Leseprobe

14 eine ganz neue Sprache für die Darstellung von Lichteffekten zu finden. Es ist kein Zufall, dass die Ölstudie in Italien entstand. Denn es waren die vom Licht in Rom überwältigten Maler, zunächst aus Frankreich, dann aus Deutschland und Skandinavien, die im ausgehenden 18., beginnenden 19. Jahrhundert den ›Goldstandard‹ für ein neues Genre setzten: Das Epizentrum ist Rom – und die Franzosen sind ab 1790 die großen Erneuerer; sie begründen eine strahlende Traditionslinie, die mit Pierre-Henri de Valenciennes und Horace Vernet beginnt und über Simon Denis3 zu den großen Ölstudien Jean-Baptiste Camille Corots in den 1820er-Jahren führt, den bis heute unerreichten Gipfelpunkten dieser Kunstform (Kat. 2). Die große Zeit der deutschen Ölstudienmalerei beginnt ebenfalls Anfang des 19. Jahrhunderts in Italien – Johann Georg von Dillis und Martin von Rohden sind die Pioniere, die den späten Klassizismus in der Landschaftsmalerei überwinden; dann folgen die feinnervigen Künstler wie Heinrich Reinhold, Friedlich Nerly und Ernst Fries und schließlich die beiden furiosen Ausnahmefiguren, die im Genre der Ölstudie ihre bedeutendsten Werke schufen, Johan Christian Clausen Dahl und Carl Blechen. Sehr oft ist es die Überwältigung durch das Licht oder einen flüchtigen Natureindruck, die einer Welle oder einem überraschenden Durchblick gleich die Künstler zu Agenten des Augenblicks werden lässt, zu ›Jägern‹, die den besonderen Moment in Windeseile ins Bild zu bannen versuchen, bevor eine Wolke die Sonne wieder verdeckt und das Gestein zu leuchten aufhört, die Schatten versiegen. Zunächst war jede dieser Arbeiten absichtslos – und das Gros der Ölstudien wurde später nie als Vorlage für die Naturdetails in einem Ateliergemälde 3 Vgl. hierzu grundsätzlich Werner Busch, etwa in: Werner Busch (Hg.), Landschaftsmalerei. Geschichte der klassischen Bildgattungen in Quellentexten und Kommentaren, Berlin 1997, und in Bezug auf die Himmelsmalerei: Werner Busch, »Die Wolken: protestantisch und abstrakt. Theoretische und praktische Empfehlungen zum Himmelmalen«, in: Wolkenbilder. Die Entdeckung des Himmels, hg. von Heinz Spielmann und Ortrud Westheider, Ausst.-Kat. Bucerius Kunst Forum, Hamburg/ Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin u. a., München 2004, S. 24 –31. 4 Johann Wolfgang von Goethe, Schriften zur Kunst, Teil 2, München 1962 (dtv-Gesamtausgabe, Bd. 34), S. 31. – Kein Wunder übrigens, dass Goethe die aufkommende Praxis der Ölstudien ablehnte: »Könnte man das Skizzieren nach der Natur überhaupt dem Landschaftsmaler abgewöhnen, damit er gleich lernte, einen würdigen Gegenstand unmittelbar geschmackvoll in einen Rahmen zu beschränken, so wäre viel gewonnen.« Brief an Johann Gottlob von Quandt, 1831, vgl. und zit. n.: Christian Ring, »Form, Funktion und Bedeutung von Ölskizzen und Ölstudien«, in: Magie des Augenblicks. Skizzen und Studien in Öl, Ausst.-Kat. Museum Giersch, Frankfurt am Main, Frankfurt am Main 2009, S. 19–38, hier S. 29. 5 In den Selbstzeugnissen der Künstler ist spätestens ab 1850 nur die Rede von »Studien in Öl« oder »Ölstudien«, die sie vor der Natur angefertigt haben. Vgl. dazu auch Christian Ring, »Zur Terminologie von Ölskizze und Ölstudie«, in: Ausst.-Kat. Frankfurt am Main 2009 (wie Anm. 4), S. 9–18. verwendet. Sie waren alle sowohl Dokumentations- wie Inspirationsmaterial. Gleichwohl steht in zahlreichen Fällen die Studie direkt am Anfang eines Werkprozesses mit eindeutiger Funktion, um authentische Wetterstimmungen, Details der Atmosphäre oder eines Baumes ins Ateliergemälde zu übertragen. Wenn die Studie so eingesetzt und also nachträglich als ›Vorskizze‹ genutzt wurde, dann fungiert paradoxerweise ebendieser ›moderne‹ Realismus der Studien plötzlich als Steigbügelhalter für ›klassische‹ und ›heroische‹ Ideallandschaften gemäß Goethes Ideal, »glücklich aus der Natur gegriffen und glücklich durch den Gedanken überhöht«4 zu sein. Eigentlich jedoch ist jede Ölstudie gemalte Widerrede gegen diese Erhöhung jedes Kunstwerkes durch den Gedanken, sie sind l’art pour l’art. Ihre wirkliche Anerkennung als Genre geschah dann auch erst, als ihr Stilprinzip – die schnelle, skizzenhafte Strichführung – in die Gemälde ›hineinwuchs‹, wie es dann spätestens im beginnenden Impressionismus geschah. Der Begriff Ölstudie bezieht sich also nicht auf einen künftigen Verwendungszweck, sondern steht für ausschnitthafte Abbildung der Wirklichkeit, das bewusste Pars pro Toto. Wir sprechen in diesem Katalog durchgehend von der »Ölstudie«, wenngleich immer wieder synonym der Begriff der »Ölskizze« verwandt wird5 – dies ist eine in der Forschung noch offene Diskussion, doch erscheint uns die Ölskizze als Begriff nur sinnvoll, wenn darin, im Sinne des klassischen Bozzettos, bereits die gesamte Komposition eines künftigen Gemäldes angelegt ist. Entscheidend für das Genre der Ölstudie ist ferner der ungewöhnliche Malgrund: Während die Leinwand in der Regel dem Gemälde im Atelier vorbehalten war, entstanden die Ölstudien in der Natur meist auf

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