Leseprobe

 123 123 Gruppe das Goehle-Werk verließ. Ich weiß nicht mehr, um wieviel Uhr sich die Tore öffneten, es war jedenfalls schon dunkel und daher nicht ganz einfach, sie in der Menge zu finden. Die angeordnete Verdunkelung half dabei natürlich auch nicht. Doch schließlich entdeckte ich das hellfarbige Kopftuch, das sie immer trug, wenn sie nicht in der Fabrik war. Ich wagte mich an sie heran und drückte ihr die Schachtel Zigaretten in die Hand, während ich sie fragte, wie es ihr ging. Bevor sie antworten konnte, wurde ich plötzlich am Arm gepackt und zurückgehalten, während die Gruppe Frauen mit abgewandten Gesichtern weiterging. Ich wurde von einemMann in Uniform festgehalten, und ein Blick aus dem Augenwinkel verriet mir, wer und was er war – auf seinem linken Ärmel trug er ein kleines, rautenförmiges Abzeichen mit den Buchstaben SD, was für »Sicherheitsdienst« stand – der Nachrichtendienst der SS. Die Arbeiter zogen vorbei, und der Mann verlangte nach meinen Papieren, also zeigte ich ihm meinen Staatenlosen-Pass. Da man jedoch im Dunkeln kaum etwas sehen konnte, zog er mich hinüber zum Wachhäuschen am Tor und forderte einen bewaffneten Polizisten auf, mit seiner Taschenlampe auf meinen Pass und mein Gesicht zu leuchten. Er glich mein Gesicht mit dem auf dem Foto ab, prüfte die Marken und die Gültigkeit der Registrierung bei der örtlichen Polizei und wandte sich mir dann zu mit der Frage, ob ich Deutsch spräche. »Ja«, antwortete ich, »aber noch nicht sehr gut.« Er wollte wissen, wo ich arbeitete, und ich sagte, ich sei in einem Filmstudio angestellt, das – und das betonte ich besonders – zur kriegswichtigen Kategorie gehörte. Als Beweis zeigte ich ihm meinen Studio-Ausweis. Dies schien ihn irgendwie zu beeindrucken, aber dann wollte er wissen, was ich mit der »Polacken«-Frau zu bereden gehabt hätte. Ich glaubte nicht, dass er gesehen hatte, wie ich ihr die Zigaretten zugesteckt hatte, aber ich musste nun eine Antwort auf seine Frage finden, warum ich mit ihr hatte reden wollen. Zwei Sekunden später schon hatte ich eine glänzende Idee. Ich erzählte etwas von wegen, dass ich sie hätte aufreißen wollen, weil ich dachte, vielleicht könnten sie und ich … »Naja, Sie wissen schon ...«, woraufhin er irgendetwas grummelte, an das ich mich nicht erinnere, und dann nur »Hau ab!« sagte. Ich machte mich davon, verschwand schnell in die Dunkelheit und schickte einen Dank gen Himmel dafür, dass ich wieder einmal davongekommen war. Erst als ich wieder zurück in meinem Zimmer in Hellerau war, lagen meine Nerven blank. Ich zitterte eine ganze Weile lang unkontrolliert, bevor ich mich wieder beruhigen konnte, weil mir

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