht. Der Makrokosmos Welt sollte im Mikrokosmos Kunstkammer gesammelt und besessen werden. Somit sind Kunstkammern Abbilder der weltlichen Macht ihrer Besitzer:innen. Handelsexpeditionen der europäischen Großmächte zielten darauf ab, außereuropäische Waren zu erhalten. So gründete Kurfürst Friedrich Wilhelm 1682 die Brandenburgisch-Afrikanische Compagnie im Bestreben, direkten Zugang zu diesen Materialien zu erlangen. Der Versklavungshandel ist eine Praxis des Kolonialismus, um Profite durch unbezahlte Arbeit zu erhöhen. Viele der Materialien auf dem Gemälde von Hainz zeigen Verbindungen zum Kolonialismus auf oder sind sogar im Versklavungshandel eingesetzt worden. So wurden Kaurimuscheln, unten mittig im Regal, in Bengalen als Zahlungsmittel im Sklavenhandel verwendet.4 Die Niederländische Ostindien-Kompanie verkaufte Kaurimuscheln von den Malediven an die Niederländische Westindien-Kompanie, welche diese dann im Versklavungshandel an der Küste Westafrikas nutzte.5 Auch rote Koralle aus Italien in Form von Ketten wurde verwendet.6 Perlen wurden nach dem gewaltvollen Eindringen der Spanier in Südamerika von dort nach Europa verschifft. An der Nordküste des heutigen Venezuelas, besonders bei der Insel Margarita, sorgten die reichen Austernbänke für einen Ansturm der Spanier.7 Später begannen auch die Niederländer, an der Südwestküste Indiens, der sogenannten Coromandelküste, Perlen zu fischen, was zu gewaltvollen Auseinandersetzungen mit der Lokalbevölkerung führte.8 Somit erzählt das Kunstkammerregal mindestens zwei Geschichten. Eine zeigt den Herrschaftsanspruch und Reichtum eines Monarchen; die andere, wie durch koloniale Praktiken der europäischen Handelskompanien diese Gegenstände und Materialien nach Europa gekommen sind. | CONSTANT I JN JOHANNES LEL IVELD

21 DER GEFANGENE SULTAN BAYAZET VOR TAMERLAN Detail aus Abb. 1

Der venezianische Maler Andrea Celesti gestaltete in seinem monumentalen Gemälde den Triumph des Feldherrn Tamerlan über den Sultan Bayazet. Historischer Hintergrund ist die Schlacht bei Ankara 1402, bei der die Armee des turko-mongolischen Emirs Tamerlan (Timur Lenk oder Timur-i Lang) die Truppen des osmanischen Sultans »Bayezit I.« besiegte. Dabei wurde der Sultan gefangen; er verstarb in Gefangenschaft. Diese Niederlage des Osmanischen Reiches gilt als eine der schwersten seiner Geschichte. Im 17. und frühen 18. Jahrhundert bot das Ereignis Stoff für eine Reihe von Theaterstücken und Opern. Fantasievoll ausgeschmückt, verbreitete sich die Geschichte etwa durch das musikalische Drama von Giulio Cesare Corradi Il gran Tamerlano (Der große Tamerlan), das 1689 in Venedig aufgeführt wurde.1 Verschiedene Motive des Stücks finden sich auf Celestis Gemälde wieder. Er griff Corradis Beschreibung des Triumphzugs vor dem siegreichen Feldherrn Tamerlan mit Thron auf; ebenso den »belustigenden Anblick«, den Bayazet in dem eisernen Käfig bot, den der Sultan eigentlich für Tamerlan vorgesehen hatte.2 Wütend droht Bayazet dem Emir, weil der ihn zusätzlich erniedrigt, indem er sich von dessen halb entblößter Ehefrau Zelida bedienen lässt.3 Hinter Zelida ist mit Turban und einem spitzen Aufsatz wohl Emireno, Tamerlans Sohn, dargestellt. Emireno greift nach Triumph des Feldherrn Tamerlan Abb. 1 Andrea Celesti Der gefangene Sultan Bayazet vor Tamerlan um 1700, Öl auf Leinwand, 369×800 cm SPSG, GK I 5033, Potsdam, Neues Palais

136 – 137 Der gefangene Sultan Bayazet vor Tamerlan seinem Umhang, um die von ihm geliebte Zelida vor fremden Blicken zu schützen. Celesti versuchte, ein möglichst vielfältiges Bild der verschiedenen an Kriegen mit dem Osmanischen Reich beteiligten Menschen zu geben. Dazu gehören Mongolen, Perser, Polen und Afrikaner. Neben dem ästhetischen Reiz, den die so aufbereitete Geschichte bot, war der dahinterstehende Konflikt für die Republik Venedig von großem Interesse, da sie ebenfalls ein Gegner des Osmanischen Reiches war. In der Entstehungszeit des Gemäldes ging es um die Vorherrschaft unter anderem auf der Peloponnes und auf Kreta. Vermutlich hatte die Familie Dondi dell’Orologio das Gemälde beauftragt.4 Sie unterstützte die Republik Venedig in diesem Kampf wesentlich. Friedrich II. erwarb das Werk über Bonomo Algarotti für die Ausstattung eines Gästeappartements des Neuen Palais.5 Es galt nicht nur als eines der Meisterwerke Celestis, dessen Farbigkeit gelobt wurde, sondern interessierte auch durch die Darstellung von Herrscherverhalten. Nach dem Urteil der Zeit verstoßen beide Feldherren gegen den für Fürsten als verbindlich angesehenen Ehrenkodex, demzufolge auch besiegten Gegnern ihre Würde gelassen werden sollte. | FRANZISK A WINDT Detail aus Abb. 1

In seinem Gemälde, das in einer Zeit entstand, in der das Osmanische Reich als Bedrohung galt, brachte Andrea Celesti orientalisierende Vorstellungen von historischen Figuren und ihrer Bekleidung zum Ausdruck: Im Triumphzug des siegreichen turko-mongolischen Heerführers Tamerlan laufen Krieger, Janitschare mit Keçe auf ihren Köpfen, Krieger in Ausbildung (Acemi Oğlan) mit spitzen Hüten, Schwarze Musiker sowie versklavte und gefangene Krieger des besiegten osmanischen Sultans Bayazet mit Turbanen als Kopfbedeckung.6 Hervorgehoben werden im Gemälde die halbnackte weibliche Figur, die Ehefrau des Gefangenen, sowie die unwürdige und degradierende Darstellung Bayazets im Käfig.7 Das Herrscherbild, das von Tamerlan und Bayazet gezeichnet wurde, sollte für das europäische Publikum als Negativbild eines »orientalischen« Herrschers fungieren.8 So verstand es auch Friedrich II., der Tamerlan »als passionsgetriebenen Herrscher eines barbarischen und gewalttätigen Volkes« und Bayazet als »einen unbeherrschten Gefangenen« beschrieb.9 Der Brutalität des »orientalischen« Herrschers stand die vermeintliche Neutralität und Ausgewogenheit der antiken und – in dessen Nachfolge – der europäischen Rechtsordnung gegenüber. Negative Herrscherbilder des »Orients« Detail aus Abb. 1 Tamerlan und Zelida

138 – 139 Der gefangene Sultan Bayazet vor Tamerlan | 1 Corradi 1689. | 2 Corradi 1689, S. 49. | 3 Corradi 1689, S. 51. | 4 Mucchi/Croce/Morassi 1954, S. 131. | 5 Vgl. Krellig 2010, S. 20. | 6 Vgl. Stichel 1990/91. | 7 Vgl. Milwright/Baboula 2011, S. 242. | 8 Vgl. Windt 2009. | 9 Windt 2009, zitiert nach Friedrich der Große 1913, S. 194 f. | 10 Vgl. Milwright/Baboula 2011, S. 250 f. | 11 Vgl. Milwright/Baboula 2011. Die negative Einschätzung des turko-mongolischen Herrschers Tamerlan wurde im 18. Jahrhundert von einzelnen Autoren teilweise revidiert. Voltaire setzte sich beispielsweise kritisch mit verschiedenen europäischen Quellen zu den historischen Begebenheiten der Gefangennahme Bayazets auseinander. Allerdings hielt auch er die Lobeshymnen auf Tamerlan in den »orientalischen« Quellen für überhöht.10 Es gibt zahlreiche Primärquellen und Wiedererzählungen der Gefangennahme von Bayazet durch Tamerlan in verschiedenen Sprachen: Persisch, Arabisch, Türkisch sowie in mehreren europäischen Sprachen.11 Um dem wahren Kern der Geschichte näher zu kommen, müssten alle Quellen betrachtet werden. Im Fokus von Celestis Historiengemälde standen jedoch Facetten der Geschichte, die ihren Ursprung einseitig in europäischen Quellen hatten und keine Kenntnis der türkischen oder persischen Schriften aufwiesen. Die vorurteilsbehafteten Herrscherbilder dieser Geschichte, die Brutalität, Sexualität und Unbeherrschtheit hervorheben, wurden später politisch zur Legitimierung der Kolonialisierung des »Orients« instrumentalisiert und schaffen noch heute Vorbilder für Rassismus gegen Muslime. | CAROL IN ALF F Detail aus Abb. 1

Die Spuren des Kolonialismus in den Schlössern in Berlin und Brandenburg sind unübersehbar. Dieses Handbuch stellt 24 Orte, Biografien und Kunstwerke vor, die koloniale Bezüge aufweisen. Kunst- und kulturhistorische Erläuterungen werden jeweils ergänzt durch eine Perspektive, die sich auf Aspekte der Kolonialgeschichte, Probleme bestehender Narrative oder bisher ausgeklammerte Informationen konzentriert. Mit diesem Handbuch können alle an kolonialen Kontexten Interessierten gezielt die Schlösser und Parks aufsuchen, um bisher nicht erzählte Geschichten kennenzulernen. Es lädt aber auch alle anderen Besuchenden dazu ein, ihren Rundgang thematisch zu ergänzen.

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