Leseprobe

93 Günther Franke (1900–1976) war ein Kunsthändler alter Schule, der in der Weimarer Republik – zunächst in Berlin und dann in München – als Mitarbeiter des legendären Avantgarde-Galeristen Israel Ber Neumann gelernt hatte und mit den Künstlern der Klassischen Moderne bestens vertraut war: Ab 1923 leitete er das von Neumann gegründete Graphische Kabinett in München, und noch während des »Dritten Reichs« und nach der nationalsozialistischen Ausstellung Entartete Kunst, die die Moderne an den Pranger stellte, hatte er unbeirrt mit Werken der verfemten Künstler gehandelt. Für den mehr als 20 Jahre jüngeren Unternehmer Hans Robert Thomas wurde Franke zum Cicerone auf dem Weg zum Sammler moderner Kunst. Nicht zufällig widmete er der Erinnerung an den Galeristen und Freund einen der wenigen Texte, in denen er auch die Geschichte seiner eigenen Sammlung reflektiert: »In den fünfziger Jahren betrat man die Galerie Franke im ehemaligen Atelierbau der Stuckvilla durch eine hohe zweiflügelige Tür, die sich nach dem Klingeln geöffnet hatte. […] Den Vorraum hatte man in der Regel noch nicht durchschritten, da kam einem aus dem Durchgang zu dem großen Raum mit kurzen flachen Schritten, die Ellenbogen etwas angewinkelt nach hinten geschoben, den Kopf ein wenig nach vorn gebeugt, den Besucher ernst und prüfend anschauend, Günther Franke entgegen. […] Wenn man in den großen Ausstellungsraum kam, befand sich rechts unter einer eingezogenen Zwischendecke der Arbeitsraum von Günther Franke, in den man durch eine meist offenstehende Tür wie in eine Höhle eintrat. Dort traf man ihn zwischen Bildern, Vitrinen mit Kleinplastik, Bücherregalen, einer Couch und zwei Schreibtischen. […] An der Fensterwand standen die Schränke, in deren Schubladen sich ungeahnte Schätze befanden: Aquarelle, Gouachen, Zeichnungen und graphische Blätter von Beckmann, Rohlfs, Klee, Nolde, Kirchner, Müller, Schmidt-Rottluff, Klee, Mataré, Kubin bis zu Baumeister, Nay, Winter, Werner, Uhlmann, Gilles, später König, Bohrmann und Peters, um nur einige Namen zu nennen.«1

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