Leseprobe

24 it diesem Bild war der junge Maler offenbar zufrieden. Auffällig hat er seinen Namen samt Datierung unten rechts auf den dunklen Bereich der Leinwand gesetzt (Abb. 2): »H. Schilking 18. Nov.« Zu sehen ist ein dichtes Gestrüpp aus Brombeerranken und anderen Pflanzen, die eine steinerne Mauer überwuchern. Heinrich Schilking malte jenes eigenartige Stück Landschaft, das keinen Ausblick zeigt, sondern die detaillierte Wiedergabe genau zu bestimmender Gewächse, während seiner Ausbildung an der Düsseldorfer Kunstakademie. Den Schülerlisten ist zu entnehmen, dass der 21-jährige Schilking ab 1836 die Landschaftsklasse bei dem nur wenige Jahre älteren Johann Wilhelm Schirmer besuchte.2 Dieser hatte zwischen 1827 und 1830, als er selbst noch Schüler der Akademie war, diverse Ölstudien angefertigt, die er nun als Vorlagenmaterial in seiner Lehre einsetzte. Tatsächlich existiert eine Ölstudie Schirmers mit der gleichen Darstellung einer überwachsenen Mauer (Kat. 6).3 Schilking hat die Arbeit seines Lehrers also nahezu exakt kopiert – von der Größe des Bildträgers über die Details in der Darstellung der Pflanzen bis hin zu den unbestimmten Partien im unteren linken und im rechten Bildbereich. Die Ähnlichkeit der beiden Arbeiten lässt kaum erahnen, dass sie in gänzlich anderen Zusammenhängen entstanden: Während Schilking die Malerei – vermutlich in einem der Studiensäle in der Akademie – mit einer detaillierten Bleistiftzeichnung nach der Studie seines Lehrers vorbereitete und dann in Öl ausführte,4 hatte Schirmer das Motiv direkt ohne Vorzeichnung in der Natur gemalt.5 Schirmers Malerei ist nicht signiert, Schilking hingegen setzte seinen Namen auf das fertige Bild und unterstreicht damit stolz seine Leistung – als Kopist und als Schüler. Die Funktion der beiden Studien ist also grundsätzlich verschieden. Diese Diskrepanz und ihre jeweiligen Bedingungen sollen im Folgenden vor dem Hintergrund der Situation für angehende Landschaftsmaler an der Kunstakademie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts näher beleuchtet werden. Schirmers systematischer Einsatz von Ölstudien in der Lehre sollte für die Ausbildung der Landschaftsmaler6 an deutschen Akademien im 19. Jahrhundert höchst folgenreich sein: Deutschlandweit hat die Methode Signalwirkung. Um diese Tragweite zu verstehen, lohnt zunächst ein Blick zurück auf Schirmers eigene Studienzeit an der Düsseldorfer Akademie und ein Vergleich mit der Situation an anderen Kunstschulen in Deutschland. Als Schirmer 1825 an die seinerzeit noch von Peter Cornelius geleitete Düsseldorfer Akademie kam, zielte die Ausbildung der Maler hier vor allem auf die Freskomalerei ab. 1826 wurde dann Wilhelm Schadow als neuer Direktor der Akademie eingesetzt. Er brachte aus Berlin eine Gruppe von Schülern mit, darunter Carl Friedrich Lessing, der im selben Jahr auf der Berliner Kunstausstellung erfolgreich als Landschaftsmaler in Erscheinung getreten war. Schirmer, bald aufgenommen in den Kreis der Schadow-­ Schüler, studierte mit Eifer unter seinem neuen Lehrer und orientierte sich an seinen Kollegen, vor allem an Lessing. In Schirmers Lebenserinnerungen heißt es mit Blick auf diese Zeit: »Eigentlich erfuhr ich erst jetzt, daß man als Künstler eben so gut berechtigt wäre[,] seine Existenz in der Landschaftsmalerei, als in der Historien- und Genremalerei zu suchen. [...] [A]ber wie sollte ich es um Gotteswillen anfangen, Landschaftsmalerei zu studiren, es existirte ja kein Lehrer hierzu [...].«7 Tatsächlich war es um die akademische Ausbildung angehender Landschaftsmaler zu diesem Zeitpunkt in Deutschland recht unterschiedlich bestellt. M 1 Brief Salomon Geßner an Konrad Geßner, in: Salomon Geßners Briefwechsel mit seinem Sohne [...], hg. von Heinrich Geßner, Bern/Zürich 1801, S. 187. 2 Vgl. Rudolf Theilmann, »Die Schülerlisten der Landschafterklassen von Schirmer bis Dücker«, in: Die Düsseldorfer Malerschule, hg. von Wend von Kalnein, Ausst.-Kat. Kunstmuseum Düsseldorf/ Mathildenhöhe Darmstadt, Mainz 1979, S. 144 –148, hier S. 145. 3 Die Zahl solcher erhaltenen Kopien ist überschaubar. Vgl. Marcell Perse und Börries Brakebusch, »Johann Wilhelm Schirmer und die Ölstudienmalerei der Düsseldorfer Landschafter-Schule«, in: Landschaftsmalerei, eine Reisekunst? Mobilität und Naturerfahrung im 19. Jahrhundert, hg. von Claudia Denk und Andreas Strobl, Konferenzschrift, Berlin/ München 2017, S. 161–185, hier S. 167–170. 4 Die detaillierte Vorzeichnung konnte in einer Infrarotaufnahme sichtbar gemacht werden. Vgl. Marcell Perse, »Heinrich Schilking und die Düsseldorfer Landschaftsmalerei um Johann Wilhelm Schirmer«, in: »... dem Künstler hinterhergereist ...«. Heinrich Schilking. Ein westfälischer Maler des 19. Jahrhunderts, hg. von Petra Sondermann und Alfred Georg Smieszchala, Ausst.-Kat. Dezentrales Stadtmuseum Warendorf, im historischen Rathaus Warendorf, Petersberg 2015, S. 137–153, hier S. 140. 5 Zu Schirmers Ölstudienpraxis aus kunsttechnologischer Perspektive vgl. Börries Brakebusch, »Man nannte das Studie und es fristete in der Kunstbewertung eine armselige Rolle. Die Ölstudie im Werk Johann Wilhelm Schirmers«, in: Jülicher Geschichtsblätter, Bd. 82/83/84, Jahrbuch des Jülicher Geschichtsvereins 2014/2015/2016, Aachen 2018, S. 297–342. 6 Die Bezeichnungen beziehen sich im Folgenden tatsächlich nur auf Männer, denn angehende Künstlerinnen waren in dieser Zeit zum Studium an der Akademie nicht zugelassen und mussten stattdessen privaten Unterricht nehmen. Frauen war ein Studium an der Düsseldorfer Akademie erst ab 1921 möglich. 7 Johann Wilhelm Schirmer, »Fragment einer Autobiographie (1807–1830)«, in: Johann Wilhelm Schirmer. Vom Rheinland in die Welt, 2 Bde., hier Bd. 2: Autobiographische Schriften, hg. von Gabriele Ewenz, Petersberg 2010, S. 31–125, hier S. 91

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