q 188 Anke Wunderwald (1884–1941; reg. 1902–1931) an die Macht zu putschen, so verschlechterte sich ihr Verhältnis schleichend bis zur ihrer Abdankung zu Beginn der 1930er Jahre. Die Anwesenheit des Königs in Begleitung von Königin Victoria Eugenia bei den Eröffnungszeremonien beider Veranstaltungen belegt, dass die Mechanismen des Regimes 1929 vor der spanischen und internationalen Öffentlichkeit noch funktionierten. Das Mittel der Stunde war die seit Jahren bewährte Mischung aus militärischem, monarchistischem und katholisch-traditionellem Gebaren zur Formung des Nationalbewusstseins. Von der Schulbildung, über die Kirchen und Militärakademien wurde insbesondere auch der öffentliche Raum für Manifestationen des Nationalismus genutzt. Diese Nationalisierung äußerte sich zu einem gewichtigen Teil in der Nutzung nationaler Symbole. Eine bedeutende Rolle spielten dabei die Inszenierung von Fahnen, Wappen und Rückgriffe auf die Volksdichtungen des Romancero mit dem »El cantar de mío Cid« (Das Lied von Mio Cid) aus dem 12. Jahrhundert sowie den »Don Quijote« von Miguel de Cervantes als das markanteste literarische Denkmal Spaniens. Auch die Bemühung, dem zur Nationalhymne »Marcha Real« (Königlicher Marsch) avanciertenMilitärmarsch des 18. Jahrhunderts einen Text zu geben, gehörte zum ideologischen Programmder Regentschaft Alfons’ XIII., setzte sich aber – wie alle anderen Versuche vorher und nachher – nicht dauerhaft durch. Trotz all dieser eindeutigen Intentionen kennzeichnete die Diktatur Primo de Riveras eine klare Anlehnung an die konservative Bewegung der Regenerationisten. Sie ließ Raum für imperiale Zukunftsvisionen, da sie weniger auf die eigene Identität fixiert war, als auf eine koloniale Vergangenheit. Damit ging der Hispanoamerikanismus10 einher, der zu diesem Zeitpunkt nicht auf eine – inzwischen völlig unrealistische – territoriale Expansion abzielte, sondern einen breit angelegten Austausch bezweckte. Für die Ausstellung in Sevilla verdeutlichte schon das »Ibero-Amerikanische« im Titel, dass es um eine Positionsbestimmung zwischen Spanien und den ehemaligen Kolonien in Amerika ging.11 Die afrikanische Beteiligung des spanischen Protektorats Marokko und weiterer noch bestehender spanischer Gebiete, wie Spanisch-Guinea (heute Äquatorialguinea), wurde in den offiziellen Publikationen dagegen kaum thematisiert.12 Die Ausstellungsveröffentlichungen offenbaren eine paternalistisch-konservative Haltung, wobei Spanien als das Vaterland beschworen wurde, das durch Sprache und Kultur die amerikanischen Länder in der Vergangenheit geprägt habe und nun als Dreh- und Angelpunkt für künftige Beziehungen untereinander wirken solle. Im Album »Ibero América« stellte man die einzelnen teilnehmenden Länder historisch und geografisch mit ihren aktuellen Länderkennzahlen zu Größe, Bevölkerung und Wirtschaft vor.13 An die Spitze wurden redaktionell wie inhaltlich die beiden Kolonialmächte der Iberischen Halbinsel – Spanien gefolgt von Portugal – gesetzt. Während die Landesgeschichte Spaniens mit dem Eindringen der Phönizier auf iberischem Gebiet im 8. Jahrhundert vor Christus einsetzt, beginnt in der Publikation die Geschichtsschreibung der amerikanischen Länder erst mit der »Entdeckung« durch die Spanier seit dem späten 15. Jahrhundert. Dieses kolonialistische Narrativ wird auch durch den einleitenden Lobgesang »Las Tres Carabelas« (Die drei Karavellen) von Concha Espina bedient, in dem die Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus mit seinen drei Schiffen eine untrennbare Verbindung zwischen dem España Mayor und den jungfräulichen Nationen eingegangen sei.14 Die Idee des EspañaMayor gehört, angelehnt an die Vorstellung des Greater Britain von Charles Dilke (1868), zu den imperialen Konzepten Spaniens seit der Jahrhundertwende, bei der auch Rassenideologien eine Rolle spielten.15 In Sevilla erreichten die überambitionierten imperialen Visionen Primo de Riveras ihrenHöhepunkt. Resümierend kann mit David Marcilhacy übereinstimmend konstatiert werden, dass Spanien in den 1920er Jahren weder politisch noch ökonomisch in der Lage war, die Führung über die ehemaligen Kolonien zu übernehmen, geschweige denn Spanien zum Sprecher der lateinamerikanischen Länder im 1919 gegründeten Völkerbund zu machen.16 Trotz dieser Realität bestand 1929 das postimperiale Narrativ der spanischen Entdeckung der Neuen Welt durch Christoph Kolumbus fort. Propagandistisch und ideologisch wurde mit demWeg von Kolumbus’ Abfahrt im andalusischen Palos de la Frontera in der Nähe von Sevilla über Amerika und der Entdeckung der Neuen Welt bis zu seiner erfolgreichen Rückkehr ins katalanische Barcelona ein großer Bogen zwischen beiden Großveranstaltungen gespannt.17 Symptomatisch für die Repräsentationspolitik Spaniens war mit der Referenz auf das Hauptwerk von Cervantes auch das Schlusswort des offiziellen Ausstellungsalbums mit einemZitat aus dem »Don Quijote«: »[. . .] Barcelona. Das ist der Wohnsitz der feinen Sitte, die Herberge der Fremden, die Zuflucht der
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