Leseprobe

152 152 Am 13. Januar, dem Tag nach dem Durchbruch der Sowjets in Baranow, rief mich der Direktor der Boehner-Filmstudios in sein Büro und sagte mir, ich solle einige persönliche Dinge zusammenpacken und mich am folgenden Tag am Dresdner Hauptbahnhof zum Einsatz melden. Ich sei dazu bestimmt worden, mich einem Kontingent Zivilisten anzuschließen, die Richtung Osten nach Schlesien verschickt würden, um dort dabei zu helfen, eine Art Verteidigungslinie aufzubauen, »nur für den Fall, dass es den Russen gelingen sollte, so weit vorzudringen«. Wie gelähmt wusste ich einen Moment nicht, was ich sagen sollte. Dann fragte ich, warum ich und nicht jemand anders aus der Mitarbeiterschaft des Studios. »Nun«, sagte der Mann, »du bist hier der Einzige, der in einem einigermaßen guten Gesundheitszustand zu sein scheint. Der Rest der Belegschaft ist entweder unabkömmlich, verkrüppelt oder schlichtweg zu alt.« Es gab keinen Ausweg, ging mir durch den Kopf, außer ich versteckte mich. Aber der Krieg konnte noch lange dauern, wo sollte ich mich da die ganze Zeit versteckt halten? Und wie sollte ich überleben? Es half alles nichts: Ich musste gehen und versuchen, meinen Verstand zu nutzen, um durch alle Situationen hindurchzukommen, denen ich begegnen würde. Ich hasste mich selbst dafür, dass ich unter diesem Druck nun einknickte – besonders, weil ich jetzt aktiv den Nazibarbaren helfen sollte, die mein Land verwüstet und eine noch immer unbekannte Zahl meiner Landsleute niedergemetzelt hatten. Später fiel mir ein, dass mein Verschwinden im Fall, dass ich einfach untertauchte und wie durch ein Wunder bis zum Ende des Krieges überlebte, natürlich bekannt werden würde und meine Freunde und Studiokollegen in allergrößte Schwierigkeiten bringen könnte. In der Tat hatte meine Verbindung zur Familie Ulich diese bereits von Beginn an, seit wir uns vor über drei Jahren zum ersten Mal begegnet waren, in Gefahr gebracht. Unwissentlich waren sie zu meinen Mitverschwörern geworden. Ich trug die Verantwortung Zwangsarbeit A

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