Leseprobe

 303 303 eine so lange Reise nötig sei, und erhielt als Antwort, es sei zum Zwecke der »Überprüfung« notwendig. Daraufhin konnte ich nur wieder einmal mit den Schultern zucken und dieses typische, unabänderlich erscheinende bürokratische Verdikt hinnehmen. Doch es gab eine Komplikation. Erst wenige Wochen zuvor hatte in allen Besatzungszonen Westdeutschlands eine Währungsreform stattgefunden; die brandneue Deutsche Mark war nun die offizielle Währung. Ich besaß jedoch nur die alte Reichsmark, die im sowjetisch besetzten Deutschland noch in Gebrauch war und die nun offiziell weniger wert war als das neue westdeutsche Geld. Zu meinem Erstaunen bot mir der Mann einen gleichwertigen Umtausch für sein neues Geld gegen mein altes an. Zutiefst dankbar zeigte ich mich ausgiebigst bei ihm erkenntlich. Wir hatten jetzt genug Geld für unsere Fahrscheine nach Quakenbrück und gingen sofort los, um den Bahnhof ausfindig zu machen. Nachdem wir die komplizierten Fahrpläne der Züge und die Umstiegsmöglichkeiten studiert hatten, mit denen wir an unser Ziel gelangen konnten, mussten wir noch einige Stunden auf einen Zug nach Hannover warten. Wir ließen uns im düsteren Wartesaal des Bahnhofs nieder, wo ich zum ersten Mal britische Soldaten sah, die keine Kriegsgefangenen waren: ein fröhlicher, ausgelassener Haufen, der sein Hab und Gut in großen Taschen verstaut hatte, wahrscheinlich auf dem Weg in den Heimaturlaub. Es war sehr lange her, dass ich gesprochenes Englisch gehört hatte, abgesehen von den gelegentlichen einzelnen Sätzen, die aus dem Kriegsgefangenenlager neben den Boehner-Studios zu uns herübergedrungen waren. Vor dem Krieg hatte ich Englisch in einer Vielzahl amerikanischer und britischer Spielfilme gehört. Ab und zu hatte ich auch meine Mutter mit einer Freundin Englisch parlieren gehört, allerdings kann ich davon weniger das gesprochene Wort, als den Klang der Sprache erinnern. Christines Englischkenntnisse reichten dagegen, um die seltsam klingenden Worte, die diese Soldaten sagten oder riefen, zu übersetzen. Wir mussten jedoch die Pläne, die wir gemacht hatten, bevor wir Dresden verließen, unter Berücksichtigung unserer derzeitigen Lage noch einmal neu diskutieren und überdenken. In Braunschweig hatte mich der Leiter des Lagers für polnische Flüchtlinge darauf hingewiesen, dass nur ich mich beim Aufnahmelager für polnische Flüchtlinge in Quakenbrück melden müsse, Christine dagegen hingehen könne, wo sie wolle. Dies brachte uns wieder auf unsere ursprüngliche Idee zurück, näm-

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