Leseprobe

149 DIE POETIK DES RAUMES: DIE AUSSENWELT DER INNENWELT er Radikalität des verweigerten Blicks im vorherigen Kapitel steht die Poetik des Raumes in diesem Kapitel gegenüber. Wo zuvor bewusst die Begrenztheit der Zweidimensionalität der Wirklichkeit gezeigt werden sollte und ihre Undurchdringlichkeit, wird hier das Außen mit dem Innen in eine faszinierende dreidimensionale Wechselbeziehung gesetzt. Genau diese Auffassung − dass also der Blick nach außen ein »Blick nach innen« sei, wie es Otto von Simson formulierte − ist ein zentrales Wesensmerkmal der gesamten Kunst des 19. Jahrhunderts. Im Feld der Interieurmalerei entstanden Studien und Gemälde, die immer wieder das große Thema Room with a View variierten, wie die bedeutende Ausstellung im New Yorker Metropolitan Museum 2011 hieß. Caspar David Friedrich gilt mit den Zeichnungen der Ausblicke aus seinem Atelier um 1810 gleichsam als Initiator der neuen Bildgattung. Wie wirkmächtig dieser Topos vor allem in der Dresdener Malerei war, demonstriert Traugott Fabers geöffnetes Fenster, bei dem sich der Blick des Auges aus der Geborgenheit des Innenraumes in die Landschaft der Elbe ausdehnen darf. Für dieses Erschauen von Weite galt es, einen ›Rahmen‹ zu finden – ein Fenster zumeist, aber es konnte ebenso ein Blick aus einem Boot sein oder aus einer Höhle, der das ›Framing‹ übernimmt. Ja, als ›Innenraum‹ wurde von den Ölstudienmalern oft auch ein natürlicher Raum verstanden, eine Höhle oder eine Schlucht. Unsere Ausstellung führt zahlreiche Beispiele zusammen, die demonstrieren, wie in der deutschen und französischen Malerei etwa die tonige Erfassung von Steinwänden mit großer Zärtlichkeit und Genauigkeit vollzogen wurde. Das signifikante Subthema des ganzen Kapitels ist indes das Licht – das durchs Fenster leuchtet, das man am Ende der Höhle erspäht, das in den Keller hineindämmert – oder das schmerzlich vermisst wird. Erst das Licht sorgt dafür, dass in diesen Studien die Grenzen der Sphären von Innen und Außen überhaupt spürbar werden und sich die Poetik des Raumes entfalten kann. | FI D Jean-Baptiste Gibert 115 Inneres einer Höhle o. J.

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