Leseprobe

43 DAS FLÜCHTIGE: DIE MAGIE DES AUGENBLICKS ie Ölstudie steht für den Einzug der Geschwindigkeit in die Landschaftsmalerei – plötzlich war es möglich, ziehende Wolken, gurgelnde Gischt und Wind in den Bäumen zu malen. Und zwar in Farbe, in Öl, direkt in der Natur. In der Technik der Ölstudie gelang um 1800 zunächst den französischen Malern in Rom und wenig später Künstlern in ganz Europa erstmals eine neuartige Form der Annäherung an den Augenblick, an die Dynamik der sich im Licht und Wind verändernden Wirklichkeit. Eine besondere Rolle kam dabei von Anfang an der Darstellung von Wolken zu: Was mit John Constable und Johan Christian Clausen Dahl um 1820 in England und in Italien begann, entwickelte sich an den Akademien alsbald zur wichtigen Gattung für den Künstlernachwuchs. Bei Johann Jakob Frey hatte dieser Blick zum Himmel während seiner italienischen Lehrjahre etwas Manisches – immer und immer wieder versuchte er, die Wolkenformationen in wechselnden Lichtstimmungen zu erfassen. Ihm gelangen dabei glühende Plädoyers für die Schönheit und die Notwendigkeit der Ölstudie. Auch Johann Wilhelm Cordes verdanken wir eine Serie von außerordentlichen Blicken zum Himmel: »Luftstudien«, wie man das damals nannte – die Zeit scheint stillzustehen in diesen so noblen wie norddeutschen Landschaftsausschnitten, das Flüchtige dauerhaft geworden zu sein. Doch nicht nur nach oben schauten die Maler auf ihrer ›Jagd nach dem Augenblick‹ – es reizte sie auch, Wasser unter oder vor sich in seinen wilden Bewegungen abzubilden. Théodore Gudin malte 1839 das tosende Meer von einem Segelschiff aus, Andreas Achenbach die Gischt in Travemünde und Heinrich Reinhold war so fasziniert von der Mannigfaltigkeit der Natur, dass er an einem Tag am Strand von Sorrent die anbrausenden Wellen zu zwei verschiedenen Tageszeiten und Windstärken malte, gleichsam zwei Vorläufer von Monets legendärem Serienmotiv des Heuhaufens. | FI D Théodore Gudin 11 Marine im Sturm vom Schiff »Le Véloce« aus gesehen 1839

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