Leseprobe

154 154 Während wir uns mühsam vorwärts kämpften, fragte ich einen der Männer, wieso wir von uniformierten und bewaffneten Parteifunktionären begleitet wurden und nicht von Militärangehörigen. Er erklärte mir, da alles Militär an der Front gebraucht würde und die meisten männlichen Zivilisten zum Volkssturm einberufen worden waren, kümmere sich die Partei nun um viele Belange der allgemeinen Verwaltung – wie eben Polizei- und Wachdienste oder die Koordination des Zivilschutzes. Dies verhelfe Personen wie unseren beiden Aufsehern dazu, es schön warm zu haben und nicht zur Front zu müssen, fügte er hinzu – nicht ohne einen leichten Zynismus in der Stimme. Die Partei behüte natürlich zuallererst ihre eigenen Leute. Es wurde dunkel, bis wir unseren Zielort erreichten. Zwischen den sanften Hügeln der Landschaft in einer Ebene gelegen befand sich das Gebäude, in dem ein Teil von uns Rekruten untergebracht werden sollte: eine ehemalige Scheune, in der jetzt ein kleiner eiserner Ofen mit Feuerholzvorräten stand. Auf dem Boden lag großzügig Stroh ausgebreitet, um uns als Schlafstätte zu dienen. Der Rest der Gruppe wurde in einigen schulbänkelosen Klassenzimmern eines offenbar verlassenen Schulgebäudes in der Nähe untergebracht. Die beiden Nazis okkupierten das Lehrerzimmer, das zwar auch verlassen, aber noch mit einer voll funktionstüchtigen Küche eingerichtet war, in der ein paar mürrisch dreinblickende Frauen auf einemmassiven Holzofen unsere Mahlzeiten kochten. Wie alle anderen hatte auch ich etwas Reiseproviant dabei, aber da ich vorher nicht wusste, wie lange die Fahrt dauern würde, hatte ich erst wenig davon gegessen. Kein Wunder also, dass ich am Ende der Reise nicht nur todmüde, sondern auch hungrig genug war, um nicht nur all meine Vorräte, sondern auch noch mehr als eine Portion von der Suppe zu essen, die die beiden Frauen zubereitet hatten. Von ihnen erfuhr ich auch ein paar Dinge über den unheimlichen, verlassenen Ort, an dem wir uns befanden. Das Dorf, das zwischen 25 und 30 Kilometer nördlich von Breslau, der Hauptstadt Niederschlesiens, lag, hieß Katzberg und bestand aus der zuvor erwähnten Schule, einer evangelischen Kirche, einem kleinen Laden und einem Postamt – allesamt zu Diensten einer beträchtlichen Anzahl von Bauernhöfen in Randlage. Die gespenstische Stille an diesem verlassenen Ort war die Folge eines Befehls des Nazikreisleiters, der am Abend des 12. Januar veranlasst hatte, dass das gesamte Gebiet geräumt werden musste. Alles zum Überleben notwendige – Haushaltswaren, Bettzeug, Kleidung, Nah-

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