Leseprobe

 155 155 rungsmittel und ein paar Nutztiere – sollte Richtung Westen, weg von der nahenden Front und der Roten Armee, mitgenommen werden. Der Befehl wurde scheinbar strengstens befolgt, denn es gab keinen einzigen Hof mehr in der gesamten Gegend, dessen Eigentümer geblieben war. Der Lehrer, der Pastor und der Ladenbesitzer waren auch eiligst abgereist, nur diese beiden Frauen – eine Mutter mit ihrer Tochter – waren hiergeblieben, da sie auf Befehl der Partei für ein Kontingent Männer kochen sollten, die den Auftrag hatten, an Wehranlagen zu arbeiten, was auch immer damit gemeint war. Ich fragte die Tochter, eine große, hübsche Frau mittleren Alters, ob sie »von hier« sei und meinte damit aus Katzberg. »Nein«, erwiderte sie, sie seien aus Blüchertal, einem Dorf nur wenige Kilometer nordöstlich. In diesem Moment murmelte ihre Mutter, eine Frau so um die 70 oder älter, etwas, das ich nicht richtig hören konnte. Ich bat sie, zu wiederholen, was sie gesagt hatte, und sie gab nur ein einziges Wort von sich, so etwas wie »Zhavoine«. Ihre Tochter hob die Schultern und sagte, dass ihre Mutter wohl den alten Namen des Dorfes meinte, den, der vor vielen Jahren in »Blüchertal« umgewandelt worden war. Erst viel später dachte ich noch einmal darüber nach und erinnerte mich an das, was ich aus den Geschichtsbüchern gelernt hatte, die ich früher mit so großem Interesse gelesen hatte. Dieser Teil Schlesiens war seit jeher slavisches Territorium gewesen und hatte bis zur ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts zum Königreich Polen gehört, als Konflikte zwischen schlesischen Prinzen diese außerstande versetzten, sich gegen Mächte aus dem Ausland zu wehren. Seit Schlesien außerhalb des polnischen Staates lag, hatten die deutschen Einflüsse in der Region intensiv zugenommen und einen Höhepunkt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erreicht, als die rücksichtslosen Germanisierungsmaßnahmen von Preußens Kanzler Bismarck in der Auslöschung der letzten Spuren slawischer Vergangenheit in Schlesien und allen anderen von den Deutschen über die Jahrhunderte besetzten polnischen Gebieten resultierten. So wurde der alte Name Opole (am Feldrand) in Oppeln umgewandelt, Olesnica in Oels, und Zhavoine (eigentlich zuvor Zawoine) wurde zu Ehren des preußischen Generals Blücher, der dabei geholfen hatte, Napoleon in Waterloo zu schlagen, in Blüchertal umbenannt. Auf Stroh zu schlafen, war für mich nichts Neues. Nicht zuletzt hatte mir die Luftwaffe dieses zweifelhafte Vergnügen damals im September 1939 verschafft, als sie die Stadt Kutno

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